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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Jugend-, Kampf- und Zuchthauserlebnisse

Max Hoelz von Johannes Arnold

Allein sein Name ist Legende, wenn man, dem Lexikon folgend, mit Legende eine unverbürgte, sagenhafte Erzählung meint. Aber Max Hoelz lebte, das ist verbürgt, und wo auch immer sein Name genannt wird, werden Geschichten erzählt, tatsächlich geschehene und erfundene. Die erfundenen sind so möglich wie die wahrhaftigen unglaubwürdig.
Vom Vogtland bis nach Mitteldeutschland will ihn jeder gekannt, jeder auch das erlebt haben, was nur er erlebte, plante, dachte, mit Wohlgefallen hätschelte oder aus Einsicht das Vergessen verbannte.
Freunde und Feinde führen seinen Namen ins Feld, wenn sie die Geschichte der Nachkriegszeit, die diesseits des ersten Weltkrieges liegt, und jene Vorkriegszeit, die am Beginn der faschistischen Herrschaft von sich reden macht, plausibel erklären wollen.
Freunden und Feinden dient Max Hoelz als Beweis für solche und solche Theorien. Ihm wird Verantwortung für Sieg und Niederlage aufgebürdet, zuviel für einen einzigen Mann. Da geraten Wirklichkeit und unerfüllte Wünsche, Hoffnungen leicht durcheinander, Sagenhaftes wird berichtet, dann erzählt, ausgeschmückt, rundgeschliffen, des Effektes wegen. Ein Held ist geboren, der seinen heldenhaften Weg schon hinter sich hat, als sein Name das erste Mal bekannt wird.
Er ist, wissen wir aus der Geschichte, bereits zu seinen Lebzeiten eine legendäre Gestalt der Arbeiterbewegung, des revolutionären Proletariats, der kämpfenden Arbeiterklasse gewesen. Er ist, wissen wir aus den Berichten, Steckbriefen, geheimen Mitteilungen der Polizei, in seinen besten jungen Jahren, noch nicht dreißigjährig, das personifizierte »Gespenst« gewesen, das umging seit einem halben Jahrhundert in Europa.
Aus Liebe und Hass, aus Verehrung und Furcht entstehen Geschichten, die ihm zugeschrieben werden. Oftmals sind sie bewusst bösartig erlogen, manchmal aus reiner Erzähllust erdacht, immer aber geschmückt mit bunten Bändern, der Freude wegen bei Erzähler und Zuhörer gleichermaßen. Verfälscht bis zur Unkenntlichkeit ist das Leben des Mannes Max Hoelz, das nur knappe vierundvierzig Jahre bis zu seiner Vollendung zählte.
Dies wissend, ist keinem der Stolz zu verwehren, Hoelz als Vogtländer im Vogtland gehabt, keinem die Ehre abzusprechen, diesen Kämpfer gegen den Kapp-Putsch in die eigenen Reihen gezählt, keinem die unauslöschliche Erinnerung zu nehmen, diesen ungestümen, unberechenbaren Revolutionär während des Mitteldeutschen Aufstandes kämpfend erlebt zu haben auf verlorenem Posten, das eigene Leben nicht schonend, auch andere Leben nicht aus dem einzigen Grund: Leben zu erhalten.
Wer wünscht nicht, in jener Zeit mit ihm gewesen zu sein? Der Mann, von dem hier die Rede ist, erlebt den ersten Weltkrieg an der Front, sucht seinen Weg als Pazifist, lernt nichts mehr lieben als den Frieden auf Erden, in dem die Menschen in Wohlgefallen leben. Zwar findet er die Straße glatt und begehbar vor, aber er kann ihren Endpunkt nicht entdecken. Er braucht ein Ziel, schließt sich dem kämpfenden Proletariat an, wird zu einem seiner militärischen Führer, zum Kommunisten, einem streitbaren, umstrittenen, tätigen, was heißt kämpfenden, gegen die Macht, die die Unterdrückung des Menschen mit Lust praktiziert; da ist noch mehr als dies alles, es liegt für ihn der Sinn des Lebens im Wirken für die Würde des Menschen.
