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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Was ich mit Heinrich Brandler erlebte

Durch die Werbebüros, die wir in Falkenstein eingerichtet hatten, vergrößerte sich von Tag zu Tag die Zahl der aus allen Teilen des Reiches kommenden Arbeiter, die in der Vogtländischen Roten Armee mitkämpfen wollten. Bald stellte sich ein fühlbarer Mangel an Waffen heraus, dem abzuhelfen meine nächste und wichtigste Aufgabe war. Durch Genossen erfuhr ich, dass in der Kaserne in Frankenberg bei Chemnitz große Vorräte von Waffen aller Art, Munition und anderen Ausrüstungsgegenständen lagerten. Diese Waffen standen unter der Verwaltung der Reichswehr, die dort einen Hauptmann und fünfzig Mann untergebracht hatte. Nach meinen Informationen waren diese Waffen des Öfteren dem Chemnitzer Arbeiterrat bzw. Aktionsausschuss angeboten worden, ohne dass er sie holte und, wie es die Situation erforderte, an die Arbeiter verteilte.
Ich beschloss, die Waffen in Frankenberg zu holen. Um nach Frankenberg zu gelangen, mussten wir über Zwickau und Chemnitz fahren. Für diese Aktion wählte ich dreißig Mann - besonders zuverlässige Genossen - aus, die weder Gewehre noch Revolver mit sich nahmen. Nur einige hatten sich Handgranaten eingesteckt.
Beim Umsteigen in Zwickau erregten wir Falkensteiner größtes Aufsehen. Der aus SPD-Leuten zusammengesetzte Aktionsausschuss in Zwickau bekam Angstzustände. Als wir nicht, wie sie befürchteten, in Zwickau ausstiegen, telefonierten
sie nach Chemnitz und meldeten, der berüchtigte Hoelz sei mit seinen Leuten auf dem Wege nach Chemnitz, um den Aktionsausschuss gefangen zu setzen. Beim Aussteigen auf dem Chemnitzer Bahnhof - wir mussten dort wieder umsteigen, um nach Frankenberg zu gelangen - sahen wir uns plötzlich von mehreren hundert Schutzleuten umringt, die sich dreißigtausend Mark verdienen wollten. Die sächsische Regierung hatte am Tage vorher die Prämie auf meinen Kopf auf dreißigtausend Mark erhöht.
Ich war über diesen Empfang einfach sprachlos, weil der Chemnitzer Aktionsausschuss, der paritätisch aus Rechtssozialisten und Kommunisten zusammengesetzt war, die Macht besaß. In diesem Aktionsausschuss spielte mein Parteigenosse Heinrich Brandler eine führende Rolle. Ich konnte mir nicht erklären, wie es unter diesen Umständen möglich war, dass die Chemnitzer Polizeiorgane es wagen konnten, uns einen solchen Empfang zu bereiten.
Die Schutzleute schickten sich an, mich zu verhaften. Als sich der Kreis der Ordnungshüter immer enger um mich schloss, gab ich das Kommando: »Handgranaten heraus!« Die Wirkung war einfach überwältigend. Beim Anblick der plötzlich aus den Taschen herausgezogenen drei bis vier Handgranaten stoben die Tapferen in wilder Hast auseinander.
Wir glaubten nun, freie Bahn zu haben und ungehindert nach Frankenberg gelangen zu können. Beim Verlassen des ersten Bahnsteigs sahen wir uns aber von einem neuen Schutzmannsaufgebot umringt. Ich fragte einen vor mir stehenden Oberwachtmeister, was er denn eigentlich hier wolle. Darauf legte er, entweder um mich zu beruhigen oder um mich im Namen des Gesetzes zu verhaften, seine Hand auf meine Schulter. Das veranlasste mich, ihm eine kräftige Ohrfeige zu versetzen. Er fiel der Länge nach auf die Schienen. Ich nahm seinen Revolver, schoss ein paar Mal in die Luft und trieb damit das ganze Aufgebot auseinander.
