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Der Mann im schwarzen Jackett stellte sein Fahrrad unter das Vordach, ging ins Wohnzimmer und ließ sich neben dem Ofen nieder.
Seinem Aussehen nach konnte man ihn auf zweiundvierzig oder dreiundvierzig Jahre schätzen, rund zehn Jahre jünger als Fumija. Als er aber die Mütze abnahm, zeigte es sich, dass sein Kopf von der Stirn bis zum Wirbel kahl war. Ein schweres Leben hatte Spuren in seinem hageren Gesicht hinterlassen. Fumija redete wie aufgezogen; der Gast aber lächelte nur und strich sich übers Kinn, auf dem ein struppiger, graumelierter Bart wucherte. Seine Augen hinter den Brillengläsern leuchteten in freudiger Erregung über das Zusammensein mit dem alten Freund, den er zehn Jahre lang nicht gesehen hatte.
„Ich freue mich, dass du gesund und munter bist", rief Fumija einmal über das andere und blickte sein Gegenüber liebevoll an. „Bin auch alt geworden, aber ich halte mich noch... Ja, ich halte mich - ein bisschen Kraft habe ich noch."
Der Gast hatte die Beine übereinandergeschlagen und die Arme um die Knie geschlungen und lauschte unter beifälligem Nicken. Anscheinend verglich er in Gedanken Fumija mit dem Mann, den er einst gekannt hatte, und die Erinnerungen an jene fernen Zeiten stiegen aus der Tiefe seiner Seele auf.
Kobajaschi Masaru stammte aus Kami-Suwa. Er war seinerzeit mit Fumija im Zusammenhang mit dem Prozess verhaftet worden, der, wie die Zeitung „Schojo Schimbun" schrieb, gegen die „roten Lehrer" geführt wurde. In Wirklichkeit hatte man dieses aufsehenerregende Verfahren nur eingeleitet, um mit einem Schlage die demokratische Organisation der Pädagogen in der Provinz Nagano zu erledigen, die gegen den drohenden Krieg auftrat, die Faschisierung des Volksbildungswesens zu verhindern suchte und bessere Arbeitsbedingungen für die Lehrer forderte. Gegen diese fortschrittliche Gruppe, die organisatorisch zum Alljapanischen Gewerkschaftsrat („Senkjo") gehörte oder - genauer gesagt - unter seinem Einfluss stand, richtete sich jener berüchtigte „Prozess".
Die Ermittlungen in der Angelegenheit Kobajaschis, Fumijas und der anderen Lehrer zogen sich endlos hin. Nach dreijähriger Untersuchungshaft wurde Kobajaschi, obwohl kein Beweis für seine „Schuld" erbracht werden konnte, zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Damals war er noch nicht Mitglied der Kommunistischen Partei, dennoch zählte man ihn zu den „Verstockten". Als er seine Strafe verbüßt hatte, wollte er nicht in seinem Heimatdorf bleiben und ging gleich zu Beginn des Krieges im Stillen Ozean nach Tokio. Als Versicherungsagent, als Gelegenheitsarbeiter in
Fabriken, als Tagelöhner fristete er dort sein Leben. Wiederholt wurde er verhaftet und für Monate eingesperrt, ohne dass man bestimmte Beschuldigungen gegen ihn vorbringen konnte. Nach Kriegsende kehrte er in seine Heimat zurück. Er war nicht dazu gekommen, zu heiraten.
Gerührt stellte Fumija ein Gläschen Reisschnaps auf den Ofen und hob es dann selbst an den Mund. Der Gast trank seinen Sake. Fumija war von den Erzählungen und den Fragen nach alten Freunden - nach Toten oder Verschollenen - so in Anspruch genommen, dass er gar nicht bemerkte, wie der Wind ab und zu einen Trommelwirbel von den Bergen herüber wehte, die allmählich im Abenddunkel versanken. „Habt ihr heute ein Fest hier?" erkundigte sich Kobajaschi.
„Tjaa, siehst du, Kapitulation hin, Kapitulation her, die Feste muss man feiern, wie sie fallen... Jawohl. Die Jugend will sich amüsieren."
Kobajaschi, aus dessen Zügen das Lächeln nicht verschwand, wandte sich wieder an Fumija: „Auf dem Wege zu dir bin ich übrigens Nogami Tsutomu begegnet. Ein paar Leute waren bei ihm. Was macht der eigentlich?" „Nogami Tsutomu? Aus Hirajama? Ich weiß nicht."
Fumija stellte das Glas auf den Ofen zurück und schüttelte den Kopf.
In Wirklichkeit hatte er vor kurzem ein Rundschreiben mit der Unterschrift Nogamis erhalten. Im Nachbardorf Hirajama und im Bezirk Ine waren Bestrebungen im Gange, eine neue politische Partei zu gründen. Wie man erzählte, war auch Saito Judschiro, der frühere Gemeindevorsteher von Kami-Gawasoi, daran beteiligt. Nogami war ein alter Funktionär der Bauernbewegung des Bezirkes. In seinem Brief hatte er Fumija aufgefordert, der neuen Partei beizutreten. „Siehst du, das ist so", begann Kobajaschi, und seine Stimme hatte auf einmal einen ganz anderen Klang. „Die Kommunisten kommen doch jetzt allmählich aus der Illegalität hervor..."
