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Furukawa Schiro kletterte an dem Mast hinauf, verband die Mikrophonleitung mit dem Stromkabel und rief: „In Ordnung! Fertig!"
„Als erste spricht Jamanaka Hatsue!"
Aus einer Gruppe junger Mädchen und Burschen, die die rote Fahne der Kommunistischen Jugend und Plakate mit dem Namen des Kandidaten der Kommunistischen Partei, Obajaschi Sentaro, trugen, löste sich mit hochrotem Kopf Jamanaka Hatsue. Ikenobe drückte ihr das Mikrophon in die Hand. „Wir, die Arbeiter vom Werk Kawasoi der Tokio-Electro-Company, sind heute hierhergekommen, um zu euch zu sprechen; denn recht viele Menschen sollen uns hören."
An diesem hellen Frühlingsabend wurde auf der Hauptstraße von Okaja vor dem Postamt eine Wahlversammlung für den Kandidaten der Kommunistischen Partei abgehalten. Der Tag der Wahl rückte näher, und überall auf den Straßen der kleinen Stadt gab es mehr oder weniger gut besuchte Versammlungen.
Gegenüber der Post, im Bankgebäude, fand auch eine Versammlung statt. Hier wurde für den Kandidaten der Sozialistischen Partei, Nogami Tsutomu, geworben. Ikenobe Schinitschi stand neben Jamanaka Hatsue, als müsste er sie beschützen, und warf wütende Blicke auf das Bankhaus. In der Hand hielt er einen Notizblock, auf dem die Namen der Redner verzeichnet waren. „Wir Frauen", begann Hatsue, „haben bisher geglaubt, Wahlen wären Männersache, eine Angelegenheit der reichen und angesehenen Leute. Nun aber..."
Immer mehr Passanten blieben stehen. Seit zehn Tagen betrieb die Kommunistische Jugendgruppe des Werkes Kawasoi Wahlpropaganda, und junge Mädchen wie Hatsue hatten gelernt, öffentlich aufzutreten, ja, sogar zu sprechen. Hatsue trug die übliche Kleidung der Frauen von der Seidenspinnerei Okaja, eine dunkelblaue Jacke und einen roten Schal. Die Leute staunten, dass sie den Mut hatte, sich dort hinzustellen, mit dem Mikrophon in der Hand, und zu reden. Eine Frau - das war etwas ganz Neues! „Was hat die Regierung für uns Arbeiter getan?"
Die Menge applaudierte. Hatsue wurde rot vor Verlegenheit und verstummte für einen Augenblick.
Ikenobe machte ein ernstes Gesicht. Er war unzufrieden mit sich. Die Zahl der Jungkommunisten im Werk hatte sich zwar innerhalb der letzten beiden Monate auf 87 erhöht, aber keiner war Mitglied der Kommunistischen Partei geworden. Selbst er, der Leiter des Jugendverbandes, war noch nicht in die Partei eingetreten. Dabei glaubte er an den Sieg des Kommunismus und führte den Kampf im Sinne der Kommunistischen Partei.
In den hinteren Reihen entstand eine Bewegung. Furukawa Schiro, der auf den Steinstufen vor dem Postamt gesessen hatte, verschwand rasch in der Menge. Ikenobe erwachte aus seinen Grübeleien und sah Hatsue an.
„Ich begreife nicht, wie ein Arbeiter gegen die Kommunistische Partei sein kann! Wer außer der Kommunistischen Partei kümmert sich um uns, die Arbeiter?" Hatsue sprach voller Begeisterung. Ihre Wangen hatten sich gerötet, der Wind spielte mit ihrem Haar. Aus ihren großen, klaren Augen leuchtete eine leidenschaftliche Überzeugung. Man spürte, dass dieses einfache Arbeitermädchen seinen Weg mit dem Herzen gefunden hatte und dass sie nicht zu beirren war. Furukawa tauchte wieder auf. Jamanaka Kiku und Oikawa Mitsu hatten seit Beginn der Versammlung vom Gehsteig aus die Passanten angerufen: „Stimmt für den Kandidaten der Kommunistischen Partei, Obajaschi Sentaro!"
