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Sunao Tokunaga - Stille Berge (1948)
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„Was ist hier los?" fragte Hatsue noch einmal. Sie war erregt über all das, was sie bei der Versammlung im Speisesaal gehört hatte, und ihr Gesicht brannte noch vor Eifer.
Sie sah Kiku in die Augen; doch diese trat wortlos an das Kohlenbecken.
Mitsu weinte noch immer. Kassuga Schinobu heulte laut, das Gesicht zur Wand gedreht, und machte nur eine abwehrende Bewegung mit den Schultern, als Hatsue sie anrührte. „Was ist denn geschehen?"
Tojoda Schige warf Hatsue einen Blick zu und griff schweigend nach ihrer Näharbeit.
Hatsue blieb einen Augenblick stehen, dann nahm sie den Haori von der Wand und begann, sich umzuziehen.
Nicht einmal einen Schrank gab es hier. Während des Krieges hatten in diesem kleinen Raum zwölf Mädchen gewohnt. Alle ihre Habseligkeiten lagen wie in einem Eisenbahnabteil auf dem Platz, den sie einnahmen.
„Na, Mitsutjan, geht es dir besser?" Das Mädchen nickte schluchzend. Hatsue setzte sich Schige gegenüber unter die Lampe und legte einen Zettel mit Notizen, die sie während der Versammlung gemacht hatte, und die Broschüre über die Gewerkschaften auf ihren Schoß. Als sie durch die kalte Innengalerie nach Hause gelaufen war, hatte sie den Wunsch verspürt, ihren Freundinnen so schnell wie möglich zu erzählen, dass in der Fabrik endlich eine Gewerkschaft gegründet werde und dass man wahrscheinlich höhere Löhne fordern würde. Jetzt war ihr die Lust dazu vergangen.
Sie saß schweigend, mit halboffenem Munde da, aber ihrem ernsten Gesicht mit den Grübchen in den Wangen war anzusehen, dass sie entschlossen war, als Zimmerälteste hier Ordnung zu schaffen.
„Ich bin schuld, ich habe zu viel geredet", sagte Kiku.
Sie beugte sich über Schinobu und versuchte, ihr in die Augen zu blicken.
Doch anscheinend kam Schinobu erneut die Beleidigung zu Bewusstsein, die man ihr zugefügt hatte; sie heulte noch lauter. Hatsue beobachtete diese Szene aufmerksam, ohne eine Miene zu verziehen.
Sie ahnte, was geschehen war, aber damit war noch nichts getan. Was ist der Grund für all den Kummer und das Elend? dachte Hatsue. Sie wollte ihren Freundinnen helfen, ihnen einen Teil ihrer Last abnehmen. Und wie immer, wenn sie solche Gedanken hatte, wurde sie noch schweigsamer, Höhere Löhne! Ach, wenn das Wirklichkeit würde! Hatsue fiel ein, dass es im Hauptwerk schon zum Streik gekommen war. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass es den Arbeitern tatsächlich gelungen sein sollte, eine Lohnerhöhung durchzusetzen. Sie war noch immer aufgeregt, und ihr ausdrucksvolles Gesicht glühte. Aber über ihren Grübeleien vergaß sie die andern Mädchen nicht; im Gegenteil, sie dachte mehr an sie als an sich selbst, und das erschien ihr ganz natürlich, als könnte es gar nicht anders sein.
Oikawa Mitsu stützte sich auf den Ellbogen und begann ihren Reisbrei zu essen. Tojoda Schige nähte eifrig, und Kassuga Schinobu ging leise in den Korridor hinaus, um sich zu waschen.
Hatsue seufzte erleichtert auf. Plötzlich spitzte Tojoda Schige die Ohren. Die Hand mit der Nadel blieb in der Luft hängen. Auch Hatsue hörte das Geräusch eilig auf- und zugeschobener Schoji. „Was ist das?"
„Oh - ein Mann! Ein Mann im Frauenheim!" rief eine gellende Stimme. Ein unglaubliches Durcheinander brach los. Mädchen kreischten. Schoji klappten, schwere Männerschritte stampften über die Dielen.
„Hierher, hierher, kommt schnell her!" Kiku wollte in den Korridor hinausstürzen, fuhr aber erschrocken zurück, hielt sich an den Schoji fest und winkte ihren Freundinnen. „Hatsutjan! Hatsutjan! Da ist er, der freche Kerl!"
Die Mädchen traten ängstlich näher.
Furukawa Schiro rannte wie ein Irrer mit einem Paket Flugblätter unter dem Arm durch den Korridor.
Das ist ja 'n schöner Reinfall! dachte er.
In seiner Verwirrung blieb er mitten auf dem Korridor stehen, kniff die Augen zusammen und starrte vor sich hin, als wüsste er nicht, was er tun sollte.
Er war hergekommen, um die Flugblätter der Arbeiterkonferenz des Bezirks Kanagawa zu verteilen. Das Schild „Männern ist der Eintritt verboten" hatte er nicht beachtet.
Deshalb war er verblüfft, als man seinen Gruß beim Eintritt in das erste Zimmer mit einem erschrockenen Aufschrei beantwortete.
Er warf einen Blick in den nächsten Raum - und da geschah das gleiche.
Wie auf Kommando wurden sämtliche Schoji im Gang aufgeschoben. Stimmen wurden laut, und einige schrien sogar: „Ruft den Direktor!"
Jetzt dachte er nicht mehr an die Flugblätter. Er wollte nur noch weglaufen; doch kaum wandte er sich der Treppe zu, als die Arbeiterinnen, die dort standen, unter lautem Kreischen davonstoben. Er stürzte zum Ausgang am anderen Ende des Korridors. Auch hier brach eine Panik aus. Nun wusste er nicht mehr wohin er sich wenden sollte. „Hehe... hören Sie..."
Schiro fand keine Worte; aber ihm war klar, dass er unter allen Umständen die  Flugblätter verteilen musste, um wenigstens zu beweisen, dass er kein Dieb oder Einbrecher war. „He - he... hören Sie! Hier..." Er hielt den Stoß Zettel hoch und ging auf eine Gruppe Mädchen zu. Sie wichen kreischend zurück. Kaum aber hatte er sich einen Schritt entfernt, um sich einer andern Gruppe zuzuwenden, als die ersten ihren früheren Platz wieder einnahmen. „Du da, hör doch mal, nimm schon..."
Als er Jamanaka Kiku bemerkte, die allen Mut gesammelt hatte und in den Korridor hinausgetreten war, lief er erfreut auf sie zu. Das war doch das Mädchen, das vor kurzem im Fabrikheim in Kami-Suwa vor seinen Läusen geflüchtet war! „Hier, verteil das an alle..."
Er wollte Kiku die Flugblätter überreichen; doch sie schrie auf und versteckte sich hinter Hatsues Rücken. Schiro stand ratlos mit den Flugblättern in der Hand mitten auf dem Gang.
Da trat Hatsue vor und nahm sie ihm wortlos ab. „Seht mal an, die Jamanakasan!" „Die hat Mut!"
Alle lachten und schwatzten durcheinander. Hatsue erschrak über ihre eigene Kühnheit und bekam einen puterroten Kopf.

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