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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Drei tapfere Genossinnen -  Endkampf in Breslau

Nach der endgültigen Trennung von Klara, meiner Frau, suchte ich fieberhaft durch Vermittlung von Parteifreunden und den zentralen Parteistellen eine zuverlässige. Genossin zu finden, die bereit war, mit mir eine Zweckehe einzugehen. Sie sollte die gesetzlich gegebene Möglichkeit ausnutzen, mich als meine Frau in bestimmten Zwischenräumen zu besuchen und so eine regelmäßige und sichere Verbindung zwischen mir und der Außenwelt herstellen. Meine Freunde erkannten die Notwendigkeit einer solchen Zweckehe nicht an.
Mit Traute, der zweiten Frau, nach der Trauung im Zuchthaus, 1925
Weihnachten 1924 hatte ich Gelegenheit, mich mit dem Genossen Arthur Dombrowski zu besprechen, der als Redakteur unserer Breslauer Zeitung damals gerade eine Strafe absaß. Er sollte in etwa vierzehn Tagen aus der Haft entlassen werden und versprach mir, eine Genossin zu suchen, die bereit sei, auf meinen Wunsch einzugehen. Er hielt Wort.
Zunächst gewann Dombrowski zwei deutschrussische Genossinnen, Lena und Katja, von denen die eine in der russischen Roten Armee mitgekämpft hatte. Sie besuchten mich, so oft es gestattet wurde, und arbeiteten mit beispielloser Energie jahrelang für meine Wiederaufnahmesache und zugleich für andere gefangene Genossen. Bald darauf fand Dombrowski eine deutsche Genossin, die, begeistert für die ihr gestellte politische Aufgabe, mit mir die Zweckehe schloss. Genossin Traute, nunmehr vor dem Gesetz meine Frau, entwickelte eine bewundernswerte Aktivität. Sie sprach als Genossin Hoelz im ganzen Reich in Hunderten von Versammlungen und Kundgebungen. Ihre Wirksamkeit brachte nicht nur meine Wiederaufnahmesache endlich in Fluss, sondern förderte auch in hohem Maße die von der Roten Hilfe organisierte Massenbewegung für die Freilassung aller gefangenen Revolutionäre.
Als der Direktor merkte, dass sich wieder Menschen um mich bekümmerten und dass dadurch in der Öffentlichkeit bekannt wurde, wie schikanös er mich behandelte, änderte er sein rigoroses Verhalten und gewährte mir eine ganze Reihe Erleichterungen. Unter anderem durfte ich mich täglich zwei Stunden lang mit zwei anderen Gefangenen im Hof bewegen und auch Turnübungen machen. Ferner wurde mir - als besondere »Vergünstigung« - das Rauchen erlaubt. Meine Mitgefangenen, die ja nicht Zuchthaus-, sondern Gefängnisstrafen verbüßten, durften gemäß der Gefängnisordnung rauchen. So hatte ich keine Veranlassung, das Angebot wie seinerzeit in Münster abzulehnen. Außerdem durfte ich mir von den zwanzig Mark, die mir meine vogtländischen Freunde und die Rote Hilfe allmonatlich schickten, Zusatzlebensmittel, Obst und Zeitungen kaufen. Besuche durfte ich in kürzeren Zwischenräumen empfangen.
Ich wusste, dass viele meiner Leidensgenossen, die in Zuchthäusern saßen, diese Erleichterungen nicht hatten. Ich wollte nicht besser gestellt sein als sie und verlangte deshalb meine Verlegung in ein Zuchthaus. Meine Anträge wurden vom Strafvollzugsamt und dem Ministerium abgelehnt, wieder mit der Begründung, es gäbe im ganzen Osten keine Anstalt, in der ich so sicher wie in Breslau untergebracht werden könne. Nun kündigte ich an, dass ich, um meine Verlegung zu erzwingen, in Obstruktion treten wolle, wie vordem in Münster. Meine Verteidiger wie meine Parteifreunde waren entsetzt, als sie hörten, dass ich unter allen Umständen meine Rückverlegung in ein Zuchthaus erzwingen wolle. Sie sagten, es sei heller Wahnsinn, von Breslau fortzuwollen, ich hätte hier doch eine ganze Menge Erleichterungen, die man mir im
Zuchthaus bestimmt nicht gewähre. Sie begriffen nicht, dass es für mich unerträglich war, besser behandelt zu werden als die übrigen Genossen.
