Meine Anklagerede gegen die Ankläger
Es war eine ungeheure Entspannung für mich, als ich nach dem Plädoyer des Staatsanwaltes und der Verteidiger in meinem Schlusswort den Sonderrichtern noch einmal meine ganze Verachtung ins Gesicht schleudern konnte:
»Bei meinem Eintreffen in Mitteldeutschland hatte noch kein Arbeiter eine Waffe. Ich befand mich in den Märztagen in Berlin. Ich glaubte, es sei meine Pflicht als revolutionärer Kämpfer, hinzugehen und mich den Genossen zur Verfügung zu stellen. Als ich ankam, waren bereits Aktionsausschüsse gebildet.
Nach den erhaltenen Nachrichten mussten wir glauben, dass das gesamte revolutionäre Proletariat geschlossen gegen die Provokation von Hörsing auftreten werde. Infolge der verräterischen Haltung der SPD und insbesondere der USPD kam eine einheitliche, starke Aktion des Proletariats nicht zustande. Erst als in Eisleben und Hettstedt die Sipo nach dem Einrücken Verhaftungen vornahm und einzelne Genossen misshandelte, griff die Arbeiterschaft spontan zu den Waffen. Ich übernahm die mir zugeteilte militärische Aufgabe. Ich habe den Kampf geführt mit allen Mitteln, nicht, weil ich die Gewalt über alles stelle, sondern weil ich erkannte, dass der Klassenkampf des Proletariats nur auf dem Wege der Gewalt zum siegreichen Ziele geführt werden kann.
Vor zwei Jahren glaubte ich noch, dass die kommunistische Idee, dass der Gedanke der Befreiung des Proletariats ohne Anwendung von Gewalt als wirtschaftlicher Kampf durchgeführt werden könne.
Wenn die revolutionäre Arbeiterschaft Gewalt anwendet, so geschieht dies nur in der Erwiderung der Gewalt, welche die herrschende Klasse als erste dem proletarischen Existenzkampf und Aufwärtsstreben entgegensetzt. Wenn heute in einer Versammlung ein kommunistischer Redner auftritt und seine Idee verkündet, so wird er mit allen Machtmitteln der kapitalistischen Ordnung verfolgt und bedrängt. Aber jede Anwendung der Gewalt durch die unterdrückte Klasse wird von der öffentlichen Meinung der Bourgeoisie als Unrecht, als Verbrechen gebrandmarkt.
Die herrschende Klasse gewährt uns nur auf dem Papier Versammlungs- und Redefreiheit. In der Praxis werden kommunistische Zeitungen verboten und kommunistische Versammlungen verhindert; alles mit Mitteln der Gewalt.
Die weißen Mörder stehen unter dem Schutze ihrer korrupten Justiz. Tausende von Arbeitern hat man in den beiden letzten Jahren widerrechtlich getötet. Aber die bürgerlichen Gerichte versagen. Die bürgerliche Gesellschaft lechzt nach dem Blut der Arbeiterführer. Ich frage Sie nun: Haben revolutionäre Arbeiter schon einmal einen einzigen Führer der bürgerlichen Gesellschaft getötet? Haben revolutionäre Arbeiter einen einzigen König, Minister oder Parteiführer getötet?«
Justizrat Broh: »In Deutschland nicht.«
Hoelz: »Nicht einen einzigen Mord hat das revolutionäre Proletariat in Deutschland begangen. Wie viele politische Morde hat die bürgerliche Gesellschaft Deutschlands auf dem Gewissen? Wie viele intellektuelle Führer sind durch die Hand der bürgerlichen Gesellschaft gemeuchelt worden? Ich erinnere nur an Liebknecht, Rosa Luxemburg, Jogiches, Landauer, Paaschke, Eisner, Sylt und an das letzte Opfer, Gareis. Alle die Genannten sind nicht im offenen Kampf gefallen, sondern hinterlistig ermordet worden.
