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Sunao Tokunaga - Stille Berge (1948)
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Am 14. August 1945 erklärte der japanische Kaiser Hirohito in einer Rundfunkansprache, dass Japan die Kapitulationsbedingungen annehme, die von den Alliierten in Potsdam ausgearbeitet wurden.


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August 1945... Wie auf ein Kommando hören im Bezirk Nagano die Schornsteine der zahlreichen Werke und Fabriken rund um den Suwasee zu rauchen auf. Der Krieg ist aus - Japan hat kapituliert.
Die Fabriken, die in Kasernen umgewandelten Schulen und Verwaltungsgebäude, an deren Fenstern noch die Verdunkelungsrollos hängen, die Bahnhöfe, die Luftschutzeinrichtungen auf den Straßen, die Flakstellungen an den Berghängen - all das hebt sich trübe und hässlich wie Schutt, den die Flut an Land gespült hat, gegen die hell schimmernde Wasserfläche ab.
Verstreut liegende Siedlungen schmiegen sich dicht an das Ufer, überragt von steilen Bergen. Die Suwaebene oder Suwaniederung, wie diese Gegend genannt wird, erstreckt sich zwischen den Ausläufern der Akaischikette und dem vulkanischen Fudschigebirge.
Im Südosten erhebt sich der auch im Sommer schneebedeckte Gipfel des Jagatake, im Nordosten reckt sich der Kirigatake wie ein Wahrzeichen gen Himmel.
Der Suwasee hat nahezu zwanzig Kilometer Umfang und liegt siebenhundertfünfzig Meter über dem Meeresspiegel. Er ist der höchstgelegene Bergsee Japans. In sommerlichen Mondnächten sieht er aus wie gleißendes Silber, und im Winter funkelt seine glatte Eisfläche wie ein riesiger Spiegel. Als die amerikanischen „fliegenden Festungen" noch donnernd und tosend in Richtung des Fudschijama über ihn hinwegbrausten, war es der größte Kummer der Anwohner, dass sie ihren See nicht tarnen konnten.
Eine der wenigen Provinzen Japans, die nicht an das Meer grenzen, ist Nagano. Als der Krieg eine für Japan ungünstige Wendung nahm und die amerikanischen Flugzeuge anfingen, Tokio zu bombardieren, gingen im Volk, das man stets in Unkenntnis zu halten suchte, Gerüchte um, der Kaiser wolle in den Bezirk Jamanaschi übersiedeln, und die japanische Armee werde sich in die Berge zurückziehen, um einen Partisanenkrieg zu führen. Zur gleichen Zeit leitete man in den großen Rüstungsbetrieben „Maßnahmen zur Dezentralisierung und Evakuierung" ein: Aus Tokio und Kanagawa wurden sie in die Gegend am Suwasee verlegt, wo sich die Seidenspinnereien und -Webereien der Firmen „Silk Okaja" und „Silk Suwa" befanden, die für den Export, vor allem nach den USA, produziert hatten; seit Kriegsbeginn aber bekamen sie keine Aufträge mehr und wurden deshalb geschlossen. Die Maschinen, mit denen man fast hundert Jahre gearbeitet hatte und die dann modernisiert worden waren jetzt standen sie still. Tausende von Arbeiterinnen wurden frei, und die Herren der Rüstungswerke brauchten nur noch ihre Maschinen und eine Anzahl Fachkräfte herzubringen. So tauchten am Ufer des Suwasees Unternehmen auf, die ausschließlich für den
Krieg arbeiteten: Fabriken einer Radiogesellschaft, einer Rohrwalzwerk-Company, einer Aktiengesellschaft für Stromerzeugung, einer Aktiengesellschaft für Turbinenproduktion, der Gesellschaft „Tokio-Electro", die elektrische Anlagen herstellte, und viele andere. Die Gegend am Suwasee wurde über Nacht aus einem Zentrum der Textilproduktion zu einem Mittelpunkt der metallverarbeitenden Industrie.
