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Robert Tressell – Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen (1914)
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7. Kapitel Die ausrottenden Maschinen

„Na, komm heran, Sonnabend!" rief Philpot am Montagmorgen gleich nach sieben Uhr, während sie sich zur Arbeit fertigmachten.
Draußen war es noch dunkel, doch die Spülkammer war schwach erhellt vom flackernden Licht zweier Kerzen, die Crass angezündet und auf das Brett über dem Kamin geklebt hatte, um sehen zu können, während er die verschiedenen Farbmengen und Pinsel an die Leute ausgab.
„Ja, die Woche kommt einem verflucht lang vor, was?" bemerkte Harlow, während er den Überzieher an einen Nagel hängte, den Kittel überzog und die Schürze vorband. „Hab die Nase schon verdammt voll davon."
„Wenn's doch, zum Teufel, erst mal Frühstückszeit wär!" brummte der leichter befriedigte Easton.
So erstaunlich es auch scheinen mag - keiner von ihnen setzte irgendwelchen Stolz in seine Arbeit: sie „liebten" sie nicht. Sie hatten keinerlei Vorstellung von jenem erhabenen Ideal „Arbeit um der Arbeit willen", für das die
Nichtstuer so viel übrig haben. Im Gegenteil: kamen die Arbeiter des Morgens an, so wünschten sie, es wäre Frühstückszeit. Nahmen sie nach dem Frühstück die Arbeit wieder auf, so wünschten sie, es wäre Mittagszeit. Nach dem Mittagessen wünschten sie, es wäre Sonnabend Mittag ein Uhr.
Tag für Tag, Jahr für Jahr fuhren sie damit fort; sie wünschten, ihre Arbeitszeit wäre vorüber, und wünschten in Wirklichkeit, ohne sich darüber klar zu sein, sie wären tot.
Wie erstaunlich muss das jenen Idealisten scheinen, die an die „Arbeit um der Arbeit willen" glauben, selbst aber nichts tun, als zu verschlingen, zu benutzen oder zu genießen, was durch die Arbeit jener anderen geschaffen wird, denen man nicht erlaubt, einen angemessenen Anteil an den mit ihrer Hilfe produzierten guten Dingen zu genießen!
Crass goss die verschiedenen Farben in die Töpfe.
„Harlow", sagte er, „du und Sawkins, wenn er kommt, ihr könnt raufgehn und die obersten Schlafzimmer mit dieser Farbe hier streichen. Ihr werdt da oben 'n paar Kerzen finden. Soll nur einen Anstrich haben - seht also zu, dass es richtig deckt, und pass 'n bisschen auf Sawkins auf, dass er keinen Mist fabriziert. Streich du die Türen und Fenster, und lass ihn die Schränke und Leisten machen."
„Das find ich ja großartig - das muss ich ja sagen", erklärte Harlow, zu allen gewandt. „Wir müssen 'nem Kerl wie dem was beibringen, damit er uns nachher aus der Arbeit verdrängen kann, weil er unter Tarif arbeitet."
„Na, ich kann's nicht ändern", brummte Crass. „Ihr wisst ja, wie's ist: Hunter schickt 'n zum Anstreichen her, und ich muss 'n eben anstreichen lassen. Was andres ist ja nicht für ihn zu tun da."
Eine weitere Diskussion dieses Themas wurde durch die Ankunft Sawkins verhindert, der beinahe eine Viertelstunde zu spät kam.
„Ach, du bist ja doch erschienen", höhnte Crass, „dachte schon, du wärst vielleicht in Urlaub gefahren."
Sawkins murmelte etwas von „Zeit verschlafen", und
nachdem er sich hastig die Schürze umgebunden hatte, ging er mit Harlow nach oben.
„Wolln mal sehen", sagte Crass zu Philpot, »du und Newman, ihr geht am besten in den zweiten Stock und fangt da an: hier ist die Farbe, und hier sind 'n paar Kerzen. Geht lieber nicht beide in ein Zimmer, sonst meckert Hunter. Nimm du eins von den Vorderzimmern, und lass Newman eins von den Hinterzimmern machen. Nimm 'n bisschen Kitt mit: sie werden zweimal gestrichen, aber verschmier diesmal lieber die Löcher, so gut du kannst."
„Bloß zweimal streichen!" sagte Philpot. „Die Zimmer werden nie nach was aussehen mit zwei Anstrichen, bei so 'ner hellen Farbe!"