Ich bereitete insgeheim alles für die Obstruktion vor, schmuggelte Briefe an meine Freunde aus der Anstalt, in denen ich genaue Anweisungen gab, wie sie meine Obstruktion von außen unterstützen sollten, schrieb Zeitungsartikel für die kommunistische Presse über die schikanösen, eigenartigen Methoden des Direktors und des Kasseninspektors.
Die Direktion traf Gegenmaßnahmen: sie ließ meine Besucher nicht mehr vor, und eines Tages verhaftete man auf eine Anzeige der Verwaltung hin meine Frau Traute und die Genossinnen Lena und Katja. Wochenlang saßen sie im Frauengefängnis. Alle in ihrer Wohnung befindlichen Briefe und Schriftstücke wurden beschlagnahmt. Dadurch fiel der Behörde ein Teil meines Obstruktionsplanes in die Hände. Das zwang mich früher loszuschlagen, als ich wollte, und ehe ich alle Vorbereitungen getroffen hatte.
Eines Tages - ich hatte von der Verhaftung meiner Frau und der beiden Genossinnen keine Ahnung - befand ich mich mit einem Begleiter in der Hofstunde. Ich bemerkte, wie fremde Zivilisten mich vom Büro des Kasseninspektors aus beobachteten und wie vier Männer, sichtlich Kriminalbeamte, nach den Zellenflügeln in Richtung meiner Zelle liefen. Ich vermutete sofort, dass eine Durchsuchung vorgenommen werden sollte. Dass man nichts finden würde, wusste ich. Aber ich wusste auch, dass sich die Kriminalbeamten bestimmt nicht mit der Durchsuchung der Zelle begnügen, sondern auch mich persönlich durchsuchen würden. Ich trug einen Pack Briefe und Artikel über den Direktor bei mir, die ich am nächsten Tag aus der Anstalt schmuggeln wollte. Wenn die Kriminalbeamten diesen Umschlag bei mir fanden, konnten sie und der Direktor triumphieren. Ich sah keine Möglichkeit, die in meiner Tasche befindlichen Schriftstücke irgendwie und - wo zu verbergen. Der Aufseher beobachtete mich besonders scharf, und überdies wurde ich, wie erwähnt, von verschiedenen Fenstern aus beobachtet. Nach wenigen Minuten wurde ich in die Anstalt gerufen und von zwei Beamten in den Vernehmungsraum - zwei leerstehende Zellen mit durchbrochener Zwischenwand - geführt. In dem Raum befanden sich nur ein Tisch und auf der einen Seite des Tisches etwa vier Stühle. Ich stand allein drinnen, draußen vor der Tür hielten die Beamten Wache. Jeden Augenblick mussten die Kriminalbeamten eintreten, und dann waren die in meinem Besitz befindlichen Schriftstücke so gut wie verloren.
In der Zelle gab es keine Möglichkeit, den dicken Briefumschlag zu verbergen. Plötzlich kam ich auf den Gedanken, die Schriftstücke unter ein auf dem Stuhl liegendes Kissen zu legen. Das war gewagt: es brauchte nur einer der Kriminalbeamten die Lehne des Stuhles anzufassen und ihn etwas seitwärts zu rücken oder ihn zu heben, so rutschte unweigerlich das Päckchen hervor.
Kaum hatte ich die Schriftstücke versteckt, als auch schon die Tür aufging und der Direktor mit sechs Kriminalbeamten eintrat. Der Direktor setzte sich ausgerechnet auf den Stuhl, unter dessen Kissen die Briefe und die gegen ihn gerichteten Artikel lagen. Ich wurde sorgfältig durchsucht; man fand nichts. Dann führte mich ein Beamter in meine Zelle zurück. Ich gab die Schriftstücke schon verloren, denn selbst wenn die Kriminalbeamten den Brief nicht gefunden hatten, bestand kaum eine Möglichkeit, ihn wieder in meinen Besitz zu bekommen.
