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Sunao Tokunaga - Stille Berge (1948)
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Die Vorlesung war zu Ende. Ikenobe Schinitschi stand mit etwas verlegener und zugleich missmutiger Miene in der Mitte des Auditoriums. „Im Kampf lernen, im Lernen kämpfen - das muss ein Gesetz für alle Proletarier werden", sagte Obajaschi, gegen die Tafel gelehnt, mit heiserer Stimme. Die eifrigsten Kursteilnehmer bildeten einen engen Kreis um ihn.
Toki Hana, Kaischima Nobuko und Torisawa Ren bewirteten den Unterrichtsleiter mit Tee. Hatsue, Kiku und einige andere Mädchen räumten den Saal auf. Sie hatten sich Handtücher um die Köpfe gewunden, trugen die Tische in eine Ecke, stellten sie übereinander und fegten den Fußboden. An dieser Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, Angestellten und Arbeitern, die seit jeher in der Fabrik herrschte, hatte sich bisher niemand gestoßen. Heute aber war Schinitschi darüber empört.
„Dieser Ausspruch stammt von Kobajaschi Takidschi", fuhr Obajaschi fort.
Überrascht trat Schinitschi näher. „Sie kennen Kobajaschi Takidschi?" Schinitschi hatte früher einmal einige Erzählungen von Kobajaschi gelesen. Damals hatten sie ihn befremdet. War das denn alles in Wirklichkeit so? Vor kurzem aber hatte er bei einem Antiquar eine Erzählung von Kobajaschi entdeckt: „Der 15. März 1928." Und jetzt dachte er ganz anders darüber.
„Ich habe ihn gesehen, allerdings nur ein einziges Mal, in Tokio, in einer Versammlung. Ich war damals noch Student."
Furukawa Schiro klopfte mit dem Bleistift auf seinen Notizblock und fragte ohne die geringste Verlegenheit: „Wer ist denn das? Kobajaschi Takidschi, sagten Sie, nicht wahr?"
„Was, du kennst ihn nicht?" rief Onoki, bevor der Lektor antworten konnte. „Das ist doch ein berühmter Schriftsteller. Nicht wahr, Sensei? Er war Kommunist; deshalb haben sie ihn festgenommen und zu Tode gequält. Und der kennt Kobajaschi Takidschi nicht!"
Beim Anblick von Furukawas betretenem Gesicht lachten alle. Nur Schinitschi senkte stumm den Kopf. Die Erzählung „Der 15. März 1928", in der die Geschichte des harten Kampfes der älteren Generation der Kommunisten geschildert wurde, hatte einen starken Eindruck auf ihn gemacht. Er glaubte, alles mit eigenen Augen gesehen zu haben. Konnten sie hier, konnten Menschen wie er diesen Kampf fortsetzen?
„Hört mal alle her!" rief Obajaschi, hob die Arme hoch und wandte sich den jungen Mädchen zu. Sie waren mit dem Aufräumen fertig, knieten der Sitte gemäß in tiefer Verbeugung an der Schwelle und wollten gehen. „Ich möchte Sie ein hübsches Lied lehren. Setzen Sie sich alle zusammen. Kommen Sie hierher..."
Während er sie rief, schrieb er den Text des Liedes an die Tafel. Die Mädchen aber blieben auf der Schwelle und versteckten sich hintereinander.
„Fahne des Volkes, rote Fahne..."
sang der Lektor, schlug den Takt mit der Kohlenzange gegen das Becken und wiegte seinen kahlen Kopf. Tiefe Röte stieg ihm in die Wangen; er schien verjüngt und sah wieder wie ein Student aus. „Na, singt doch mit!"
„Höher die rote Fahne!"
Furukawa starrte Obajaschi mit offenem Mund an. Dann aber vereinte er als erster seine Stimme mit der des Lektors, obgleich er falsch sang und die Worte verwechselte. Er hörte dieses Lied zum ersten Mal. Rau, männlich und feierlich war es, und es kam ihm vor, als hätte es schon lange Zeit in seinem Herzen geklungen.