„Sie kriegen aber auf alle Fälle bloß zwei", erwiderte Crass verdrießlich. „Hunter hat's so bestimmt, und da musste eben zusehen, dass du sie so gut machst, wie du kannst, und zwar 'n bisschen dalli, Mann, mach und pinsel sie über!"
Crass hielt es für überflüssig zu erwähnen, dass die betreffenden Zimmer der Abschrift des Auftrags zufolge, die er in der Tasche hatte, vier Anstriche erhalten sollten.
Crass wandte sich jetzt an Owen.
„Und dann ist da noch der Salon", sagte er. „Was damit werden soll, weiß ich noch nicht. Ich glaube, sie haben sich's noch nicht überlegt. Aber was auch damit gemacht werden soll, wird zusätzlich sein - im Kontrakt steht bloß, die Löcher verkitten und einmal weißen. Du und Easton, ihr macht euch also am besten ran."
Slyme war damit beschäftigt, etwas Kitt weich zu machen, indem er ihn zwischen den Händen rieb und knetete.
„Ich denke, ich streich erst mal das Zimmer fertig, das ich Sonnabend angefangen hab?" fragte er.
„Na schön", erwiderte Crass. „Haste genug Farbe?"
„Ja", sagte Slyme.
Als er auf dem Wege zu seiner Arbeit durch die Küche ging, sprach er Bert, den Jungen, an, der damit beschäftigt war, mit einigen Holzstückchen ein Feuer anzuzünden, um das Wasser für den Tee zum Kochen zu bringen, den sie um acht Uhr zum Frühstück trinken wollten.
„Ich hab 'nen Bückling, den ich gebraten haben will"-sagte Slyme.
.,Schön", antwortete Bert. „Leg ihn da drüben auf die Kommode neben Philpot seinen und meinen."
Slyme holte den Bückling aus seinem Frühstückskorb; als er ihn aber auf den angegebenen Platz legen wollte, bemerkte er, dass sein Fisch ein wenig größer war als die beiden anderen. Das war eine wichtige Sache. Wenn sie einmal gebraten waren, wären sie nicht mehr so leicht zu unterscheiden: vielleicht erhielt er einen der anderen statt seines eigenen. Er zog sein Taschenmesser heraus und schnitt dem großen Bückling den Schwanz ab.
„Hier ist er", sagte er zu Bert. „Ich hab meinem den Schwanz abgeschnitten, damit du weißt, welcher's ist."
Es war jetzt etwa zwanzig Minuten nach sieben, und da Crass nun allen die Arbeit zugeteilt hatte, wusch er sich die Hände unter dem Wasserhahn. Dann ging er in die Küche, und nachdem er sich einen Sitz zurechtgemacht hatte, indem er zwei Schubladen aus der Kommode zog, sie in etwa zwei Meter Entfernung voneinander auf den Boden stellte und ein Brett darüber legte, setzte er sich vor dem Feuer nieder, das jetzt hell unter dem Eimer brannte, zündete sich die Pfeife an und begann zu rauchen. Der Junge ging in die Spülkammer und fing an, die Tassen und Gläser abzuwaschen, damit die Männer daraus trinken konnten.
Bert war ein schmächtiger, im Wachstum zurückgebliebener Junge im Alter von fünfzehn Jahren, etwa ein Meter fünfundvierzig groß. Er hatte hellbraunes Haar und haselnussgraue Augen, und seine Kleidung war äußerst farbenprächtig: sie war mit einer dicken Farbkruste bedeckt - ein Ergebnis der Ungeschicklichkeit, mit der er seine Arbeit verrichtete, denn er war erst seit etwa einem Jahr im Fach. Einige der Männer hatten ihm den Spitznamen „der wandelnde Farbenladen" verliehen, ein Titel, den Bert mit gutmütigem Humor aufnahm.