Auf einmal wurden die Stimmen der Mädchen vom Geschrei der Anhänger Nogami Tsutomus übertönt. Junge Leute in Studentenjacken und Mitglieder der Jugendorganisation der Stadt mengten sich unter die anderen.
„Hören Sie die Rede des Herrn Nogami Tsutomu, des Kandidaten der Sozialistischen Partei, des ältesten Mitglieds der Bauernbewegung!"
Jamanaka Kiku stand, ohne es selbst zu merken, plötzlich mitten auf der Straße und schrie aus Leibeskräften:
„Stimmt für Obajaschi Sentaro, den Kandidaten der Kommunistischen Partei Japans!"
Im selben Augenblick sprang einer von den Kerlen Studentenjacken neben sie und brüllte: „Für Herrn Nogami Tsutomu von der Sozialistischen Partei! Die Kommunisten achten den Kaiser nicht! Die Kommunisten fordern den Sturz der Monarchie!" Eine Rauferei entstand. Furukawa eilte Kiku zu Hilfe, aber auch der Gegner hatte Verstärkung erhalten. „Halt den Mund!" fauchte Furukawa den Studenten an; aber der kreischte weiter und drehte sein Sprachrohr nach allen Seiten: „Die Kommunisten achten den Kaiser nicht! Die Kommunistische Partei führt das Land ins Verderben!"
Die Menge teilte sich in zwei Gruppen. Furukawa hätte gewiss eine Schlägerei angefangen, wenn ihn nicht Ikenobe und einige Polizisten, die auf den Lärm hin herbeigeeilt waren, zurückgehalten hätten. „Genossen! Die Sozialistische Partei - das sind Spitzbuben!" Furukawa war gelb vor Wut. Seine Hand, die das Mikrophon hielt, zitterte. „Sie sagen, wir, die Kommunistische Partei, achten den Kaiser nicht, die Kommunistische Partei führt das Land ins Verderben... Dabei..."
Furukawa wurde heiser. Er schluckte krampfhaft und gestikulierte heftig, während er seine Zuhörer durchbohrend anblickte. Ein merkwürdiges Gefühl ergriff ihn. „Wir, die Kommunistische Partei..." Diese Worte waren ihm unwillkürlich entfahren. Jeden Tag war er durch die Straßen gegangen, hatte für die Kommunistische Partei agitiert, und jetzt, da er Auge in Auge dem Feinde gegenüberstand, der ihn öffentlich schmähte, rief er, ohne zu überlegen: „Wir Kommunisten..."! „Der Kaiser hat zusammen mit der Militärclique und den Kapitalisten den Krieg angefangen und die Kommunisten ins Gefängnis geworfen!. Das ist der Grund für die schlimme Lage Japans. Wer wagt da noch zu behaupten, dass wir es sind, die das Land ins Verderben führen?"
Furukawa sprach leidenschaftlich und eindringlich. Ab und zu unterbrach er sich und ließ den Blick über die Zuhörer gleiten, als hoffte er, in ihren Gesichtern die Worte zu finden, die ihm fehlten. Dann aber sagte er etwas, das alle aufhorchen ließ:
„Es gibt verschiedene Länder! Solche, in denen die Armen immer mehr werden, während eine kleine Gruppe Menschen immer fetter wird und riesige Reichtümer anhäuft! Aber es gibt auch Länder wie die Sowjetunion, wo alles ganz anders aussieht... Wir müssen Japan verändern! Wir müssen es so verändern, dass es keine armen Leute mehr gibt. Und deshalb müssen wir gegen die scheinheilige Sozialistische Partei kämpfen! Wer wird das tun? Ihr, Genossen, ihr werdet es tun! Und wir... wir..."
Er stockte, verstummte und steckte die Hände in die Taschen seiner Soldatenbluse. Man hörte Lachen, und eine spöttische Stimme rief: „Wer ist denn das ,wir'?"
„Wer das ist?" Sein Gesicht nahm einen ruhigen, weichen Ausdruck an, in seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen. „Wir - die Kommunistische Partei Japans!"
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