Um die Aufregung, die in Chemnitz herrschte, nicht noch zu steigern, verzichtete ich darauf, auf dem Bahnhof zu warten, bis der Zug nach Frankenberg abging. Wir marschierten im Gänsemarsch auf dem Bahndamm von Chemnitz nach Frankenberg. Nachdem wir ungefähr eine Viertelstunde gewandert waren, setzte plötzlich eine tolle Schie­ßerei hinter uns ein. Ich erblickte in einer Entfernung von etwa einem Kilometer Hunderte von Schutzleuten und Angehörigen der Chemnitzer Bürgerwehr, die uns einzukreisen versuchten. Obwohl sie gut bewaffnet waren, hatten sie scheinbar doch nicht den Mut, näher an uns heranzukommen, sondern folgten nur in sicherer Entfernung. Kurz vor Frankenberg erhielten wir auch von vorn Feuer.
Wie sich später herausstellte, hatten die Chemnitzer telephonisch die umliegenden Ortschaften und die dortigen Einwohner- und Bürgerwehren mit der Schauernachricht alarmiert, Hoelz wolle mit seinen Leuten die in der Nähe Frankenbergs internierten russischen Kriegsgefangenen befreien.
Trotz dieser vielfachen Angriffe schlugen wir uns bis Frankenberg durch und wurden von dem dortigen Aktionsausschuss auf das herzlichste empfangen.
Der Vorsitzende des Aktionsausschusses ging den anrückenden Chemnitzer Schutzleuten und Bürgerwehrhelden entgegen und erklärte ihnen, dass ich mit meinen Genossen unter dem Schutze der Frankenberger Arbeiterschaft stehe. Wenn die Chemnitzer es wagen würden, weiter vorzudringen, werde sich die Frankenberger Arbeiterschaft geschlossen auf meine Seite stellen. Über diese Er­öffnung waren die Chemnitzer verblüfft. Sie hatten erwartet, dass der Frankenberger Aktionsausschuss ebenso wie der Chemnitzer gegen uns sein werde. Enttäuscht kehrten sie nach Chemnitz zurück.
Eine Stunde später kam Brandler im Auto in Frankenberg an und bat mich, mit nach Chemnitz zu kommen, um dort dem Aktionsausschuss den Zweck meines Unternehmens zu erklären. Merkwürdig berührte es mich, als Brandler kurz vor unserer Ankunft in Chemnitz mich bat, im Aktionsausschuss nicht zu sagen, dass ich in Frankenberg Waffen holen wollte. Ich sollte erklären, ich hätte Kleider und Schuhe für meine Leute kaufen wollen. Während meiner Besprechung mit ihm versicherte Brandler mir, dass er mein Vorgehen im Vogtland durchaus billige, er freue sich, dass wir in Falkenstein so scharf zupackten, er wolle gerne zu uns kommen und unsere Pressepropaganda ausbauen.
In Chemnitz erlebte ich ein drastisches Beispiel von der »revolutionären Energie« des dortigen Aktionsausschusses. Er hatte es nicht verhindern können - auch gar nicht versucht -, dass die Polizei auf dem Bahnhof einen so blamablen »Empfang« inszenierte. Der Ausschuss fühlte sich überhaupt durch den revolutionären Tatendrang der vogtländischen Arbeiter in seiner Passivität gestört. Während wir handelten, hielt der Chemnitzer Aktionsausschuss lange Konferenzen ab, in denen die KPD- und SPD-Führer verhandelten, ohne eine wirklich revolutionäre Entscheidung zu treffen.
Im Ruhrgebiet stand die Arbeiterschaft im offenen Kampf nicht nur gegen die Kapp und Lüttwitz, zur Abwehr ihrer Militärdiktatur, sondern im Kampf, der sich schon direkt zum proletarischen Aufstand, zum Kampf um die Macht, entwickelte.
Die Stimmung in den Arbeitermassen wichtiger Industriezentren war revolutionär. Der Druck der Massen wirkte sich so stark aus, dass selbst sozialdemokratische Bezirksvorstände nach außen hin Losungen ausgeben mussten, die eine offene Konzession an den revolutionären Willen der Massen darstellten.
So gab der Bezirksvorstand der SPD vom Niederrhein seine Unterschrift zu einem Flugblatt, in dem »die Erringung der politischen Macht durch die Diktatur des Proletariats bis zum Siege des Sozialismus auf der Grundlage des Rätesystems« als erste Forderung stand.
Die Chemnitzer SPD verbreitete gleichfalls ein
Flugblatt mit der Forderung, der Diktatur der Militärkamarilla die Diktatur des Proletariats entgegenzustellen.