Jetzt aber, nach der Kapitulation, standen alle Fabriken still. Nur der Rauch der Lokomotiven stieg zum Himmel auf; Eisenbahnzüge fuhren in beiden Richtungen am Seeufer entlang. Die Berge, die sich dicht an den See drängten, behinderten die Sicht, und es war schwer festzustellen, welche Züge nach Tokio fuhren und welche aus Tokio kamen. Wie Wasser, das nach einem Regenguss von den Bergen herabläuft, sammelten sich die Soldaten entlang der Bahnlinie. Ihre verschmutzten, schweißbedeckten Gesichter schauten aus den Fenstern der vorüberrollenden Züge, die fauchend und prustend ab und zu hinter den Bergnasen verschwanden und wieder hervorkrochen.
Die Züge aus Tokio tauchten hinter den östlichen Berghängen auf, strebten nach Norden, bogen dann nach Westen ab ins Tal des Tenrju, der im Suwasee entspringt, und verschwanden wieder zwischen den Felsen. Die Eisenbahnstrecke führte fast um den ganzen See herum und verband drei Städtchen miteinander: Kami-Suwa, Schimo-Suwa und Okaja.
Wie überall an dieser Linie, drängten sich auch auf dem Bahnhof von Okaja Soldaten, dienstverpflichtete Arbeiter, die jetzt in Massen entlassen wurden, und Arbeiterinnen aus den sogenannten Freiwilligenabteilungen (Anm.: Frauen, die sich während des Krieges verpflichten mussten, in der Industrie zu arbeiten.).
Junge Mädchen in langen Hosen, mit Körben und Bündeln auf dem Rücken, und Arbeiter, die in ihren uniformähnlichen, khakifarbenen Arbeitsanzügen und Mützen wie Soldaten aussahen, standen in dichten Reihen auf dem Bahnhofsvorplatz und warteten auf die Züge. Von Minute zu Minute wurden die Schlangen länger. Die Soldaten drängten sich in Gruppen auf dem Platz oder hockten nebeneinander auf dem Erdboden. Andere zogen in Trupps von fünfzehn bis zwanzig Mann vorüber und gingen zu Fuß weiter, den Bahndamm entlang. Sie waren erschöpft und schmutzig, wahrscheinlich kamen sie vom Stellungsbau irgendwo im Gebirge. Die meisten hatten außer dem Seitengewehr, das in einer Bambusscheide am Gürtel baumelte, keine Waffen. Viele trugen Spaten über den Schultern, wie Bauern ihre Hacken.
Von Zeit zu Zeit rollten Militärlastwagen am Bahnhof vorbei. Sie waren mit Körben voll Dokumenten und mit Holzkisten beladen, an denen der Stern, das Emblem des Kriegsministeriums, prangte, und obenauf saßen Offiziere und Unteroffiziere. Manche Soldaten traten mit scheuen Blicken beiseite, drückten sich an den Holzzaun und sahen den Lastwagen lange mit unruhigen Augen nach.
Jeder einzelne der vielen Menschen hier auf dem Bahnhofsplatz kam sich einsam und verlassen vor. Keiner dachte an den verlorenen Krieg, jeder nur an sein eigenes Schicksal. Im Augenblick waren sie alle darauf aus, so schnell wie möglich einen Platz im Zug zu bekommen.
Okaja, das Zentrum dieses Industriegebietes, lag geborgen in einem kleinen Tal dicht am Ufer des Suwasees. Wie ein Wald ragten seine Fabrikschornsteine über dem Städtchen empor.
Die fünf Ansiedlungen, die den gemeinsamen Namen Kawasoi trugen, zogen sich über eine Strecke von fünf Kilometern am Berghang hin. Eine ausgezeichnete Asphaltchaussee — die Einheimischen nannten sie Sumikurastraße - verband die Dörfer untereinander und mit der Stadt Okaja.
Hier in den Bergen saßen einst die japanischen Seidenkönige Sumikura. Hier schufen die Herren der „Sumikura-Kojo"-Gesellschaft die Grundlagen für ihre Machtstellung.
In ihrer Blütezeit wollten die Sumikura der Wiege ihres Wohlstandes ein ihrer würdiges Aussehen geben; deshalb ließen sie die Landstraße anlegen, die zweistöckige Gemeindeverwaltung und die moderne Grundschule errichten, zwei Gebäude, die eigentlich gar nicht in das Gesamtbild dieser einsamen Gebirgsflecken passten. Nun aber lebten in dieser Gegend nur noch Angehörige von Nebenlinien der Familie, während ihr Oberhaupt längst in die Großstadt verzogen war.
Vor dem Kriege sah man das Wappen der Sumikura überall in den umliegenden Dörfern. Alle Honoratioren trugen es am Haori (Anm.: Kurzer Kittel). Es prangte an den Joppen der Wächter und Boten der Dorfverwaltung und der Schule, ja, sogar an den Papierlaternen, mit denen die Leute auf dem Lande auch heute noch in dunklen Nächten ihren Weg erleuchten.
Am Stadtrand von Okaja ragten die beiden gigantischen Betonschornsteine der „Tokio-Electro-Company" empor. Auch in diesem Werk herrschte jetzt Bestürzung, wie überall seit der Rede des Kaisers.
Die Anlagen der „Tokio-Electro-Company" befanden sich auf dem Gelände einer der zahlreichen Fabriken, die den Sumikuras gehörten.
Rings um einen geräumigen Platz lagen die Arbeiterheime und Werkhallen; ihre Dächer fielen stufenweise bis dicht ans Ufer des Tenrju ab.
Endlose Menschenschlangen krochen aus der Galerie (Anm.: Die japanischen Fabrikgebäude sind gewöhnlich durch gedeckte Galerien miteinander verbunden.) vor dem Werkkontor über den Fabrikhof, auf dem die heiße Mittagssonne brütete.
Am Ende einer solchen Schlange stand eine Gruppe junger Mädchen in der „Freiwilligen"-Uniform gleiche Kleider mit weißen Armbinden. Sie tuschelten ununterbrochen miteinander. „Ist das wirklich wahr?"
„Ich weiß es von einem aus der Verwaltung", rief ein großes, sommersprossiges Mädchen. Sie bemühte sich eifrig, die andern davon zu überzeugen, dass ihre Befürchtungen zu Recht bestünden.
Es ging nämlich das Gerücht, amerikanische Luftlandetruppen würden anderntags eintreffen, alle Männer totschlagen und die Frauen als Sklavinnen verschleppen. Jeder tat zwar, als glaubte er es nicht, doch den Leuten auf dem Hof war deutlich eine gewisse Unruhe anzumerken.
Die Werkleitung war nicht imstande gewesen, rechtzeitig Geld zu beschaffen, und darum konnten viele Arbeiter nicht heimfahren. Am Kontoreingang hing ein Anschlag, in dem es hieß, sämtliche Arbeiter, der Stamm und die Dienstverpflichteten - darunter auch die Mitglieder der „Freiwilligen"-Abteilungen -, seien mit sofortiger Wirkung entlassen. Der Lohn und alle sonstigen Zahlungen würden den Arbeitern durch die Post zugesandt. Da die Gelder aus der Hauptverwaltung der Gesellschaft bis jetzt nicht eingetroffen seien, könnten die Arbeiter im Augenblick nur eine bestimmte Summe für die Bahnfahrt erhalten.
Dazu kam, dass der Direktor und die leitenden Angestellten, deren Unterschriften der Erlass über die Stilllegung der Fabrik trug, offenbar den Kopf verloren hatten. Einige von ihnen packten ihre Sachen in Dienstwagen und machten sich aus dem Staube.
„Was würdest du tun, wenn jetzt amerikanische Soldaten auftauchten?" fragte das große, sommersprossige Mädchen eindringlich eine Freundin und packte sie am Halstuch. Die kleine Dicke mit der Stupsnase blickte bestürzt zu Boden.
Keines der Mädchen hatte bisher amerikanische Soldaten zu Gesicht bekommen, aber jede hielt sie für das Schrecklichste, was es nur geben konnte. Sie sahen sich schweigend an. Die kleine Stupsnäsige wurde ganz rot vor Aufregung, Schweißtropfen traten ihr auf die Stirn.
„Ich..., ich würde mir das Leben nehmen. Die Kehle würde ich mir durchschneiden!" stammelte sie.

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