49. Kapitel Die Weisen aus dem Morgenlande
  Am Ende der folgenden Woche gab es eine furchtbare „Metzelei" bei  der Firma Rushton. Barrington und alle vorübergehend beschäftigten  Arbeiter wurden entlassen, darunter auch Newman, Easton und Harlow, und  es gab so wenig Arbeit, dass es aussah, als müssten alle übrigen  gleichfalls feiern. Der Sommer war praktisch vorüber; deshalb hatten  alle, die abgebaut wurden, nur wenig Aussicht, irgendwo anders  unterzukommen, denn auch bei den meisten übrigen Firmen wurden  Entlassungen vorgenommen. 
    Es gab nur ein weiteres Geschäft in der  Stadt, das überhaupt noch nennenswerte Arbeit hatte, und das war die  Firma Sudler & Schluder. Diese Firma war während des Sommers sehr  in den Vordergrund gerückt und hatte mehrere große Aufträge gekapert,  die Rushton Sc Co. zu erhalten erwartet hatte; überdies hatte sie  Rushton auch mehrere alte Kunden abspenstig gemacht. 
    Sudler & Schluder übernahmen Arbeiten zu beinahe der 
    Hälfte des Preises, zu dem Rushton sie ausführen konnte, und sie hatten  einen Meister, der mehr Grobheit im kleinen Finger aufwies als Nimrod  in der ganzen Faust. Einige Gesellen, die während des Sommers bei  beiden Firmen tätig gewesen waren, sagten, nachdem man bei Sudler &  Schluder gearbeitet habe, komme einem die Arbeit bei Rushton vor wie  ein Urlaub. 
    „Einen Kerl gibt's da", meinte Newman während einer Unterhaltung mit  Harlow und Easton, „einen Kerl gibt's da, der klebt an einem Tag  fünfundzwanzig Tapetenrollen und schneidet sie noch dazu allein und  bestreicht sie mit Leim, und die Maler - von denen schafft fast jeder  soviel wie wir drei zusammen, und wenn du da arbeitest, mußte's ebenso  machen, oder du fliegst." 
    Wie viel Wahrheit, wie viel Lüge oder Übertreibung auch in den  Erzählungen über die Ausbeutung und Antreiberei, die bei Sudler &  Schluder herrschten, enthalten sein mochten - so war es doch eine  unbestreitbare Tatsache, dass es den anderen Bauunternehmern schwer  fiel, mit ihnen zu konkurrieren, und alle zusammen beendeten -oder  schluderten - das bisschen Arbeit, das es gab, in etwa einem Viertel  der Zeit, die sie gebraucht hätten, um sie ordentlich auszuführen. 
    Ende September war eine große Anzahl von Leuten arbeitslos, und schon  bereiteten sich die praktischen Männer, welche die Stadt beherrschten,  darauf vor, die übliche Posse von der „Bekämpfung" der Not, die mit  Gewissheit folgte, aufzuführen. Ehrwürden Schwätzer sprach davon, den  Arbeitshof wieder zu eröffnen; der Sekretär des Wohltätigkeitsvereins  erließ einen Aufruf, weiteres Geld, abgelegte Kleidungsstücke und  Stiefel zu spenden - infolge der Auszahlung des Vierteljahresgehalts  für den Sekretär waren die Geldmittel des Vereins erschöpft. Das  Gerücht lief um, die Suppenküche werde bald eröffnet werden, um  „Nahrung" zu verkaufen, und wohltätige Leute begannen, von  „Gerümpelverkäufen" und Suppengutscheinen zu sprechen. 
    Ab und zu, wenn gerade ein Auftrag hereinkam, konnten einige von  Rushtons Leuten ein paar Stunden Arbeit erhalten; Barrington aber kam  nicht wieder. Seine ehemaligen Arbeitskollegen zerbrachen sich häufig  über seine Lebensweise den Kopf; die Tatsache, dass er viel besser  gekleidet war, als sie ihn je gesehen hatten, und dass er nie ohne Geld  war, setzte sie nicht wenig in Erstaunen. Gewöhnlich hatte er einen  Sechser oder einen Schilling zu verleihen, und er war stets bereit,  einem ein Glas Bier zu spendieren - gar nicht zu reden von dem Geld,  das ihn die sozialistischen Broschüren und Flugblätter gekostet haben  mussten, die er mit vollen Händen verteilte. Er wohnte drüben in  Windley zu Untermiete; seine Mahlzeiten aber nahm er in einem kleinen  Kaffeehaus unten in der Stadt zu sich, und häufig lud er einen oder  zwei seiner alten Kollegen dorthin zum Mittagessen ein. Zuweilen kam es  vor, dass einer von ihnen Barrington für einen Abend zu sich nach Hause  einlud, eine Tasse Tee mitzutrinken oder irgend etwas Seltenes  anzusehen, von dem der andere meinte, es werde ihn interessieren, und  bei solchen Gelegenheiten achtete Barrington gewöhnlich darauf - falls  es dort, wo er hinging, Kinder gab -, unterwegs in einem Laden eine  Tüte Kekse oder Obst für sie zu kaufen. 
    Alle möglichen Theorien wurden zur Erklärung seines offenbaren  Wohlstands erwogen. Einige sagten, er sei ein verkleideter Herr, andere  meinten, er habe reiche Verwandte, die sich seiner schämten, weil er  Sozialist sei, und die ihm soundso viel die Woche gäben, solange er  ihnen nur vom Halse blieb und seinen wahren Namen nicht benutzte.  Einige der Liberalen erklärten, er sei von den Konservativen bezahlt,  die versuchten, durch unterirdische Methoden die Fortschrittliche  Liberale Partei zu spalten. Eben zu dieser Zeit fanden einige Einbrüche  am Ort statt, und die Diebe kamen mit ihrer Beute davon; dieser Umstand  hatte das versteckte Gerücht zur Folge, Barrington sei der Verbrecher,  und es sei dieses unrecht erworbene Gut, dass er so freigebig verteilte. 
    Gegen Mitte Oktober geschah etwas, das die Stadt in wilde Aufregung  versetzte, und solche verhältnismäßig unwichtigen Dinge wie  Arbeitslosigkeit und Hunger gerieten fast in Vergessenheit. 
    Sir Raffall von Einfriedland war im Dienste des Landes, von dem er  einen so großen Teil besaß, zu einem noch höheren Posten ernannt  worden; er sollte nicht nur eine höhere und ehrenvollere Stellung  einnehmen, sondern ebenfalls - was ja nur gerecht war - ein höheres  Gehalt Seine Bezahlung sollte auf siebentausendfünfhundert Pfund im  Jahr erhöht werden oder auf hundertundfünfzig Pfund die Woche, und  infolge dieser Beförderung musste er seinen Sitz im Parlament aufgeben  und sich neu wählen lassen. 
    [[Während die konservativen Arbeiter in ihren zerlumpten Hosen mit  leerem Magen in den Straßen umherbummelten, sagten sie zueinander, es  sei eine große Ehre für Mugsborough, dass ihr Abgeordneter auf diese  Weise befördert werde. Sie brüsteten sich damit und stolzierten so  großspurig einher, wie es ihre zerrissenen Stiefel nur zuließen. 
    Sie steckten Wahlpropagandakarten mit Sir Raffalls Photographie in ihre  Fenster und banden ihren unterernährten Kindern blaugelbe Bänder um -  Sir Raffalls Farben. 
    Die Liberalen waren wütend. Sie sagten, sie seien mit dieser Wahl  überfallen worden - auf gemeine Weise übervorteilt worden -, sie  hielten keinen Kandidaten bereit.]] 
    Über das Gehalt beschwerten sie sich nicht; alles, worüber sie sich  beschwerten, war die kurze Frist. Es war nicht anständig, denn während  sie - die führenden Liberalen - die Wähler mit der üblichen  verächtlichen Gleichgültigkeit behandelt hatten, war Sir Raffall von  Einfriedland unter den seinen bereits seit Monaten äußerst aktiv  gewesen und hatte listig den Wettkampf vorbereitet. Eigentlich hatte er  bereits seit sechs Monaten eine Wahlkampagne durchgeführt! Während des  letzten Winters hatte er eine ganze Reihe Fußballwettkämpfe eingeleitet  und daneben noch allerlei für die Mannschaft des Ortes getan. Er war  den Büffeln und den Druiden beigetreten war zum Präsidenten der  Gesellschaft der Totenkopf-jungen gewählt worden, und obgleich er  selbst kein Abstinenzler war, stand er der Enthaltsamkeit so  wohlwollend gegenüber, dass er mehrmals bei Antialkoholveranstaltungen  den Vorsitz geführt hatte - von den Teespenden für arme Schulkinder und  ähnlichem ganz zu schweigen. Kurz, monatelang war er ein recht tätiger  Politiker gewesen, [[im Tory-Sinne des Wortes, und die armen Liberalen  hatten nicht Lunte gerochen, bis sie mit der Wahl überfallen wurden. 
    In höchster Eile wurde nun eine Versammlung der Liberalen Dreihundert  einberufen und eine Abordnung nach London entsandt, um einen Kandidaten  zu finden; diese hatte aber keinen Erfolg mit ihrer Mission, da bis zum  Wahltag nur noch eine Woche blieb. Eine zweite Versammlung wurde  abgehalten, bei der Mr. Adam Sweater den Vorsitz führte - und auch  Rushton und Didlum waren anwesend.]] 
    Tiefe Niedergeschlagenheit zeichnete sich auf den Gesichtern der dort  versammelten Sklavenantreiber ab, während sie dem Bericht der  Delegierten zuhörten. Das darauf folgende düstere Schweigen wurde  endlich von Mr. Rushton gebrochen, der sich plötzlich erhob und sagte,  er glaube langsam, sie hätten einen Fehler gemacht, sich überhaupt  außerhalb des Wahlkreises nach einem Kandidaten umzusehen. Es sei  seltsam, aber wahr: der Prophet gelte nichts im eigenen Land. Sie  hätten die kostbare Zeit verschwendet, seien im Lande umhergejagt,  hätten um einen Kandidaten gebeten und gebettelt und dabei gänzlich  übersehen, dass sich in ihrer Mitte ein Herr befinde - ein Mitbewohner  ihrer Stadt, der, wie er glaube, größere Aussichten habe als jeder  Fremde. Gewiss werde ihm jedermann zustimmen - wenn sie nur Adam  Sweater überreden könnten, sich aufstellen zu lassen -, so wäre der ein  idealer liberaler Kandidat! 
