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Sunao Tokunaga - Stille Berge (1948)
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8

Plötzlich stürmte Ren in den Salon. Mit Mühe nur unterdrückte sie ein Lachen, sie sah aus, als würde sie jeden Augenblick losprusten.
„Willkommen!" Sie verneigte sich vor dem Direktor, wandte sich aber sofort wieder ab und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Ihr heller Kimono mit dem schmalen violetten Gürtel, der hinten zu einer Schleife gebunden war, und das glattgekämmte Haar mit dem Knoten im Nacken ließen sie viel jünger wirken als in der Fabrik.
Das ist doch... Sagara ging ein Licht auf, er nickte ihr zu.
Gleich darauf trat ein schlanker junger Mann ein. Er trug eine neue Offiziersuniform, allerdings ohne Schulterstücke, und an der Mütze fehlte die Kokarde. Im Übrigen war er wie aus dem Ei gepellt, die Uniform saß tadellos, die braunen Ledergamaschen und die Kartentasche glänzten frisch gewichst. Er war ein hübscher junger Mann mit regelmäßigen Zügen und lebhaftem Blick.
„Oh, Herr Komatsu!" Sogar der Direktor erhob sich ein wenig von seinem Sessel. Mit militärisch kurzen Schritten ging der Offizier auf den Direktor zu, hob die Hand an den Mützenschirm und meldete laut: „Oberleutnant Komatsu Nobujoschi. Soeben angekommen. Schäme mich, dass ich am Leben geblieben bin, ungeachtet der Niederlage der Kaiserlichen Armee!"
Er trat zurück, machte eine exakte Kehrtwendung, wandte sich erst dem Hausherrn und dann Takenoutschi zu und wiederholte jedesmal die gleichen Worte im gleichen Tonfall.
Nach dieser Zeremonie setzte er sich auf einen Stuhl zwischen Kintaro und den Direktor. Nun konnte Ren nicht länger an sich halten, sie verbarg das Gesicht hinter der Lehne des Sessels, in dem ihr Bruder saß, und schüttelte sich vor Lachen. Denn fünf Minuten zuvor, als Komatsu sie und ihre Schwägerin in der Diele traf, hatte er sich genauso benommen.
„Na, na..." Kintaro blickte sie missbilligend an. Ren hob den puterroten Kopf.
„Nobujoschi ist so komisch! Der hört ja gar nicht mehr damit auf", meinte sie, nicht im Geringsten verlegen.
Kintaro rüttelte seine Schwester leicht an der Schulter, doch sie fing wieder an zu lachen. Dann schielte sie noch einmal zu Komatsu hinüber, der düster und unbeweglich vor sich hinstarrte, presste die Hand vor den Mund und lief hinaus.
„Ein ausgelassenes Mädchen, man wird nicht fertig mit ihr. Als Jüngste wird sie eben verwöhnt", entschuldigte sich der Hausherr immer mit dem gleichen wehleidigen Lächeln. Der Direktor lächelte ebenfalls. Takenoutschi lachte laut und ungeniert.
„Sie haben viel erlebt. Ich freue mich, Sie heil und gesund wiederzusehen", sagte Sagara schließlich herablassend zu Komatsu.
,Ich danke Ihnen." Komatsu neigte ruckartig den Kopf. Dann schien sein Gesicht wieder zu erstarren.
Die Hausfrau trat mit einem Tablett in der Hand ein und servierte Tee. Torisawa flüsterte ihr etwas zu, anscheinend erteilte er ihr einen Verweis. Dann lächelte er wieder seine Gäste an. Die gestörte Unterhaltung wurde erneut aufgenommen.
„Unter den heutigen Umständen kann man nicht mal garantieren, dass Bargeld vor Zufällen geschützt ist", bemerkte Takenoutschi. „Wir müssen mit einer Inflation rechnen", setzte er gleichgültig hinzu, als sich Kintaro brüsk umdrehte. „Habe ich recht, Herr Direktor?"
