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Sunao Tokunaga - Stille Berge (1948)
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Es war Nachmittagspause. Nur wenige Arbeiterinnen aus der Montagehalle zwei gingen für diese fünfzehn Minuten ins Freie. In der Halle herrschte Halbdunkel, da fast alle Lampen ausgeschaltet waren.
„Nakaaanori, der aus Kisso..."
grölte jemand neben dem stillstehenden Fließband. Dann ertönte ein langgezogenes Gähnen, und eine Stimme rief: „Huah! Ich habe Hunger!"
Oikawa Mitsu hockte auf einer Kiste neben der Treppe und blätterte in ihrem Schreibheft. Unvermittelt, als wäre ihr gerade wieder eingefallen, dass sie Hunger hatte, drehte sie sich zu Hatsue um und sagte: „Weißt du, ich esse wahnsinnig gern süße Kartoffeln!"
In der Kantine bekamen sie nur dünne Kartoffelsuppe.
„Ich würde... ich würde... ach, wenn wir doch gewinnen würden..." Mitsu packte Hatsue am Jackenärmel und weihte sie flüsternd in ihr Geheimnis ein: „Wenn wir siegen, dann esse ich fünf Portionen von diesem Püree, weißt du, das am Bahnhof verkauft wird."
Jaiminaka Kiku hatte den Arm um die Schultern von Kassuga Schinobu geschlungen und schaukelte sie hin und her. Ihr feines Ohr hatte Mitsus Worte aufgefangen.
„Was faselst du da? Man soll das Fell nicht verkaufen, bevor man den Bären hat."
Kassuga Schinobu wandte ihren Kopf mit dem koketten roten Tuch und sagte zu ihr: „Ach, Kikutjan! Das sind aber ,Widersprüche'! Wie sollen wir dann kämpfen?"
Alle lachten darüber, wie gewandt ihr der Ausdruck „Widersprüche" über die Lippen ging. Seitdem die Arbeiterkurse eingerichtet worden waren, konnte man die „gelehrten" Worte überall in den Werkhallen hören. Es hieß: „Das sind Widersprüche." - „Der hat sich mal wieder monopolisiert." - „Das kommt daher, dass er ein schrecklicher Imperialist ist." Die Kursusteilnehmer beruhigten sich erst, wenn sie die Begriffe, die sie gelernt hatten, in ihrer gewohnten Umgebung anwenden konnten. Manchmal gebrauchten sie sie auch, wenn sie gar nicht am Platze waren. Die Ausdrücke aber, die sie nicht im täglichen Leben verwerten konnten, vergaßen sie bald.
Die Arbeiterinnen hätten solche Wörter wie „Widersprüche" nicht aufschreiben können, aber wenn es ihnen gelang, sie erfolgreich anzubringen, so freuten sie sich, als hätte sich dadurch der enge Rahmen ihres Alltagslebens erweitert und als wären sie über sich selbst hinausgewachsen.
„Er ist da! Er ist da, das wandelnde Wörterbuch!" schrie eine und blickte durch das Fenster auf den Fabrikhof hinunter. „Seht mal, wie er rennt!" Hatsue lief ans Fenster und sah über die Schultern der andern hinweg den Zipfel eines vorüberhuschenden Soldatenmantels. Sie fühlte, dass sie rot wurde, und trat vom Fenster zurück. Gleich würde er hereinkommen. Das Herz schlug ihr bis in den Hals. „Seid gegrüßt! Seid gegrüßt!" Furukawa polterte mit wuchtigen Soldatenschritten, atemlos vom schnellen Laufen, in die Halle. Vor seiner Brust hing ein Sprachrohr, unter dem Arm hielt er sein berüchtigtes „Wörterbuch der sozialpolitischen Terminologie".
„Fangen wir an, Freunde! Los, raus mit den Wörtern, die ihr nicht begriffen habt!" schrie Furukawa, das Sprachrohr an den Lippen, und von allen Seiten kamen die Arbeiterinnen mit den Heften auf ihn zu. Sie hatten schon auf ihren „Wanderlehrer", wie sich Furukawa nannte, gewartet.
Das Sprachrohr auf der Brust, das Wörterbuch unter dem Arm, erschien Furukawa Schiro pünktlich dreimal täglich - morgens, mittags und in der Nachmittagspause - in den einzelnen Werkhallen. „Ja, Freunde! Lernen muss man. Wenn wir nicht lernen..."