    Während Mr. Rushton sprach, richteten sich die geknickten Gemüter der  Dreihundert wieder auf, und als der Name Sweater fiel, begannen alle in  die Hände zu klatschen und mit den Füßen zu trampeln. Lautes,  begeistertes Beifallsgeschrei ertönte, und rings im Raum erklang der  Ruf: „Unser guter, alter Sweater!" 
    Als der aufstand, um zu antworten, legte sich der Tumult so plötzlich,  wie er entstanden war. Sweater dankte ihnen für die Ehre, die sie ihm  erwiesen hätten. Es sei nicht genügend Zeit vorhanden, um sie mit  Worten und leeren Komplimenten vergeuden zu können; ehe er zuließe,  dass der Feind widerstandslos einen Sieg davontrage, wolle er lieber  ihrem Drängen nachgeben und sich als Kandidat aufstellen lassen. 
    Tosendes Beifallsgebrüll brach aus den Kehlen der entzückten Dreihundert. 
    Draußen, vor dem Saal, in dem die Versammlung stattfand, stand eine  große Menschenmenge, bestehend aus liberalen Arbeitern, die sich in  tiefster Armut befanden und von denen viele zerrissene Stiefel oder die  abgelegten Anzüge anderer trugen, und wartete darauf, den Bericht der  Delegation von Sklavenantreibern zu hören; sobald sich Sweater bereit  erklärt hatte zu kandidieren, stürzte Didlum zu dem auf die Straße  hinausgehenden Fenster, öffnete es und schrie die gute Botschaft  hinunter zur Menge, die in das Jubelgeschrei einstimmte. Auf ihr  Verlangen, Sweater möge eine Rede halten, schob der seine feiste  Gestalt ans Fenster und sprach einige Worte zu ihr, erinnerte sie an  die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und ersuchte sie, tüchtig zu  arbeiten, um die „erhabene" alte „Fahne" zum Siege zu tragen. 
    In solchen Zeiten vergaßen die Leute gänzlich Arbeitslosigkeit und  Hunger und begeisterten sich für „erhabene alte Fahnen". So groß war  ihre Hingabe an diese, dass es ihnen nichts ausmachte, arm zu sein,  Hunger zu leiden und in Lumpen gekleidet zu gehen, solange sie nur die  Fahne zum Siege tragen konnten; alles, worauf es ankam, war, dass sie  ihre verhassten Feinde, ihre Landsleute, die Tories, an die Wand  drückten und die erhabene alte Fahne zum Siege trugen. Die Tatsache,  dass sie diese in der Vergangenheit schon so häufig zum Siege getragen  hatten, ohne etwas von der Beute zu erhalten, schien ihren Eifer nicht  im mindesten zu dämpfen. Da sie ja Menschenfreunde waren, gaben sie  sich - nachdem sie den Sieg errungen hatten - damit zufrieden, dass  stets ihre Herren das Plündern besorgten. 
    Als Sweater mit seiner Ansprache zu Ende war, ließen ihn die  Menschenfreunde in wilder Begeisterung dreimal hochleben, und dann  schrie jemand aus der Menge: „Was haben wir für 'ne Farbe?" Nach  hastiger Beratung mit Rushton, der als „Malermeister" für eine  Autorität auf dem Gebiet der Farben gehalten wurde, entschied man sich  für grün - grasgrün - und rief das der wartenden Menge hinunter, die  von neuem in Hochrufe ausbrach. Dann gab es einen Ansturm auf Sweaters  Warenhaus, mehrere Meter billiges grünes Band wurden gekauft und in  kleine Stückchen geteilt, welche sich die Leute ins Knopfloch banden,  und so angemessen geschmückt, stellten sich diese in militärischer  Ordnung in Viererreihen auf und marschierten durch sämtliche  Hauptstraßen, die Große Paradeallee hinauf und hinunter, rings um den  Springbrunnen und schließlich über den Hügel nach Windley; dabei sangen  sie auf die Melodie des Liedes „Trapp, trapp, trapp, die Jungen  marschieren": 
  „Stimmt, stimmt, stimmt für Adam Sweater,  
    den alten Einfriedland hängt an 'nen Baum!  
    Sweater ist unser Mann,  
    den wähle, wer nur kann,  
    ein großes Brot zum Tee bleibt dann kein Traum." 
  Das von diesen Leuten, unter denen es Grauhaarige und Graubärtige  gab, gebotene Schauspiel, wie sie den Takt schlugen oder mit den Füßen  stampften, während sie diesen kindischen Unsinn sangen, hätte  belustigend gewirkt, wäre es nicht so widerlich gewesen. 
    Zur Abwechslung sangen sie auch verschiedene andere Lieder, darunter: 
  „Wir hängen den ollen Einfriedland  
    an 'nen Sauerapfelbaum'" 
  und 
  „Schließt euch zusammen,  
    ihr Männer von Windley,  
    denn gewinnen wird Sweater gewiss." 
  Als sie an der großen Kirche in der Qualitätsstraße vorüberzogen,  begann die Uhr zu schlagen. Es war eine von jenen, die alle  Viertelstunde die Töne eines Glockenspiels erklingen lassen. Jetzt war  es zehn Uhr, daher ertönten sechzehn harmonische Klänge: 
  Ding, dong! Ding, dong!  
    Ding, dong! Ding, dong!  
    Ding, dong! Ding, dong!  
    Ding, dong! Ding, dong! 
    „Adam Sweater!", 
  und die Tories: 
  „Raff-all Einfried-land!  
    Raff-all Einfried-land!  
    Raff-all Einfried-land!  
    Raff-all Einfried-land!" 
  Bald war die Stadt mit lügnerischen Schriften überschwemmt und mit riesigen  Plakaten bepflastert: 
  „Stimmt für Adam Sweater, den Freund des Arbeiters!" 
    „Stimmt für Sweater und die Enthaltsamkeitsreform!" 
    „Stimmt für Sweater - für Freihandel und billige Nahrung!" 
  oder 
  „Stimmt für Einfriedland - 
    für Zollreform und REICHLICH ARBEIT!" 
  Dieses schöne Ideal - „REICHLICH ARBEIT" - sprach die konservativen  Arbeiter mächtig an. Sie schienen sich und ihre Kinder als eine Art von  Maschinen oder Lasttieren zu betrachten, geschaffen zu dem Zweck, für  andere Leute zu schuften. Sie hielten es nicht für recht, dass sie  lebten und die Wohltaten der Zivilisation genossen. Alles, was sie sich  und ihren Kindern wünschten, war „reichlich Arbeit". 
    Sie zogen  durch die Straßen, sangen ihre Marseillaise „Schafft, Jungens, schafft  und gebt euch zufrieden" auf die Melodie des Liedes „Trapp, trapp,  trapp, die Jungen marschieren", und während sie so dahintrabten, ließen  sie periodisch Sir Raffall, die Zollreform und „reichlich Arbeit"  hochleben. 
    Beide Seiten ließen Trupps von gemieteten Rednern kommen, die sich  jeden Abend von tragbaren Plattformen sowie von Automobilen und  Lastautos aus an den Ecken der wichtigsten Straßen und auf den freien  Plätzen hören ließen. Die Tories erklärten, die Parlamentsfraktion der  Liberalen Partei im Unterhaus bestehe vorwiegend aus Schurken und  Dummköpfen, [ [und die Liberalen erklärten, die Fraktion der  Konservativen Partei bestehe aus Dummköpfen und Schurken. Ein Schwarm  gutgekleideter Wahlagitatoren in Kutschen und Autos ließ sich in  Windley nieder und bettelte bei den dort wohnenden, in Armut lebenden  Arbeitern um deren Stimme. 
    Eines Abends wurde am Kreuzweg auf dem Hügel von Windley eine  Kundgebung der Liberalen abgehalten. Trotz des kalten Wetters befand  sich eine große Menge von schäbig gekleideten Leuten dort, von denen  viele schon seit Monaten keine wirklich gute Mahlzeit genossen hatten.  Es war ein wolkenloser Abend.]] Der Vollmond schien, und die Szene  wurde durch das flackernde Licht mehrerer auf vier Meter langen Pfählen  steckender Fackeln noch mehr erhellt. Als Plattform diente ein großer  Lastwagen, und mehrere Redner waren angesagt, darunter Adam Sweater in  eigener Person und ein echter lebendiger liberaler Pair - Lord  Eimittspek. Dieser Mann hatte sich durch den Lebensmittel- und  Materialwarenhandel ein beträchtliches Vermögen erworben und war wegen  seiner Verdienste um die Partei sowie in Erwägung anderer Erwägungen  von der letzten liberalen Regierung in den Pairstand erhoben worden. 
    Sowohl Sweater wie Eimittspek sollten an diesem Abend auf zwei weiteren  Versammlungen sprechen und wurden erst gegen halb neun Uhr in Windley  erwartet; um die Sache, bis sie kamen, in Gang zu halten, sprachen  deshalb mehrere andere Herren zu den Versammelten, darunter auch  Rushton - der den Vorsitz führte -, Didlum und einer der Redner zu fünf  Pfund die Woche. Unter die Menge verstreut standen etwa zwanzig rau  aussehende Männer -Stadtfremde -, die riesige grüne Rosetten trugen und  den Rednern laut Beifall klatschten. Sie verteilten auch Schriften über  Sweater und Karten mit einer Liste der verschiedenen Versammlungen, die  während der Wahlzeit veranstaltet werden sollten. Diese Leute waren von  Sweaters Agenten gedungene Schläger. Sie kamen aus der Gegend von Seven  Dials in London und erhielten eine Bezahlung 
    von zehn Schilling pro Tag. Zu ihren Pflichten gehörte es, die Menge  anzufeuern, jeden zusammenzuschlagen, der die Versammlung störte oder  den Rednern unangenehme Fragen zu stellen versuchte. 