Natürlich waren diese revolutionären Losungen von den SPD-Führern nicht ernst gemeint, aber es spiegelte sich doch in ihnen die Stimmung der Massen wider, die zur Revolution drängte. Dieser Massenstimmung entsprachen die revolutionären Aktionen, wie sie die vogtländische Arbeiterschaft unter meiner Führung einleitete. Zugleich fühlten wir unsere proletarische Verpflichtung zu revolutionärem Auftreten, um dadurch die kämpfenden Arbeiter des Ruhrgebiets zu entlasten.
Es ist klar und lässt sich, wenn man heute die damaligen Verhältnisse rückschauend überblickt, nicht bezweifeln, dass für einen Endsieg der Revolution in Deutschland in der Periode des Kapp-Putsches die wichtigste Voraussetzung fehlte: die Existenz einer zielklaren, disziplinierten, eisernen und revolutionär geführten kommunistischen Partei. Auch unsere Aktion im Vogtland war beeinträchtigt durch die Illusion: nicht die Existenz einer solchen revolutionären Partei sei die wesentlichste Voraussetzung für den Endsieg der Revolution, sondern es genüge der revolutionäre Elan einiger beherzter Führer, wenn sie so wie Hoelz im Vogtlande die Massenstimmung zu tatkräftigem Vorgehen ausnützten.
Aber ebenso verhängnisvolle Illusionen über die Führerrolle der kommunistischen Partei, denen wir im Vogtlande uns aus einer Überschätzung der revolutionären Tatkraft des einzelnen hingaben, zeigte die damalige opportunistische Führung der KPD (Thalheimer-Levi-Zentrale), zeigte vor allem auch der Führer der Kommunisten in der Chemnitzer Bezirksleitung, Brandler.
Statt zu begreifen, dass eine revolutionäre Partei in den revolutionären Kämpfen nur die Führung übernehmen kann, wenn ihre eigene Haltung klar, beispielgebend und eindeutig ist, statt sich an die Spitze der Arbeiterklasse als wirkliche Avantgarde des Proletariats zu stellen und so das Vertrauen der breiten Masse zu erobern, richteten Brandler und die damalige Führung der KPD ihr Augenmerk auf die Sozialdemokraten und machten ihre Entschlüsse mehr oder weniger von der Haltung der SPD abhängig.
Es braucht kaum betont zu werden, dass keineswegs die Partei in ihrer Gesamtheit für die Fehler verantwortlich gemacht werden kann, die damals begangen wurden. In der Partei befanden sich auch zu jener Zeit die besten und revolutionärsten Elemente der Arbeiterklasse, aber es fehlte diesen aktiven und vorwärtsstrebenden Elementen, zu denen ohne Zweifel die revolutionären Kämpfer des vogtländischen Proletariats sich zählen dürfen, die genügende Klarheit und ideologische Schulung, die sie befähigt hätte, den Kurs der Partei herumzureißen und die schwankende und opportunistische Politik der leitenden Genossen durch eine konsequente bolschewistische Politik zu ersetzen.
Bei der damaligen opportunistischen Führung der Partei war es sowohl dem einzelnen revolutionären Arbeiter als auch den aktiv kämpfenden Formationen viel schwerer, sich bedingungslos der Disziplin der Partei zu unterwerfen; als es bei einer konsequenten und eindeutigen Führung der Fall gewesen wäre.
Typisch für die opportunistische Politik gewisser Spitzen unserer Partei in der Kapp-Periode ist das Eingeständnis der vollkommenen Pleite, wie es Brandler selbst in seiner Broschüre über den Kapp-Putsch als Resultat dieser Politik aussprach. In dieser Broschüre heißt es auf Seite 76: »Im Stich gelassen von der Arbeiterschaft im Reich, im Stich gelassen von der USPD in Sachsen und angesichts der Gegenarbeit der SPD in ganz Sachsen wie in Chemnitz, blieb uns nichts weiter übrig als uns mit den Dingen abzufinden...«
In deutlichster Klarheit spricht Brandler hier aus, auf welchen ungeheuerlichen Illusionen seine Politik aufgebaut war. Für ihn war es eine Überraschung, dass die SPD Gegenarbeit leistete, dass die USPD die Revolution im Stich ließ. Er war durch die Tatsachen, die für eine wirkliche kommunistische Führung selbstverständlich hätten sein müssen, so überrumpelt, dass »ihm nichts übrig blieb, als sich mit den Dingen abzufinden«.
Das erste Flugblatt in den Märztagen, das die Zentrale der KPD herausgeben ließ, enthielt unbegreifliche Parolen. Ich zitiere gekürzt:
»Der Augenblick, den Kampf mit der militärischen Diktatur aufzunehmen, ist noch nicht da. Er ist erst dann da, wenn das Gesicht der militärischen Diktatur sich enthüllt haben wird. Die große Masse wird die militärische Diktatur erst kennen lernen, wenn statt der Geißeln Skorpione auf die Rücken der Arbeiter niedersausen, wenn eiserne Unterdrückung im Innern und neue Kriegsgefahr ihr Haupt erheben.«
Die Arbeiterschaft aber sollte bis zu Ende kämpfen mit dem rein propagandistischen Schlachtruf:
»Nieder mit der militärischen Diktatur! Für die Diktatur des Proletariats! Für die kommunistische Räterepublik!«
Selbst dem unpolitischen Laienverstand musste ein solches Flugblatt als Gipfel des Irrsinns erscheinen. Auf jeder Zeile zwei verschiedene Parolen: Kämpft nicht gegen die militärische Diktatur! Der Augenblick für die Diktatur des Proletariats ist noch nicht da, aber kämpft für die deutsche kommunistische Räterepublik. Rührt keinen Finger für die proletarische Demokratie - erst wenn die monarchistischen Generäle alle revolutionären Arbeiter erschossen haben, wird die Reichszentrale die Aktionsparole zum Kampf gegen die militärische Diktatur herausgeben. Noch am 22. März 1920 versandte die Zentrale an die Bezirksleitungen ein sehr langes, phrasenhaftes Rundschreiben, mit dem kein Mensch etwas anzufangen wusste und dessen letzten Absatz ich wörtlich zitiere: »Genossen, ihr werdet uns fragen, welche Parole wir Euch geben. Wir wissen, und hoffen mit Euch einig zu sein, dass für die Errichtung der Räterepublik der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist. Wir haben aber die Pflicht, aus diesem Kampf alles herauszuholen, was für das Proletariat nur irgendwie herauszuholen ist. Wir haben die Pflicht, auf dem Wege zu unserem Ziel so weit als möglich zu gehen. Das Ziel in unserem Kampf wird uns gesteckt durch die revolutionäre Reife des Proletariats. Was aber erreicht werden kann und unseres Erachtens erreicht werden muss, ist erstens die Bewaffnung des Proletariats, damit die kommende Regierung sehe sie aus, wie sie wolle, sich auf die Bajonette der Arbeiter und nicht auf die Bajonette der Bourgeoisie stützen muss; die Wahl von Arbeiterräten überall, damit wir der kommenden Regierung auch wenn sie diesmal nicht aus den Arbeiterräten hervorgehen sollte, als organisatorische Macht gegenüberstehen. Genossen, wir hoffen, dass Ihr alle mit heißem Herzen im Kampf seid und entbieten Euch unseren revolutionären Gruß.«
So die Zentrale der Partei, die also noch am 22. März die Bewaffnung des Proletariats forderte! Im selben Augenblick aber, in dem die Zentrale die Parole herausgab, dass wir, die Arbeiterschaft, uns bewaffnen sollten, versuchte der Chemnitzer Arbeiterrat, der unter Führung Brandlers stand, zu verhindern, dass ich mit den vogtländischen Arbeitern Waffen aus der Reichswehrkaserne in Frankenberg holte, wo sie im Überfluss lagen. Ja, nicht genug damit, verlangte Brandler unter dem Druck der SPD und USPD von mir und den vogtländischen Arbeitern, die in unserem Besitz befindlichen Waffen abzugeben. Derselbe Brandler gab aber während der Kapp-Tage einen Aufruf an das revolutionäre Proletariat heraus, in dem er schrieb:
»Die kapitalistische Gesellschaftsordnung können wir nur beseitigen unter rücksichtsloser Anwendung aller gewaltsamen Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Wer das Proletariat vom schärfsten Kampf abhält und vorgibt, für den Sozialismus zu kämpfen, betrügt das Proletariat. Der Kampf geht um die Diktatur des Proletariats, um den Kommunismus.«
Durch die direktions- und planlosen Parolen unserer zentralen Parteistellen während des Kapp-Putsches wurde eine grenzenlose Verwirrung unter der Arbeiterschaft angerichtet. Genosse Brandler selbst erklärte in der konstituierenden Arbeiterrats-Vollversammlung in Chemnitz, in der die Kommunisten die Mehrheit hatten: »Wir kämpfen nicht unmittelbar für kommunistische Ziele, wir denken nicht daran, gegenwärtig zur Macht zu kommen.«(Zitiert nach Brandlers eigener Darstellung in der Broschüre »Die Aktion gegen den Kapp-Putsch in Westsachsen«, Seite 19.)
