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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Kämpfe im Vogtland während des Kapp-Putsches

Es war also das eingetreten, was die Kommunistische Partei längst vorausgesagt und worauf sie die Arbeiter immer wieder hingewiesen hatte, um sie zur Wachsamkeit anzuspornen. In Hof wollte und konnte ich unter diesen Umständen nicht bleiben. Alles in mir drängte ins Vogtland zurück, um mit einem Stamm zuverlässiger und kampferprobter Genossen und Arbeiter die Abwehrmaßnahmen gegen den monarchistischen Putsch in größerem Maßstabe zu organisieren. Mit der Bahn von Hof nach Falkenstein zu fahren war ein Unding, weil die bayrischen Gendarmen alle Stationen und alle Züge besetzt hatten und mich bestimmt erwischt hätten. Ich musste also versuchen, trotz meiner gro­ßen Schmerzen zu Fuß ins Vogtland zurückzukehren.
Etwa fünf Stunden schleppte ich mich mühsam vorwärts. Dann aber war es ganz aus. Der Fuß schwoll stärker und stärker an. Ich bat den Wirt eines an der Landstraße liegenden Wirtshauses, mich gegen Entgelt bis Ölsnitz im Vogtland zu fahren. Als ich gegen Abend ankam, mussten mich Freunde vom Wagen herunter ins Haus tragen. Am andern Morgen verlangte ich, nach Falkenstein gebracht zu werden. Die Genossen lehnten das wegen meines Zustandes ab. Es gelang mir, ein Automobil zu bekommen, dessen Fahrer mich gegen hohe Bezahlung nach Falkenstein schaffte.
In Falkenstein kam ich mittags an. Meine erste Frage war: »Habt ihr schon die Reichswehr entwaffnet?« Ich wusste, dass Falkenstein noch mit den Truppen belegt war, die mich suchten. Ein Genosse erklärte, ein Teil sei dafür gewesen, die Reichswehr zu entwaffnen, der andere Teil der Genossen habe jedoch davor gewarnt, da das ein zu schwieriges Unternehmen sei.
Jetzt galt es zu handeln, und zwar ohne jeden Zeitverlust. Ich verlangte, dass sofort alle erreichbaren Genossen zusammenkämen und dass wir die Reichswehr durch einen Handstreich entwaffneten. Aber noch ehe diese Weisung alle Genossen erreichte, rückte die Reichswehr aus der Stadt ab, da sie Befehl zum Abmarsch bekommen hatte. Sie war als Verstärkung für die Reichswehrtruppen in Thüringen angefordert worden, die dort bereits im offenen Gefecht mit den Arbeitertruppen lagen. Als ich das hörte, packte mich ein grenzenloser Zorn. Ich fluchte und schimpfte auf die säumigen Genossen, begab mich nach dem »Hotel zum Falken« und sah dort noch mehrere Lastautos mit Benzinfässern, die von kleinen Reichswehrkommandos bewacht wurden. Der größere Teil der Truppen war bereits auf dem Wege nach Auerbach.
Mit etwa sechs Genossen entwaffnete ich die zurückgebliebenen Reichswehrsoldaten und beschlagnahmte die Autos samt den Benzinfässern. Dadurch bekamen wir einige Gewehre. Ein Soldat entwischte uns und alarmierte die in Marsch befindlichen Truppen, die sofort kehrt machten und Falkenstein wieder besetzten. Vor dem Schloss kam es zu einer Schießerei zwischen Arbeitern und Soldaten. Wir konnten mehrere Soldaten entwaffnen, mussten dann aber der erdrückenden Übermacht weichen und uns in Sicherheit bringen. Nun begann eine tolle Verfolgung. Nie in meinem Leben bin ich so gelaufen wie an diesem Tage. Während der wahnsinnigen Hetzjagd wurde mein Fuß mit einemmal gesund. Als ich - den Reichswehrsoldaten glücklich entwischt - in Auerbach ankam, spürte ich nicht die geringsten Schmerzen mehr.
Ein paar auf der Straße stehende Arbeiter fragte ich, welche Maßnahmen die Auerbacher Arbeiterschaft getroffen hätte, um dem monarchistischen Putsch zu begegnen. Sie sagten, der Arbeiterrat hätte eine Versammlung einberufen, die soeben im Schützenhaus stattfinde. Ich ging hin. Ein paar hundert Meter vor dem Lokal sah ich, dass die Versammlung schon beendet war und die Massen fortströmten. Mein Ruf: »Alles zurück in den Saal, ich habe der Arbeiterschaft Wichtiges zu sagen!« fand sofort Gehör.
Im Nu war der ungeheure Saal wieder gefüllt, ich ergriff das Wort und verlangte, dass alle Frauen den Saal verlassen. Diese Forderung rief eine ungeheure Spannung bei den Massen hervor, und die Frauen gingen aus dem Saal. Ich ließ die Ausgänge absperren und gut bewachen, so dass niemand nach außen Meldung machen konnte; dann bat ich die Arbeiter, einer ihrer Sprecher solle mir sagen, welche Entschließungen gefasst worden wären. Da erfuhr ich denn, dass der Generalstreik beschlossen war und dass man im übrigen abwarten wollte. Ich sagte, das genüge auf keinen Fall, die Situation sei sehr ernst, man dürfe nicht abwarten, sondern müsse sofort handeln. In anderen Orten kämpften die Arbeiter gegen die Reichswehr, wir dürften daher nicht untätig zusehen, sondern müssten uns sofort Waffen holen, wo sie zu finden seien. Meine Ausführungen fanden begeisterte Zustimmung. Nun ging ich aufs Ganze und schlug vor, sofort geschlossen zum Gendarmeriegebäude zu marschieren, den Gendarmen alle Waffen abzunehmen und mit diesen Waffen die Reichswehr in Falkenstein anzugreifen. Mein Vorschlag wurde angenommen, und ich sorgte dafür, dass die Gendarmerie nicht gewarnt werden konnte. Jeder musste seines Nebenmannes Tun schärfstens beobachten, so dass sich ein Verräter nicht unbemerkt hätte entfernen können.
Als der Zug von etwa zweitausend Personen vor dem Gendarmeriegebäude ankam, guckten die Gendarmen aus den Fenstern und wussten nicht recht, was sie von diesem Aufmarsch halten sollten. Aber ein paar merkten, dass etwas nicht stimmte; sie verbarrikadierten Tore und Türen, und wir mussten mit Äxten und Beilen die Türen zertrümmern. Es kam zu einem Handgemenge, bei dem einige Gendarmen leicht verletzt wurden; viele gaben ihre Waffen freiwillig, den anderen wurden sie mit Gewalt abgenommen. Wir erbeuteten außer einer Menge Karabiner viele Kisten mit Stielhandgranaten und eine Anzahl Maschinengewehre. Die Gendarmen wurden gefangen gesetzt und mussten mit uns nach einem günstig gelegenen Lokal marschieren, das ich für Verteidigungszwecke bestimmt hatte.
Einige Stunden später schickte ich mehrere Genossen mit einem requirierten Auto in das Schloss nach Falkenstein und ließ dem Kommandeur sagen, wenn er nicht sofort freiwillig die dort befindlichen Waffen an uns abliefere, würde Falkenstein von den Arbeitern der umliegenden Ortschaften eingeschlossen.
Der Kommandeur beantwortete mein Ultimatum damit, dass er die Genossen verhaftete, das Auto behielt und nun seinerseits ein größeres Kommando nach Auerbach sandte, um uns auszuheben.
Es kam in Auerbach zu einem scharfen Nachtgefecht, bei dem wir außer einigen Leichtverletzten keine Verluste hatten. Die Reichswehr erschoss bei diesem Überfall den Rittergutspächter Wanitzki, als er in Nachthaube und Schlafrock aus dem Fenster sah; seine Frau wurde verwundet.
Diesen überraschenden Angriff der Noskiden, die vier große Maschinengewehre und eine Unmenge von Handgranaten und Leuchtkugeln verwendeten, wehrte auf unserer Seite ein zwanzigjähriger Arbeiter mit einem einzigen Maschinengewehr ab. Nach Abwehr des Überfalles entschlossen wir uns zu schärferen Maßnahmen. Wir verließen Auerbach und rückten von verschiedenen Seiten gegen Falkenstein vor. Aber die Noskiden hatten Wind bekommen. Als wir mit unseren Automobilen in Falkenstein ankamen, fanden wir das Nest leer. Die Truppen waren nach der drei Stunden entfernten Stadt Plauen gezogen, um sich mit dem dort liegenden Reichswehrbataillon zu vereinigen.
