| WidmungUrsprünglich wollte ich dieses Buch auf die Schilderung meiner  Zuchthausjahre beschränken. Diese acht Jahre lassen sich aber nicht von  dem trennen, was vorher war. Sie waren nur die Folge der Erfahrungen  und Eindrücke während der ersten drei Jahrzehnte meines Lebens.Ich  widme den ersten Teil des Buches, der meine Jugend-, Kriegs- und  Revolutionserlebnisse umfasst und meine Entwicklung vom christlichen  Jüngling zum klassenbewussten Revolutionär schildert, den deutschen und  russischen Arbeitern. Denn bei ihnen fand ich die große Idee des  proletarischen Befreiungskampfes, die mir zum Wegweiser aus  Gottergebenheit und individuellem Streben wurde und mir meinen Platz  und meine Aufgabe in den Reihen der Unterdrückten zeigte. Sie waren es,  deren Beispiel befruchtend und anfeuernd auf mich wirkte. Das geistige  Verbundensein mit ihnen gab mir die innere Sicherheit, ohne die ich  meine Kämpfe nicht hätte durchführen und ihre Folgen - acht grausame  Zuchthausjahre nicht hätte ertragen können. Ich will ihnen an Stelle  der Legenden, die meine Feinde und manche Freunde über mich verbreitet  haben, eine ehrliche Darstellung meines wirklichen Denkens und Handelns  geben.
 Den zweiten Teil, meine Erinnerungen an das »Leben« hinter  Zuchthausmauern, widme ich nicht nur allen politischen Gefangenen,  sondern auch den kriminellen, den Dieben, den Meineidigen, den  Sexualverbrechern, den Zuhältern, Mördern und Schwindlern, allen, die  für Jahre oder Jahrzehnte lebendig begraben sind. Ob die »Schuld« des  einen auf Veranlagung, die des andern auf das soziale Milieu, in dem er  lebte, zurückzuführen ist, gilt mir gleich: ich liebe sie alle. Bei  allem Hässlichen und Abstoßenden, das ich an kriminellen Gefangenen  wahrnahm, stehen sie mir näher als mancher behäbige und selbstherrliche  Mensch, der mir nach meiner Rückkehr in die Freiheit als angeblicher  Freund die Hand drückte.
 Die Selbstsucht und Verlogenheit, der Neid, die Missgunst und Rohheit  der von der bürgerlichen Gesellschaft Ausgestoßenen sind wahr und echt.  Sie tragen wenigstens keine Maske. Die Wunden und Geschwüre, die  hässlichen Narben, die ihren Körper und ihre Seele verunstalten, hat  ihnen das Leben geschlagen. Das Leben aber sind wir alle. Also sind wir  alle mitverantwortlich und haben keinen Anlass zur Überheblichkeit.
 Auch die  klassenlose Gesellschaft wird sich - wenn nötig - gegen Schädlinge sichern.
 Bestrafen  aber - ob zur Vergeltung oder zur Besserung - ist eine Anmaßung des  bürgerlichen Klassenstaates.
 Was ich im Zuchthaus erlebte, war nur ein Ausschnitt aus jener  Wirklichkeit, die die kapitalistische Gesellschaft hinter den tönenden  Worten: Justiz, Gerechtigkeit, humaner Strafvollzug, Fürsorge und  sittliche Hebung verbirgt.
 Ich  schildere meine Erlebnisse, um in den Lesern - vor allem in jungen,  unverkalkten - den
 Willen  zum Kampf gegen die bürgerliche Klassenherrschaft zu wecken und zu schärfen.
 Ich bringe dabei viel Persönliches zur Sprache. Das war unvermeidlich,  denn alles Persönliche war zugleich Gemeinsames. Nicht nur ich hatte  schwer arbeitende arme Eltern, nicht nur ich wurde als Knecht  geprügelt, lief weg, suchte hungernd Arbeit, glaubte an Gott und zog in  den Krieg, nicht nur mir gingen die Augen auf, so dass ich das Gewehr  gegen die Unterdrücker wandte, nicht nur ich stand vor den  Klassenrichtern, nicht ich allein lag nackt und blutig in den  Folterkammern deutscher Zuchthäuser! Tausende erleben und erleiden  dasselbe wie ich. Sie sind stumm. In ihrem Namen spreche ich.
 Max Hoelz Berlin, Januar 1929
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