Es lohnt sich, auf diese Broschüre des Genossen Brandler näher einzugehen, da sie nach den Kapp-Tagen das von der Zentrale der KPD sanktionierte »Aufklärungsmaterial« für den revolutionären Arbeiter darstellte. Das Niveau dieser Broschüre lässt eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Autor und eine Widerlegung der darin geäußerten Behauptungen kaum zu. Brandler widerlegt selbst seine eigenen Behauptungen in diesem Dokument andauernd, manchmal sogar noch auf derselben Seite. Es genügt also, seine widerspruchsvollen Aussprüche nur auszugsweise zu zitieren, um die Verworrenheit der Brandlerschen Politik zu zeigen.
In einer Vollversammlung der Chemnitzer Arbeiterräte am 16. März hielt Brandler laut seiner Broschüre (Seite 23-24) eine Rede mit der Pointe:
»Entweder wir ringen die Banditen (gemeint ist die monarchistische Reaktion; M. H.) nieder, oder sie uns; ein anderes gibt es nicht. Wenn wir vor dem Abgrund stehen, so wollen wir kämpfen bis zum letzten Augenblick. Nicht um eine Demonstration, sondern um Sein oder Nichtsein handelt es sich.«
Trotzdem verhinderte er nicht, dass in diesen Tagen (wiederum nach seinen eigenen Angaben auf Seite 25 der Broschüre) ein Automobil mit persönlichen Reisebegleitern Noskes und ein anderes Automobil mit reaktionären Offizieren Chemnitz passierten, ja, er stellte ihnen sogar noch einen Reiseausweis aus.
Die folgenden Sätze aus seiner Broschüre (Seite 88) sollte man nicht vergessen:
»Wir mussten auch dem bewaffneten Kampf ausweichen, nachdem das Rheinland niedergeschlagen war. Nach einem kurzen Anfangserfolg wären wir unweigerlich einer schweren Niederlage entgegengegangen.« Dabei hat aber Brandler auch vor der Niederschlagung der Arbeiter im Rheinland nicht ein einziges Mal versucht, durch eine bewaffnete Aktion im Erzgebirge-Vogtland die im schwersten Kampf im Ruhrgebiet stehenden Arbeiter zu entlasten und zu unterstützen. Im Gegenteil, jede Forderung und Anregung, die von unserer Seite aus an ihn erging, lehnte er ab. Ich begnüge mich, an dieser Stelle Brandler zu zitieren: »Obgleich wir in Chemnitz die Macht inne hatten, konnten wir von derselben doch keinen anderen Gebrauch machen, als Feuerwehrdienste im wesentlichen zur Aufrechterhaltung der alten Ordnung zu verrichten.« (Seite 69 der Broschüre.)
Trotzdem erlaubte er sich in seiner Broschüre folgende Kritik: »Während der Ostertage verrichteten die Wattertruppen ihr Henkerhandwerk im Ruhrgebiet, und die Arbeiterschaft im übrigen Deutschland sah tatenlos zu, wie Ruhrbergleute blutig niedergeschlagen wurden.«
Brandler klagt wiederholt über den Mangel an Waffen. Dennoch kann man folgendes unglaubliche Geständnis lesen (Seite 88 der Broschüre): »Es war der kritischste Augenblick der Aktion, als in elf Kilometer Entfernung von Chemnitz zwei Panzerzüge mit ungefähr tausend Mann Reichswehr standen. Es wäre möglich gewesen, die beiden Panzerzüge zu nehmen. Wir rieten aber davon ab und setzten unseren ganzen Einfluss daran, das ganze Unternehmen zu verhindern.«
Obwohl Brandler selbst wiederholt in seinen Aufrufen und Reden der revolutionären Arbeiterschaft suggerierte, dass es um den Endkampf gehe, schrieb er nach den Kapp-Kämpfen in seiner Broschüre:
»Die Arbeiterschaft trat in den Abwehrkampf ein, zum Teil mit Illusionen, als ob es unmittelbar um den Endkampf ginge, zum größten Teil jedoch mit Zaghaftigkeit, mit halben und falschen Losungen und mit halber, unzulänglicher Entschlossenheit. Sie fürchtete offenbar die damit verbundenen Konsequenzen des Kampfes.«
Heinrich Brandler, der allein durch sein Geständnis über die zwei Panzerzüge beweist, dass er die Konsequenzen des Kampfes scheute, fühlt sich berechtigt, den Arbeitern einen solchen Vorwurf zu machen! Es war kein Arbeiter im revolutionären Vogtland so zaghaft und so voll halber und falscher Losungen und unzulänglicher Entschlossenheit wie gerade der »Führer« Brandler. Die Arbeiter standen alle mutig und selbstlos im Kampf! Kann man sich wundern, dass dieser »Führer« in weiten Kreisen der revolutionären Arbeiterschaft Empörung und Erbitterung erntete?
Genosse Brandler zitiert in seiner Broschüre auf Seite 75 seinen Aufruf, überschrieben: »An das deutsche Proletariat«, worin er sagt: »Was Max Hoelz mit seiner Handvoll Leute tut, wird von keiner politischen Partei gebilligt...« Auf derselben Seite behauptet er: »Im Grund genommen tat Hoelz während der Kapp-Wochen dem Wesen nach nichts anderes als das, was auch in Chemnitz und im Erzgebirge von der in den Arbeiterräten zusammengeschlossenen Arbeiterschaft getan wurde.«
Brandlers Stellung zur SPD wird noch besonders durch folgenden Satz, Seite 87 seiner Broschüre, beleuchtet: »« Schlimmere Anklagen gegen seine Politik, als sie Brandler hier selbst ausspricht, lassen sich kaum erfinden. Die SPD-Vertreter... hatten insoweit vollständig recht, wenn sie sagten, die Kommunisten hätten gar keine kommunistischen Ziele in die Tat umgesetzt, sondern nur mit der SPD für ihr Ziel, Niederwerfung der Kapp-Lüttwitz mitgekämpft.
Ich habe meine Erlebnisse mit Genossen Brandler etwas ausführlicher behandelt, weil ich weder in den Jahren der Illegalität vor der Verhaftung noch in den Zuchthausjahren nach der Verurteilung eine Möglichkeit hatte, gegen seine irreführende Darstellung meiner damaligen Aktionen und seine falsche Politik aufzutreten. Nicht erst heute, sondern schon während der Kapp-Tage wurde mir trotz meiner geringen politischen Erfahrung klar, dass die opportunistische Politik der damaligen Parteileitung falsch war. Sie verstand es nicht, die wirklich vorhandene und auch von niemandem bestrittene revolutionäre Stimmung in den Massen mit den tatsächlich gegebenen Möglichkeiten in Einklang zu bringen. In den Industriezentren wie im Ruhrgebiet, Vogtland, Mitteldeutschland, überall, wo größere Massen zusammengeballt waren, hätte die Partei nicht nur den Angriff der Kapp-Leute abwehren sollen, sondern die Abwehr in einen Angriff gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung selbst umwandeln müssen. Die Ruhrarbeiter und auch die vogtländischen Arbeiter haben damals ihre historische Aufgabe erfasst: Sie haben den Abwehrkampf zu einem Kampf um die proletarische Diktatur zu machen versucht, sie haben losgeschlagen, ihr Leben eingesetzt, ohne auf das Mobilmachungstelegramm der Parteizentrale zu warten, haben gehandelt, wie verantwortungsbewusste Revolutionäre in einer solchen Situation auch ohne Befehl von oben aus eigener Initiative handeln müssen. Eine revolutionäre Führung, die in derartigen Lagen dem Kampf ausweicht, weil die Ergreifung der Macht nicht mit 51 Prozent Wahrscheinlichkeit garantiert ist, verliert - und das hat der Ausgang der Kapp-Kämpfe erwiesen - das Vertrauen der Massen. Wenn ich auch nicht behaupten will, dass damals durch die Weitertreibung der Kämpfe die Eroberung und Behauptung der Macht zu erreichen gewesen wäre, so scheint mir doch unwiderlegbar, dass jene Kämpfe einen ganz anderen Ausgang genommen hätten, wenn die vogtländische und sächsische Arbeiterschaft den kämpfenden Ruhrarbeitern durch eine eigene große Aktion rechtzeitig Entlastung gebracht hätte, was seinerseits wiederum vorwärtstreibende Aktionen in anderen Teilen Deutschlands ausgelöst hätte. Und wenn auch vielleicht alle diese Aktionen zuletzt niedergeschlagen worden wären, es wären doch von der Kommunistischen Partei geführte Massenkämpfe gewesen; und das Proletariat gewinnt seine wertvollsten Erfahrungen nur in revolutionären Kämpfen, die ihm die notwendige Schulung für den Endkampf verbürgen.