Wir gaben uns mit dem errungenen Erfolg nicht zufrieden, um so weniger, als wir hörten, dass im ganzen Reich, besonders aber im Ruhrgebiet, die Arbeiter gegen die Truppen von Kapp und Lüttwitz kämpften. Die Meldungen über das Fehlschlagen des Kapp-Putsches und die Wiedereinsetzung der alten Regierung hielten wir für einen Bluff, mit dem man die Arbeiter ködern und beruhigen wollte. Wir waren uns einig: Solange Hunderttausende von Arbeitern und Genossen im Ruhrgebiet im heißen Kampfe standen, mussten wir alles tun, um sie zu unterstützen. Das konnten wir am besten, indem wir die reaktionäre Reichswehr und die Bourgeois-Zeitfreiwilligen des Vogtlandes entwaffneten und die Arbeiter bewaffneten.
Wir errichteten Werbestellen zur Bildung einer Roten Armee des Vogtlandes. Die aus vielen Teilen des Reiches kommenden Arbeiter, die sich am revolutionären Kampf beteiligen wollten, wurden von uns bewaffnet. Um die für die Rote Garde erforderlichen Geldmittel für Verpflegung, Löhnung usw. aufzubringen, forderten wir durch Maueranschläge die Kapitalisten und Kriegsgewinnler auf, sich an einem bestimmten Tag in einem näher bezeichneten Lokal einzufinden. Zur angegebenen Zeit begab ich mich in Begleitung eines Genossen ohne jede Waffe dorthin und fragte die anwesenden Geldleute, etwa sechzig, ob sie gewillt seien, wöchentlich vorläufig fünfundvierzigtausend Mark zur Finanzierung der Roten Truppen aufzubringen. Sie erbaten sich einige Minuten Bedenkzeit. Ich verließ mit meinem Begleiter den Raum.
Nach meiner Rückkehr erklärten sie sich bereit, sich den augenblicklichen Machtverhältnissen zu fügen und die gewünschte Summe aufzubringen. Sie äußerten nur den Wunsch, dass die Rote Garde, nachdem Polizei, Gendarmerie und alle behördlichen Organe von der Arbeiterschaft entwaffnet waren, auch für Ordnung sorgen und Plünderungen verhindern möge. Das lag in unserem eigensten Interesse. Wir durften auf keinen Fall dulden, dass irgendwelche unsauberen Elemente die revolutionäre Sache in Verruf brachten.
In Plauen hatte sich bei einer Haussuchung nach Waffen im Hause des Fabrikanten Zöbisch ein junger Rotgardist durch den Anblick einiger auf dem Tisch liegender Schmucksachen bestechen lassen und sie mitgenommen. Der Fabrikant meldete diesen Vorfall bei der militärischen Leitung. Ich ordnete eine strenge Durchsuchung an, die zunächst erfolglos war.
Nach unserem Aufruf an die Arbeiterschaft meldete sich eine junge Arbeiterin, der ein Rotgardist einen Ring geschenkt hatte. So fanden wir den Übeltäter. Dem Fabrikanten wurde sein Schmuckstück wiedergegeben, um die Sache der Arbeiter nicht zu diskreditieren, der Rotgardist wurde zwecks Bestrafung festgesetzt.
In einem anderen Fall hatte ein von auswärts zugereister Rotgardist, der die Stellung eines Gruppenführers bekleidete, seinem Quartierwirt Silbermünzen entwendet. Bei meiner Ankunft in Klingenthal an der tschechoslowakischen Grenze drängte sich ein Mann in meine Nähe und behauptete, einer unserer Rotgardisten hätte ihm sein ganzes, mühsam erspartes Silbergeld, etwa eineinhalbtausend Mark, gestohlen. Der Mann berichtete: Während unsere Truppen seinen Heimatort passierten, reichten ihnen die Einwohner Kaffee und andere Erfrischungen. Auch er habe eine Gruppe unserer Mannschaften bewirtet, und einer davon müsse unbedingt das Geld an sich genommen haben.