Man streckte ihm die Hefte entgegen; er nahm das Sprachrohr ab und begann, hastig in dem Wörterbuch zu blättern.
„Ein ,Exploitierter'? Aha, hier haben wir's schon: Ein Ausgebeuteter. Soso! Das ist der, aus dem der Saft herausgepresst wird... Na, du da, verstehst du das? Zum Beispiel: Die Aktionäre der ,Tokio-Electro-Company' pressen den Saft aus dir oder aus mir heraus. Jetzt die nächste. Wenn wir nicht lernen, dann können wir die Kapitalisten nicht besiegen."
Jedesmal, wenn man ihm ein Heft entgegenhielt, nickte er freundlich, und in seinen Augenwinkeln bildeten sich zahllose Fältchen. „,Schwächung'? Hm - ,Schwächung'... Aha, geschwächt, entkräftet, der Kräfte beraubt... Verstanden?... Wie? ,Sich erheben'? Das heißt gegen jemanden auftreten. Wir, die Mitglieder der Gewerkschaft des Werkes Kawasoi von der Tokio-Electro über siebenhundert Menschen - haben uns gegen die Kapitalisten der Company erhoben. Ist das klar?" Hatsue, die im Hintergrund stand, trat von einem Fuß auf den andern. Sie war froh, wenn andere nach den Ausdrücken fragten, die sie nicht begriffen hatte. Doch es gab auch einige, nach denen sich niemand erkundigte. Ihr Gesicht glühte. Seit Furukawa die Flugblätter bei ihnen im Wohnheim verteilt hatte, verfolgte sie der Gedanke, dass sich alle Blicke auf sie richteten, sobald sie mit dem jungen Burschen sprach.
„Nur Mut, Freunde! Es gibt ein Sprichwort: ,Fragen ist für eine Minute peinlich, nicht fragen ein ganzes Leben lang.' Keinem braucht es unangenehm zu sein, wenn er etwas zum ersten Mal fragt... wenn wir nicht lernen... Was? Gleich, gleich!"
Ohne es zu merken, hatte sich Furukawa daran gewöhnt, öffentlich aufzutreten, und er unterhielt sich von Mal zu Mal freier mit den Leuten. Wenn er in die Hefte blickte, die ihm entgegengestreckt wurden, und dabei lächelte, dann zogen sich seine großen, braunen Augen zu schmalen Spalten zusammen. Er hatte eine auffallend lange Nase und eingesunkene Wangen. War er über etwas ungehalten, so wurde sein Gesicht ganz finster, aber wenn er, die Augen zusammengekniffen, den Kopf auf die Seite geneigt, in die Hefte blickte, dann nahm sein Gesicht einen erstaunlich naiven, hilflosen und unglücklichen Ausdruck an. „Aha, hier, auf Seite einunddreißig... ,Expansion'? Halt, so ein Wort gibt es, glaube ich, nicht einmal in diesem Buch..."
Das „wandelnde Wörterbuch" kratzte sich hinter dem Ohr, entschuldigte sich und bat um Geduld.
„Bis morgen werde ich das schon irgendwo finden." „Bitte, das hier... was heißt das?" Errötend hielt Hatsue ihm endlich ihr Heft hin. „Kleinbürger? Aha, das ist..." Hatsue schlug die Augen nieder und sah jetzt nur noch seinen ausgefransten Hemdärmel vor sich, während er in dem Buch blätterte. „...einer, der zwar aus dem Proletariat stammt, aber kein Klassenbewusstsein hat."
„Ich verstehe..." Hatsue war nicht mehr imstande, den Kopf zu heben. Sie glaubte, alle ringsum lächelten einander verschmitzt zu. Und - merkwürdig -Furukawa schien auch ein wenig rot geworden zu sein.
„Das sind solche Typen, die es zu etwas bringen wollen und sich bei der Bourgeoisie einschmeicheln... alles in allem Leute mit bourgeoiser Natur..."
Er konnte nicht zu Ende sprechen, denn jemand rief dazwischen: „Hört nur, wie liebenswürdig er mit Hatsutjan redet!"
Alle lachten laut, als sie sein verlegenes Gesicht sahen.

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