Sie legen mir einen Mord an dem Rittergutsbesitzer Heß zur Last. Rein menschlich bedaure ich die Tötung des Heß - aber Heß ist nicht gemeuchelt worden, sondern ist in Verbindung mit der revolutionären Aktion, wahrscheinlich im Kampfe, gefallen. Wir hatten im Vogtlande die Macht, aber nicht ein einziger Richter oder Staatsanwalt ist misshandelt worden. Aber wo sie die Macht hatten, wurden aus dem Hinterhalt Hunderte von Proletariern erschlagen. Überall kennzeichnen blutige Spuren den Vormarsch der Reichswehr und Schupo. Diese Verhandlung hat es bewiesen. In Schraplau sind sechs Arbeiter von der Schupo ermordet worden. Die Leichen lagen ohne Waffen mit zerschossener Brust in den Kalköfen des Ortes. Aber kein Staatsanwalt, kein Richter hat sich gefunden, um dieses Verbrechen zu sühnen. Im Leunawerk sind sechsundvierzig Arbeiter von der Schupo bestialisch getötet worden.«
Vorsitzender: »Das sind einseitige Behauptungen von Ihnen, die nicht Gegenstand der Verhandlung waren. Ich verbiete Ihnen derartige Äußerungen.«
Hoelz: »In Hettstedt wurden zwei Arbeiter von der Polizei umgebracht. Ein achtundfünfzigjähriger Arbeiter ist auf offener Straße ohne jeden Grund erschossen worden. Ein sechzehnjähriger Mensch wollte sich auf der Straße nicht durchsuchen lassen. Er wird an die Wand gestellt, erschossen, und als er schon tot daliegt, tritt ihm ein Offizier dreimal mit dem Stiefelabsatz ins Gesicht.«
Vorsitzender: »Wenn Sie so fortfahren, werde ich Ihnen das Wort entziehen.«
Hoelz: »Das glaube ich, das wollen Sie nicht hören. Dieser Prozess hat bewiesen, dass nicht ich der Angeklagte bin, sondern die bürgerliche >Ordnung<. Alle Ihre Urteile gegen das revolutionäre Proletariat. Sie verurteilen nicht mich, sondern sich selbst. Ich bin überzeugt, dass Sie durch diesen Prozess der Revolution mehr genützt haben als ich während meiner ganzen revolutionären Tätigkeit. Wenn ich nicht gesehen hätte, mit welcher Todesverachtung die revolutionäre Arbeiterschaft kämpfte, dann würde ich nicht die Kraft finden, um den Anstrengungen dieser Verhandlung körperlich gewachsen zu bleiben. Dass ich in meiner Zelle die Zuversicht nicht verliere, beruht in dem Zusammengehörigkeitsgefühl mit allen proletarischen Kämpfern. Wenn ich Ihnen auf diese Weise entgegentrete - Sie nennen es Frechheit, ich revolutionäres Klassenbewusstsein -, dann ist es das Bewusstsein, nicht allein zu stehen in dem unermesslichen Kampfe. Es sind Millionen auf dieser Erde, die zu unserer Sache stehen, und es werden ihrer Hunderte Millionen werden. Diese Gewissheit gibt mir die Kraft und die Ausdauer, das auszuhalten, was mir jetzt auferlegt wird.
Ich hoffe, dass das revolutionäre Proletariat Ihnen einmal die Rechnung vorlegen wird für alles, was Sie der Arbeiterschaft angetan haben. Sie sagen, Sie fürchten sich nicht. Ich kenne Sie zu wenig, um Ihnen den persönlichen Mut abzusprechen. Aber ich behaupte, die bürgerliche Gesellschaft, deren Vertreter Sie sind, zittert heute vor dem revolutionären Proletariat. Darum verhandeln Sie gegen mich nur unter dem Schutze der bewaffneten Macht. Die Schupo ist dazu da, um das revolutionäre Proletariat zurückzuhalten.