Der Junge war Halbwaise. Sein Vater hatte als Gepäckträger bei der Eisenbahn viele Jahre hindurch täglich zwölf bis vierzehn Stunden lang fleißig gearbeitet, mit dem üblichen Ergebnis, nämlich, dass er und seine Familie in ständiger Armut lebten. Bert, das einzige Kind und nicht sehr kräftig, hatte schon früh ein Zeichentalent gezeigt, und so gab seine Mutter bereitwillig ihre Zustimmung, als der Junge nach dem Tode des Vaters vor etwas über einem Jahr sagte, er wolle Dekorationsmaler werden. Das war ein schöner, leichter Beruf, und sie dachte, ein wirklich guter Maler, wie er es gewiss einmal sein werde, habe zumindest immer die Möglichkeit, sich seinen Lebensunterhalt ausreichend zu verdienen. Sie beschloss, dem Jungen die bestmögliche Chance zu geben, und entschied, ihn, wenn es ging, bei Rushton unterzubringen, denn das war eine der führenden Firmen der Stadt. Zuerst verlangte Mr. Rushton zehn Pfund Lehrgeld, und der Junge müsse sich für fünf Jahre bei ihm verpflichten. Während des ersten Jahres werde er keinen Lohn erhalten, während des zweiten Jahres zwei Schilling die Woche und dann während der restlichen Lehrzeit jedes Jahr einen Schilling die Woche mehr. Danach erklärte sich Mr. Rushton bereit, als besonderes Zugeständnis - tatsächlich als Akt der Barmherzigkeit, da sie eine sehr arme Frau war -, sich mit fünf Pfund zu begnügen.
Diese Summe entsprach den mühsam zurückgelegten Ersparnissen von Jahren; aber die arme Frau trennte sich gern davon, damit der Junge ein qualifizierter Arbeiter werden konnte. So wurde Bert in die Lehre gegeben - und verpflichtet, fünf Jahre lang bei Rushton & Co. zu arbeiten.
Während der ersten Monate verbrachte er sein Leben in der Malerwerkstatt auf dem Gerätehof, einem Mittelding zwischen Keller und Stall. Dort arbeitete der junge Handwerker meistens allein, umgeben von giftigen Farbstoffen und anderen im Fach benötigten Materialien, reinigte schmutzige Farbentöpfe, welche die Männer von fertigen Arbeiten zurückbrachten, und mischte gelegentlich Farbe nach den Anweisungen Mr. Hunters oder eines der Vorarbeiter.
Manchmal wurde er fortgeschickt, um Material dorthin zu bringen, wo die Leute arbeiteten - schwere Lasten von Farbe oder Bleiweiß, zuweilen Eimer voll weißer Tünche, die seine dünnen Arme zu schwach waren weiter als nur jeweils einige Meter zu tragen.
Oft konnte man seine schwächliche, kindliche Gestalt sehen, wie sie sich mannhaft einherschleppte, gebeugt unter dem Gewicht einer Leiter oder eines schweren Bretts.
Er konnte viele Bündel auf einmal bewältigen: ein paar in jeder Hand und ein paar mit Schnur zusammengebunden über die Schulter gehängt. Manchmal waren jedoch mehr da, als er tragen konnte; dann wurden sie in einen Schubkarren gelegt, den er zu den entfernt liegenden Arbeitsplätzen schob oder hinter sich herzog.
Während jenes ersten Winters verbrachte der Junge seine Tage zum größten Teil in der feuchten, übel riechenden, mit Steinplatten ausgelegten Malerwerkstatt, in der nicht einmal ein Feuer brannte, um die feuchte Luft zu erwärmen.
Doch in all dem sah er keinerlei Beschwernis. Mit der Unbekümmertheit der Jugend arbeitete er hart und freudig. Nach einiger Zeit erreichte er das Ziel seines kindlichen Ehrgeizes - er wurde mit den Männern zur Arbeit hinausgeschickt! Dort fuhr er im gleichen Geiste fort und tat stets sein Bestes, um den Leuten, mit denen er zusammen arbeitete, gefällig zu sein.
Er strengte sich an, zu lernen und sich richtig zu verhalten, und es gelang ihm recht gut.
Bald wurde er der erklärte Liebling Owens, für den er große Achtung und Zuneigung empfand, denn er hatte bemerkt, wenn irgendeine besondere Arbeit zu tun war, so wurde sie stets von Owen ausgeführt. Bei solchen Gelegenheiten richtete es Bert in seiner listigen, jungenhaften Art ein, dass er Owen zur Unterstützung beigegeben wurde, und der verlangte so oft wie möglich, dass der Junge die Erlaubnis erhielt, mit ihm zu arbeiten.
Berts Hochachtung vor Owen wurde an Heftigkeit nur erreicht von seiner Abneigung gegen Crass, der sich über den Ehrgeiz des Jungen lustig zu machen pflegte. „Wirst schon noch genug Zeit haben, an Schnörkelarbeit zu denken, wenn du erst mal einfaches Anstreichen gelernt hast!" sagte er immer.