Sagara nickte zustimmend, lehnte sich in den tiefen Sessel zurück und stützte den Kopf in die Hand. Komatsu saß noch immer unbeweglich und stumm auf seinem Stuhl. Er gehörte einem vornehmen einheimischen Adelsgeschlecht an und war ein entfernter Verwandter der Sumikura. Die Familie Komatsu, die in dem Dorf Sanbonmatsu wohnte, besaß ein kleines Gut, Nobujoschi selbst aber beschäftigte sich nicht mit Landwirtschaft. Nachdem er die Mittelschule absolviert hatte, nahm er eine Stellung in den Sumikurawerken an und wurde bald darauf als Offiziersschüler in die Armee übernommen. Als die „Tokio-Electro-Company" in die Fabrik einzog, blieb Komatsu sein Abteilungsleiterposten erhalten, und er bekam sein festes Gehalt ausgezahlt. Auf diese Weise hatte er als Offizier, im Gegensatz zu den einfachen Soldaten, ein doppeltes Einkommen.
In drei Jahren brachte er es glücklich zum Oberleutnant. Während der ganzen Zeit gehörte er zur Präfektur Tschiba und wurde von einem Küstenort zum andern versetzt.
I Seine „Arbeit" bestand in der Vorbereitung von Bauplätzen für Verteidigungsanlagen in den Städten und Dörfern. Zu diesem Zweck zerstörte er die Häuser friedlicher Bewohner, indem er Panzer über sie hinweg rollen ließ. Er befahl die Boote der einheimischen Fischer zu zerschlagen, wenn er Bauholz brauchte, schaltete und waltete eigenmächtig auf den privaten Eisenbahnlinien, requirierte überall Lebensmittel für die Truppenverpflegung, stellte weibliche „Freiwilligenabteilungen" für Erdarbeiten zusammen, und wenn er ein hübsches Mädchen fand, das ihm gefiel, dann nahm er es „unter seine besondere Obhut". Als er den Bau von Wohnungen für die Truppenkommandeure leitete, unterstand ihm das Lager der Intendantur. Dort veranstaltete er mitunter tagelange Zechgelage. Mit einem Wort, Oberleutnant Komatsu war einer jener berüchtigten jungen Offiziere, die alle militärischen und zivilen Vollmachten in der Hand hatten. Nach der Kapitulation fuhr er nach Tokio, und da er sich, zum Unterschied von den meisten anderen Heeresangehörigen, ziemlich genau über alle Vorgänge in der Politik und beim Militär orientierte, gelang es ihm verhältnismäßig rasch, demobilisiert zu werden und nach Hause zurückzukehren.
„Sachwerte sind jetzt das vorteilhafteste", flüsterte Takenoutschi heiser und blinzelte Kintaro listig zu.
„Der Krieg ist aus, und mit der Warenkontrolle ist Schluss, so kann man wohl sagen. Darum muss man sich jetzt Sachwerte zulegen, ganz gleich, was für welche - Holz, Häuser, Stoffe, Militärhemden und hosen... Und nicht nur das. Auch Wald ist gut, denn die Preise für Holz steigen. Und natürlich Grund und Boden, umso mehr, wenn die Kriegsabgaben wegfallen."
Da mischte sich Komatsu unvermutet ein. „Das Land wird konfisziert", erklärte er militärisch kurz, ohne seine Haltung zu verändern. „Habe es gestern gehört, in Tokio. Einer der Alliierten ist die Sowjetunion. Sie wird darauf bestehen, dass man so eine ,demokratische Revolution' macht und das gesamte Land der Gutsbesitzer beschlagnahmt."
Er brach jäh ab, sein Gesicht war undurchdringlich wie vordem. Er überließ es seinen Zuhörern, ob sie seinen Worten glauben wollten oder nicht.
„Das ist doch wohl nicht möglich!" Takenoutschis Äuglein blitzten auf, aber Komatsu würdigte ihn keiner Antwort. Auch dem Direktor schien diese Nachricht neu zu sein, und das Lächeln des Hausherrn verschwand mit einem Schlag.
„Unmöglich!" rief Takenoutschi wieder. „Ich habe ja auch schon gehört, dass die Pflichtablieferung an die Gutsbesitzer aufgehoben werden soll, aber dass man das ganze Land..." Komatsus Worte gingen Takenoutschi nicht in den Kopf. „In Amerika gibt es doch auch privaten Grundbesitz. Nicht wahr, Herr. Direktor?"
Sagara  brummte   etwas   Unverständliches   und schüttelte den Kopf.
Er wusste nicht, was er von der ganzen Angelegenheit halten sollte.
Komatsu Nobujoschi erhob sich und verließ leise und unauffällig das Zimmer. Die drei anderen waren so in Gedanken versunken, dass sie es gar nicht bemerkten.

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