    Der bezahlte Redner war ein großer, schlanker Mann mit dunklem Haar  sowie dunklem Kinn- und Schnurrbart; man hätte ihn als gutaussehend  bezeichnen können, wäre nicht eine hässliche Narbe auf seiner Stirn  gewesen, die ihm ein ziemlich finsteres Aussehen gab. Er war ein  wirkungsvoller Redner; die Hörer unterbrachen seine Rede mit  Beifallsrufen, und als er zum Schluss ernsthaft an sie -als Arbeiter -  appellierte, für Adam Sweater zu stimmen, kannte ihre Begeisterung  keine Grenzen. 
    „Ich hab ihn doch schon irgendwo gesehen", bemerkte Barrington, der mit  Harlow, Owen und Easton in der Menge stand. 
    „Ich ebenfalls", meinte Owen verwirrt. „Aber ich kann mich um alles in der  Welt nicht besinnen, wo." 
    Harlow und Easton waren gleichfalls der Meinung, sie hätten den Mann  bereits gesehen; aber ihrem Herumraten wurde ein Ende gesetzt durch ein  Beifallsgebrüll, das die Ankunft eines Autos begrüßte, in welchem Adam  Sweater und sein Freund, Lord Eimittspek, saßen. Leider hatten die  Versammlungsveranstalter vergessen, für eine Leiter zu sorgen; daher  war das Besteigen der Plattform für Sweater ein recht schwieriges  Unternehmen. Während seine Freunde ihn hinaufzogen und -stießen,  vertrieb sich die Menge die Zeit mit dem Gesang: 
    „Stimmt, stimmt, stimmt für Adam Sweater." 
    Nach furchtbarer Anstrengung gelang es, ihn auf den Wagen zu befördern,  und während er nach Atem rang, richtete Rushton einige Worte an die  Menge. Danach trat Sweater vor; wegen der Hochrufe und des Singens  konnte er sich jedoch minutenlang nicht Gehör verschaffen. 
    Als er endlich zu Wort kam, hielt er eine sehr kluge Rede - sie war  extra für ihn geschrieben worden und hatte zehn Guineen gekostet. Zu  einem großen Teil bestand sie aus Warnungen vor dem Sozialismus.  Sweater hatte diese Rede sorgfältig geprobt und gab sie sehr  wirkungsvoll 
    wieder. Einige dieser Sozialisten, so sagte er, seien gutgläubige,  jedoch irregeleitete Menschen, die sich nicht bewusst seien, welcher  Schaden entstehen werde, wenn ihre wunderlichen Ideen jemals in die  Praxis umgesetzt würden. Wie ein Schmierenschauspieler senkte er die  Stimme zu einem Flüstern, das einem das Blut in den Adern gerinnen  ließ, und fragte: 
    „Was ist denn dieser Sozialismus, von dem wir so viel hören, den aber  so wenige verstehen? Was ist er denn, und was bedeutet er denn?" 
    Nun hob er die Stimme, so dass sie durch den Äther erschallte und der  versammelten Menge wie das Läuten einer Sterbeglocke in den Ohren  dröhnte, und fuhr fort: 
    „Wahnsinn ist er! Das Chaos! Die Anarchie! Er bedeutet den Ruin!  Schwärzesten Ruin für die reichen Leute, und infolgedessen noch  schwärzeren Ruin für die Armen!" 
    Während Sweater eine Pause machte, überlief ein Furcht-schauer die  Menge. Männer, die zerrissene Schuhe, Flicken auf Hosenboden und Knien,  Hosen mit ausgefransten Rändern trugen, erblassten und blickten  einander verstört an. Offensichtlich glaubten sie, wenn der Sozialismus  je käme, so müssten sie in einer Art prähistorischem Schottenkostüm  einhergehen - gänzlich ohne Hosen und Stiefel. 
    Abgearbeitete Frauen - die meisten mit den schäbigen, abgelegten Sachen  anderer Frauen bekleidet -, müde, erschöpft aussehende Mütter, die ihre  Kinder zum größten Teil mit verfälschtem Tee, kondensierter Magermilch,  Brot und Margarine ernährten, gerieten in Zorn bei dem Gedanken an die  bösen Sozialisten, die versuchten, ihnen den Ruin zu bringen. 
    Keinem von diesen armen Menschen kam es je in den Sinn, dass sie sich  ja bereits im Ruin, im schwärzesten Ruin befanden. Wäre jedoch Sweater  plötzlich in die gleiche gesellschaftliche Lage geraten wie die, in der  seine Zuhörer lebten, so wäre er zweifellos der Meinung gewesen, er  befinde sich im Zustand des schwärzesten Ruins. 
    Das düstere Schweigen, das sich auf die erschrockene Menge herabgesenkt  hatte, wurde nach einiger Zeit von einem Menschenfreund in zerlumpten  Hosen unterbrochen, der ausrief: 
    „Wir wissen doch, was die sind, lieber Herr. Die meisten sind Kerle,  die keine Lust mehr haben, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, und  die deshalb wollen, dass wir sie unterhalten!" 
    Durch zahlreiche Beifallsbezeigungen der übrigen Menschenfreunde ermutigt,  fuhr der Mann fort: 
    „Solche Idioten sind wir aber nicht, wie die glauben, das wer'n sie  nächsten Montag schon sehn. Die meisten davon sollten gehängt wer'n,  und ich hätt nicht übel Lust, selbst mit 'nem Strick dabei zur Hand zu  gehn." 
    Beifall und Gelächter begrüßten den Ausdruck dieser edlen Gefühle, und  Sweater fuhr in seiner Rede fort, als ein anderer Mann - offenbar ein  Sozialist, denn er war von drei oder vier Leuten begleitet, die wie er  eine rote Krawatte trugen - ihn unterbrach und erklärte, er möchte ihm  eine Frage stellen. Dieses Verlangen wurde weder von Mr. Sweater noch  vom Versammlungsleiter beachtet; aus der Menge aber kamen einige  erzürnte Rufe: „Ruhe!" Sweater sprach weiter; der Mann unterbrach ihn  jedoch von neuem, und die Rufe der Menge wurden bedrohlicher. Da erhob  sich Rushton und sagte, er könne nicht zulassen, dass der Redner  unterbrochen werde; wenn der Herr jedoch bis zum Ende der Versammlung  warten wolle, so werde er dann Gelegenheit haben, seine Frage zu  stellen. 
    Der Mann erklärte, er wolle warten, wie gewünscht; Sweater nahm seine  Rede wieder auf, und kurz danach sahen sich der Zwischenrufer und seine  Freunde von der Bande gedungener Schläger umringt, die große Rosetten  trugen und sie drohend anstarrten. 
    Sweater schloss seine Rede mit der Aufforderung an die Menge, am  nächsten Montag „dem Feinde einen zerschmetternden Schlag" zu  versetzen, und danach trat unter brausendem Beifall Lord Eimittspek  vor. Er sagte, er wolle sie heute nicht mit einer langen Rede  belästigen, und da morgen der Tag sei, an dem die Kandidaten auf die  Wahlliste gesetzt würden, hätte er nicht die Ehre, während der Zeit der  Wahl noch einmal zu ihnen zu sprechen; doch selbst wenn er eine lange  Rede hätte halten wollen, wäre das nach der glänzenden und beredten  Ansprache, die sie soeben von Mr. Sweater gehört hätten, schwierig  gewesen, denn ihm (Eimittspek) schiene, Adam Sweater habe für einen  anderen nichts mehr zu sagen übriggelassen. Er möchte ihnen jedoch von  einem Gedanken erzählen, der ihm heute Abend gekommen sei. Sie hätten  in der Bibel gelesen, dass die Weisen aus dem Morgenlande, dem Osten,  gekommen seien. Windley sei, wie sie alle wussten, das östlichste  Viertel der Stadt. Sie aber seien die Leute aus dem Osten, und er sei  gewiss, nächsten Montag werden sie beweisen, dass auch sie Weise aus  dem Osten, dem Morgenlande, seien, indem sie für Adam Sweater stimmten  und ihn mit „überwältigender Mehrheit" an die Spitze brächten. Die  Weisen aus dem Morgenlande nahmen Eimittspeks Worte mit nicht enden  wollendem, idiotischem Beifallsgeschrei auf, und inmitten des Tumults  stiegen Seine Lordschaft und Sweater ins Auto und machten sich davon,  ohne dem Mann mit der roten Krawatte oder sonst jemand, der es  wünschte, Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen. Rushton und die  übrigen Führer stiegen in ein zweites Auto und folgten dem ersten, um  an einer anderen Versammlung unten in der Stadt teilzunehmen, auf  welcher der große Sir Featherstone Blood sprechen wollte. 
    Die Menge stellte sich nun in militärischer Ordnung auf, voran die  Leute mit den Fackeln und einem großen weißen Banner, auf dem in  riesigen schwarzen Buchstaben geschrieben stand: 
    „Unser Mann ist Adam Sweater." 
    Singend marschierten sie den Hügel hinab, und als sie den Springbrunnen  auf der Großen Paradeallee erreichten, sahen sie dort eine zweite  Menschenmenge, die gleichfalls eine Versammlung abhielt. Es waren  Tories, Konservative, und diese gerieten beim Anhören der Lieder der  Liberalen und beim Anblick von deren Flagge dermaßen in Wut, dass sie  ihre Versammlung verließen und sich auf die Teilnehmer des Umzugs  stürzten. Eine wüste Schlägerei entbrannte. Beide Seiten kämpften wie  die Wilden, da die Liberalen jedoch etwa drei zu eins in der Minderheit  waren, wurden sie mit großem Gemetzel vom Schlachtfeld getrieben; die  meisten der Fackelstangen wurden ihnen abgenommen, und die Fahne wurde  in Fetzen gerissen. Dann kehrten die Tories, die eroberten Fackeln  tragend, 
    zum Springbrunnen zurück und sangen auf die Melodie des Liedes „Hat jemand 'ne  deutsche Kapelle gesehn?": 
    „Hat jemand 'ne lib'rale Flagge gesehn, Flagge gesehn, Flagge gesehn?" 
