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Sagara erinnerte sich nicht, wer Torisawa Ren war. Da es aber oft vorkam, dass ihn Dorfbewohner einluden, murmelte er nur irgendetwas vor sich hin und folgte dem Hausherrn in das Besuchszimmer.
Auf dem Tisch stand ein Frühstück für zwei Personen. Die Hausherrin, eine Frau mit rötlichem, gedunsenem Gesicht und verarbeiteten Händen, bediente selbst. Sie achtete auf jede Bewegung ihres Mannes, er brauchte sich nur zu räuspern, gleich warf sie ihm einen demütigen, schüchternen Blick zu. Sie wirkte viel älter als er und erschien gegenüber der eleganten Einrichtung besonders unansehnlich. „Ich bitte um Verzeihung, dass wir Sie belästigen mussten", sagte Sagara und zündete an dem Feuerzeug, das ihm der Hausherr entgegenhielt, eine Zigarette an.
„Aber das macht doch gar nichts!" erwiderte Kintaro lächelnd, löschte die Flamme und legte das Feuerzeug auf ein Tablett mit Rauchutensilien. Er selbst rauchte nicht. Er hustete oft, und. wenn er lachte, dann hielt er die Hand vor den Mund. Nach einem kurzen Schweigen fügte Torisawa unvermittelt hinzu: „Ich habe ja überhaupt nichts damit zu tun, das haben alles die Brüder Takenoutschi organisiert." Sie berührten dieses Thema nicht mehr. Takenoutschi wohnte ständig im Dorf Torisawa und fuhr mit dem Rad zur Arbeit. Auch nachdem Kintaro, der ein Aktienpaket der Sumikurawerke besaß, ihm die Kontoristenstelle verschafft hatte, hielt er seine „Vasallen"-Beziehung zu dem Gutsherrn aufrecht, obgleich er sich nicht mit Landwirtschaft beschäftigte.
„In letzter Zeit sind viele Soldaten heimgekommen, he... he..."Jedesmal, wenn Kintaro hüstelte, nahm sein Gesicht einen hochmütigen Ausdruck an, als wäre es eine besondere Herablassung von ihm, sich mit seinem Gegenüber zu unterhalten. Aber offenbar machte ihm irgendetwas Sorgen, und er bemühte sich krampfhaft, ein passendes Thema zu finden, um ein Gespräch in Gang zu bringen. „Hm... Gestern soll Komatsu Nobujoschi eingetroffen sein, wie ich hörte. War er nicht Leiter der Abteilung für allgemeine Angelegenheiten in Ihrem Betrieb? Hat er sich noch nicht bei Ihnen sehen lassen?"
Sagara schüttelte den Kopf. Seine Miene drückte Befremden aus. Was hatte Komatsu mit dem Herrn dieses Hauses zu tun? „Er ist ein Verwandter von uns. Mein Großvater war ein Komatsu", erklärte Kintaro, als er das Erstaunen seines Gastes bemerkte.
Sagara hatte die Absicht, aufzubrechen, sobald Takenoutschi zurückkäme. Er wollte noch am selben Tage nach Tokio fahren, um an einer Vorstandssitzung der Gesellschaft teilzunehmen. Er merkte, dass ihn sein Gastgeber in eine Unterhaltung zu verwickeln suchte, aber er hatte keine Lust dazu.
Uber dem Schreibtisch hing eine Kopie des Gemäldes „Die heilige Familie" von El Greco, im eingebauten Bücherschrank standen Werke berühmter Autoren, philosophische Schriften, belletristische Bücher und sogar die mehrbändige „Geschichte der Entwicklung des Kapitalismus in Japan".
Aus alledem machte sich der Direktor gar nichts, er hielt es für überflüssig. Die Einrichtung des Salons war in dieser Gegend keine Ausnahme. Der Hausherr, der stolz darauf war, Mitglied der Gemeindeverwaltung von Torisawa und des Landwirtschaftlichen Komitees für den gesamten Bezirk Kawasoi zu sein, gehörte zu den typischen Vertretern der einheimischen Intelligenz.
In seiner Jugend hatte er an einer Tokioter Privatuniversität Rechtswissenschaft studiert, aber er beabsichtigte keineswegs, Anwalt oder Beamter zu werden. Er war Mitarbeiter einer literarischen Zeitschrift und begann ein Verhältnis mit einem Malermodell, als er sich einmal vorübergehend für Malerei begeisterte. Bald aber fand sich eine standesgemäße Partie für den Gutsbesitzer. Er kehrte auf sein Gut zurück, heiratete und wurde sesshaft.