Ich sagte schon, auf die Anklage will ich nichts erwidern. Ich erkenne die Ausführungen des Staatsanwaltes, ich erkenne das Urteil des Gerichtes nicht an. Für mich handelt es sich darum, vor der Arbeiterschaft klarzustellen, aus welchen Beweggründen ich gehandelt habe. Ich vertrete meine Handlungen mit dem Mute, den jeder revolutionäre Kämpfer haben muss. Hätte ich einen Mann aus revolutionärer Notwendigkeit erschossen oder Befehl dazu gegeben, so würde ich mich dazu bekennen.
Sie werden heute das Todesurteil gegen mich sprechen. Sie töten nicht viel. Sie töten das Fleisch. Aber den Geist können Sie nicht töten. Sie >richten< mich, wie Sie sagen. Sie schlagen ein Holz ab, und es stehen tausend andere Hölzer auf. Diese tausend Hölzer werden eisern sein und nicht mit Ohrfeigen Revolution machen.
Es wird eine Zeit kommen, wo das Proletariat nicht mehr sagen darf: Wir können nicht kämpfen, wir haben keine Waffen. Mit den Händen, mit den Fäusten muss es seine Gegner zerreißen! Solange die herrschende Klasse es fertig bringen kann, mit zwei bis drei Maschinengewehren zehntausend Demonstranten in die Flucht zu jagen, so lange wird Ihre Herrschaft dauern. Aber in dem Augenblick, in dem sich das Proletariat auf die Gewehre stürzt und sie zertrümmert oder sie umdreht, kommt die wirkliche Revolution! Vor dieser sollen Sie und die herrschende Klasse zittern!
Was 1918 in Deutschland vor sich ging, war keine Revolution. Die feigen Fürsten flohen, und die >tapferen< Herren Ebert und Scheidemann setzten sich auf die leergewordenen Sessel. Ich kenne nur zwei Revolutionen: die französische und die russische. Die deutsche Revolution wird alle Revolutionen an Grausamkeit übertreffen. Die Bourgeoisie zwingt das Proletariat zur Grausamkeit. Sie arbeitet mit kalter Berechnung. Das Gefühl ist auf Seiten des Proletariats. Sie betrachten das Proletariat in der Politik als Stümper. Die Grausamkeiten, die Sie gegen das Proletariat anwenden, kann es heute noch nicht erwidern. Dazu hat es noch zuviel Gefühl. Aber der Tag kommt, an dem das Proletariat zum Rächer wird. Dann entscheidet nur der kalte Verstand. Wenn Sie heute über mich Ihr Urteil fällen, so betrachte ich es als ein Schulexamen. Wenn Sie mich freisprechen, was ich mir natürlich nicht einbilde und was Sie auch nicht können, dann würde es morgen in Berlin vier Tote geben: drei Richter und einen Angeklagten. Sie müssten sich aufhängen, weil Sie sich vor Ihren eigenen Klassengenossen nicht mehr sehen lassen dürften. Ich müsste mich hängen, weil ich mich vor dem revolutionären Proletariat schämen würde. Sie können mich zu zehn, fünfzehn Jahren oder zu lebenslänglichem Zuchthaus, ja sogar zum Tode verurteilen. Zehn Jahre Zuchthaus bedeuten für mich eine >Vier< (mangelhaft). Fünfzehn Jahre Zuchthaus eine gute Note, lebenslänglich Zuchthaus: Zensur >Eins<. Wenn Sie mich aber zum Tode verurteilen, dann erhalte ich die Zensur >Eins a<, das ist das beste Zeugnis, das Sie mir ausstellen können. Dann beweisen Sie den revolutionären Arbeitern der Welt, dass ein wirklicher Revolutionär sein Klassenbewusstsein mit dem Tode besiegeln muss.