    Während die Tories ihre Versammlung am Springbrunnen weiterführten,  sammelten sich die Liberalen in einer Nebenstraße. In die  verschiedensten Richtungen wurden Boten um Verstärkung entsandt, und  etwa eine halbe Stunde später kamen die Liberalen aus ihrem  Schlupfwinkel hervor und stürzten sich auf die Versammlung der Tories.  Sie warfen die Plattform um, eroberten ihre Fackeln zurück, rissen das  Banner des Feindes in Fetzen und schlugen ihn aus seiner Stellung  hinaus. Nun zogen die Liberalen durch die Straßen und sangen: „Hat  jemand 'ne Toryflagge gesehn?", [zogen zu dem Saal, in dem Sir  Featherstone sprach, und kamen dort an, als das Publikum gerade  heimging.] 
    Die aus dem Saal strömende Menge war zu wilder Begeisterung  aufgepeitscht, denn die Rede, die sie soeben vernommen hatte, war eine  Art Manifest an das Land gewesen. 
    In Antwort auf die Hochrufe der Umzugsteilnehmer -die freilich die Rede  nicht gehört hatten, aber aus Gewohnheit „Hoch!" riefen - stand Sir  Featherstone Blood in seinem Wagen auf und hielt eine Ansprache an die  Menge, skizzierte kurz die großen Sozialreformen, die seine Partei zum  Gesetz zu erheben vorschlug, um die Lage der Arbeiterklasse zu bessern,  und während die Weisen ihm zuhörten, wurden sie von einem  Begeisterungsrausch erfasst. Er sprach von Grundsteuern und  Sterbeabgaben, die genügend Geld zum Bau von Kriegsschiffen einbringen  sollten, durch die das Eigentum der Reichen beschützt und für die Armen  Arbeit beschafft würde. Eine weitere Steuer sollte das Geld für den Bau  einer schönen, glatten Straße einbringen, auf der die Reichen in ihren  Automobilen fahren konnten - und durch den für die Armen Arbeit  beschafft würde. Eine weitere Steuer sollte für Entwicklungszwecke  verwendet werden, was den Armen gleichfalls Arbeit beschaffte. Und so  fort. Sehr betont wurde, dass die Reichen für die Kosten ihrer Straße  tatsächlich auch selbst etwas beisteuern sollten! Nichts wurde jedoch  darüber gesagt, wo sie das Geld hierfür hernähmen. Es wurde nicht  erwähnt, wie die Arbeiter ausgebeutet, angetrieben und dem Hunger  preisgegeben würden, damit sie für die Taschen der Reichen Dividenden,  Grundrenten, Zinsen und Profite schafften, bevor diese überhaupt in der  Lage wären, etwas zu bezahlen. 
    „Das sind die Maßnahmen, meine Herren, die wir vorschlagen, für Sie  durchzuführen, und bei dem Tempo des Fortschritts, das einzuschlagen  wir beabsichtigen, sage ich, ohne Widerspruch zu befürchten: Wir werden  während der nächsten fünfhundert Jahre die sozialen Bedingungen in  unserem Lande derartig umgestalten, dass die Arbeiterklasse in den  Genuss einiger von den Wohltaten der Zivilisation gelangen kann. 
    Die vor Ihnen stehende Frage ist die: Sind Sie bereit, noch fünfhundert Jahre  zu warten?" 
    „Jawohl, lieber Herr!" riefen die Weisen, begeistert angesichts dieser  glänzenden [Aussicht]. 
    „Jawohl, lieber Herr: wenn Sie wollen, warten wir noch tausend Jahre, lieber  Herr!" 
    „Ich hab mein ganzes Leben lang gewartet", sagte ein armer alter  Veteran, der in der Vergangenheit schon unzählige Male geholfen hatte,  die „,alte Fahne' zum Siege zu tragen", und dessen Beuteanteil an  diesen Siegen darin bestand, dass er sich nun im Zustand äußerster,  jämmerlichster Armut befand, während das Tor des Armenhauses bereits  sperrangelweit offen stand, um ihn zu empfangen. „Ich hab mein ganzes  Leben lang gewartet und auf bessre Bedingungen gehofft und vertraut -  da wer'n mir 'n paar Jahre nichts mehr ausmachen!" 
    „Hetzen Sie sich bloß nicht, lieber Herr", rief ein zweiter Salomo aus  der Menge. „Uns macht's nichts aus, zu warten. Lassen Sie sich nur  Zeit, lieber Herr. Sie wissen ja besser als unsereins, wie lang's dazu  braucht." 
    Abschließend warnte sie der große Mann davor, sich durch die  Sozialisten irreleiten zu lassen, jene törichten, unvernünftigen,  unpraktischen Leute, die eine sofortige Besserung ihrer Lage sehen  wollten, und er erinnerte sie daran, dass Rom ja auch nicht an einem  Tage erbaut worden sei. 
    Die Weisen klatschten ihm eifrig Beifall. Keinem von ihnen schien es in  den Sinn zu kommen, dass das Tempo, in dem die alten Römer ihre  Bauvorhaben ausführten, mit der Sache nicht das geringste zu tun hatte. 
    Unter wildem Beifallsgebrüll setzte sich nun Sir Featherstone Blood,  und der Zug wurde von neuem gebildet; verstärkt durch die Zuhörer aus  der Versammlungshalle, zogen die Weisen durch die schäbigen Straßen und  sangen zur Melodie des Liedes „Die Männer von Harlech": 
  „Stimmt für Sweater, stimmt für Sweater!  
    Stimmt für Sweater, stimmt für Sweater!  
    Er muss es sein, er hat 'nen Plan,  
    um zu befrein den Arbeitsmann! 
  Männer Mugsb'ro's, zeigt nur, wie gescheit  
    und was für Kerle ihr doch seid,  
    dann ist die Frage keine Frage:  
    Sweater soll es sein!" 
  Der Wagen mit Sir Featherstone, Adam Sweater, Rushton und Didlum  fuhr in der Mitte des Zuges. Das Banner und die Fackeln befanden sich  an der Spitze, und die Größe des Schauspiels wurde noch durch vier  Männer erhöht, die - zwei zu jeder Seite - neben dem Wagen  einherschritten und grüne Feuer in Bratpfannen trugen. Als sie am  Sklavenmarkt vorbeikamen, kletterte ein schäbig gekleideter armer  Teufel, dessen Stiefel so abgetragen und zerschlissen waren, dass sie  ihm fast von den Füßen fielen, auf einen Laternenpfahl, nahm die Mütze  ab, schwenkte sie und kreischte: „Sir Featherstone Blood, unser  zukünftiger Premierminister, er lebe hoch, dreimal hoch!" 
    Die  Menschenfreunde schrieen sich heiser, und schließlich spannten sie die  Pferde aus und zogen an ihrer Stelle selbst den Wagen. 
    „Wie viel Gehalt kriegt denn Sir Featherstone, wenn er Premierminister  wird?" fragte Harlow einen anderen Menschenfreund, der gleichfalls  hinter dem Wagen herdrängte. 
    „Fünftausend im Jahr", erwiderte der andere, der es durch einen  merkwürdigen Zufall wusste. „Macht hundert Pfund die Woche." 
    „Wenig genug für so 'nen Mann!" meinte Harlow. 
    „Recht haste, Kumpel", sagte der andere, und tiefes Mitleid klang aus  seiner Stimme. „Als er letztesmal dran war, hat er's bloß fünf Jahre  lang gemacht; da hat er also bloß fünfundzwanzigtausend Pfund  eingesteckt. Natürlich hat er noch 'ne Pension - zweitausend im Jahr  auf Lebenszeit, glaub ich; aber was ist das schließlich - für so 'nen  Mann?" 
    „Gar nichts", antwortete Harlow im Ton des Bedauerns, und Newman, der  ebenfalls dort war und den Wagen ziehen half, sagte, die Summe sollte  zumindest doppelt so hoch sein. 
    Es tröstete sie jedoch ein wenig, dass Sir Featherstone nicht warten  musste, bis er siebzig Jahre alte wäre, ehe er seine Pension erhielte;  er bekäme sie, sobald er seinen Posten aufgäbe. 
  Während der folgenden Abende beschäftigten sich Barrington, Owen und  einige andere Gleichgesinnte, die gemeinsam genügend Geld aufgebracht  hatten, um einen Stapel sozialistischer Flugblätter zu kaufen, damit,  diese unter die Zuhörermengen bei den Versammlungen der Liberalen und  Konservativen zu verteilen, und während sie das taten, gerieten sie  häufig in Diskussionen mit den Anhängern des kapitalistischen Systems.  Bei ihrem Versuch, andere zu bewegen, auf eine Stimmabgabe für einen  der Kandidaten zu verzichten, stießen sie selbst bei denen auf  Widerstand, die angeblich an den Sozialismus glaubten und die sagten,  da kein besserer sozialistischer Kandidat vorhanden sei, müsse man eben  für den besseren der beiden anderen Kandidaten stimmen. Das war auch  die Ansicht Harlows und Eastons, denen Barrington und Owen begegneten.  Harlow hatte ein grünes Band im Knopfloch, Easton aber trug von  Einfriedlands Farben. 