Ich veranlasste die Visitation sämtlicher Rotgardisten, selbst die Kompanieführer mussten sich eine Durchsuchung gefallen lassen. Trotz dieser wiederholt und überraschend vorgenommenen Leibesvisitationen konnte bei keinem der Rotgardisten auch nur eine Spur des Geldes gefunden werden. Ich war durch die Erfolglosigkeit des Suchens sehr niedergedrückt und glaubte fest, der Mann habe mir einen Bären aufgebunden, um einen Schadenersatz herauszuholen.
In der gleichen Nacht kontrollierte ich die ausgesandten Feldwachen. Bei einem der am weitesten vorgeschobenen Doppelposten fehlte der verantwortliche Führer. Auf meine erstaunte Frage nach seinem Verbleib antworteten die Rotgardisten, der Gruppenführer sei schon seit mehreren Stunden verschwunden. Nach fast einstündigem Suchen fand ich ihn völlig betrunken in einem Wirtshaus, wo er bereits eine auffallend große Zeche gemacht hatte, obwohl für die roten Truppen strenges Alkoholverbot bestand. Da stieg der Verdacht in mir auf, dass dieser pflichtvergessene Mensch auch fähig wäre, seinen Quartiergeber zu bestehlen. Die Taschen und das Rockfutter des Mannes wurden genauestens untersucht. Wir fanden auch wirklich einige Silbermünzen, über deren Herkunft er keine genügende Auskunft geben konnte. Ich drang in ihn, und er gestand, das Geld entwendet zu haben. Den Rest der Münzen habe er im Walde versteckt.
Über das Verhalten des Rotgardisten war ich so erbittert, dass ich mich dazu hinreißen ließ, ihn an Ort und Stelle zu züchtigen. Ich prügelte ihn mit seinem Gewehr, bis er wie ein Klotz umfiel; ich befürchtete, ihn totgeschlagen zu haben. Meine Begleiter trugen den Mann in die nahe Wachstube. Am nächsten Morgen meldete er sich ernüchtert bei mir, bat unter Tränen um Verzeihung und um Wiederaufnahme in die kämpfende Truppe. Das musste natürlich abgelehnt werden. Der Bestohlene aber erhielt den vollen Betrag wieder. Das sind die einzigen Fälle, die mir bekannt wurden, wo revolutionäre Soldaten vergaßen, was sie der Sache ihrer Klasse schuldig waren.
Die Zahl der Roten Soldaten vergrößerte sich täglich, und so mussten weitere zahlungsfähige Kreise herangezogen werden. Die Plauener Fabrikanten verpflichteten sich, ohne dass wir einen besonderen Druck auf sie ausübten, zu einer wöchentlichen Zahlung von nunmehr hunderttausend Mark.
Die Aktionsausschüsse der um Markneukirchen liegenden Orte erbaten unsere Unterstützung. Sie befürchteten, von der Markneukirchener Bürgerwehr angegriffen zu werden. Um dem zuvorzukommen, unternahmen wir mit den bewaffneten Arbeitern von Ölsnitz im Vogtland, Adorf und anderen Orten einen Angriff auf Markneukirchen. Während wir langsam gegen die Stadt vorrückten, sandte ich einen Parlamentär zu dem Bürgermeister mit der Aufforderung, innerhalb zehn Minuten die Waffen niederzulegen, andernfalls wir den
Kampf eröffnen würden. Der Bürgermeister antwortete, dass die Einwohnerwehr von Markneukirchen bereit sei, die Waffen an uns abzugeben. Mittlerweile war es aber schon zu einer Schießerei zwischen unseren Truppen und der Bürgerwehr gekommen, wobei ein Zuschauer durch ein abirrendes Geschoß getötet wurde.
Als wir uns mit unseren Autos dem Rathause näherten, konnten die Wagen nicht weiter. Die brave Bürgerwehr hatte durch die vier Jahre Kriegmachens gelernt und regelrechte Schützengräben ausgehoben, die ganzen Straßen aufgerissen und sich auf eine große Schlacht vorbereitet.
Die Bürgerhelden waren bald überwältigt, und ich gab einigen von ihnen, dem Bürgermeister, den beiden Pastoren, dem Führer der Bürgerwehr, Oberleutnant Schatz, und anderen die nötige Anzahl Schaufeln; unter meiner Aufsicht mussten sie die etwa zwei Meter tiefen Gräben zuschaufeln. Als Sicherstellung für die noch abzuliefernden Waffen mussten die reichen Fabrikanten eine sofortige Zahlung von hunderttausend Mark an uns leisten.

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