Nachdem Bert an diesem Morgen mit dem Abwaschen der Tassen und Becher fertig war, kehrte er mit ihnen in die Küche zurück.
„Wie ist das", sagte Crass nachdenklich. „Den Tee haste in den Eimer getan, nehme ich an."
„Ja."
„Und jetzt willste 'ne Arbeit, was?"
„Ja", erwiderte der Junge.
„Nu, nimm 'nen Eimer Wasser, die alte Bürste da und 'nen Wischlappen, und wasch die alte Schlämmkreide von der Speisekammerdecke und die alte Farbe von den Wänden ab."
„Schön", sagte Bert. Als er an der Tür zur Spülkammer war, wandte er sich um und sagte:
„Ich muss die drei Bücklinge da bis zum Frühstück braten."
„Mach dir keine Sorgen", antwortete Crass. „Ich werd sie fertigmachen."
Bert nahm Bürste und Eimer, ließ Wasser ein, holte sich eine Leiter und ein kurzes Brett, legte dessen eines Ende auf das unterste Fach in der Speisekammer und das andere auf die Leiter und machte sich daran, Crass' Anweisung zu befolgen.
In der Speisekammer war es kalt, feucht und sehr ungemütlich, und die Kerze verstärkte noch diesen Eindruck. Bert zitterte; er hätte gern seine Jacke angezogen, aber bei einer solchen Arbeit kam das nicht in Frage. Er hob den Wassereimer auf eines der Fächer, kletterte auf das Brett, nahm die Bürste aus dem Wasser und weichte etwa einen Quadratmeter der Decke ein; dann begann er, diese mit der Bürste zu schrubben.
Er war noch nicht sehr geschickt, und während er schrubbte, lief ihm das Wasser über den Bürstenstiel die Hand entlang und durchnässte den aufgekrempelten Hemdsärmel. Als er genügend geschrubbt hatte, wusch er die Decke, so gut er konnte, mit der Bürste ab, und zum Schluss steckte er die Hand in den Wassereimer, nahm den Scheuerlappen heraus, wrang ihn aus und wischte die Teile der Decke ab, die er gewaschen hatte. Dann ließ er den Lappen in den Eimer zurückfallen und schüttelte die erstarrten Finger, um das Blut darin wieder zum Zirkulieren zu bringen. Danach spähte er in die Küche, wo Crass noch immer rauchend vor dem Feuer saß und einen der Bücklinge am Ende eines spitzen Stockes briet. Bert wünschte, Crass ginge nach oben oder sonst wohin, damit er selbst zum Feuer gehen und sich erwärmen konnte.
„Hätte auch mich die Bücklinge machen lassen können",
murmelte er vor sich hin, während er Crass feindselig durch die Türritze betrachtete, „'ne schöne Arbeit, sie einem an so 'nem kalten Morgen aufzuhalsen!"
Er rückte den Wassereimer auf dem Regal ein wenig weiter und fuhr mit der Arbeit fort.
Etwas später hörte Crass, der noch immer vor dem Feuer saß, Schritte, die sich auf dem Flur näherten. Schuldbewusst sprang er auf, steckte die Hand mit der Pfeife in die Schürzentasche und zog sich in die Spülkammer zurück. Er dachte, es könnte Hunter sein, der zu den unwahrscheinlichsten Zeiten aufzutauchen pflegte; aber es war nur Easton.
„Ich hab 'n Stück Speck, das ich mir vom Jungen rösten lassen will", sagte er, als Crass zurückkam.
„Kannste selber machen, wenn du willst", antwortete Crass leutselig und sah auf seine Uhr. „'s ist ungefähr zehn vor acht."
Easton arbeitete seit vierzehn Tagen bei Rushton & Co. und war weise genug gewesen, Crass mehrmals ein Bier zu spendieren; daher war er für den Augenblick bei diesem Herrn wohlangesehen.
„Wie geht's bei euch drin?" fragte Crass nach der Arbeit, die Easton und Owen im Salon ausführten. „Hast dich woll noch nicht mit deinem Kollegen verkracht, nehme ich an?"
„Nö, heut morgen quatscht er nicht viel. Sein Husten ist ziemlich schlimm. Im allgemeinen, weißte, komm ich mit jedem einigermaßen zurecht", fügte Easton hinzu.
„Nu, ich auch in der Regel, aber 's hängt mir reichlich zum Halse raus, dem verdammten Dummkopf zuzuhören. Seiner Meinung nach ist alles schlecht. Einen Tag ist's die Rel'ion, einen Tag die Polletik und am nächsten wieder was andres."