    Ein Mann erklärte, wenn es nach ihm ginge,  müssten alle, die das Stimmrecht hätten, gezwungen werden, es auszuüben  - ob sie nun wollten oder nicht -, oder aber sie verlören das  Wahlrecht! Barrington fragte ihn, ob er an die Zollreform glaube. Der  Mann sagte nein. „Weshalb nicht?" fragte Barrington. Der andere  erwiderte, er sei gegen die Zollreform, weil er der Meinung sei, sie  würde das Land ruinieren. Barrington fragte, ob er ein Anhänger des  Sozialismus sei. Der Mann sagte, das sei er nicht, und auf eine weitere  Frage erklärte er, er glaube, wenn man den Sozialismus jemals  durchführte, werde der dem Land den schwärzesten Ruin bringen - er  glaubte das, weil es Mr. Sweater gesagt hatte. Als ihn nun Barrington  fragte, angenommen, es gäbe nur zwei Kandidaten, einen Sozialisten und  einen Anhänger der Zollreform, wie es ihm dann wohl gefiele, gezwungen  zu werden, für einen von beiden zu stimmen, da konnte er keine Antwort  finden... 
    Während der nächsten Tage wurde der Wahlkampf fortgesetzt. Die  bezahlten Redner ließen ihren Redestrom weiterfließen, und tonnenweise  wurde die Stadt mit Druckmaterial überschwemmt. Die Wände waren mit  riesigen Plakaten bedeckt: „Wieder eine Lüge der Liberalen" -„Wieder  ein Betrug der Tories". 
    Unbewusst leistete jede dieser beiden Parteien eine großÂartige Arbeit  für den Sozialismus, indem die eine die Heuchelei der anderen gründlich  entlarvte. Hätten die Leute nur genügend Verstand gehabt, so hätten sie  vielleicht gesehen, dass der Streit zwischen den Führern der Liberalen  und denen der Konservativen einzig nur ein Streit unter Dieben um die  Beute war; leider hatten die meisten Leute jedoch nicht genügend  Verstand, um das zu bemerken. Sie waren durch bigotte Hingabe an ihre  Parteien geblendet, und, von wahnsinniger Begeisterung entflammt,  dachten sie an nichts anderes, als „ihre Fahne zum Siege zu tragen". 
    Unter erheblicher Gefahr für sie selbst fuhren Barrington, Owen und die  übrigen Sozialisten fort, ihre Flugblätter zu verteilen und  Zwischenrufe bei den Ansprachen der liberalen und konservativen Redner  zu machen. Sie forderten die Tories auf, zu erklären, weshalb in  Ländern wie Deutschland und Amerika, die doch durch Zollschranken  geschützt waren, Arbeitslosigkeit und Armut herrsch- 
    ten, und bei Sweaters Versammlungen verlangten sie zu wissen, welches  denn das Mittel der Liberalen gegen die Arbeitslosigkeit sei. Von  beiden Parteien erhielten die Sozialisten die gleichen Antworten:  Gewaltandrohungen und die Aufforderung, „die Versammlung nicht zu  stören". 
    Diese Sozialisten hielten selbst ziemlich viele improvisierte  Versammlungen ab. Immer wieder, während sie ihre Flugblätter  verteilten, begann ein unvorsichtiger Anhänger des kapitalistischen  Systems einen Wortwechsel, und dann sammelte sich bald eine  Menschenmenge um sie und hörte zu. 
    Zuweilen gelang es den Sozialisten, durch ihre Diskussion ihre Gegner  völlig in die Enge zu treiben; denn sowohl die Liberalen als auch die  Tories konnten unmöglich leugnen, dass die Maschinen die Ursache des  übersättigten Arbeitsmarktes sind, dass der übersättigte Arbeitsmarkt  die Ursache der Arbeitslosigkeit ist, dass die Tatsache des ständigen  Bestehens einer Reservearmee von Arbeitslosen, die darauf warten,  anderen Leuten den Arbeitsplatz zu nehmen, die Unabhängigkeit der  Beschäftigten vernichtet und diese ihren Herren unterwürfig hält. Es  war ihnen unmöglich zu leugnen, dass diese Maschinen nicht zum Wohl  aller benutzt werden, sondern zu dem Zweck, für wenige ein Vermögen zu  schaffen. Kurz, es war unmöglich zu widerlegen, dass der  ausschließliche Besitz an Grund und Boden sowie an Maschinen durch  verhältnismäßig wenige Leute die Ursache für die Armut der Mehrheit  ist. Hielt man ihnen aber diese Argumente vor, auf die sie nichts  erwidern konnten, und wies sie darauf hin, dass die einzig wirksamen  Gegenmittel das gesellschaftliche Eigentum und die gesellschaftliche  Verwaltung der Produktionsmittel sind, so bewahrten sie ärgerliches  Stillschweigen und konnten dem keinen anderen Plan entgegenstellen. 
    Manchmal löste sich auch die Versammlung in eine Anzahl von heftigen  Disputen zwischen Liberalen und Konservativen auf, aus welchen die  Menge bestand; diese zersplitterte sich in viele Grüppchen, und welches  die ursprüngliche Streitfrage auch gewesen sein mochte - bald kamen sie  vom Hundertsten ins Tausendste, denn die Mehrzahl der Anhänger des  herrschenden Systems schienen un- 
    fähig zu sein, irgendein Thema zu seinem logischen Schluss zu  verfolgen. Eine Diskussion über dies oder jenes wurde begonnen; bald  danach tauchte irgendeine unwichtige Nebenfrage auf, dann wurde der  ursprüngliche Gesprächsgegenstand liegengelassen, sie stritten über die  Nebenfrage und schrieen einander an. Nach einem Weilchen tauchte eine  andere Nebenfrage auf, und dann wurde die erste gleichfalls  liegengelassen, und ein ärgerlicher Streit über die zweite Nebenfrage  entbrannte, während das ursprüngliche Thema völlig in Vergessenheit  geriet. 
    Sie wollten anscheinend nicht wirklich die Wahrheit entdecken oder den  richtigsten Weg finden, um eine Besserung ihrer Lage herbeizuführen;  ihr einziges Ziel schien zu sein, ihre Gegner totzureden. 
    Gewöhnlich ging Owen nach solchen Streitgesprächen allein davon; der  Kopf schmerzte ihm, und sein Herz war von unaussprechlicher  Niedergeschlagenheit und Trübsal erfüllt; er war bedrückt von der  wachsenden Überzeugung, es sei alles umsonst, es sei Wahnsinn, zu  erwarten, seine Arbeitskollegen werden jemals versuchen wollen, die  Ursachen, die ihre Leiden bewirkten, selbst zu begreifen. Nicht, als  wären diese Ursachen so versteckt, dass es außergewöhnlicher  Intelligenz bedurfte, um sie zu bemerken. Die Ursachen all des Elends  waren so offenbar, dass man einem Kind leicht hätte beibringen können,  sowohl die Ursachen als auch die Heilmittel zu verstehen; ihm jedoch  schien, die Mehrzahl seiner Arbeitskollegen seien von ihrer eigenen  geistigen Minderwertigkeit bereits so überzeugt, dass sie gar nicht  wagten, sich auf ihren Verstand zu stützen, um sich von ihm leiten zu  lassen, und dass sie es vorzogen, die Verwaltung ihrer Angelegenheiten  rückhaltlos in die Hände derer zu legen, die sich an ihnen mästeten und  die sie ausraubten. Sie kannten die Ursachen der Armut nicht, die sie  und ihre Kinder unaufhörlich in ihren grausamen Klauen gepackt hielt,  und - sie wollten sie gar nicht kennen! Erklärte man ihnen diese  Ursachen in solchen Worten und auf eine solche Weise, dass sie nahezu  gezwungen waren zu verstehen, und zeigte man ihnen nachher das  offensichtliche Gegenteil, so waren sie weder froh noch dafür  empfänglich, sondern sie schwiegen und ärgerten sich, weil sie keine  Antwort darauf wussten und es nicht widerlegen konnten. 
    Sie schwiegen - voller Furcht, ihrem eigenen Verstand zu trauen, und  der Grund für diese Haltung war, dass sie zwischen dem Zeugnis ihres  eigenen Verstandes und den Märchen wählen mussten, die ihnen ihre  Herren und Ausbeuter erzählt hatten. Und da sie nun diese Wahl zu  treffen hatten, hielten sie es für sicherer, ihren alten Führern zu  folgen, als sich auf ihr eigenes Urteil zu verlassen, denn von Kindheit  an war ihnen die Doktrin von ihrer eigenen geistigen und  gesellschaftlichen Minderwertigkeit eingeimpft worden, und sie brachten  ihre Überzeugung von der Wahrheit dieser Doktrin mit der unwürdigen  Bezeichnung zum Ausdruck, die sie so häufig auf den Lippen führten,  wenn sie von sich und voneinander sprachen: „Unsresgleichen!" 
    Sie kannten die Ursachen ihrer Armut nicht, sie wollten sie nicht kennen, sie  wollten nichts davon hören. 
    Alles, was sie wollten, war, dass man sie in Ruhe ließ, damit sie auch  weiterhin jenen folgen und sie verehren konnten, die sich ihre Einfalt  zunutze machten und sie der Früchte ihrer Arbeit beraubten - ihre alten  Führer, die Narren oder Schurken, die sie mit Worten abspeisten und die  sie in das Elend geführt hatten, in dem sie es jetzt anscheinend  zufrieden waren, für ihre Herren Schätze zusammenzuscharren und zu  hungern, wenn ihre Herren es für unvorteilhaft hielten, sie zu  beschäftigen. Es war, als unterstelle sich eine Herde törichter Schafe  einem Rudel rasender Wölfe. 
    Mehrmals kam die kleine Gruppe von Sozialisten gerade nur eben davon,  ohne verprügelt zu werden; es gelang ihnen jedoch, ohne größere Unfälle  die Mehrzahl ihrer Flugblätter an den Mann zu bringen. Eines Abends  spät wurden Barrington und Owen von den anderen getrennt, und kurz  darauf verloren auch diese beiden einander im Gedränge. 