Fumija riss vor Erstaunen die Augen auf. „Die Kommunisten?"
„Ja, die Kommunisten", bestätigte Kobajaschi. „Du kennst doch Schiroischi aus Matsumoto? Er war dieser Tage in Tokio. Vorgestern ist er zurückgekommen. Also", er rückte näher an Fumija heran, „das Potsdamer Abkommen gibt doch auch der Kommunistischen Partei das Recht, legal zu arbeiten."
„Donnerwetter!" rief Fumija. Er war ganz aufgeregt und schlug sich von Zeit zu Zeit aufs Knie, während er Kobajaschi zuhörte.
„Ich meine", fuhr Kobajaschi fort, „es wäre gut, wenn wir eine Versammlung einberiefen, um zu hören, was Schiroischi zu berichten hat. Bei der Gelegenheit träfen wir auch die Genossen wieder, die wir seit zehn Jahren nicht gesehen haben. Den Ort der Zusammenkunft und die Tagesordnung teile ich dir noch mit. Was hältst du davon?"
„Natürlich, das ist großartig! Allein um die alten Freunde wiederzusehen, hat es sich gelohnt, solange zu leben!" erwiderte Fumija sofort. Er schwieg eine Weile und fügte dann hinzu: „Ja, das wird wirklich eine prächtige Sache! Ich komme bestimmt, wenn es nicht zu viel Fahrgeld kostet."
Doch darum handelte es sich gar nicht. Fumija hatte Hemmungen, denn er dachte an den Brief mit der Aufforderung, in die „Sozialistische Partei" einzutreten. Er hatte Schiroischi nie gesehen, aber er wusste vom Hörensagen, dass er Kommunist sei, lange Zeit im Gefängnis gesessen habe und nur wegen einer schweren Krankheit während des Krieges entlassen worden sei. Schiroischi stand an der Spitze der kommunistischen Bezirksorganisation, und man konnte sich leicht vorstellen, dass diese „Zusammenkunft alter Freunde" sich in eine Versammlung verwandeln würde, auf der die kommunistische Bezirksorganisation neu gegründet werden sollte.
Hatte er Bedenken, an einer kommunistischen Versammlung teilzunehmen? Nein, das nicht. Nur der Gedanke an den alten Saito verwirrte ihn. Er hatte den Brief zwar noch nicht beantwortet, doch das war auf eine gewisse Antipathie zurückzuführen, die er gegen Nogami, den Gutsbesitzer aus Hirajama, hegte. Nogami hatte sich während des Krieges nicht als aktiver Anhänger der militaristischen Regierung gezeigt; nein, er war so geschickt, seine Frau vorzuschieben. Sie leitete die örtliche Organisation „Patriotische Mädchen", die Jugendsektion der „Hilfsassoziation für den Thron". So blieb Nogami vor jeder Verfolgung verschont - im Gegensatz zu Fumija und konnte sich die ganze Zeit als Mitglied der Bezirksverwaltung halten. All das empörte Fumija, der ein Altersgenosse Nogamis war und ihn gut kannte. Anders lagen die Dinge beim alten Saito. Er hatte Fumija mehr als einmal geholfen, wenn er in Schwierigkeiten war. Saito erfreute sich allgemeiner Beliebtheit im Dorf, und wenn er Fumija zuredete, dann würde es ihm schwerfallen abzulehnen.
Aber Fumija war nicht umsonst schon als Neunzehnjähriger zur revolutionären Bewegung gestoßen, nicht umsonst hatte er in all den Jahren über vieles nachgedacht, verschiedenartige Ideen kennengelernt und manche soziale Erschütterung miterlebt. Er urteilte so: Ob alte oder neue Partei - wenn sie dem Volke helfen konnte, wenn sie wirklich eine revolutionäre Partei war, dann spielte es keine Rolle, wie sie hieß.
„Wie ich höre, soll die Fabrik in Kawasoi bald wieder in Gang kommen. Gibt es hier im Dorf Arbeiter von dort?" fragte Kobajaschi und machte es sich bequem. Er hatte sich endlich einverstanden erklärt, über Nacht zu bleiben. „Der jüngere Bruder meines verstorbenen Freundes Araki Fumio ist angeblich dort beschäftigt. Wenn ich nicht irre, heißt er Toschio. Ich möchte ihn gern zu unserer Versammlung einladen, weiß aber nicht, wo er wohnt."
„Das machen wir schon", erwiderte Fumija und dachte an seine Schülerinnen Jamanaka Hatsue und Kiku. „Wir haben einige Arbeiter vom Werk Kawasoi im Dorf. Außerdem bin ich hier Gemeindeschreiber und komme jeden Tag dienstlich nach Schimo-Gawasoi. Ich kann mich in der Fabrik nach ihm erkundigen."
Fumija war jetzt in glänzender Laune. Er holte selbst einen Armvoll Reisig aus dem Vorraum, da die Schwiegertochter Tschisu mit ihrem Kind zu dem Fest gegangen war. „Die Jugend amüsiert sich! Kein Wunder, ganze zehn Jahre hat es kein Fest gegeben", flüsterte er mit freudigem Lächeln und legte das Holz neben den Ofen.
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