Ich will von Ihnen keine bürgerlichen >Ehren< verlangen. Die >bürgerliche Ehre<, um die Sie sich streiten, habe ich nie besessen. Bürgerliche Ehre heißt für mich: die Kunst, von der Arbeit anderer zu leben. Sie bedeutet: Monokel im Auge, voller Bauch und hohler Kopf. Für mich gibt es nur eine proletarische Ehre, und die können Sie mir nicht absprechen. Proletarische Ehre heißt: Solidarität aller Ausgebeuteten, heißt: durch die Tat zu beweisen, dass man für seine Klassengenossen einsteht und für sie kämpft.
Ich habe Ihnen schwere Worte entgegengeschleudert. Ich rede im Prinzip nicht für Sie. Sie werden weiter das sein, was Sie sind: Klassenrichter. Ich kann von Ihnen nicht verlangen, dass meine Worte Eindruck auf Sie machen. Ich weiß, dass die bürgerliche Gesellschaft und Sie als Ihre Vertreter nicht durch Worte, Propaganda, auch nicht durch Bücher zu uns kommen. Sie müssen vor die eiserne Tatsache gestellt werden, erst dann beugen Sie sich.
Der Staatsanwalt hat zu mir in der Voruntersuchung gesagt: Wenn alle Arbeiter von Ihrer Idee durchdrungen sind, dann muss es doch ein leichtes sein, dass sie auf Grund des allgemeinen Wahlrechtes die Macht bekommen. Ich habe ihm erwidert und sage auch zu Ihnen: Sie ziehen bei dieser Beweisführung nicht die Konsequenz aus den tatsächlichen Machtverhältnissen. Wenn das deutsche Volk in seiner Ideologie: Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat< durch Schule, Kirche, Staat und Presse erhalten wird und gleichzeitig von denselben Faktoren in dem Wahn bestärkt wird, es muss Reiche und Arme geben, der liebe Gott will das so, dafür kommen die Armen in den Himmel...«
Vorsitzender: »Das alles gehört nicht zur Sache. Sie müssen sich auf die Anklage verteidigen. Wir haben nicht die Pflicht, revolutionäre Reden mitanzuhören. Wenn Sie so fortfahren, werde ich Ihnen das Wort entziehen.«
Hoelz: »Das deutsche Volk muss also erst aufgerüttelt werden aus diesem Wahn. Aber gerade Ihre Urteile werden bewirken, dass das Proletariat schneller herauskommt aus der Ideologie, die Sie ihm mit Hilfe von Schule, Kirche und Presse oktroyiert haben. Das deutsche Proletariat muss aus diesem Schlafleben aufgerüttelt werden ... «
Vorsitzender: »Ich entziehe Ihnen das Wort.« (Die Richter begeben sich nach dem Beratungszimmer.)
Hoelz: »Ihr könnt das Wort verbieten, Ihr tötet nicht den Geist.«
Vorsitzender: »Der Angeklagte ist einstweilen abzuführen.«
Hoelz: »Es lebe die Weltrevolution!«
Ich wurde unter Misshandlungen durch die Sipoleute, die mich bewachten, hinausgeführt. Drei Tage darauf trat das Gericht wieder zusammen, um das Urteil zu verkünden.
Das Sondergericht verurteilte mich wegen Hochverrats in Tateinheit mit Totschlag und versuchtem Totschlag und wegen Verbrechen gegen das Sprengstoffgesetz sowie der übrigen zahlreichen Verbrechen zu lebenslänglichem Zuchthaus und dauerndem Ehrverlust.
Ich rief: »Es kommt der Tag der Freiheit und der Rache - dann werden wir die Richter sein! Die Justiz ist eine Hure, und Sie (zu den Richtern) sind ihre Zuhälter!«
Unter Schlägen schleppte man mich aus dem Gerichtssaal. Das so genannte Urteil gegen mich war gesprochen: Lebenslängliches Zuchthaus. |
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