„Ja, 's ist 'n bisschen stark und 'n bisschen reichlich viel", stimmte ihm Easton bei, „aber ich kümmre mich nicht viel um den verdammten Dummkopf - das ist das beste."
„Natürlich wissen wir, dass die Lage augenblicklich grad nicht ganz rosig ist", fuhr Crass fort, „aber wenn's nach ihm und seinesgleichen ginge, würden sie alles noch verdammt viel schlimmer machen."
„Genau, was ich sage", erwiderte Easton.
„Ich hab aber 'ne Pille für ihn bereit, wenn er das, nächste Mal zu kläffen anfängt", fuhr Crass fort und zog ein Stückchen bedrucktes Papier aus der Westentasche. „Lies das bloß mal, stammt aus dem ,Verdunkler'."
Easton nahm den Zeitungsausschnitt und las ihn. „Sehr gut", bemerkte er, als er ihn zurückgab.
„Ja, ich denke, das wird ihm woll das Maul stopfen. Haste bemerkt, neulich, als wir von Armut sprachen und darüber, dass Leute arbeitslos sind, wie er sich vor der Antwort drückte, als ich sagte, dass die Maschinen die Ursachen dafür sind? Hat mir überhaupt nicht drauf geantwortet! Fing an, von was andrem zu reden."
„Ja, ich besinne mich, er hat überhaupt nicht drauf geantwortet", sagte Easton, der sich aber gar nicht mehr an den Zwischenfall erinnerte.
„Ich wollte 'n schon beim Frühstück anrempeln. Ich seh gar nicht ein, warum er so davonkommen soll. Neulich Abend war einer drüben in den ,Cricketers', der über dieselbe Sache sprach, 'n Kerl, der sich für Polletik und so intressiert, und der sagte dasselbe wie ich. Ist ja furchtbar, wie viele Leute schon durch diese neumodschen Maschinen aus der Arbeit rausgeschmissen worden sind!"
„Natürlich", pflichtete ihm Easton bei, „das weiß ja jeder."
„Solltest dich mal gelegentlich abends in den ,Cricketers' sehen lassen. Kommen sehr anständige Burschen hin."
„Ja, ich denke, ich komm mal."
„In welche Kneipe gehste 'n sonst?" fragte Crass nach einer Pause.
Easton lachte. „Na, um dir die Wahrheit zu sagen, in der letzten Zeit bin ich in überhaupt keine gegangen. Hab zuviel Urlaub gehabt."
„Das macht 'ne Menge aus, was?" sagte Crass. „Aber hier biste gut untergebracht, bis die Arbeit fertig ist. Pass nur 'n bisschen auf und komm morgens nicht zu spät. Da hat der olle Nimrod 'n Kieker drauf."
„Ich werd schon dafür sorgen", gab Easton zurück. „Ich halt nicht viel davon, Zeit zu verlieren, wenn's Arbeit gibt. Schlimm genug, wenn man keine kriegen kann."
„Weißte", fuhr Crass vertraulich fort, „unter uns Brüdern, wie man so sagt, ich glaub nicht, dass der verdammte Owen noch lange hier ist. Nimrod kann 'n nicht riechen."
Easton dachte im stillen, Nimrod schien sie alle nicht riechen zu können; aber er sagte nichts, und Crass fuhr fort:
„Er hat gehört, was Owen über Polletik und Rel'ion loslässt und über dies und jenes, und darüber, dass die Firma bei der Arbeit schludert. Du weißt ja, so 'n Gerede ist unmöglich."
„Freilich."
„Hunter hätte 'n schon längst rausbugsiert, aber nicht er hat 'n eingestellt. Rushton selbst hat 'n engaschiert. Owen soll 'ne Menge Proben von seiner Arbeit mitgebracht und sie dem Alten gezeigt haben."
„Sind das die Sachen, die oben im Schaufenster hängen?"
„Ja", sagte Crass verächtlich. „Aber für gewöhnliche Arbeit taugt er nichts. Natürlich macht er so 'n bisschen Marmorieren und Schriftmalen - so einigermaßen -, wenn's so was zu tun gibt, und das ist nicht oft; aber für gewöhnliche Arbeit, na, da ist Sawkins für das meiste allemal so gut wie er!"
„Ja, das ist er woll", erwiderte Easton und schämte sich ziemlich über seine Rolle bei dieser Unterhaltung.
Obwohl Crass im Augenblick nicht an Berts Existenz dachte, hatte er instinktiv die Stimme gesenkt, aber der Junge - der die Arbeit unterbrochen hatte, um sich die Hände zu wärmen, indem er sie in die Hosentaschen steckte - hörte eifrig zu, und es gelang ihm, jedes Wort zu verstehen.
„Weißte, 'ne Menge Leute würden der Firma überhaupt keine Arbeit mehr geben, wenn sie's wüssten", fuhr Crass fort. „Stell dir bloß vor, so 'nen Sch... kerl zu 'ner Dame oder 'nem Herrn zur Arbeit ins Haus zu schicken - 'nen verfluchten Atheisten!"
„Ja, 'n bisschen doll, wenn du's so ansiehst."
„Ich weiß, meine Frau zum Beispiel würde so 'nen Kerl bestimmt nicht in unsrer Wohnung dulden. Wir hatten mal nen Untermieter, und sie bekam raus, dass er Freidenker oder so was Ähnliches war, da hat sie 'n aber verdammt schnell rausbugsiert, das kann ich dir sagen!"
„Oh, dabei fällt mir ein", sagte Easton, froh über die Gelegenheit, das Thema zu wechseln, „du kennst wohl nicht zufällig jemand, der 'n Zimmer möchte, was? Wir haben eins mehr, als wir haben wollen, da dachte meine Frau, wir könnten's ebenso gut vermieten."
Crass überlegte einen Augenblick lang. „Glaub nicht", sagte er zweifelnd, „Slyme hat letzte Woche darüber geredet, dass er da, wo er in Untermiete wohnt, wegziehen will, aber ich weiß nicht, ob er schon 'n andres Zimmer hat. Kannst 'n ja fragen, 'nen andren weiß ich nicht."
„Ich rede mal mit ihm", antwortete Easton. „Wie spät ist's denn? 's muss bald voll sein."
„Jawoll, Punkt acht", rief Crass, zog, um den anderen diese Tatsache mitzuteilen, seine Trillerpfeife hervor und ließ einen schrillen Pfiff darauf ertönen.
„Hat einer den alten Jack Linden gesehen, seit er rausgesetzt worden ist?" erkundigte sich Harlow während des Frühstücks.
„Ich hab 'n Sonnabend gesehen", sagte Slyme.
„Macht er irgendwas?"
„Weiß nicht, hatte keine Zeit, mit ihm zu reden."
„Nein, er hat nichts", bemerkte Philpot. „Ich hab 'n Sonnabend Abend gesehen, und er hat mir erzählt, er rennt seitdem ohne Arbeit rum."
Philpot verschwieg, dass er Linden einen Schilling „geliehen" hatte, den jemals wieder zu sehen er nicht erwartete.
„Sobald wird er woll keine Arbeit mehr finden", bemerkte Easton. „Ist zu alt."
„Wisst ihr, schließlich kann man's dem ollen Elend kaum übel nehmen, dass er 'n rausgeschmissen hat", sagte Crass nach einer Pause. „War ja selbst für 'n Begräbnis zu langsam."
„Ich möchte wissen, wie viel du mal leisten kannst, wenn du so alt bist wie er?" meinte Owen.
„Vielleicht will ich dann gar nischt mehr tun", antwortete Crass mit einem unsicheren Lachen. „Ich leb dann von meinem Vermögen."
„Ich denke, das Beste, was der alte Jack tun kann, ist wohl, ins Armenhaus zu gehen", sagte Harlow.
„Ja, dahin wird's wohl kommen", bemerkte Easton sachlich.
„Schönes Ende, was?" meinte Owen. „Nachdem man sein ganzes Leben lang schwer gearbeitet hat, zum Schluss wie ein Verbrecher behandelt zu werden."
„Ich weiß nicht, was du ,wie Verbrecher behandelt werden' nennst", rief Crass aus. „Ich denke, sie haben da 'n verflucht angenehmes Leben, und wir müssen das Geld dafür aufbringen!"
„Fangt doch um Gottes willen nicht schon wieder Streit an", rief Harlow, zu Owen gewandt. „Uns hat schon der von letzte Woche genügt. Kannst doch nicht von 'nem Arbeitgeber verlangen, dass er 'nen Mann beschäftigt, wenn er zu alt zum Arbeiten ist."
„Natürlich nicht", sagte Crass.
