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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Illegal als Agitator nach Nordbayern und Mitteldeutschland

Während der folgenden Tage und Wochen war es mir unmöglich, nach Falkenstein zurückzukehren. Das Militär hatte Verstärkung bekommen, der Ort und die Umgebung glichen einem Heerlager.
Eines Tages stürzten in mein Auerbacher Quartier aufgeregt zwei Genossen. Sie riefen mir zu, ich müsse sofort verschwinden, heute Abend werde Auerbach besetzt, die Spitzel hätten herausgefunden, wo ich mich verborgen halte. Vor allem aber müsse ich mir die langen Haare abschneiden lassen, da sie jetzt nur nach einem mit langen Haaren suchten.
Ich hatte keine Lust, mir das Haar abschneiden zu lassen, aber dass ich nicht bleiben konnte, sah ich ein. In derselben Nacht marschierte ich zu Fuß mit zwei Genossen von Auerbach bis an die tschechische Grenze, wo ich frühmorgens ankam. Die Genossen kehrten zurück, und ich wanderte in unbestimmter Richtung weiter. Gegen Mittag wurde es so drückend heiß, dass ich beschloss, mir meinen Kopfpelz doch abnehmen zu lassen. In einem Dorfe machte ich Rast und fragte nach dem Barbier. Man wies mich in ein Bauernhaus. Dort sagte mir eine alte Frau, ihr Mann sei Barbier, aber er arbeitete jetzt auf dem Felde und im Steinbruch. Ich wartete im Hof, bis der Barbier mit seinem Wagen und den beiden Kühen heimkehrte. Er holte umständlich einen Stuhl aus dem Haus und setzte ihn mitten auf den Hof. Während er mir gemächlich die Haare abschnitt, erzählte er, dass jetzt ganz tolle Zeiten wären, nach dem Krieg sei alles außer Rand und Band geraten. In Falkenstein im Vogtland herrschten die Kommunisten, ganze Regimenter würden ausgeschickt, um den Kerl, den Hoelz zu fangen; dieser Halunke müsse bestimmt eine Verbindung mit dem Teufel haben, denn es sei fast ein Wunder, dass er immer wieder entwische.
Um mich herum lagen die schönen langen Haare. Ich beschloss, sie dem Oberst Berger, dem Führer der Truppen in Falkenstein, zu schicken. Zu dem Zweck ließ ich mir von dem Barbier einen Briefumschlag geben, steckte die Haare hinein, drückte dem braven Mann die Hand und sagte, er solle nie vergessen, dass er heute dem Hoelz die Haare geschnitten habe. Vor Schreck fiel ihm die Schere aus der Hand. Ich schrieb einen Zettel an den Oberst Berger: »Hier sind die langen Haare, suchen Sie sich den Kerl dazu!« und sandte das ganze ab.
Am nächsten Tag kam ich auf meiner Fußwanderung gegen Mittag in Hof in Bayern an. Von Arbeitern hörte ich, dass nachmittags eine Versammlung stattfinden sollte, in der USPD-Vertreter und Abgesandte von Ruhrzechen sprechen würden, um die Arbeitslosen von Hof unter falschen Vorspiegelungen zu überreden, im Ruhrgebiet Arbeit anzunehmen. Ich nahm an dieser Versammlung teil. Das, was ich zu hören bekam, veranlasste mich, das Wort zu ergreifen und die Arbeitslosen aufzufordern, sich erst einmal zu organisieren. Auch dürften sie sich nicht als Lohndrücker gegen die Bergkumpels im Ruhrgebiet verwenden lassen, sondern nur zu dem Lohn arbeiten, den die organisierten Bergarbeiter bekämen. Außerdem sollten sie sich menschenwürdige Wohnräume ausbedingen.
Obwohl der USPD-Mann Blumentritt im Verein mit den Vertretern des Zechenkapitals sich bemühte, mich mundtot zu machen, war es mir möglich, in dieser Versammlung einen Arbeitslosenrat wählen zu lassen, der noch am selben Tage seine Funktion aufnahm. Am nächsten Tag zeigte sich ein weiterer Erfolg; als ich wiederum in einer grö­ßeren Versammlung auf einem freien Platz zu den Arbeitern sprach, wurden plötzlich unter den Massen durch die USPD Tausende von Flugblättern mit folgendem Wortlaut verbreitet:
»Ein entlarvter Arbeiterverräter! Am gestrigen Samstag sprach nach der Massenversammlung auch ein gewisser Hoelz aus Falkenstein, der sich Müller aus Eisenberg nannte, Hoelz ist ein Arbeiterverräter und Schurke schlimmster Art. Hoelz ist ein von den Kapitalisten bezahlter Schurke, der von Ort zu Ort fährt, um die Arbeiter zu Putschen aufzureizen und dann zu verschwinden, wenn er sein Ziel erreicht hat. Hoelz ist kein Flüchtling sondern kommt und verschwindet ebenso schnell mit einem Automobil. Hoelz ist gestern Abend auch aus Hof in einem schwarzlackierten Auto verduftet. Woher hat Hoelz plötzlich das Automobil?? Hoelz, der angebliche )Flüchtling<? Hört es! der Schurke hat sich dem Direktor Schnell in Falkenstein verpflichtet, die Versammlungen zu sprengen, in denen die Arbeiter über höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen beraten. Hoelz hat das auch durchgeführt! Dazu hat ihm der Direktor Schnell sein eigenes Auto zur Verfügung gestellt! Männer, Frauen und Mädchen, das ist der Mensch, der Euch zu Putschen aufreizen will, dann verduftet und den Noskegarden den Weg ebnet. So wollen es die Kapitalisten, von denen er bezahlt wird, denen die USPD die gefährliche Gegnerin ist, darum muss Hoelz unsere Versammlungen missbrauchen. Pfui Teufel über so einen Schurken. Die Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung ist in Arbeit. Sie wird sofort vom neuen Stadtrat beschlossen. Jetzt geht es um die Entscheidung um die sozialistische Mehrheit! Wer nicht wählt, übt Verrat an seiner Familie! Vorwärts! Wählt die Liste Blumentritt!«
Das Resultat dieser Infamie war, dass ich eine Stunde später, als die Versammlung bereits beendet war, in einem Gasthaus, wo ich zu Mittag aß, von der Polizei verhaftet wurde. Arbeiter, die sich in der Wirtschaft befanden und denen ich mich vorher zu erkennen gegeben hatte, rissen mich aus den Händen der Schutzleute und brachten mich auf Wiesenpfaden nach Oberkotzau bei Hof.
Von dort holten mich der Genosse Paul Popp aus Falkenstein und ein Auerbacher Genosse ab, um mich nach Auerbach zurückzubringen, da, wie sie mir erklärten, das Militär in den nächsten Tagen Falkenstein wieder verlasse.
Während meiner Abwesenheit hatten die SPD-und USPD-Führer in Falkenstein dieselbe Hetze gegen mich entfaltet wie ihre Freunde in Hof: ich sei ein bezahlter Agent der Bourgeoisie usw. usw. Sie erzielten damit aber ein ganz anderes Resultat, als sie erwarteten; bei den Arbeiterratswahlen, die kurz nach dem Abzug des Militärs stattfanden, erhielten die Demokraten 167, die Mehrheitssozialisten 209, die Unabhängigen 264 und die Kommunisten 1303 Stimmen.
Seit dem ersten Tag meines politischen Auftretens - der denkwürdigen Arbeitslosenversammlung am 24. April 1919 - wurde ich steckbrieflich wegen Landfriedensbruchs verfolgt, weil ich als Rädelsführer und Vorsitzender des Arbeitslosenrates eine Demonstration geführt hatte, die, da Belagerungszustand herrschte, verboten war. Die für meine Ergreifung ausgesetzte Belohnung wurde fortwährend erhöht; man hatte mit zweitausend Mark begonnen, beim Ausbruch des Kapp-Putsches betrug sie bereits dreißigtausend Mark.
Von Freunden erhielt ich Ausweispapiere auf die Namen Fritz Sturm und Fritz Werner. Als Genosse Sturm oder Werner sprach ich im Auftrage der Partei in Halle, Ammendorf, Helbra, Osendorf, Merseburg, Leunawerk, Hettstedt, Mansfeld, Oberröblingen und vielen anderen Orten Mitteldeutschlands.
Im Leunawerk war ich acht Tage als Agitator und Versammlungsredner tätig. Als die USPD- und die SPD-Mitglieder des Betriebsrates herausbekommen hatten, dass ich der steckbrieflich verfolgte Landfriedensbrecher Hoelz sei, denunzierten sie mich der Polizei. Aus den Zeugenaussagen, die mir von dem Untersuchungsrichter in meinen späteren Prozessen vorgelegt wurden, ergab sich einwandfrei, dass die SPD- und USPD-Mitglieder des Leunawerk-Betriebsrates der Polizei mitgeteilt hatten, der Wanderredner Fritz Sturm, der im Leunawerk agitiere, sei der gesuchte Hoelz.
An dem Tag, an dem diese Denunzianten der Polizei ihre Mitteilung gemacht hatten, sollte wieder eine Versammlung im Leunawerk stattfinden. Meine Freunde warnten mich, an diesem Abend das Leunawerk zu betreten. Ich hatte aber schon mehrere Tage im Leunawerk geschlafen, kannte die politische Stimmung der Belegschaft und auch die Gebäude sehr gut und glaubte nicht, dass es möglich wäre, mich dort zu verhaften.
Als ich im Begriff war, den Versammlungsraum im Leunawerk zu betreten, ging ein Werkpolizist mit einem Zivilisten an mir vorüber, beide zeigten auf mich, unternahmen aber nichts. Der Versammlungsraum füllte sich erst langsam. Ich stand vor dem Eingang, als plötzlich Freunde kamen und sagten: »Verschwinde, die Gendarmen kommen, an der Pforte draußen steht schon der Wagen der Gendarmerie, in dem du weggebracht werden sollst.« In diesem Augenblick tauchten auch schon acht Gendarmen auf, ich ging schnell in den noch ziemlich leeren Versammlungsraum, setzte mich auf eine Bank, und die Genossen und Freunde, die vorher um mich herumstanden, verstellten den Eingang zum Saal. Die Gendarmen jedoch durchbrachen sofort die Kette und steuerten direkt auf die Bank los, auf der ich ganz allein saß. Einer forderte mich auf, ihm zu folgen, ich sei verhaftet. Ich fragte ihn, wie er dazu käme, das müsse ein Irrtum sein. Da griff er in seine Tasche und hielt mir das Fahndungsblatt mit meinem Steckbrief entgegen, zeigte auf mein Bild und sagte: »Das sind Sie, machen Sie keine Sachen, kommen Sie mit.« Ich erklärte, ich sei Fritz Sturm und hätte mit dem Bild gar keine Ähnlichkeit, das könne ebenso gut er sein, ich ließe mich nicht verhaften. So ging es eine ganze Weile hin und her.
Währenddessen schloss sich der Kreis der Arbeiter um uns immer enger. Den Gendarmen dauerte die Sache zu lange, zwei legten ihre Hände auf meine Schultern und machten Miene, mich zu fesseln. Ich sprang blitzschnell hoch, stellte mich auf die Bank und rief: »Arbeiter, wollt ihr mich verhaften lassen?« Nun setzte ein ungeheurer Tumult ein, rechts und links packten mich Arbeiter, die mich mit unglaublicher Geschwindigkeit aus dem
Knäuel herauszogen, während andere den Gendarmen mit Messern die Koppel durchschnitten und ihnen die Waffen wegnahmen, um sie am Schießen zu hindern.
Die Genossen brachten mich im Nu aus dem Saal. Meine Füße berührten kaum mehr den Boden, und wir jagten über die weiten Fabrik- und Stapelplätze, die mit Tonnen, Holzstapeln und Flaschen überfüllt waren.
Ich landete am Ufer der Saale, ohne zu wissen, wie ich dahin gekommen war. Am andern Tag fuhr ich nach Halle und verbarg mich dort bei Freunden.

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