Als ich an meiner Zellentür den Kalfaktor in Holzpantinen vorbeischlurfen hörte, klopfte ich und flüsterte ihm zu, er möge versuchen, in den Vernehmungsraum zu gelangen, und dort nachsehen, ob auf einem Sessel ein dicker Briefumschlag liege. Der Gefangene, ein findiger Kopf, fand Zutritt in das Vernehmungszimmer und erwischte auch die Papiere. Am nächsten Morgen, als die Kübel entleert und gereinigt wurden, steckte er den Umschlag ungeöffnet in den leeren, gesäuberten Kübel.
Kurz nach dieser Affäre, Ende Juni, begann ich mit der vorbereiteten Obstruktion, um dadurch die Behörde zu zwingen, mich in ein Zuchthaus zu überführen, nachdem alle meine Eingaben abgelehnt worden waren.
Früh beim Zellenaufschluss sprang ich rasch aus der Zelle und begann mit laut durch die Gänge schallender Stimme Verse von Mühsam, Teile aus A. T. Wegners »Ankläger« und das wirkungsvolle »Sturm, mein Geselle, du rufst mich« von Karl
Liebknecht zu rezitieren. Nach einigen Minuten gelang es einem Dutzend herbeigerufener Beamter, mich mit Gewalt in die Zelle zurückzubringen. Da ich diese Obstruktion mittags wie abends mit aller Lungenkraft fortsetzte und unter den Gefangenen dadurch lebhafte Unruhe hervorrief, gab der Direktor die Anweisung, mich in die Tobzelle zu schaffen.
In der Tobzelle wurde ich zwölf Tage festgehalten, ohne an die frische Luft gelassen zu werden. Die Zelle wurde nur sehr wenig gelüftet. Matratze und Fußboden stanken genau wie in Münster entsetzlich nach Kot und Urin, die Suppe erhielt ich in einer Schüssel aus Pappe. Aus Pappe war auch ein kleiner Topf, in den ich meine Notdurft verrichten sollte. In den ersten Tagen war zu diesem Topf überhaupt kein Deckel vorhanden. Erst auf meine Proteste hin wurde einer angebracht. Er schloss jedoch schlecht. Es stank schrecklich.
Mangels jeglicher Lektüre wurde mir das während der ganzen Nacht in der Zelle brennende Licht wieder zu einer unerträglichen Qual. An Schlafen war nicht zu denken, neben der Tobzelle lagen die Zwinger der Wachhunde. Die Köter bellten die ganze Nacht hindurch. Auf meine Beschwerde an den Strafvollzugspräsidenten erhielt ich folgende Antwort:
»Bescheid auf Ihre, meinem Sachbearbeiter am 13. Juni
1925 mündlich vorgetragene Beschwerden:
1. Das Licht in der Beruhigungszelle ist erforderlich, damit der darin befindliche, meist sehr erregte Gefangene stets beobachtet werden kann. Eine Abänderung dieser Vorsichtsmaßnahme lehne ich ab.
2. Der Deckel des Kübels hat so dicht geschlossen, wie es nur möglich ist.
3. Die Verabfolgung der Speisen auf Papiertellern erfolgt im Interesse der in der Beruhigungszelle befindlichen Gefangenen. Es soll dadurch verhindert werden, dass die betreffenden Gefangenen Unheil anrichten. Ich vermag daher diese Anordnung des Direktors nicht zu beanstanden.
4. Eine Störung der Nachtruhe durch die Anstaltshunde ist nicht möglich, weil die Hunde nur bei Tag im Hundezwinger gehalten werden. Es wird im übrigen dafür Sorge getragen werden, dass der Hundezwinger etwas abgerückt wird, soweit es die Raumverhältnisse gestatten.
