Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
http://nemesis.marxists.org

Letzte Kriegsmonate in Lazaretten und als Techniker im Elsass

Vierzehn Tage darauf wurde ich einem Lazarett in Süddeutschland überwiesen. Der Jammer, den ich dort sah, ist kaum zu beschreiben. Mein Bettnachbar, dem durch einen Granatsplitter die Hoden weggerissen worden waren, wollte nicht mehr weiterleben. Er hatte schon viele Selbstmordversuche gemacht, die aber jedes Mal durch die Wärter vereitelt wurden. Der Unglückliche bewies eine zähe Beharrlichkeit. Von einem kleinen Feldpostkarton, in dem man ihm Liebesgaben geschickt hatte, löste er eine winzige Blechecke, die den Karton zusammenhielt. Mit diesem kleinen, kaum sichtbaren Stückchen Blech ritzte er sich unter der Bettdecke den ganzen Leib auf und nahm mit den Händen die Gedärme heraus, während der Wärter nichts ahnend an seinem Bette saß.
Nachdem meine Füße geheilt waren, kam ich in die Ulanenkaserne in Oschatz. Hier begegnete ich einem dicken Wachtmeister, der nie an der Front gewesen war und immer nur Rekruten gedrillt hatte. Er machte mir in herausforderndem Ton Vorhaltungen darüber, dass ich - mit meinen kaum genesenen Füßen - nicht schnell genug laufe. Ich geriet schließlich in Wut und verprügelte ihn. Das hatte den Erfolg, dass man mich auf Erholungsurlaub zu meiner Frau Klara schickte. Ich hatte sie einige Jahre vor dem Krieg kennen gelernt und 1915 geheiratet.
Nach dem Erholungsurlaub sollte ich wieder in die Kaserne zurück. Mir graute vor neuen Zusammenstößen mit den Vorgesetzten, und ich machte auf der Rückreise in die Kaserne einen fingierten Selbstmordversuch. Sanitäter brachten mich vom Leipziger Hauptbahnhof in ein Lazarett; dort ohrfeigte ich einen Hilfsarzt, der mich grob behandelte. Im Herbst 1918 wurde ich als dienstuntauglich und kriegsbeschädigt mit einer monatlichen Rente von 40 Mark aus dem Heeresdienst entlassen.
Ich suchte nun die Rückkehr in meinen Technikerberuf und fand Anstellung bei einer großen Eisenbetonbaufirma. Am Vorabend der Novemberumwälzung arbeitete ich in der Nähe von Mülhausen, dicht an der französischen Front, für eine Dresden-Leipziger Eisenbetonfirma. Die baute im Auftrage der Heeresleitung Betonunterstände für die Artillerie und Drahtverhaue in solchem Umfang, dass man glauben konnte, der Krieg werde noch vier bis fünf Jahre dauern. Es ging das Gerücht um - wenige Tage vor der Flucht des Kaisers -, dass große Kämpfe bevorständen und die
Franzosen an dieser Stelle einen Durchbruch unternehmen wollten.
Ich hatte als Bauführer die Aufsicht über etwa zweihundert Arbeiter, Zimmerer und Maurer.

Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur