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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Quartierlos in Berlin/Verraten/Verhaftet

Bei Einbruch der Dunkelheit bestieg ich auf einer kleinen Haltestelle den Zug nach Nordhausen. Von da fuhr ich mit dem Schnellzug nach Berlin, wo ich Montag früh gegen acht Uhr ankam. Das erste, was mir aus den Morgenblättern in großer Aufmachung entgegenschrie, war: »Hoelz als Siegessäulenattentäter entlarvt.« Auch andere Attentate außerhalb Berlins sollte ich ausgeführt haben. In den Zeitungen stand, Hoelz sei in Berlin angekommen. Die Polizei wusste alles viel früher als ich selbst.
Mit den sächsischen Belohnungen zusammen war jetzt ein Kopfpreis von hundertfünfundachtzigtausend Mark auf mich gesetzt. Das Berliner Pflaster war für mich verteufelt heiß geworden. Verschiedentlich war mein Name grob missbraucht worden, und das hatte die Hetze gegen mich erheblich verschärft.
Es war nicht möglich, ein Quartier zu bekommen. Die Genossen, bei denen ich vorsprach, fürchteten sich, mich aufzunehmen. Ich hatte in den letzten Wochen nächtelang nicht geschlafen und glaubte bei meiner Ankunft in Berlin, mich bei Freunden einmal richtig ausruhen zu können. In ein Hotel getraute ich mich nicht; ich hatte bei mir nur die Papiere auf den Namen Reinhold König und musste damit rechnen, dass die Sipo in Sangerhausen mich unter diesem Namen suchte, falls sie herausgefunden hatte, dass der von ihr entlassene Reinhold König kein anderer als Max Hoelz war. Die erste Nacht nach meiner Ankunft in Berlin irrte ich obdachlos in den Straßen umher. In der zweiten Nacht sah ich früh gegen vier Uhr in einem Lokal in der Nähe des Bahnhofs Charlottenburg noch Licht. Ich war zum Umfallen müde und ging in das Lokal hinein. Es war ein Nachtlokal, in dem sich nur noch wenige Straßenmädchen mit ihren Kavalieren befanden. Eines dieser Mädchen setzte sich zu mir, und ich war unbeschreiblich froh, als sie mich aufforderte, mit in ihre Wohnung zu kommen. Dort konnte ich wenigstens drei Stunden ausruhen. Kurz nach sieben Uhr musste ich das Haus wieder verlassen. Ich suchte nun durch Vermittlung eines Genossen eine Unterkunft zu erhalten. Er führte mich in die Wohnung eines ausländischen Studenten. Der gute Mensch hatte solche Angst, dass er den ganzen Tag sein Zimmer abschloss, damit seine Wirtin mich nicht sehen sollte. Bei dem geringsten Geräusch, das ich verursachte, trommelte die Wirtin wie besessen an die verschlossene Tür. Sie glaubte, im Zimmer ihres Mieters seien Einbrecher. Deshalb verschwand ich in der kommenden Nacht. Ein Straßenmädchen, dem ich mich in meiner Ratlosigkeit anvertraute, verschaffte mir Papiere. Ich mietete dann ein kleines Zimmer in einer Fremdenpension.
Sobald die Unterstützung der Angehörigen gefallener Märzkämpfer und der Rechtsschutz der Verhafteten organisiert waren, wollte ich Berlin sofort verlassen. Ich hatte Besprechungen mit den in Frage kommenden Instanzen und Genossen und beriet mit ihnen die zu ergreifenden Maßnahmen.
Während der Kämpfe trieb unter anderem auch ein bekannter Genosse der KAP Missbrauch mit meinem Namen. Er hatte - wie mancher andere -, während wir im heißen Gefecht mit der Sipo und Reichswehr standen, ohne meine Zustimmung und ohne dass ich überhaupt davon wusste, große Expropriationen ausgeführt und sich dabei meines Namens bedient. Wo er Geld fand, stellte er den Betroffenen eine Quittung mit meiner Unterschrift aus und erklärte, er selbst sei Max Hoelz. So hatte er auch in einer Fabrik bei Ammendorf einen grö­ßeren Bargeldbetrag erhalten und mit meinem Namen quittiert. Ich weiß, dass der KAP-Genosse aus rein politischen Motiven so handelte, zu verurteilen war sein Vorgehen aber doch, da es unrevolutionär ist, seine Einzelaktionen nicht mit der eigenen Person zu decken.
Als ich erfuhr, dass sich der falsche Hoelz in Leipzig aufhielt, sandte ich einen Kurier nach dort mit der Aufforderung an ihn, eine Abrechnung über die beschlagnahmten Gelder nach Berlin zu schicken oder selbst nach Berlin zu kommen. Er weigerte sich aber. Darauf beauftragte ich zwei zuverlässige Genossen, ihn unbedingt nach Berlin zu schaffen. Sie brachten ihn. In der Wohnung des Genossen Schubert zwangen wir ihn, die noch vorhandenen Gelder und das beschlagnahmte Platin an die Unterstützungskasse der KAPD abzuliefern.
Am 15. April fand eine Zusammenkunft in einem Cafe am Rankeplatz statt. Einer der Teilnehmer hatte das von einem Kurier bei ihm deponierte Geld unterschlagen und sollte sich vor den Genossen in Berlin verantworten. Dieser Bursche, Kaufmann und Offizier a. D. Henke aus Leipzig, war mir von einem bekannten Parteigenossen als zuverlässig empfohlen worden.
Gegen zehn Uhr abends verließen wir das Lokal. Wir waren kaum fünf Schritte gegangen, als von verschiedenen Seiten acht bis zehn Kriminalbeamte mich mit dem Geschrei: »Hände hoch!« umringten. Ich hatte in Könnern und Sangerhausen die Hände nicht hochgehoben und tat es vor diesen Menschenjägern erst recht nicht. Mochten sie meinetwegen schießen!! Wenn sie schießen wollten, dann schossen sie so oder so, mit oder ohne »Hände hoch«. Meine Begleiter streckten ihre Flossen gen Himmel.
In ein paar Autos ging's nach dem Polizeipräsidium. Bei der Abführung in die Zellen weinte Henke und erklärte, es tue ihm leid, so gehandelt zu haben. Er war am Vormittag nach Berlin gekommen und hatte im Polizeipräsidium gemeldet, dass er mit mir zusammentreffe. Henke wurde schon nach ein paar Stunden wieder entlassen. Die Polizei hatte ihn nur zum Schein verhaftet; sein Offizierspaß sicherte ihn, wie er selbst sagte, gegen jede Verdächtigung.
Meine Verhaftung erfolgte genau vierzehn Tage nach der Niederwerfung des mitteldeutschen Aufstandes. Sie war mir keineswegs überraschend gekommen. Fast täglich hatte ich damit gerechnet. Es war klar: Diesmal konnte ich nicht so leicht wieder befreit werden. Die gegen mich herrschende Pogromstimmung bot eine Gewähr dafür, dass die behördlichen Organe alles aufbieten würden, um eine gewaltsame Befreiung zu verhindern.
Meine ersten Eindrücke und Empfindungen nach der Verhaftung waren keine besonders niederdrückenden. Ich nahm die Sache nicht allzu tragisch, erhoffte sogar von der Verhaftung und ihren Folgen einen agitatorischen Nutzen für die kommunistische Bewegung.
In der Nacht, während ich todmüde auf der Gefängnispritsche lag, kamen mehr als ein Dutzend Mal Kriminalbeamte in meine Zelle und versuchten von mir herauszubekommen, wo ich in den letzten vierzehn Tagen gewohnt hatte. Ich war entschlossen, mein Quartier zu verheimlichen, um meinen Quartierleuten keine Unannehmlichkeiten zu bereiten. Als ich jedoch aus dem fortwährenden Drängen der Kriminalbeamten die Verdächtigung heraushörte, ich hätte mir größere Summen von
den beschlagnahmten Geldern angeeignet, packte mich ein maßloser Zorn, ich warf ihnen meine Kofferschlüssel vor die Füße und nannte ihnen meine Adresse.
Unter den Kriminalbeamten, die mir die ganze Nacht schwer zusetzten und durchaus wissen wollten, wo ich die angeblichen Millionen versteckt habe, befand sich ein besonders schuftiges Individuum. Dieser Mensch versuchte sich mit kriecherischer Unterwürfigkeit und den ekelhaftesten Mitteln bei mir anzubiedern. Der Bursche ging mit meinen Schlüsseln davon und war furchtbar enttäuscht, als er bei der Durchsuchung meiner Wohnung merkte, dass ich von den beschlagnahmten Geldern für mich nichts behalten hatte. Dafür stahl er aus meinen Koffern ein Paar neue Schuhe, einen Anzug, einen Rasierapparat und anderes.
Am nächsten Morgen bekam ich einen kleinen Vorgeschmack der Schikanen und Quälereien, denen ich in den kommenden Wochen und Monaten entgegenging.
In der Abteilung für Fingerabdrücke behandelte man mich mit unglaublicher Brutalität. Es fiel mir schwer, diesen höhnischen und zynischen Burschen nicht ins Gesicht zu schlagen. Die Beamten verstauchten mir die Finger und Handgelenke nach allen Regeln der Kunst. Ich wurde einer Reihe von Kommissaren zur Vernehmung vorgeführt. Auf den Korridoren standen Hunderte von Beamten und Stenotypistinnen, aus den Türen lugten neugierige Köpfe, die mich anstaunten und musterten wie einen vielfachen Raubmörder.

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