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Sunao Tokunaga - Stille Berge (1948)
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Als Schinitschi den Tagungsraum betrat, war die Sitzung noch im Gange.
Nakatani streckte den Kopf aus einer Gruppe Arbeiter hervor, die um eine eiserne Hibatschi herumsaßen.
Danke, dass du mich vertreten hast. Ist der Unterricht schon zu Ende?" fragte er. Schinitschi nickte.
„Gut, mach die Eintragungen ins Protokollbuch", sagte Nakatani und verschwand wieder in dem Kreis. Obgleich das Gewerkschaftskomitee den Kampf für die Produktionskontrolle aufgenommen hatte, war vorläufig noch keine Rede davon, sie im Hinblick auf die Verfügung über die fertige Produktion oder auf ihren Absatz auszuüben. Man musste jetzt mit allen Kräften die Produktion steigern und damit endlich das wahr machen, worüber die Company immer nur zum Scheine sprach, denn sie setzte ihre Sabotagepolitik fort; man musste gegen den Produktionsausfall ankämpfen, der durch verzögerte Lieferung der Rohstoffe und der notwendigen Ersatzteile von anderen Fabriken entstand. Das war eine schwere Aufgabe, und die Sitzungen des Gewerkschaftskomitees, das sich abends unter dem Vorsitz Arakis versammelte, wurden von Mal zu Mal länger. „Schon acht Uhr!" rief Araki. „Machen wir Schluss für heute."
Geräuschvoll brachen sie auf.
Schinitschi setzte sich an den Tisch unter dem Schild mit der Aufschrift „Schulungskommission" und machte seine Eintragungen ins Kontrollbuch: Zweiter Unterrichtstag der Arbeiterzirkel; anwesend 157 Kollegen und Kolleginnen; erste Stunde von siebzehn bis achtzehn Uhr; Thema: Der dialektische Materialismus... Als Schinitschi fertig war, zog er den Notizblock aus der Tasche und vertiefte sich in seine Lektüre.
Seit einiger Zeit tauschten Schinitschi und Ren ihre Gedanken und Gefühle schriftlich aus und benutzten dazu den Notizblock, den sie einander zusteckten. Ren schrieb mit lila Tinte, Schinitschi mit schwarzer. Manchmal erwähnten sie ihre Liebe - beide genierten sich, darüber zu sprechen -, manchmal stritten sie über irgendetwas. Dieser Notizblock war ihr sorgsam gehütetes Geheimnis.
Ren verstand sehr gut, was Schinitschi in seinem letzten Brief mit „Bedeutung der Praxis" gemeint hatte.
Wie alle Briefe Schinitschis ähnelte auch dieser einer wissenschaftlichen Abhandlung; im Übrigen war er voll von Andeutungen und sinnbildlichen Ausdrücken.
„Ist das wirklich notwendig?" schrieb Ren. „Ich gebe zu, dass die praktische Erfahrung eine große Bedeutung hat, besonders für ein so kleinbürgerliches Mädchen wie mich. Gut, nehmen wir einmal an, ich siedle in das Gemeinschaftsheim über - kann man behaupten, dass diese Umgebung das Richtige ist, wenn man lesen und lernen will?"
Es klopfte leise. Schinitschi legte hastig die Hand auf den Notizblock und hob den Blick. Die weißen Finger Rens trommelten leicht gegen die vereiste Fensterscheibe.
„Hast du gelesen?" fragte Ren, als sie neben Schinitschi einherschritt. Er sah zu Boden und nickte.
Sie hatten etwa dreihundert Meter auf der Sumikurastraße in Richtung Okaja zurückgelegt, waren nach links abgebogen und stiegen jetzt einen Weg bergauf, der sich zwischen terrassenförmigen Feldern hinschlängelte.
Der Sturm hatte nachgelassen, und die weiße Schneedecke ringsum verbreitete Helligkeit. Das Dorf Sanbonmatsu, das einen Kilometer weit entfernt war, schien greifbar nahe zu liegen.
„Wenn du es wünschst, dann ziehe ich um. Es macht mir. nichts aus. Mir ist es gleich, ob ich im Gemeinschaftsheim wohne oder anderswo."
Sie hatte sich bei ihm eingehakt und trat aus Übermut mit ihren Gummistiefeln mitten in die Schneehaufen. Ab und zu blickte sie ihm ins Gesicht. Ihre Stimme klang zärtlich und einschmeichelnd.
„Und was meinst du selbst?" fragte Schinitschi.
„Ich? Ja, eigentlich..." Ren begann so herzlich zu lachen, dass sie hin und her schwankte und Schinitschi beinahe das Gleichgewicht verlor. „Ich will nicht."
Bei ihrem Lachen fühlte er sich in der Tiefe seiner Seele verletzt.
„Es gibt doch auch unter den Arbeitern verschiedene Menschen", fuhr sie fort. „Es gibt zum Beispiel solche wie Schinitschisan, aber es gibt auch solche... na, eben die rückständigen, die keine Spur Klassenbewusstsein besitzen."
Sie spürte Schinitschis Stimmung, der finster und schweigsam neben ihr herging, und hörte auf zu lachen. Dann sagte sie ernsthaft: „Das Buch von Kobajaschi Takidschi, das du mir gegeben hast, habe ich gelesen. Es hat mich sehr ergriffen. Ich glaube, die Menschen, die er schildert, sind die echten Proletarier." Sie blieb stehen und drückte Schinitschi fest die Hand. „Schinitschisan aber hat sonderbare Vorstellungen! Die Frauen dort im Gemeinschaftsheim sind so ungebildet und haben so veraltete Begriffe, dass man mit ihnen überhaupt nicht sprechen kann. Das ist der Grund, warum ich nicht..."