Der Kampf, den Brandler und seine Bezirksleitung gegen mich führten, nahm die peinlichsten Formen an. Auf Grund einer Konferenz, die am Ostersonnabend in Falkenstein stattfand und an der SPD-, USPD- und KPD-Delegierte teilnahmen, wurde ein Aufruf plakatiert, der auf der folgenden Seite im Original abgebildet ist. Unter diesem irreführenden Aufruf hatte der Genosse Hecken: ohne mein Wissen (wie er später erklärte, in gutem Glauben) meinen Namen gesetzt.
In Wirklichkeit dachten weder Regierung noch die Staatsanwaltschaft oder die SPD daran, meine Verfolgung aufzugeben. Im Gegenteil, schon am nächsten Tag veröffentlichte die Regierung in der Dresdner Presse ein Dementi, in dem es hieß: »Dieser Aufruf erweckt den falschen Anschein, als ob die sächsische Regierung mit seinem Inhalt einverstanden sei...«
Kurz darauf wurde ich auf Brandlers Antrag von einer Parteikonferenz in Chemnitz, bei der ich natürlich nicht zugegen sein konnte, wegen angeblicher Disziplinlosigkeit aus der Partei ausgeschlossen. Die vogtländische Parteiorganisation erkannte diesen Beschluss aber nicht an und führte mich als Mitglied weiter.
Brandler fühlte sich auch berufen, ein großes Kapitel seiner Broschüre der Kritik meiner Person zu widmen. Obwohl er mich persönlich sehr gut kannte und über meine Verhältnisse und meine Entwicklung genau orientiert war, suchte er durch eine von Unwahrheiten strotzende Darstellung meiner Vergangenheit in der Arbeiterschaft Stimmung gegen mich zu machen. Er behauptete, ich sei im Krieg Feldwebelleutnant und Verwalter eines Etappengefängnisses gewesen (siehe Brandlers Broschüre, Seite 59), obwohl ich während des ganzen Krieges nie etwas anderes als gemeiner Frontsoldat, geschweige denn Gefängnisverwalter war. Diese von Brandler publizierte Legende konnte ich bis heute noch nicht ganz zerstören. Zwar hat Georg Schumann im Chemnitzer »Kämpfer« unter Brandlers Redaktion später die Verleumdung berichtigt, aber bezeichnenderweise fand Brandler nie den Mut, selbst öffentlich zu erklären, dass er mich wider besseres Wissen in Verruf gebracht habe, vielmehr ließ er sich durch Schumann als Opfer falscher Informationen hinstellen.
Diese bequeme Kampfmethode, Genossen statt durch sachliche Problematik dadurch anzugreifen, dass man sie - bewusst oder fahrlässig - mit
Schmutz bewirft und verleumdet, wird leider auch heute noch in immer größerem Umfange ganz allgemein und allseitig in den Kämpfen zwischen Fraktionen und Parteien angewendet. Das Schlimmste dabei ist, dass solche Diskreditierungsmethoden nicht nur dem jeweils Betroffenen schaden, sondern der Partei und der gesamten Arbeiterbewegung.

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