Unter den Gebildeten waren viele, die tönende Phrasen im Munde führten und sich selbst für fortschrittlich hielten. Es gab aber auch wirklich revolutionär gesinnte Leute. Doch in den meisten Fällen verwirklichten sie ihre Ideen im praktischen Leben nicht und verfielen so in den Fehler jener Angehörigen der Intelligenz, die der Ansicht sind, Wissen allein genüge. Auch Torisawa Kintaro gehörte zu ihnen. Er verehrte Kunst und Wissenschaften und war fest überzeugt, dass er ein fortschrittlicher Mensch sei.
Ungewöhnlich schien es, dass es bei den ländlichen Verhältnissen dieser Gegend unter den Gutsbesitzern und Seidenfabrikanten ziemlich viele gebildete Menschen gab. Aber so verwunderlich war das gar nicht, denn es war, wie überall in der Seidenproduktion, eine Begleiterscheinung der Entwicklung des Kapitalismus, die vor ungefähr hundert Jahren begonnen hatte.
Die Grundbesitzer und Textilunternehmer wussten es so einzurichten, dass die Bauern, die die Seidenraupen züchteten, und die Arbeiter in den Spinnereien in einem halbfeudalistischen Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen standen. Die Zahl solcher Bauern und Textilarbeiter war in diesem Teil Japans besonders groß.
Wenn die Grundbesitzer und Unternehmer nun morgens und abends ihre Radioapparate einschalteten, um die Börsenberichte aus Tokio, Jokohama und sogar aus New York zu hören, dann bekamen sie, ohne es zu wollen, auch die modernen kulturellen Sendungen mit. Dabei musste ihnen zumute sein, als sollten sie den Ast absägen, auf dem sie saßen, als sollten sie ihre eigene Existenz verneinen. Angesichts der Not und des Elends derer, die Opfer dieser Verhältnisse waren, verlieh das dem modernen Liberalismus und Philanthropentum gerade dieser besonders armen Gegend eigenen, verlogenen Charakter.
Man kann also verstehen, dass das pompöse Empfangszimmer des Doktors der Rechte Torisawa Kintaro hier nichts Außergewöhnliches war.
Im Augenblick aber lag Kintaro nichts an humanitären Theorien. Japan hatte den Krieg verloren, und so hatte er ganz andere Sorgen. „Was soll man bloß machen? Ich besitze auch eine Anzahl Aktien. Was wird jetzt damit Ihrer Meinung nach?" Er steuerte geradenwegs auf den Kern der Sache zu. „Ich glaube natürlich nicht, dass da noch etwas herausspringt, aber trotzdem..."
Er stützte den Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn in die Hand.
Das gezwungene Lächeln, hinter dem er seine quälende Unruhe zu verbergen suchte, wich nicht von seinem Gesicht.
„Was für Aktien haben Sie?" fragte Sagara unverfroren und zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. Jetzt von Aktien zu reden, konnte auch nur so einem „Bauern" einfallen.
„Alle möglichen. Zum Beispiel ,Taiwaner Zucker'..."
„Ach", meinte Takenoutschi, der eben ins Zimmer trat und die letzten Worte noch gehört hatte, „die kauft ja nicht mal mehr die Regierung!"
Sagara schwieg. Er machte ein Gesicht, als wollte er sagen: Lasst mich bloß damit in Ruhe! Takenoutschi trat an den Tisch, nahm aber nicht auf einem Stuhl Platz, sondern zeigte, dass er wusste, wo er hingehörte, und hockte sich auf den Fußboden nieder. Dann zog er eine Pfeife aus der Tasche, schüttete etwas zerkrümelten Tabak hinein, rauchte ihn an und wandte sich mit leiser Stimme und mitleidigverständnisvoller Miene an den Direktor: „Herr Torisawa besitzt eine ganze Menge solcher Aktien..., für siebzig- oder achtzigtausend Jen, nicht wahr, Herr?"
Draußen vor der Tür ertönten Schritte, doch keiner der Männer am Tisch achtete darauf.
„He, he...", machte Kintaro und nickte. Er fuhr fort zu lächeln, aber seine hagere Hand, die das Kinn stützte, zitterte merklich.
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