Schinitschi unterbrach sie heftig: „Und wer ist schuld daran, dass sie so ungebildet und rückständig geblieben sind?"
Ren warf den Kopf in den Nacken und sah Schinitschi mit großen Augen an.
„Ich sage nicht, dass du unbedingt in das Gemeinschaftsheim ziehen musst. Aber trotzdem..." Schinitschi suchte mühsam nach den passenden Worten. Dann, als sei er entschlossen, alles auszusprechen, fügte er hinzu: „Ich kann diesen Komatsu nicht leiden. Damals in der Versammlung hast du selbst gesagt, dass er ein Reaktionär sei, nicht wahr? Natürlich, er ist ein Verwandter von dir, aber..."
Ren machte eine Bewegung, als wollte sie Schinitschis Hand zurückstoßen. Ihre Augen, in deren Tiefe kleine Fünkchen aufflackerten, starrten Schinitschi sekundenlang erschrocken an, und auf einmal bekamen sie einen übermütigen Glanz. „Aha, es geht also um Nobujoschisan!"
Plötzlich bog sie sich wieder vor Lachen und schüttelte Schinitschi am Arm. „Ach, du! Was bist du doch für ein komischer Kauz! Eifersüchtig - auf so einen!"
Je lauter Ren lachte, desto finsterer wurde Schinitschi. Er wollte ihr sagen, dass er gar nicht daran dächte, eifersüchtig zu sein; aber das wäre eine Lüge gewesen. Er musste zugeben, dass er ein Gefühl der Eifersucht auf Komatsu nicht zu unterdrücken vermochte. Ren wohnte ja in seinem Hause.
„Ich ziehe trotzdem um. Wirklich, ich ziehe um", sagte Ren, wieder ernst geworden. „Komatsu Nobujoschi ist zweifellos ein Reaktionär. Gestern ist er spät nach Hause gekommen, und heute habe ich ihn gefragt, wo er so lange gewesen sei. Er sagte, er habe mit dem Stationsvorsteher von Okaja gesprochen und eine Fahrkarte für den Direktor gekauft."
„So?" Schinitschi sah Ren von der Seite an. Also hatte der Direktor es schließlich doch nicht ausgehalten und wollte nun nach Tokio fahren. Ren hätte diese Neuigkeit dem Komitee berichten müssen!
Sie sprach weiter, als ahnte sie nichts von seinen Gedanken: „Er hat noch gesagt, dass alle, angefangen mit Araki, rausgeworfen werden, wenn die Company siegt. Und ich habe gefragt: ,Wenn nun aber die Gewerkschaft siegt? Wird dann Nobujoschisan hinausgeworfen?' Da wurde er wütend und sagte nichts mehr."
Schinitschi fühlte, wie sehr Komatsu sie alle hasste. Zugleich war er ärgerlich, dass Ren, dieselbe Ren, die jetzt Arm in Arm neben ihm ging und lebhaft erzählte, als handele es sich um eine amüsante Geschichte, Komatsu gegenüber keine Spur von feindlicher Gesinnung hegte.
„Er hat sich ja noch nie durch allzu viel Verstand ausgezeichnet", sagte sie lachend.
Doch Ren, deren zärtliche, schmeichelnde Stimme dicht an Schinitschis Schulter erklang, schien ihn aufrichtig zu lieben.
So war es auch. Ren hätte Komatsu Nobujoschi niemals den Vorzug gegeben; sie dachte nicht einmal daran, die beiden miteinander zu vergleichen. Aber sie betrachtete Komatsu nicht als ihren Feind, obwohl sie ihn einen „Reaktionär" nannte.
„Na, na!" Sie versetzte Schinitschi einen scherzhaften Puff und lachte. „Ich habe geträumt. Rate mal, was."
Schinitschi wandte sich ihr, verlegen lächelnd, zu Rens Gesicht war ihm so nahe, dass ein weißes Wölkchen ihres Atems fast seine Wangen streifte. „Ich weiß nicht. Sag es mir." „Nein, ich sage es nicht!" Sie lief ein, zwei Schritte voraus, machte kehrt und ergriff seine Hände. Mit zurückgebogenem Oberkörper zog sie ihn hinter sich her. Die Kapuze war ihr vom Kopf geglitten, und ihr Antlitz schien strahlend weiß.
„Das kann man nicht sagen. Nicht einmal schreiben kann man das."
Sie nickte heftig, als wollte sie dieser Behauptung Nachdruck verleihen, und setzte sich plötzlich lachend in einen Schneehaufen.
„Heb mich auf! Na los, zieh doch, fest!" Lachend hing sie an seinen Händen. Er presste erregt ihre kalten, schmalen Gelenke und versuchte, sie hochzuziehen. „Hahaha!   Hahaha!"   lachte   Ren   schallend. Schinitschi fühlte, wie sein Gesicht zu glühen begann.
Beide hatten Komatsu nicht bemerkt, der schon eine ganze Weile auf dem Felde stand. Er war Ren entgegengegangen. „Oh - bist du es, Nobujoschisan?" sagte das Mädchen plötzlich, und ihre Stimme klang ärgerlich.
Komatsu, in Offiziersmantel und Kapuze, trat auf sie zu und reichte ihr schweigend ihren Schirm, ohne Schinitschi zu beachten. „Vielen Dank!" Ren hatte ihre Verlegenheit bereits überwunden.
Sie klemmte den Schirm unter den Arm und ging vor Komatsu her. Nach einigen Schritten drehte sie sich um und rief Schinitschi zu: „Das, was wir besprochen haben, mache ich so, wie du sagst!"

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