5. Die Anordnung des Direktors, dass die Gefangenen in der Zeit, in der sie sich in der Beruhigungszelle befinden, nicht zum Spaziergang in den Anstaltshof geführt werden, ist nicht zu beanstanden. Die Lüftung der Beruhigungszelle ist als genügend zu bezeichnen. Eine längere oder dauernde Lüftung der Beruhigungszelle kann im Interesse der Ruhe und Ordnung der Anstalt nicht zugelassen werden.«
Um mich widerstandsfähig zu erhalten, zwang ich mich selbst in der Tobzelle zu meinen gymnastischen Übungen. Ich turnte täglich vier Stunden, und als ich nach zwölf Tagen endlich aus der Tobzelle herauskam, war ich sehr heruntergekommen, aber nicht so gebrochen wie nach meiner ersten Einsperrung in der Tobzelle zu Münster.
Anschließend erhielt ich vierzehn Tage Arrest; außerdem waren alle meine Bücher aus der Zelle genommen worden, auch mein Schreibzeug. Kein Stückchen Papier, kein Bleistift, nichts durfte in meiner Zelle sein. Die Zeitungen wurden mir gesperrt, Besuche meiner Angehörigen verweigert und der so genannte Spaziergang im Hof auf eine halbe Stunde verkürzt.
Nach den Strafvollzugsbestimmungen durfte ich, da ich an Rheumatismus litt, nicht mit Arrest bestraft werden. Der Direktor tat es dennoch und berief sich dabei auf den Arzt, der mich angeblich als arrestfähig bezeichnet hatte. Es handelte sich um denselben Arzt, den ich schon wiederholt angespuckt hatte und der in der Anstalt allgemein als roher Mensch galt.
Ich beschwerte mich beim Strafvollzugspräsidenten über die Unterbringung in der kalten Arrestzelle trotz meiner Erkrankung und darüber, dass der mit Arrest bestrafte Gefangene, der Durst hat oder den Arzt braucht, sich mangels geeigneter Vorrichtungen dem Aufseher nicht bemerkbar machen kann. Ich erhielt folgende Antwort:
»1. Nach dem Gutachten des Anstaltsarztes waren Sie arrestfähig.
2. Die Beamten sind angewiesen, die im Arrest befindlichen Gefangenen besonders häufig zu revidieren, so dass sich die Anbringung einer Vorrichtung durch die sich der Gefangene bemerkbar machen kann, erübrigt. Eine derartige Einrichtung befindet sich in keiner Arrestzelle einer preußischen Anstalt.«

In Wahrheit befinden sich jedoch in fast allen anderen preußischen Anstalten in den Arrestzellen derartige Einrichtungen.
Nachdem ich aus dem Arrestkäfig wieder in meine Zelle zurückgebracht worden war, begann ich, obwohl mir meine angeschwollenen Gelenke das Gehen kaum ermöglichten, sofort wieder zu obstruieren. Ich wollte unter allen Umständen meine Verlegung in ein Zuchthaus erzwingen, um so mehr, als die irreführende Behauptung verbreitet wurde, man begnadige mich demnächst.
Offenbar sollte dadurch der Kampf meiner Parteifreunde und Genossen um die Wiederaufnahme meines Verfahrens gehemmt werden.
Sofort, nachdem ich meine Obstruktion wieder aufgenommen hatte, wurde ich erneut in die Tobzelle geschafft. Dort lag ich vier Tage, dann wurde ich wieder in meine Zelle zurückgebracht, und wieder begann ich mit der Obstruktion, worauf ich zum dritten Mal in die Tobzelle geworfen wurde. Diesmal blieb ich nur etwa zwei Tage drin, dann kamen mitten in der Nacht Automobile in den Anstaltshof. Ich wurde so, wie ich war - im Drillichanzug, ohne Hut, nur mit Pantoffeln an den Füßen -in ein offenes Auto gesteckt und bei strömendem Regen in einer tollen Gewitternacht nach dem Zuchthaus Groß-Strehlitz transportiert.

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