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Als Komatsu Nobujoschi das Fabrikgelände betrat, bemerkte er auf dem Hof einen Jeep.
„Guten Tag!" grüßte der Wachtposten und hob die Hand an den Mützenschirm. Komatsu erwiderte den Gruß lässig, blieb stehen und betrachtete den Jeep.
Komatsu kam spät; der Arbeitstag hatte längst begonnen, und auf dem Fabrikhof war es still. Unter den warmen Strahlen der Sonne taute der Schnee. Von dem nassen Boden stiegen Dunstschwaden auf. An den Bretterwänden, sogar an den Pfeilern der Galerie, wo die Kontrolluhr stand, klebten – ungewöhnlicher Anblick! - rot- und blaubemalte Plakate und Aufrufe.
Einige enthielten die Stellungnahme der Gewerkschaft zu den Parlamentswahlen, nannten die Namen der Mitglieder des Gewerkschaftskomitees, die neu gewählt worden waren, andere trugen Losungen wie „Jugend heraus!" - „Versammlung der Jugendsektion der Gewerkschaft!" Ein Plakat fiel besonders auf: In leuchtend roten Schriftzeichen verkündete es: „Die Zukunft gehört der Jugend!" Es war, als hätten die Menschen im Kampf zum ersten mal ihre Fähigkeiten und ihre Möglichkeiten entdeckt.
Komatsu schlug den Weg zur Fabrikverwaltung ein.
Im Korridor stieß er unvermutet mit Takenoutschi Tadaitschi zusammen, der aus dem Empfangsraum stürzte. Durch die halboffene Tür erblickte Komatsu zwei amerikanische Offiziere, die in zwangloser Haltung mitten im Zimmer standen. Vor ihnen erkannte man den Glatzkopf des Chefs der Personalabteilung, der sich tief verneigte, und das lächelnde Gesicht des Direktors, der hin und wieder radebrechend ein paar englische Worte in die Unterhaltung einwarf.
Komatsu klopfte an und trat ein. „Brauchen Sie mich?" fragte er den Direktor leise. Auf Sagaras Nase schimmerten Schweißtropfen; seine Laune aber war ausgezeichnet. „Sie sprechen doch englisch, nicht wahr?" „O nein!" Komatsu schüttelte selbstbewusst grinsend den Kopf. Der Direktor stellte ihn vor; als sich einer der Amerikaner umwandte, machte Komatsu eine graziöse Verbeugung wie ein Tänzer, der seine Dame auffordert, und streckte dem Gast ohne jede Hemmung die Hand entgegen: „Good morning, Sir! Welcome!"
Seine Aussprache war grauenhaft; doch seine Stimme klang so selbstsicher, dass Sagara vor Staunen den Mund aufriss.
Bald darauf begann im Hof ein Motor zu knattern; der Jeep machte eine jähe Wendung, flog durch das Tor und verschwand auf der Sumikurastraße. Er hinterließ die groben Abdrücke seiner Reifen und einen schwachen Benzingeruch.
„Ein hübsches Wägelchen, nicht wahr?" bemerkte Direktor Sagara. Er stand auf der Schwelle, umringt von seinen Untergebenen, die dem davonfahrenden Jeep nachblickten. Der Direktor hob den Kopf, schaute in den wolkenlosen blauen Himmel und machte ein Gesicht, als wollte er sagen: Schönes Wetter heute!
Langsam glitten seine Augen über die Plakate und die Aufrufe, aber merkwürdigerweise verschwand sein Lächeln auch jetzt nicht.
„Also, meine Herren", sagte er schließlich und machte kehrt. „Bitte kommen Sie in mein Büro."
Er steckte die Hände in die Hosentaschen und stieg mit energischen Schritten die Treppe hinauf, ohne die Angestellten, die ihm entgegenkamen und ihm mit einer Verbeugung den Weg frei machten, auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Es handelt sich um folgendes..." Er nahm den Hörer vom Telefon, das anhaltend läutete, wühlte in den Papieren auf seinem Schreibtisch und reichte seinen Untergebenen, die inzwischen Platz genommen hatten, ein Exemplar der Lokalzeitung. „Na, was ist? Ja, ich höre... Jaja, ist gut..."
Er legte den Hörer auf und sah zu, wie die Zeitung von Hand zu Hand ging.
„Naa, Herr Gemeinderat, was sagen Sie dazu?" fragte er spöttisch und blickte Takenoutschi an.