Philpot sagte - nichts.
„Ich seh nicht ein, wozu man ewig meckern muss", fuhr Crass fort. „Diese Dinge kann man nicht ändern. Kannst doch nicht erwarten, dass bei all den arbeitsparenden Maschinen, die sie erfinden, für jeden genug Arbeit da ist."
„Natürlich", sagte Harlow, „die Leute, die bei der Arbeit beschäftigt wurden, die jetzt von Maschinen gemacht wird, müssen doch was andres zu tun finden. Manche gehen zum Beispiel in unsren Beruf; das Resultat ist: es gibt zu viele Leute und nicht genug Arbeit, sie alle zu beschäftigen."
„Jawoll", rief Crass eifrig. „Genau, was ich sage. Die Maschinen sind die eigentliche Ursache von der ganzen Armut. Das hab ich ja neulich gesagt."
„Maschinen sind zweifellos die Ursache der Arbeitslosigkeit", antwortete Owen, „aber sie sind nicht die Ursache der Armut - das ist ganz was anderes."
Die anderen lachten verächtlich.
„Nun, scheint mir so ziemlich dasselbe zu sein", sagte Harlow, und fast alle stimmten ihm zu.
„Mir scheint es nicht dasselbe zu sein", erwiderte Owen. „Meiner Meinung nach befinden wir uns alle im Zustand der Armut, selbst wenn wir Arbeit haben - die Lage, in die wir geraten, wenn wir arbeitslos sind, kann man zutreffender als Not bezeichnen.
Armut", fuhr er nach kurzem Schweigen fort, „besteht
in einer Knappheit an den lebensnotwendigen Dingen. Wenn diese Dinge so rar oder so teuer sind, dass man nicht genügend davon erwerben kann, um alle Bedürfnisse zu befriedigen, so lebt man im Zustand der Armut. Wenn ihr glaubt, die Maschinen, die es ermöglichen, alles Lebensnotwendige im Überfluss zu produzieren, seien die Ursache der Knappheit, so scheint mir, in eurem Kopf muss etwas nicht in Ordnung sein."
„Oh, natürlich, wir sind alle verdammte Idioten außer dir!" knurrte Crass. „Als sie den Verstand austeilten, haben sie dir so lausig viel gegeben, dass für sonst niemand was übrig geblieben ist."
„Wenn in eurem Kopf alles in Ordnung wäre", fuhr Owen fort, „so wäret ihr imstande zu erkennen, dass wir ,reichlich Arbeit' haben könnten und trotzdem im Zustand der Not lebten. Die armen Teufel, die sechzehn bis achtzehn Stunden täglich schuften - Vater, Mutter und sogar die kleinen Kinder - und Streichholzschachteln oder Hemden oder Blusen herstellen, haben ,reichlich Arbeit', aber ich zum Beispiel beneide sie nicht. Vielleicht glaubt ihr, wenn es keine Maschinen gäbe und wir alle für das nackte Leben dreizehn, vierzehn Stunden täglich arbeiten müssten, befänden wir uns nicht im Zustand der Armut? Deshalb sage ich, in eurem Kopf muss etwas nicht in Ordnung sein! Wenn dem anders wäre, sprächet ihr nicht an einem Tag von der Zollreform als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit, um dann am nächsten Tag zugeben zu müssen, dass die Maschinen deren Ursache sind. Die Zollreform wird doch wohl die Maschinen nicht beseitigen, oder?"
„Die Zollreform ist das Mittel gegen die schlechte Lage des Handels", gab Crass zurück.
„In dem Fall ist die Zollreform das Mittel gegen eine Krankheit, die nicht existiert. Wenn ihr euch nur die Mühe geben wolltet, selbst nachzuforschen, so würdet ihr entdecken, dass die Lage des Handels nie so gut war wie jetzt: die Produktion - die Menge der hergestellten Waren aller Art - dieses Landes und die Anzahl der exportierten Güter sind größer als jemals zuvor. Die in der Geschäftswelt erworbenen Vermögen sind umfangreicher als je zuvor, aber zur gleichen Zeit, infolge - wie ihr eben zugegeben
habt - der fortgesetzten Einführung und immer verbreiterteren Benutzung lohneinsparender Maschinen, ist die Anzahl der beschäftigten Menschen ständig im Sinken begriffen. Hier habe ich", fuhr Owen fort und zog seine Brieftasche heraus, „einige Zahlen, abgeschrieben aus dem von der Zeitung ,Daily Mail' herausgegebenen Jahrbuch für 1907, Seite 33:
,Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass im Vereinigten Königreich die Anzahl der Fabriken und ihr Wert stark gestiegen ist, obwohl sich die Anzahl der in ihnen beschäftigten Männer und Frauen von 1895 bis 1901 absolut vermindert hat. Das ist zweifellos die Folge der Verdrängung der Handarbeit durch die Maschinenarbeit.'