    Gegen neun Uhr befand sich Barrington in einer großen Menge von  Liberalen und hörte demselben bezahlten Redner zu, der einige Abende  zuvor auf dem Hügel gesprochen hatte - der Mann mit der Narbe auf der  Stirn. Die Menge klatschte ihm laut Beifall, und Barrington grübelte  von neuem, wo er den Mann nur bereits gesehen hatte. Wie beim letzten  Mal, erwähnte der auch diesmal den Sozialismus nicht, sondern  beschränkte sich auf andere Dinge Barrington betrachtete ihn aufmerksam  und versuchte sich zu erinnern, unter welchen Umständen sie bereits  früher zusammengetroffen waren, und nun entsann er sich, dass es ja  einer der Sozialisten war, die an jenem Sonntagmorgen mit einem Trupp  Radfahrer in die Stadt gekommen waren, vor längerer Zeit, zu Beginn des  Sommers -der Mann, der danach mit dem Agitationswagen zurückgekehrt und  mit einem Stein niedergeschlagen worden war, als er versuchte, von der  Plattform des Wagens aus zu sprechen, der Mann, der von den Anhängern  des kapitalistischen Systems beinahe getötet worden wäre. Es war  derselbe Mann! Der Sozialist freilich war glattrasiert gewesen - dieser  Mann aber trug Bart und Schnurrbart -, Barrington war jedoch sicher,  dass es derselbe war. 
    Als der Mann seine Rede beendet hatte, stieg er herab und stellte sich  in den Schatten hinter dem Podium, während ein anderer zur Menge  sprach, und mit der Absicht, ihn anzusprechen, ging Barrington dorthin,  wo er stand. 
    Rings um sie war die Hölle los. Sie befanden sich in der Nachbarschaft  des Sklavenmarktes, in der Nähe des Springbrunnens auf der Großen  Paradeallee, wo mehrere Straßen zusammentrafen; an jeder Ecke fand eine  Versammlung statt, dazu noch eine Anzahl anderer an verschiedenen  Stellen des Fahrwegs und auf dem Bürgersteig der Paradeallee. Einige  der Versammlungen wurden von zwei oder drei Leuten durchgeführt, die  abwechselnd von kleinen, tragbaren Podien aus sprachen, die sie mit  sich führten und dort niedersetzten, wo sie glaubten, Aussicht auf ein  Publikum zu haben. 
    Hin und wieder wurden einige dieser armen Teufel -alle waren bezahlte  Redner - von einer feindseligen Menge umzingelt, wüst misshandelt und  zusammengeschlagen. Waren es Zollreformanhänger, so wurden sie von den  Liberalen überfallen, und umgekehrt. Reihen von Rowdys stolzierten Arm  in Arm hin und her und sangen: „Stimmt, stimmt, stimmt für den guten  alten Einfriedland" oder „für den guten alten Sweater", je nachdem, ob  sie grün oder blaugelb waren. Mit Stöcken bewaffnete Banden von  Radaubrüdern marschierten auf und ab, sangen, brüllten, fluchten und  blickten sich nach jemand um, den sie verprügeln konnten. Andere  standen in Gruppen auf dem Bürgersteig, die Hände in den Taschen, oder  lehnten, mit dem Ausdruck verzückter Geistesschwäche auf dem Gesicht,  gegen eine Wand oder gegen den Rolladen eines Geschäfts und sangen zum  Klang der Kirchenglocken das melancholische Klagelied: 
  „Guter - alter - Sweat-er  
    Guter - alter - Sweat-er  
    Guter - alter - Sweat-er  
    Guter - alter - Sweat-er." 
  Andere Gruppen sangen - auf die gleiche Melodie: 
  „Guter - alter - Einfried-land", 
  und hin und wieder unterbrachen sie ihren Gesang und begannen sich  miteinander zu prügeln. Schlägereien fanden statt, häufig unter  Arbeitern, wegen der jeweiligen Verdienste Adam Sweaters und Sir  Raffall von Einfriedlands. 
    Die Mauern waren mit riesigen Plakaten  der Liberalen und Konservativen bedeckt, und in jeder Zeile dieser  Plakate drückte sich die Verachtung ihrer Herausgeber für die  Intelligenz der Arbeiter aus, an die sie gerichtet waren. Ein Plakat  der Konservativen stellte das Innere eines Wirtshauses dar: Vor der  Bar, einen Literhumpen in der Hand, eine Tonpfeife im Mund und eine  Last Werkzeuge auf dem Rücken, stand ein verkommen aussehender, roher  Kerl, der verkörperte, wie nach dem Ideal der Tories ein Engländer  aussehen sollte; der Text auf dem Plakat besagte, dies sei ein Mann! So  sieht also das Ideal der Männlichkeit aus, das sie der Mehrzahl ihrer  Landsleute vorhalten; privatim jedoch - unter sich - betrachten die  konservativen Aristokraten solche „Männer" mit weit weniger Achtung,  als sie für die niedrigeren Tiere empfinden -Pferde und Hunde zum  Beispiel. 
    Die Plakate der Liberalen waren nicht ganz so beleidigend. Sie waren  verschlagener, scheinbar wahrhaftiger, heuchlerischer und daher mehr  darauf berechnet, die Intelligenteren unter den Wählern irrezuführen  und zu täuschen. 
    Als Barrington hinter das Podium gelangte, fand er dort den Mann mit  der Narbe im Gesicht allein und trübselig schweigend im Schatten  stehend. Barrington gab ihm eines der Flugblätter der Sozialisten; der  Mann nahm es, und nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte steckte  er es in seine Rocktasche, ohne etwas darüber zu bemerken. 
    „Ich hoffe, Sie werden meine Frage verzeihen - aber waren Sie nicht früher  Sozialist?" fragte Barrington. 
    Selbst im Halbdunkel sah er, wie der andere heftig errötete und dann  erblasste, während die hässliche Narbe an dessen Stirn mit furchtbarer  Deutlichkeit sichtbar wurde. 
    „Ich bin noch immer Sozialist; niemand, der jemals Sozialist war, kann  aufhören, es zu sein." 
    „Sie scheinen das Unmögliche fertig gebracht zu haben, nach der Arbeit  zu urteilen, mit der Sie sich augenblicklich befassen. Sie müssen Ihre  Meinung geändert haben, seit Sie das letzte Mal hier waren." 
    „Keiner, der Sozialist ist, kann jemals aufhören, Sozialist zu sein.  Für einen Mann, der einmal Wissen erworben hat, ist es unmöglich, es  wieder fahrenzulassen. Ein Sozialist ist ein Mensch, der die Ursachen  des Elends und der Erniedrigung versteht, die wir ringsum sehen, der  das einzige Mittel dagegen kennt und weiß, dass dieses Mittel - die  Gesellschaftsordnung, die eben Sozialismus genannt wird - schließlich  eingeführt werden muss und dass es die einzige Alternative zur  Ausrottung der Mehrheit der Arbeiterschaft ist; daraus folgt jedoch  nicht, dass jeder, der genügend Verstand hat, sich dieses Maß an Wissen  anzueignen, darüber hinaus auch noch willens sein muss, sich zu opfern,  um diese Gesellschaftsordnung ins Leben zu rufen. Als ich dieses Wissen  erworben hatte", fuhr er bitter fort, „brannte ich zuerst darauf,  anderen die gute Botschaft zu bringen. Ich opferte meine Zeit, mein  Geld, meine Gesundheit, um andere zu lehren, was ich selbst gelernt  hatte. Ich tat es bereitwillig und gern, weil ich dachte, sie würden  sich freuen, die Botschaft zu hören, 
    und sie seien die Opfer wert, die ich um ihretwillen brachte. Jetzt bin ich  jedoch eines Besseren belehrt worden." 
    „Selbst wenn Sie nicht mehr an die Arbeit für den Sozialismus glauben,  brauchten Sie doch zumindest nicht dagegen zu arbeiten. Wenn Sie schon  nicht bereit sind, sich zum Wohle anderer zu opfern, so könnten Sie  zumindest davon Abstand nehmen, ihnen zu schaden. Wenn Sie schon nicht  helfen wollen, bessere Zustände zu schaffen, so gibt es doch keinen  Grund, weshalb Sie helfen, das gegenwärtige System zu verewigen." 
    Der andere lachte bitter. „O doch, es gibt einen, und zwar einen sehr guten  Grund." 
    „Ich glaube nicht, dass Sie mir einen Grund anführen könnten", sagte  Barrington. 
    Der Mann mit der Narbe lachte von neuem - das gleiche unangenehme,  unfrohe Lachen ~, steckte die Hand in die Hosentasche und zog sie voll  Silbermünzen wieder heraus, und auch ein oder zwei Goldstücke blitzten  darunter. 
    „Das hier ist mein Grund. Als ich mein Leben und die Fähigkeiten, die  ich besitze, dem Dienst an meinen Arbeitskollegen widmete, als ich  versuchte, sie zu lehren, wie sie ihre Ketten zerbrechen könnten, als  ich mich bemühte, ihnen beizubringen, wie sie ihre Kinder vor der Armut  und einer erniedrigenden Knechtschaft bewahren könnten, wollte ich  nicht, dass sie mir Geld gaben. Ich tat es aus Liebe zur Sache. Und sie  lohnten es mir mit Hass und Schmähungen. Seit ich aber ihren Herren  helfe, die sie berauben, behandeln sie mich mit Achtung." 
    Barrington antwortete nicht, und nachdem sich der andere das Geld  wieder in die Tasche gesteckt hatte, deutete er mit einer  weitausholenden Handbewegung auf die Menge. 