Takenoutschi Tadaitschi gab die Zeitung an Komatsu weiter, verschränkte die Arme über die Brust und legte den Kopf auf die Seite. Bei den Märzwahlen für die Organe der örtlichen Selbstverwaltung hatte die Sozialistische Partei ihn als Kandidaten aufgestellt, und er war in die Gemeindeverwaltung von Kawasoi gewählt worden. „Hm, ja, wirklich...", murmelte er.
Der Direktor schielte wütend zu ihm hin. „Wenn man die Nase zu hoch reckt, dann kann man leicht stolpern."
Die Zeitung brachte in der zweiten Spalte einen Artikel mit der schreienden Schlagzeile: „Das Werk Kawasoi der Tokio-Electro-Company ein Kommunistennest! Allein hundert Jungkommunisten!"
„Die Zeitungsleute sind doch ein durchtriebenes Volk! Wo mögen sie das nur wieder herhaben!" wandte sich Sagara an Komatsu, der schweigend die Zeitung betrachtete.
Komatsu antwortete nicht.
„Das ist unangenehm der Company gegenüber. Was meinen Sie?" Der Direktor setzte seine saure Miene auf und sah den Personalchef an. Dann glitt sein Blick wieder zu Komatsu hinüber. „Haben wir denn wirklich so viele Kommunisten?"
„Keine Ahnung." Komatsus Antwort klang wie immer völlig gleichgültig, und keiner der Anwesenden kam auf den Gedanken, dass die Anregung zu diesem Artikel von ihm stammen könnte.
Er schwieg und musterte kühl den neben ihm sitzenden Takenoutschi Tadaitschi, der über die Lage in der Gewerkschaft und die Gesinnung einzelner Arbeiter berichtete. Ab und zu warf Komatsu einen Blick aus dem Fenster, wo im blendenden Sonnenglanz die Abhänge der fernen Berge schimmerten.
Große Hoffnungen keimten in seinem Herzen. Aber je festere Formen diese Hoffnungen annahmen, desto unbeteiligter erschien er nach außen hin.
Die Unterhaltung mit Takenoutschi begann den Direktor aufzuregen.
„Was redest du da für Unsinn?" rief er gereizt. „Wenn deiner Meinung nach Araki und Nakatani keine Kommunisten sind, wer ist dann Kommunist?" „Ich behaupte ja nicht, dass sie nicht Mitglieder der Kommunistischen Partei sind. Ich sage nur, möglicherweise..." Takenoutschi beugte den Kopf tief über den Tisch. Seine Äuglein glitzerten zwischen den geschwollenen Lidern, und er kicherte. „Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Direktor! Ich kann die Kommunisten nicht ausstehen. Ich habe auch keine Veranlassung, für Araki einzutreten."
Mit böser Miene, als wollte er sagen: Das ist gar nicht lächerlich!, führte der Direktor den Bleistift über die Liste, die vor ihm lag. Da fiel sein Blick auf Komatsu. Er warf den Bleistift hin und nickte Takenoutschi zu. „Das genügt mir. Ich danke Ihnen, meine Herren." In diesem Augenblick heulte die Sirene zur Mittagspause, und Takenoutschi verließ mit dem Personalchef das Zimmer. Sagara hielt Komatsu zurück. „Na, wie sieht es in Wirklichkeit aus?" Sagara schielte zur Tür, dann blickte er Komatsu erwartungsvoll an. Du weißt doch etwas! stand in seinem Gesicht geschrieben. Aber er wurde enttäuscht; Komatsu sagte gleichgültig: „Das weiß ich auch nicht."
Der Direktor trommelte mechanisch mit den Fingern auf den Tisch. Jetzt reicht es mir. Sie haben meine Geduld lange genug auf die Probe gestellt! dachte er. Das leichte Lächeln wich noch immer nicht von seinen
Zügen. Ebenso wie in Komatsu hatte der amerikanische Besuch auch in ihm Hoffnungen erweckt, und er erriet die Gedanken Komatsus, der nach wie vor schweigend zum Fenster hinausschaute.
„Wir dürfen nicht zögern. Die Zeitungen schreiben schon darüber. Ich glaube, ich als Direktor bin verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen. Was meinen Sie?"
„Hm..."
„Dieser Tage wollen sie diese - wie nennt sich das -,Jugendkonferenz' einberufen. Vielleicht fällt Ihnen etwas ein."