„Über der Kremlmauer dröhnt dieses Lied, man singt es im fernen Chicago..."
An Obajaschis Hals traten die Adern hervor. Zuerst war der Gesang ein unharmonisches Durcheinander von Stimmen; doch allmählich fanden sie sich zusammen. Die Mädchen neigten sich unwillkürlich immer tiefer zu der Türschwelle hinab, und Jamanaka Kiku, die alle Lieder schneller als die übrigen lernte, sang hingerissen mit.
Schinitschi vermied es, Ren anzublicken. Sie trug einen dunkelblauen Mantel, dazu hatte sie einen orangefarbenen Schal um den Hals geschlungen. Als sie merkte, dass ihre Stimme sich dem Chor nicht einfügen wollte, zuckte sie mit den Schultern und sah Schinitschi an. „Es geht nicht", erklärte sie und ließ den Blick ungeniert über die Singenden schweifen: Da war das hagere, lehmfarbene Gesicht von Toki Hana, die laut, ohne die geringste Verlegenheit sang; da waren Furukawa und die andern - alle, sogar Hatsue und ihre Freundinnen, sangen eifrig die Melodie mit. „Na, wer fährt nach Okaja? Dann singen wir unterwegs weiter!" Obajaschi erhob sich und setzte seine Sportmütze auf. Der enge Kreis öffnete sich, und einige junge Leute stiegen mit Obajaschi die Stufen hinab.
Schinitschi folgte ihnen, um den Lektor hinauszubegleiten. Er war Mitglied der Schulungskommission der Gewerkschaft, und da der Leiter dieser Kommission, Nakatani, an diesem Abend an einer Sitzung des Komitees teilnahm, war Schinitschi verantwortlich für die Arbeiterkurse. Obajaschi wartete unten auf ihn. „Möchtest du in den Kommunistischen Jugendverband eintreten, Schinitschikun?" fragte er mit gedämpfter Stimme. Dann zog er ein Blatt aus der Tasche und reichte es Schinitschi, der ihn erstaunt ansah. „Nein, nein, der Komsomol ist eine Massenorganisation. Das ist etwas anderes als die Kommunistische Partei... Na, lies mal die Satzungen durch und sprich mit deinen Freunden darüber." Obajaschi ging eilig auf den Hof hinaus, wo seine Begleiter warteten. Er verschwand sofort in einer dichten Schneewolke. „Kommunistischer Jugendverband?   Komsomol?" murmelte Schinitschi vor sich hin, während er die finstere Galerie zum Gebäude des Gewerkschaftskomitees entlang schritt. Es beruhigte ihn, dass es noch nicht die Kommunistische Partei war; doch zugleich war er unbefriedigt. Seit einiger Zeit bemühte er sich, besonders streng gegen sich selbst zu sein; denn er fühlte, dass ihn die Liebe zu Ren immer mehr in ihren Bann zog. Als er am anderen Ende der Galerie eine dunkle Silhouette bemerkte, wusste er, dass es Ren war. „Sie begleiten mich, ja?" fragte sie, schob ihm etwas in die Hand und näherte ihr weißes Gesicht unter der spitzen Kapuze dem seinen.
„Ich würde gern mitgehen, aber ich muss noch..." Er wollte erklären, dass er an diesem Abend verantwortlich für die Kurse sei und noch zu tun habe; doch Ren schüttelte den Kopf und ließ ihn nicht ausreden. „Gut, dann warte ich. Ich muss mit Ihnen sprechen." Am Ende der Galerie tauchte eine Gestalt auf, und sie trennten sich. Schinitschi steckte den Notizblock, den Ren ihm gegeben hatte, in die Manteltasche. Nun wurde wieder nichts aus seinen Plänen - auch heute Abend würde erpicht dazu kommen, in dem Buch „Staat und Revolution" zu lesen, mit dessen Studium er begonnen hatte.

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