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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Ich mache mich mit der Theorie des Sozialismus bekannt

Da ich meine agitatorische Tätigkeit in Mitteldeutschland infolge der Denunziation nicht mehr fortsetzen konnte, entschied die Partei, dass ich in einem anderen Bezirk Deutschlands als Agitator arbeiten solle. Ich hatte aber während meiner Versammlungstätigkeit in den letzten Wochen und Monaten erkannt, dass mir die theoretisch-marxistische Schulung fehlte, die Voraussetzung für agitatorisches Wirken ist. In den ersten Monaten meiner politischen Tätigkeit als Arbeitslosenrat und Versammlungsredner hatte ich nur wenig Zeit und Gelegenheit, Bücher zu lesen, da sich die Ereignisse fortwährend überstürzten und ich aus einer Aufregung in die andere geschleudert wurde.
Ich hatte Kurt Eisner: »Das Ende des Reiches« und Werner Sombart: »Das Proletariat« und einige andere seiner Bücher gelesen. Von der einschlägigen Literatur über Gewerkschafts- und politische Fragen kannte ich nur Hermann Gorter: »Der historische Materialismus«. In den Jahren vor der November-Umwälzung hatte ich ausschließlich technische Bücher gelesen.
Das kleine Buch von Gorter, das ich während meiner Versammlungstätigkeit fast auf jeder Bahnfahrt und wo ich nur irgendwie Zeit fand, las und durcharbeitete, hatte mir zum Bewusstsein gebracht, dass mir in theoretischer Hinsicht noch jede Grundlage fehlte und dass es höchste Zeit war, das bisher Versäumte nachzuholen. Ich wollte tiefer eindringen in die Probleme des wissenschaftlichen Sozialismus, der Lehre von der Befreiung der Werktätigen. Deshalb war ich sehr froh, als ich auf dem Bahnsteig in Halle an der Saale den Genossen Otto Rühle traf, den ich von einer Versammlung in Falkenstein her kannte. Otto Rühle erzählte mir, dass er im Auftrage der Partei in der Nähe von Hannover einen sozialistischen Kursus für Arbeiter und Studenten abhalte. Hannover war auch mein Reiseziel. Ich wollte meine Frau besuchen, die dort bei meiner verheirateten Schwester lebte. In dem kleinen Ort Walsrode in der Lüneburger Heide machte ich Rühles sechswöchigen sozialistischen Lehrkursus mit.
Ich hatte bis zum Kriege am politischen Leben nicht teilgenommen, da mir jedwede Anregung dazu vollkommen fehlte. Erst durch die Erlebnisse im Kriege und während der November-Umwälzung geriet ich rein gefühlsmäßig ins politische Fahrwasser. Die Erlebnisse während meiner vierjährigen Tätigkeit an der Front hatten mein Innerstes aufgewühlt und mir meine religiöse Weltanschauung genommen.
Bis zu dem Kursus von Otto Rühle glaubte ich, dass eine proletarische Revolution zur Befreiung der Unterdrückten und Ausgebeuteten gemacht werden könne durch den Willen und den Mut einiger hundert opfermütiger Menschen. Erst die Einführung in den wissenschaftlichen Sozialismus gab mir die Erkenntnis, dass eine Revolution nicht ausbricht, weil Hunderte oder Millionen Proletarierherzen ihr entgegenschlagen, sondern dass die soziale Umwälzung vor allem bedingt wird durch die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise.

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