    „Sehen Sie sich das nur an!" fuhr er verächtlich lachend fort. „Sehen  Sie sich nur die Leute an, aus denen Sie versuchen, Idealisten zu  machen! Einige heulen und brüllen wie wilde Tiere oder lachen wie  Schwachsinnige, andere stehen mit stumpfen, blöden, jeder Spur von  Intelligenz und allen Ausdrucks baren Gesichtern da und hören den  Rednern zu, deren Worte ihren verkümmerten Gehirnen nichts sagen; aus  den Augen anderer wieder funkelt der 
    wilde Hass gegen ihre Mitmenschen, während sie eifrig nach einer  Gelegenheit Ausschau halten, einen Streit vom Zaun zu brechen, damit  sie ihrer brutalen Natur Genüge tun und jemand schlagen können - ihre  Augen hungern nach dem Anblick von Blut! Sehen Sie denn nicht, dass  diese Leute, die Sie zum Verständnis Ihres Planes der Welterneuerung zu  bringen versuchen, Ihrer Lehre von der allgemeinen Brüderlichkeit und  Liebe, dass sie zum größÂten Teil - verstandesmäßig - auf der Stufe von  Hottentotten stehen? Die einzigen Dinge, wofür sie sich wirklich  interessieren, sind Bier, Fußball, Wetten und - natürlich -noch ein  Gebiet. Ihr höchster Ehrgeiz ist, die Erlaubnis zu erhalten, zu  arbeiten. Und für ihre Kinder wünschen sie sich auch nichts Besseres! 
    [Nie in ihrem Leben haben sie] einen selbständigen Gedanken gehabt. Das  sind die Leute, die Sie mit erhabenen Idealen zu erfüllen hoffen!  Ebenso gut können Sie versuchen, eine Goldbrosche aus einem Klumpen  Dung zu machen! Versuchen Sie doch, vernünftig mit ihnen zu reden, sie  emporzurichten, ihnen den Weg zu Höherem zu zeigen. Widmen Sie doch Ihr  ganzes Leben und Ihren Verstand der Arbeit, bessere Lebensbedingungen  für sie zu schaffen, und Sie werden feststellen, dass sie selbst der  Feind sind, gegen den Sie kämpfen müssen. Sie werden Sie hassen, und  wenn diese Leute die Möglichkeit haben, werden sie Sie in Stücke  reißen. Wenn Sie aber ein intelligenter Mensch sind, so benutzen Sie  Ihre Gaben und Ihre Intelligenz zu Ihrem eigenen Nutzen. Denken Sie  nicht mehr an den Sozialismus noch an sonst einen ,Ismus'.  Konzentrieren Sie sich darauf, Geld zu erwerben - es macht nichts aus,  wie Sie es erwerben, aber erwerben Sie es. Können Sie es nicht auf  ehrliche Weise erwerben, so erwerben Sie es auf unehrliche, aber  erwerben Sie es! Das ist das einzige, was zählt. Machen Sie's wie ich -  berauben Sie sie! Und dann werden sie einige Achtung vor Ihnen haben." 
    „Es ist etwas an dem, was Sie sagen", erwiderte Barrington nach einer  langen Pause, „aber nicht alles stimmt. Die Umstände machen uns zu dem,  was wir sind, und die Kinder jedenfalls sind es wert, dass man für sie  kämpft." 
    „So mögen Sie jetzt denken", sagte der andere, „aber 
    eines Tages werden Sie die Dinge so ansehen wie ich. Und was die Kinder  betrifft - wenn ihre Eltern sich damit zufriedengeben, sie zu  halbverhungerten Packeseln für andere Leute aufwachsen zu lassen, dann  sehe ich nicht ein, weshalb Sie und ich uns den Kopf darüber zerbrechen  sollten. Wenn Sie auf die Vernunft hören wollen", fuhr er nach einer  Pause fort, „kann ich Sie zu etwas führen, was Ihnen mehr wert sein  wird als Ihr ganzer Sozialismus." „Was meinen Sie?" 
    „Hören Sie her: Sie sind Sozialist; nun, ich bin gleichfalls Sozialist  - das heißt, ich habe Verstand genug, um zu glauben, dass der  Sozialismus durchführbar, unvermeidlich und richtig ist; er wird  kommen, wenn die Mehrzahl der Menschen aufgeklärt genug sein wird, um  ihn zu fordern; diese Aufklärung wird jedoch niemals erreicht werden,  indem man mit ihnen diskutiert und argumentiert, denn diese Leute sind  verstandesmäßig einfach nicht fähig zu abstraktem Denken - Theorien  können sie nicht begreifen. Sie wissen doch, was der verstorbene Lord  Salisbury über sie sagte, als jemand vorschlug, ihnen einige kostenlose  Büchereien zu geben; er sagte: ,Büchereien wollen sie nicht - gebt  ihnen einen Zirkus.' Sehen Sie, diese Liberalen und diese Tories  verstehen, mit welcher Art von Menschen sie es zu tun haben; sie  wissen, dass zwar ihr Körper der erwachsener Menschen ist, ihr Geist  jedoch der kleiner Kinder. Eben das ist der Grund, weshalb es so lange  möglich war, sie zu hintergehen, sie irrezuführen und zu berauben. Ihre  Partei jedoch besteht darauf, sie als vernünftige Wesen zu betrachten -  und darin liegt Ihr Fehler; Sie verschwenden nur Ihre Zeit. 
    Der einzige Weg, diese Menschen zu belehren, ist durch  Anschauungsunterricht, und den haben sie täglich in wachsendem Maße.  Die Kartellierung der Industrie - der Anschauungsunterricht, der die  Möglichkeit kollektiven Eigentums demonstriert - wird mit der Zeit  selbst diese Leute hier zwingen zu begreifen, und wenn sie das gelernt  haben, werden sie auch durch bittere Erfahrung, und nicht durch  theoretischen Unterricht, gelernt haben, dass sie entweder die Truste  besitzen oder untergehen müssen, und dann -und erst dann - werden sie  den Sozialismus errichten. Inzwischen aber findet diese Wahl hier  statt. Glauben Sie es mache wirklich einen Unterschied - zum Guten oder  zum Bösen -, welcher der beiden Leute gewählt wird?" „Nein", erwiderte  Barrington. 
    „Nun, beide können Sie sie nicht aus dem Amt halten -einen eigenen  Kandidaten haben Sie nicht -, weshalb also hätten Sie etwas dagegen,  ein paar Pfund zu verdienen indem Sie einem von beiden zum Amt  verhelfen? Es gibt genügend Wähler, die zweifeln, was sie tun sollen;  wie Sie und ich wissen, gibt es nur allzu guten Grund, weshalb sie sich  nicht entscheiden können, welcher dieser beiden Kandidaten der  schlimmere ist; ein Wort von Ihrer Partei ließe sie zu einem Entschluss  kommen. Da Sie ja selbst keinen Kandidaten haben, täten Sie dem  Sozialismus keinen Abbruch, sich selbst aber etwas Gutes. Wenn Sie  jetzt mit mir kommen wollen, stelle ich Sie Sweaters Agenten vor -  niemand braucht etwas davon zu wissen." Er nahm Barringtons Arm; der  machte sich jedoch frei. „Wie Sie wollen", sagte der andere und tat  gleichgültig. „Sie müssen ja wissen, was Sie wollen. Sie können  meinetwegen ein Christus sein, aber was mich betrifft - ich bin fertig  damit. In Zukunft beabsichtige ich, für mich selbst zu sorgen. Und was  diese Leute hier angeht - sie stimmen, wofür sie wollen, sie erhalten,  wofür sie gestimmt haben, und wahrhaftig - sie verdienen nichts  Besseres! Sie werden mit den Peitschen geschlagen, die sie sich selbst  ausgewählt haben, und wenn es nach mir ginge, züchtigte man sie mit  Skorpionen! Für sie bedeutet das gegenwärtige System freudlose  Schufterei, halbes Verhungern, zerlumpte Kleidung und vorzeitigen Tod.  Für all das stimmen sie, und das stützen sie. Nun, so sollen sie eben  haben, wofür sie stimmen - sollen sie doch schuften, sollen sie doch  hungern!" 
    Der Mann mit der Narbe auf dem Gesicht sprach nicht weiter, und einige  Augenblicke lang antwortete Barringion nicht. 
    „Es lässt sich wohl entschuldigen, dass Sie so denken", sagte der  schließlich langsam, „mir scheint aber, Sie ziehen die Umstände nicht  genügend in Betracht. Von Kindheit an sind die meisten von Predigern  und Eltern gelehrt worden, sich und ihre eigene Klasse mit Verachtung  anzusehen - als eine Art niedere Tiere -, und Leute, die Reichtum  besitzen, mit Verehrung, als höhere Wesen. Der Gedanke, dass sie  wirklich menschliche Wesen, von Natur aus den so genannten besseren  Leuten völlig gleich, ihnen von Natur aus in jeder Weise völlig  ebenbürtig sind, von Natur aus von ihnen verschieden nur insofern, als  sich auch die so genannten ,Höheren' voneinander unterscheiden, und  diesen unterlegen nur, weil ihnen Bildung, Kultur und Möglichkeiten  vorenthalten wurden - Sie wissen doch ebenso gut wie ich, dass sie alle  gelehrt wurden, diesen Gedanken als widersinnig anzusehen. 
    Die, wie sie sich selbst betiteln, ,christlichen' Prediger, die mit  heimlichem Vorbehalt sagen, Gott sei unser Vater, und alle Menschen  seien Brüder, haben es fertig gebracht, die Mehrzahl dieser ,Brüder'  davon zu überzeugen, es sei deren Pflicht, sich mit ihrer Erniedrigung  zufrieden zu geben und sich ihren Herren tiefgebückt und ehrfürchtig  unterzuordnen. Ihr Zorn sollte gegen die Betrüger und nicht gegen die  Betrogenen gerichtet sein." 
    Der andere lachte bitter. 
    „Nun, so gehen Sie hin und versuchen Sie, ihnen die Augen zu öffnen",  sagte der Mann, während er auf einen Ruf seiner Kollegen zum Podium  zurückkehrte. „Gehen Sie hin und versuchen Sie, ihnen beizubringen,  dass das Höchste Wesen die Erde und all ihren Reichtum zur Benutzung  und zum Wohle aller Seiner Kinder geschaffen hat. Gehen Sie hin und  versuchen Sie, ihnen zu erklären, dass sie die Armen an materiellen und  geistigen Gütern und in der gesellschaftlichen Stellung nicht wegen  irgendeiner naturgegebenen Minderwertigkeit sind, sondern weil sie um  ihr Erbe gebracht wurden. Gehen Sie doch hin und versuchen Sie, ihnen  zu zeigen, wie sie sich und ihren Kindern dieses Erbe sichern können -  und Sie werden sehen, wie dankbar sie Ihnen sein werden." 
    Während der nächsten Stunde ging Barrington niedergeschlagen durch das  Straßengedränge. Seine Unterhaltung mit dem Renegaten schien ihm allen  Mut geraubt zu haben. Er hatte noch immer eine Anzahl Flugblätter; aber  die Aufgabe, sie zu verteilen, war ihm plötzlich unangenehm 
    geworden, und nach einer Weile hörte er damit auf. Seine ganze  Begeisterung war verschwunden. Wie ein aus einem Traum Erwachter sah er  die Menschen ringsum in anderem Licht. Zum ersten Male maß er der  beleidigenden Haltung der meisten Leute, denen er die Zettel gab,  richtiges Gewicht bei. Einige weigerten sich grob, sie zu nehmen, ohne  sich auch nur die Mühe zu machen nachzusehen, wovon sie handelten;  andere ließen sie sich geben, und nachdem sie einen Blick auf den Text  geworfen hatten, zerknüllten sie sie in der Hand und warfen sie  herausfordernd fort. Wieder andere, die ihn als Sozialisten erkannten,  lehnten mit einem Fluch oder mit beleidigenden Schimpfworten ärgerlich  oder verächtlich ab, sie zu nehmen. 
    Nun zog eine Menge von etwa dreißig oder vierzig Menschen, die auf der  Straßenseite bei einer Gaslaterne versammelt waren, seine  Aufmerksamkeit auf sich. Aus der Mitte der Gruppe klangen viele  ärgerliche Stimmen, und als Barrington am äußeren Rande dieser Menge  stand, konnte er, da er groß war, in die Mitte sehen, wo er Owen  erblickte. Das Licht der Straßenlaterne fiel voll auf dessen bleiches  Gesicht, während er schweigend inmitten eines Kreises wütender Männer  stand, die ihn alle gleichzeitig anschrieen und deren heimtückische  Gesichter den Ausdruck wilden Hasses trugen, während sie die törichten  Anklagen und Verleumdungen herausbrüllten, die sie in den liberalen und  in den konservativen Zeitungen gelesen hatten. 
    Die Sozialisten wollten die Religion und die Moral abschaffen! Freie  Liebe und Atheismus einführen! Alles Geld, das die Arbeiterschaft in  der Postsparkasse und bei den Unterstützungsvereinen gespart hatte,  sollte ihr geraubt und unter einen Haufen besoffener Taugenichtse  verteilt werden, die zu faul waren, um zu arbeiten! Det König und die  gesamte königliche Familie sollten umgebracht werden! Und so fort. 
    Owen versuchte nicht, darauf zu antworten, und die Haltung der Menge  wurde mit jedem Augenblick bedrohlicher. Ganz offensichtlich hielten  sich einige nur mühsam davon zurück, sich auf ihn zu stürzen. Es war ja  eine so ausgezeichnete Gelegenheit, eine kleine Schlägerei zu  veranstalten, ohne irgendein Risiko einzugehen! Der Kerl war 
    doch ganz allein und schien ohnehin nicht sehr kräftig zu sein. Die in  der Mitte Stehenden wurden durch die Rufe anderer aus der Menge  ermutigt, die sie anfeuerten: „Los, auf ihn!", und endlich - fast im  gleichen Augenblick, in dem Barrington herbeikam - hob einer der  Helden, der sich nicht länger beherrschen konnte, einen schweren Stock  und versetzte Owen einen heftigen Schlag quer über das 
    Gesicht. Der Anblick des Bluts machte die übrigen rasend, und im  Handumdrehen nahm jeder, der in Reichweite an Owen herankommen konnte,  am Überfall teil; sie langten einander eifrig über die Schultern und  hieben mit Fäusten und Stöcken auf Owen ein, und ehe Barrington sich zu  ihm drängen konnte, hatten sie ihn zu Boden geschlagen und begonnen,  ihn mit ihren Stiefeln zu bearbeiten. 
    Barrington fühlte sich selbst wie ein wildes Tier, als er sich wütend  durch die Menge hindurchkämpfte und die Leute mit Fäusten und Ellbogen  nach rechts und nach links stieß. Er erreichte rechtzeitig den  Mittelpunkt, um den erhobenen Arm des Mannes, der den Angriff begonnen  hatte, zu packen, wand ihm den Stock aus der Hand und streckte ihn mit  einem einzigen Schlag zu Boden. Die übrigen wichen zurück, während  andere, die herbeigerannt kamen, die Menge vergrößerten. 
    Einige dieser Neuankömmlinge waren Liberale und einige Konservative,  und da sie nicht wussten, worum der Streit ging, griffen sie einander  an. Die Liberalen stürzten sich auf die, welche die Farben der  Konservativen trugen, und umgekehrt, und innerhalb von wenigen Sekunden  entbrannte eine allgemeine Schlägerei, obwohl die meisten von denen,  die zu der ursprünglich dort anwesenden Menge gehörten, fortrannten,  und inmitten der nun entstehenden Verwirrung gelangten Barrington und  Owen ohne weitere Belästigung aus dem Gedränge. 
    Montag war der letzte Tag der Wahlkampagne - der Wahltag -, und infolge  der vielen umhersausenden Autos waren die Straßen für den normalen  Verkehr wenig sicher. Die Reichen, denen diese Wagen gehörten... 
    Das Ergebnis der Wahl sollte am Abend dieses Tages um elf Uhr auf einer  beleuchteten Tafel am Rathaus angezeigt werden, und bereits lange  vorher versammelte sich eine riesige Menschenmenge in den umliegenden  Straßen. Gegen zehn Uhr begann es zu regnen, die Menge aber hielt aus  und wuchs im Laufe der Zeit noch an. Um drei Viertel elf steigerte sich  der Regen zu einem heftigen Guss; aber die Leute blieben und warteten  auf Nachricht, welcher der beiden Helden gesiegt hatte. Es wurde elf  Uhr, und tiefstes Schweigen herrschte in der Menge, deren Blicke  begierig auf das Fenster geheftet waren, in dem das Schild ausgestellt  werden sollte. Nach dem außerordentlichen Interesse zu urteilen, das  diese Leute zeigten, hätte man meinen sollen, sie erwarteten, durch das  Resultat einen großen Vorteil zu genießen oder einen großen Verlust zu  erleiden; natürlich aber war das nicht der Fall, denn die meisten  wussten recht gut, dass das Ergebnis dieser Wahl für sie ebenso wenig  einen wirklichen Unterschied bedeutete wie das aller vorhergehenden  Wahlen. 
    Sie waren neugierig, wie die Zahlen aussähen. Auf den Wahllisten  standen zehntausend Wähler. Um Viertel nach elf Uhr wurde das Schild  beleuchtet, die Zahlen aber wurden noch nicht gezeigt. Danach glitten  die Namen der beiden Kandidaten in Sicht, während die Zahlen noch immer  fehlten; jedoch stand von Einfriedlands Name oben, und heiseres  Triumphgeschrei drang aus den Kehlen seiner Bewunderer. Dann wurden die  beiden Namenszüge zurückgezogen, und das Schild war wieder leer. Nach  einer Weile begannen die Leute wegen all dieser Verzögerung und dieses  Herumwirtschaftens zu murren, und nun fingen einige an zu johlen und zu  pfeifen. 
    Nach einigen Minuten glitten die Namen wieder in Sicht, diesmal stand  Sweaters Name oben, und unmittelbar danach erschienen auch die Zahlen: 
    Sweater.........................4221 
    von Einfriedland.......4200 
    Es dauerte einige Sekunden, bis die Liberalen ihren Augen trauten; es  war zu schön, um wahr zu sein. Unmöglich zu sagen, welches der Grund  für den wilden Ausbruch entzückter Begeisterung war, der nun folgte -  welches der Grund aber auch sein mochte, welches der Vorteil auch war,  den sie zu ernten hofften -, die Tatsache blieb. Alle jubelten sie und  tanzten sie und schüttelten einander die Hände, und einige waren vor  unerklärlicher Freude so überwältigt, dass sie kaum sprechen konnten.  Es war höchst erstaunlich und geheimnisvoll. 
    Einige Minuten nach der Verkündung erschien Sweater am Fenster und  hielt eine Art Rede; für die jubelnde Menge waren jedoch nur  Bruchstücke zu hören, und hin und wieder fing sie Ausdrücke auf wie  „Vernichtender Schlag", - „Das Land im Sturm genommen", - „Die erhabene  alte liberale Flagge" und dergleichen mehr. Danach erschien von  Einfriedland, und man sah, wie er Sweater, den er als „Mein Freund"  bezeichnete, die Hand schüttelte. Als die beiden „Freunde" vom Fenster  verschwanden, stürzten sich diejenigen Liberalen unter der Menge, die  sich nicht in einem Faustkampf mit ihren Feinden - den Tories -  befanden, zum Vordereingang des Rathauses, wo Sweaters Wagen wartete,  und sobald er seine fetten Rundungen darin verstaut hatte, führten sie  die Pferde vom Wagen fort, spannten sich statt ihrer unter rasendem  Jubelgebrüll selbst davor und zogen ihn durch den Schlamm und den  herniederströmenden Regen den ganzen Weg entlang bis zur „Höhle" - die  meisten waren es ja gewohnt, als Lasttiere zu dienen -, wo Sweater vom  Balkon aus abermals einige Worte an sie richtete. 
    Danach, als sie vom Regen durchweicht und von Kopf bis Fuß  schlammbedeckt nach Hause gingen, sagten sie, es sei doch ein großer  Sieg für die Sache des Fortschritts! Wahrhaftig, die Wölfe haben  leichte Beute.  | 
  
    
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