„Hm..."
„Sollen wir das Aktiv der ,Tenrju-Gesellschaft' zusammenrufen? Wenn Ihnen ein anderer Raum nicht geeignet erscheint, dann will ich Ihnen gern mein Büro zur Verfügung stellen."
Komatsu sah noch immer stumm zum Fenster hinaus. Plötzlich sagte er: „Es stimmt, in der Fabrik gibt es verdächtige Leute."
„Also doch?"
„Jawohl. Und zwar eine ganze Menge!" Komatsu setzte sich, den Blick über den Kopf des Direktors hinweg aufs Fenster gerichtet. „Dieser... dieser Kommunistische Jugendverband..."
„Was? Kommunistischer Jugendverband?" rief Sagara.
Als er in die kalten, zusammengekniffenen Augen seines Gegenübers blickte, zuckte er unwillkürlich zusammen. „Und wie viele Mitglieder hat dieser - Jugendverband?"
„Ich glaube, über hundert."
„Hundert?" Der Direktor war entsetzt. Keine zwei Monate existierte die Gewerkschaft in der Fabrik und schon... Sagara konnte nicht begreifen, wie das möglich war. „Wer ist denn... wer ist denn der Rädelsführer?"
Sagara reichte Komatsu die Liste der Mitglieder des Gewerkschaftskomitees.
Komatsu nahm einen Rotstift zur Hand und überflog die Namen - Araki, Kassawara, Tschidschiwa, Nakatani... Als er auf Furukawa stieß, machte er einen Haken und gab dem Direktor die Liste zurück. „Der?" Erstaunt blickte der Direktor auf. „Wirklich der?" Sagara hatte Furukawa Schiro schon als Lehrling gekannt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich in diesem fröhlichen, lächelnden Burschen so sehr getäuscht haben sollte.
„Er ist ein Rowdy!" Mehr sagte Komatsu nicht, aber es war ihm anzusehen, dass der Name Furukawa unangenehme Erinnerungen in ihm weckte, so unangenehme, dass er sich in die Irre leiten ließ - er ahnte nicht, dass in Wirklichkeit Ikenobe Schinitschi der Leiter des Jugendverbandes im Werk Kawasoi war.
„Ich kenne ihn, aber... hm ..."
„Glauben Sie ja nicht, dass er so harmlos ist, wie er tut."
„Schön, ich werde ihn beobachten. Weiter!" Sie gingen die Liste durch und hakten die Namen derer ab, die sie für Kommunisten hielten. Alle jungen Arbeiter, darunter auch Ikenobe und Onoki, wurden
gekennzeichnet. Schwieriger war es bei den Mädchen Toki Hana, Torisawa Ren, Jamanaka Hatsue... „Viele von ihnen sind Kommunisten, nur ..."
Komatsu prüfte die Liste aufmerksam. Wahrhaftig, unter den aktiven Teilnehmern an der Wahlkampagne, die den Kandidaten der Kommunistischen Partei, Obajaschi Sentaro, unterstützten, waren viele Mädchen. Es war verhältnismäßig einfach, Genaueres über Toki Hana oder Torisawa Ren herauszubekommen; aber bei den Mädchen aus dem Fabrikheim gerieten Sagara und Komatsu in eine Sackgasse. Unter den Arbeiterinnen gab es keine Leute wie Takenoutschi oder Tschidschiwa und keine Spitzel wie die Mitglieder der „Tenrju-Gesellschaft", folglich war es nahezu unmöglich, etwas über sie in Erfahrung zu bringen.
„Na schön!" Der Direktor legte den Rotstift hin, nahm die Brille ab, und das Lächeln erschien wieder auf seinen Lippen. „Die Anführer haben wir jetzt, also können wir schon etwas unternehmen."
„Es gibt ein Mittel." Komatsu drückte das Kinn zurück und sah den Direktor finster an. Sagara nickte, als wüsste er, was der andere meinte. Der Direktor stellte sich eine Gewerkschaft ohne Kommunisten vor und fühlte sich erleichtert.
„Ja, übrigens... wir sollten Englisch lernen", sagte er unvermittelt und bedeutungsvoll und lehnte sich im Sessel zurück.
„Möchten Sie rauchen? Das haben mir die amerikanischen Gäste vorhin geschenkt."
Er zog ein Päckchen amerikanischer Zigaretten aus der Tasche, zündete sich eine an und atmete genießerisch den Rauch ein.
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