Auch Gerechtigkeitssinn lebt in ihm, übertrieben, wie wir wissen, oftmals auch unbeachtet, wie wir erfahren aus seinem bewegten Leben. Zwiegespalten ist er hier und dort, aber nie verzagt, kleinmütig gar, es möchte nicht gelingen, mit den Mitteln der Gewalt gegen die Gewalt siegreich zu sein. Auch daher kommen die Geschichten über ihn und seine »Heldentaten«, die in Wahrheit Taten eines Mannes sind, der Zuversicht verbreitet, Entschlossenheit vorlebt, der das Große beginnt, gewinnt, verliert. Er ist ein Mensch, der keinen Kompromiss will, ihn auch für sein eigenes Leben, für seine Sicherheit, seine Gesundheit, sein Wohlergehen nicht in Anspruch nimmt.
Er schlägt den Ratschlag in den Wind, er ist besessen von seiner eigenen Disziplin; wenig hält er von Strategie, lieber schürt er das Feuer der Revolution mit Haken und facht es an mit Öl statt mit Erkenntnissen, mit der Weisheit des Volkes.
Schöne, große, bunte Bilder entstehen vor den Augen der Zuhörer, wenn irgendwo einer anfängt von Max Hoelz zu erzählen, vielleicht oben im heiteren vogtländischen Falkenstein, vielleicht unten im ehemaligen Chemnitz, im Mansfeldischen, im Böhmischen, in Berlin. Am Stammtisch gar Hoelz-Geschichten. Weniger haben sie Platz und Wirkung in vorbereiteten, ideologischen Diskussionen. Es braucht nicht eines geschickten Erzählers, um Max Hoelz lebendig in der Runde zu haben und ihn gleichzeitig auf einem Lastwagen mit bewaffneten Arbeitern Städte im Sturm nehmen zu sehen, die Reichswehr flüchtet, Detonationen, die Berliner Siegessäule stürzt, Banken schütten ihr Geld auf die Straße, damit sich die Armen, geführt von Hoelz, bedienen können, Milch für Kinder wird verteilt, ein Viertelliter vorerst...
Aus dem Kommunisten Max Hoelz wird auf einfache Art und Weise nach dem Willen des Volkes der Räuberhauptmann, der Wegelagerer, der Rebell. Das Volk will ihn so in seiner Erinnerung haben, da helfen nicht wissenschaftliche Analysen seiner Handlungen. Zugute wird Hoelz gerechnet, er rebelliert nicht gegen bestehende Verhältnisse der eigenen Empörung wegen, sondern nimmt für sich in Anspruch, im Namen seiner Klasse zu kämpfen; er raubt nicht, um das eigene Vermögen aufzubessern, denn der unvermögende Hoelz gibt jede erbeutete Mark den Ausgebeuteten. Er liegt nicht am Wege, den Kaufleuten aufzulauern, sondern der Macht, die durchs Land zieht und sich selbst gröblichst missbraucht.
Ein Mensch ist er, wenn man so will, und ein guter Mensch obendrein, der das Böse auf sich nimmt, um die Welt zu bessern.
Hoelz tut nichts zu seinem Ruhm, nur gelegentlich erzählt er seine eigene Geschichte. Aus seinem Mund aber wird sie zur Geschichte seiner Klasse, zu einem Bericht der Kämpfer, zum Protokoll der Zeit: »In einer Sitzung des Arbeitslosenrates erschien ein Blinder, der seinen kümmerlichen Unterhalt mit Korbflechten verdiente, und bat um ein Darlehn von tausend Mark, um sich Weiden für seine Arbeit kaufen zu können. Ich sandte sofort ein Mitglied des Vollzugsrates zu einem steinreichen Großhändler, dem die Unmassen seines Geldes große Sorgen bereiteten, ließ ihn holen und forderte ihn auf, dem Blinden das Gewünschte zu geben; der arme Reiche erklärte sich dazu bereit.«
Solche Episoden sind zu Dutzenden im Umlauf. Heute, aus geschichtlicher Distanz betrachtet, sind sie den Spaß des Erzählens wert, bekommen anekdotischen Charakter; heutzutage über sie nachgedacht, fördern sie die Besinnung, welchen Weg die Würdelosen, Unterdrückten, Ausgebeuteten, Geschundenen bis zu ihrer Befreiung gehen mussten, welchen Irrungen sie unterlagen, welchen Wirren sie entrannen, auch mit Max Hoelz, dem Rebellen, der zu Unrecht Rebell genannt wird.
Max Hoelz, der legendären Gestalt der deutschen Arbeiterbewegung, liegt bei allen seinen Entscheidungen, bei allen Verhandlungen mit Freund und Feind, mutigen und feigen Zeitgenossen, jener Spott auf der Zunge, der aus jahrelanger Demütigung entstanden ist und der jetzt die Hochmütigsten klein werden lässt. Das eigene durchlebte Elend hat ihn gelehrt, mit Sachverstand zu reden, wo gescheite Reden am Platze sind, das eigene Unwissen hat ihn dazu gebracht, sich Wissen anzueignen, um überall mitdenken, mithandeln zu können, wo sich Menschen anschicken, ein Stück Welt zu verändern. Trifft er aber auf die Dummheit der Herrschenden, stellt er sie schonungslos an den Pranger.
Der Pfaffengrüner Rittergutsbesitzer erfährt, dass man Hoelz nicht beim Wort nehmen soll. Er fordert seine Tagelöhner auf, die eine Lohnerhöhung erbitten: »Geht zu Hoelz und lasst euch von ihm etwas geben.« Die Tagelöhner kommen zu Hoelz. Gleichen Abends schreibt er dem Herrn Rittergutsbesitzer einen wohlgesetzten Brief, denn dieser Hoelz kann mit der Feder umgehen wie mit dem Gewehr: Dem Boten wären unverzüglich zehntausend Mark auszuhändigen, widrigenfalls er, Hoelz, die Pferde des Rittergutsbesitzers aus dem Stall ziehe, sie verkaufe, damit die Tagelöhner aus dem Gewinn ordentlich entlohnt werden könnten.
Der Rittergutsbesitzer gibt, Hoelz nimmt. Gibt gleichen Tags den Tagelöhnern. Es kommt ihm nicht in den Sinn, damit die Welt nicht gebessert zu haben.
Zu viele Rittergutsbesitzer, zu wenige Hoelz. Ein Kämpfer zieht mit seinen Kämpfern durchs Land. Er kommt wie der Wind, er geht wie der
Wind. Niemand kann ihn aufhalten, wie niemand den Wind aufhalten kann. Er ist überall, er lässt sich sehen, man kennt sein Gesicht, seine Gestalt.
Da steht er, der oft zu Hilfe Gerufene, der Geachtete, der Geliebte... Nein, dass er geliebt wurde, ist nicht verbürgt. Was ihm vom Volk entgegenschlägt, ist ein anderes Gefühl. Er ist schön anzusehen, wirklich schön. Ein Mann, dem die Frauen nachschauen. Dichtes, gelocktes Haar, Augen unter dicken Brauen. Wohin die Augen auch sehen, entdecken sie Neues, nehmen es auf, speichern es in einem wunderbaren Gedächtnis, aus dem die Bilder bei Bedarf abgerufen werden.
Der revolutionäre Kämpfer ist verheiratet, erstaunlich für so einen Menschen. Warum eigentlich verwunderlich? Er ist doch ein Mensch wie Tausende Menschen neben ihm, gewissenhaft, fehlerhaft, großzügig, leichtsinnig. Nein, Hoelz ist mehr, er ist mit seinem Leib ein Stück Barrikade der Revolution.
Das bringt ihm Missbilligung ein, die der Genossen neben ihm. Nennt man ihn in einem Atemzug mit Karl Liebknecht, weist ihn der besonnene Fritz Heckert in die Schranken. Den Feind in Angst und Schrecken zu versetzen ist die eine Seite der Revolution, die andere ist, Unentschlossene zu gewinnen und nicht in Furcht am Wegesrand stehen zu lassen. Die Politik der Partei und die Taten des Mitglieds der Partei Max Hoelz stehen oftmals nicht im Einklang.
Während des Kapp-Putsches im Frühling 1920 nennen sie Hoelz den »roten General«. Seine Kühnheit, seine Tapferkeit und sein persönlicher Mut werden gerühmt, weit über das Vogtland hinaus. Er ist, wo er gebraucht wird, er wird an allen Orten gleichzeitig verlangt. Die bewaffneten Arbeiter des Vogtlandes folgen ihm und gewinnen durch ihn ein Unmaß an Selbstvertrauen.
Was ist eine Schlacht im Laufe der Geschichte wert? Die Späteren erst werden die Antwort wissen. Max Hoelz, zu seiner Zeit, vergeudet die Stunde nicht mit philosophischen Fragen. Er denkt nur das Praktische, das Machbare, er tut es. Wo ist Not? Überall. In den Städten, auf dem Lande, in den Herzen der Menschen, in ihren Hirnen. Wo wird er wirklich gebraucht? In den Stuben, auf den Straßen, in Werkstätten, in Ratshäusern, die Bürgermeister zur Ordnung zu rufen. Also Not gelindert mit allen möglichen Mitteln und Waffen. Hier mit dem Gewehr das Lebensmittellager eines Kapitalisten aufgeschossen, dort mit der Handgranate ein Gefängnistor aus den Angeln gesprengt, damit die eingekerkerten Genossen frei werden, mit der Faust auf den Tisch der Republik gehauen, dieser verfluchten, die mit dem Volk spielt und nicht Ernst machen will mit seinem Wohlergehen. Mit einer Rede Zweifel zur Seite geschoben, in einer Häuslerstube ein richtiges Wort zur rechten Zeit gesprochen.
Max Hoelz ist auch ein Agitator.
Verblüffung, Verwunderung bleibt hinter Hoelz zurück, auch Nachdenklichkeit. Ist das die Stimme vom Anderswerden und Anderssein? Die Spur des
Rebellen ist kreuz und quer durchs Land zu verfolgen. Nebenher webt er seine Geschichten und seine Taten, seine Erfolge und seine Niederlagen, seine guten Gedanken und seine schlimmen Ideen ins Fahnentuch der Revolution.
Der Mann Max Hoelz, der in Falkenstein zum Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates gewählt wird, den die Mächtigen jagen in einer Treibjagd ohnegleichen, den seine Klassengenossen schützen, solange er sich schützen lässt, der in die Hände der weißen Mörder fällt und dennoch überlebt, der sich mit der Theorie des Sozialismus bekannt macht und oft nur seine eigenen Vorstellungen über den Sozialismus gelten lässt, den das Sondergericht später zu lebenslangem Zuchthaus und dauerndem Ehrverlust verurteilt, der nach acht Kerkerjahren von seinen Klassengenossen aus dem Zuchthaus befreit wird, diesen Mann zeichnet die Sowjetunion 1923 als ersten Deutschen mit dem Rotbannerorden aus.
Die Generationen nach dem Leben des Max Hoelz, im Vogtland, im Mansfeldischen, in Berlin, erzählen sich die Geschichten des Freundes der Armen, des unnachgiebigen Streiters gegen die Macht und die Herrschaft des Kapitals und seiner Helfershelfer. Und niemand will glauben, dass schon sechzig Jahre seit jenen Tagen vergangen sind, wie auch niemand wahrhaben möchte, dass erst ein halbes Jahrhundert vergangen ist, seitdem Hoelz nicht mehr an unserer Seite geht.
Max Hoelz lebt fort und fort. Aus dem Bild sieht er auf uns Heutige, und es ist, als hätte er ein leises
Lächeln auf den Lippen, als möchte er mitteilen: Erzählt euch ruhig eure Geschichten über euern Max Hoelz, es sind nicht die schlechtesten, denn: »Ich selbst hatte erkennen gelernt, dass es nicht genügt, sich gefühlsmäßig auf die Seite der unterdrückten, besitzlosen Klasse zu stellen, sondern dass man für die soziale Revolution auch mit all den Mitteln kämpfen muss, die ich im Krieg verachten gelernt hatte... «
Auch wenn man, dem Lexikon folgend, mit dem Wort Legende eine unverbürgte, sagenhafte Erzählung meint, sind die Geschichten, die über Max Hoelz bis in unsere Tage erzählt werden, ein Stück Geschichte unseres Landes, seiner Menschen, ihrer Siege, und die erfundenen sind so möglich, wie die wahrhaftigen unglaubwürdig sind.

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