Wird die Zollreform daran etwas ändern? Werden die guten, menschenfreundlichen Kapitalisten die Benutzung von lohneinsparenden Maschinen aufgeben, wenn wir Zoll für alle im Ausland hergestellten Waren erheben? Hilft uns hier, was ihr ,Freihandel' nennt? Oder meint ihr, die Abschaffung des Oberhauses oder die Auflösung der Kirche werde es den von ihrem Arbeitsplatz verdrängten Arbeitern ermöglichen, Arbeit zu erhalten? Da es wahr ist - wie ihr zugebt -, dass die Maschinen die Hauptursache der Arbeitslosigkeit sind, was wollt ihr also dagegen tun? Welches ist euer Heilmittel?"
Niemand antwortete, denn keiner von ihnen kannte ein Heilmittel, und Crass begann zu bereuen, dass er das Thema überhaupt wieder berührt hatte.
„Wahrscheinlich", fuhr Owen fort, „werden Autos und elektrische Bahnen in naher Zukunft die Pferde fast völlig ersetzen. Da man die Dienste dieser Tiere dann nicht mehr braucht, wird man alle, bis auf wenige, aussterben lassen: man wird nicht mehr so viele züchten wie bisher. Wir können es den Pferden nicht zum Vorwurf machen, dass sie sich ausrotten lassen. Sie haben nicht genügend Verstand, um zu begreifen, was vorgeht. Deshalb werden sie sich zahm dem Aussterben der meisten ihrer Art fügen.
Wie wir gesehen haben, wird jetzt ein großer Teil der Arbeit, die früher von Menschen verrichtet wurde, von Maschinen ausgeführt. Diese Maschinen gehören einigen wenigen; sie werden zum Wohle dieser wenigen benutzt,
ebenso wie früher die Menschen, die von diesen Maschinen verdrängt wurden. Diese wenigen brauchen die Dienste so vieler menschlicher Arbeitskräfte nicht länger, deshalb schlagen sie vor, sie auszurotten! Die überflüssigen menschlichen Wesen soll man verhungern lassen! Man soll ihnen auch beibringen, es sei falsch, zu heiraten und Kinder zu zeugen, weil die Heiligen Wenigen nicht so viele Menschen wie vorher brauchen, die für sie arbeiten!"
„Ja, und das wirste nie verhindern können, Mann!" rief Crass.
„Weshalb nicht?"
„Weil's nicht geändert werden kann!" schrie Crass wütend. „'s ist unmöglich!"
„Immer sagste, alles ist ganz verkehrt", beklagte sich Harlow. „Aber warum, zum Teufel, sagste uns nicht, wie's richtig gemacht werden soll?"
„Ich hab nicht den Eindruck, als möchte einer von euch das wirklich wissen. Ich glaube, selbst wenn man bewiese, dass es möglich ist, täte euch das leid, und ihr würdet alles tun, es zu verhindern."
„Er weiß es ja selber nicht", höhnte Crass. „Seiner Meinung nach taugt die Zollreform 'nen Dreck - taugt Freihandel auch 'nen Dreck - und alle andren Leute haben unrecht! Fragste 'n aber, was zu tun ist, dann bleibt 'm die Spucke weg!"
Crass war nicht sehr zufrieden mit dem Ergebnis dieser Diskussion über die Maschinen; doch er tröstete sich mit der Überlegung, er werde seinen Gegner bei einer anderen Gelegenheit schon mundtot machen. Der Ausschnitt aus dem ,Verdunkler', den er in der Tasche hatte, war nicht so einfach zu beantworten! Hast du etwas gedruckt - schwarz auf weiß -, so ist es da, und du kannst nicht drüber hinweggehen! Und wenn die Sache nicht stimmte, hätte eine solche Zeitung sie doch niemals gedruckt! Da es aber schon beinahe halb neun war, beschloss er, seinen Triumph auf eine andere Gelegenheit zu verschieben. Die Sache war zu gut, um in Eile abgetan zu werden.

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