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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Ohne Kontakt mit der Partei - Dynamit-Attentate

Während meines illegalen Aufenthaltes in Berlin machte ich auch die Bekanntschaft jenes Ferry alias Hering, der damals gerade seine Vorbereitungen für die Sprengung der Siegessäule traf. Ferry hatte gehört, dass ich und meine Freunde Bomben und Handgranaten anfertigen wollten, uns dazu aber die nötigen Fachkenntnisse fehlten. Er wusste, dass wir über Geldmittel verfügten, und machte das Angebot, Bomben und andere Sprengstoffe herzustellen, da er Chemiker sei. Wir sollten ihm als Gegenleistung Geld geben, damit er sich Sprengutensilien für die Zerstörung der Siegessäule beschaffen konnte.
Wir gingen darauf ein und erhielten in den nächsten Wochen von Ferry eine größere Anzahl fertiger Bomben und Handgranaten. Seine Mitarbeiter und meine Freunde hatten gemeinsam in Steinbrüchen, Kalischächten und Bergwerken in Mitteldeutschland und im Ruhrgebiet etwa zwanzig Zentner Dynamit entwendet.
Ferry stand bei seinen Mitarbeitern und Freunden in hohem Ansehen, sie waren von ihm begeistert und hielten ihn für einen ganz großen Kerl und besonders tapferen Revolutionär. Dass er kein wirklicher Revolutionär war, bewies er, als ich ihn im mitteldeutschen Aufstand während des ersten Gefechtes in Eisleben traf. Ich war sehr erfreut, ihn zu sehen, weil ich glaubte, er wolle mit uns gegen die Sipo kämpfen. Er dachte aber gar nicht daran, sondern verlangte von mir zwanzig Zentner Dynamit, die er in Berlin für irgendwelche Zwecke brauchte.
Meine Eindrücke von Ferry wurden durch seine spätere Entwicklung bestätigt. Während meiner Zuchthausjahre hörte ich von seinen ehemaligen Freunden, dass er nach seiner Verurteilung im Siegessäulenprozess alles getan habe, um seine Begnadigung zu erwirken. Seine Führung im Zuchthaus war so musterhaft, dass er schon nach wenigen Jahren entlassen wurde. Heute führt er als sozialdemokratischer Gewerkschaftsangestellter ein gutbürgerliches Leben.
Die durch Ferry für uns hergestellten Bomben und Handgranaten wollte ich zur Befreiung der in Dresden, Leipzig und Hof eingekerkerten Genossen benutzen. Aufsehen erregende, am gleichen Tag und zu gleicher Stunde an mehreren Orten ausgeführte Sprengungen in Gerichtsgebäuden sollten die Behörden beunruhigen und die Bürger erschrecken. Begünstigt durch die entstehende Verwirrung wollten wir die Befreiung der Genossen durchführen. Eine politische Wirkung für die kommunistische Bewegung versprach ich mir von diesen Sprengungen nicht. Sie waren für mich nur Mittel zum Zweck.
Zuerst probierten wir in der Jungfernheide die von Ferry gelieferten Handgranaten und Bomben aus. Ihre Sprengwirkung schien gut zu sein, nur waren die verwendeten Zündschnüre viel zu lang und zu feucht. Nach vorgenommenen Verbesserungen bereiteten wir eine größere Sprengung im Charlottenburger Polizeipräsidium vor. Drei Nächte lang umkreisten wir diesen massiven Bau und suchten eine Stelle, wo die Sprengung am stärksten wirken konnte. Aber es fand sich kein Platz, der einen sicheren Erfolg verbürgte.
Damit die Genossen nicht von mir sagen konnten, ich schickte sie ins Feuer, während ich mich in
Sicherheit hielte, nahm ich die erste Sprengung selbst vor. Die Genossen, die ich für die anderen Sprengungen bestimmt hatte, sollten zusehen, wie ich bei einer solchen Aktion arbeitete. Ich reiste mit den Genossen ins Vogtland, um das große Portal des Rathauses in Falkenstein zu sprengen. Durch diese Sprengung und die gleichzeitig ausgestreuten Flugzettel sollten die Arbeiterschaft und die Spießbürger darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir, die von der Polizei verfolgten und gehetzten illegalen Kommunisten, noch lebten, unsere eingekerkerten Genossen nicht vergessen hatten und bereit waren, mit allen Mitteln für ihre Befreiung zu kämpfen.
Am 6. März 1921 kamen wir mit den Fahrrädern gegen elf Uhr nachts in Falkenstein an; Punkt zwölf Uhr sollte die Sprengung erfolgen. Vorher mussten noch einige Vorbereitungen getroffen werden.
Um die Sprengwirkung zu erhöhen, wollte ich die ziemlich umfangreiche Bombe in einen abgeschlossenen Raum des Rathauses werfen. Einige Sekunden vor zwölf lief ich mit der Bombe in der Hand nach dem Rathaus, Genosse Richard Loose begleitete mich; die anderen sollten die Sprengung aus sicherer Entfernung beobachten. Loose hatte die Aufgabe, zu gleicher Zeit eine Handgranate zu werfen, damit, wenn die Bombe durch die Zündschnur nicht zur Entzündung gebracht würde, die explodierende Handgranate dies nachhole.
Im Begriff, die Tür zur Polizeiwache zu öffnen, in die ich die Bombe werfen wollte, brannte ich mit meiner Zigarette die Zündschnur an. Die Bombe musste in spätestens vier Sekunden explodieren. Der Genosse Loose hatte zu gleicher Zeit seine Handgranate abgezogen. In diesem Augenblick merkte ich zu meinem Entsetzen, dass die Tür verschlossen war. Wir waren verloren.
Die bereits entzündete Bombe hielt ich in der Hand, der Genosse seine abgezogene Handgranate, er warf sie schnell in die Ecke, ich die Bombe mit der zischenden Zündschnur dazu; im selben Augenblick explodierte die Handgranate. Splitter verletzten mich im Gesicht so, dass Blut floss und ich geblendet war. Nur dem raschen Zugreifen des Genossen Loose verdanke ich es, dass ich mit dem Leben davonkam. Als er das Blut sah und merkte, dass ich wankte, packte er mich mit einem schnellen, festen Griff und zog mich die Stufen herunter um die Ecke. In diesem Moment erschütterte eine fürchterliche Detonation die ganzen umliegenden Gebäude. Fensterscheiben klirrten und zersplitterten,- krachend stürzten große Steinmassen auf die Straße. Die Bombe war explodiert.
Richard Loose schleppte mich in eine der nächsten Straßen. Als ich endlich die Augen öffnen konnte, sah ich, dass wir uns direkt vor dem Haus des Einwohnerwehrführers befanden, der vor einem halben Jahr eine Salve gegen eine Arbeiterdemonstration hatte abgeben lassen. Um ihn zu bestrafen, warf ich die noch vorhandenen sechs Handgranaten in sein Haus, wo sie unter donnerndem Krachen explodierten. Später erfuhr ich, dass dieser Bursche an jenem Tag noch mehr Glück gehabt hat als ich selbst, denn er war von keiner der sechs Handgranaten verletzt worden.
Trotz meiner Verletzung fuhren wir auf unseren Rädern im Eiltempo die ganze Nacht hindurch. Bei Tagesanbruch versteckten wir uns bei Genossen in Werdau. Dort erst wurden meine Wunden gereinigt und verbunden. Am selben Tag fuhr ich mit der Bahn nach Leipzig, wo ich bis zu meiner Wiederherstellung blieb. Dann reiste ich nach Berlin zurück. Die Genossen sandte ich mit einer ganzen Anzahl Bomben in verschiedene Städte. Die Sprengungen erfolgten genau nach vorgesehenem Plan in Dresden, Freiberg, Leipzig und anderen Orten, wo die Klassenjustiz besonders gewütet hatte. Diese Sprengstoffattentate gegen eine Reihe von Gerichtsgebäuden erregten größtes Aufsehen. Im bürgerlichen und SPD-Blätterwald flatterten die aufgescheuchten und erschreckten Nebelkrähen aus ihren Nestern und machten furchtbares Geschrei. Mit der angerichteten Verwirrung konnte ich also zufrieden sein.
Dennoch empfand ich weder Freude noch Befriedigung über das Ergebnis. Ich gewann immer mehr die Überzeugung, dass dies nicht der richtige Weg war, um für die kommunistische Bewegung und ihre revolutionären Ziele zu arbeiten und zu kämpfen. Es gehört gewiss großer persönlicher Mut zu diesen Terrorakten. Sie ersetzen aber niemals die notwendigen Massenaktionen, lösen sie nicht einmal aus. Die Einzelaktionen und Husarenstreiche in den zwei Jahren meiner Verfolgung und Illegalität waren im Grunde nichts anderes als die
Wirkungen, die sich aus meiner Isolierung von den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen ergeben mussten. Bitter empfand ich, dass ich mit ungenügender politischer und gewerkschaftlicher Erfahrung in jahrelange Illegalität geraten war. Es war ein schwerer politischer Fehler von mir, dass ich es gutgeheißen und manchmal mich sogar daran beteiligt hatte, wenn Expropriationsgruppen Überfälle auf Bankgebäude, Postkassen usw. ausführten. Diese Gelder flossen in die Hände damaliger Führer der KAPD, erfüllten also einen politischen Zweck, indem sie den Druck von Zeitungen und Flugblättern ermöglichten. Nur ein geringer Teil wurde dazu verwendet, die jahrelang illegal lebenden Genossen einigermaßen über Wasser zu halten. Die proletarische Hilfsorganisation »Rote Hilfe« existierte leider zu dieser Zeit noch nicht.
Der tatsächliche politische Gewinn stand aber in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den die kommunistische Bewegung durch die Expropriationen erlitt. Abgesehen davon, dass die meisten revolutionären kommunistischen Arbeiter die Expropriationen nicht verstanden und nicht billigten, wurden viele an den Überfällen beteiligte Genossen durch diese Art des revolutionären Kampfes korrumpiert.
Ich bereitete einmal einen Überfall auf ein Postamt in einem Vorort Berlins vor. Mit meinen Freunden umstellte ich an einem Januarabend das Postamt. Durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall wurden wir an der Ausführung unserer
Absicht gehindert. Das war meine erste und letzte direkte Beteiligung an einer solchen Expropriation.
Mein Plan, im Anschluss an die großen Sprengungen die Befreiung der gefangenen Genossen vorzunehmen, kam nicht mehr zur Ausführung, weil plötzlich der mitteldeutsche Aufstand ausbrach.

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