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Franz Carl Weiskopf - Umsteigen ins 21. Jahrhundert (1927)
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Die verlorenen Traktoren

Die neue dreiteilige Chaussee - rechts Traktorenbahn, links Karrenweg, in der Mitte Autostraße - läuft von der Irtysch-Fähre aus dreihundert Kilometer weit in die Steppe hinaus, in der die großen Sowchose des Omsker Gebiets liegen.
Semjon Grigorjewitsch erzählt, dass die Ernte in wenigen Tagen beginnen wird. Von den Mähdreschern auf den Feldern des Borrissower und Sossnowsker Staatsgutes nach den Elevatoren an der Bahnlinie und wieder zurück werde dann eine „endlose Kette" von fünfhundert Lastautos über diese Straße rollen.
„Eine Million Zentner Weizen! Vierhundert Traktoren und dreihundert Combines auf den Feldern! Wenn ich daran denke: siebenhundert Mähdrescher und Traktoren ... und vor sechzehn Jahren habe ich noch mit diesen Händen hier" - er betrachtet sie dabei mit einer ungläubigen Neugier, als sehe er sie jetzt zum ersten mal - „einen Pflug geführt, der hatte nicht einmal eine richtige Pflugschar, sondern nur einen breiten Nagel ... Es packt einen manchmal. Es packt einen... Ihr seid Ausländer, und ein Ausländer, auch wenn er unser Freund und Genosse ist, und schon oft hier war und das Land kennt, wird doch nicht ganz so stark das mitfühlen können, was uns packt, wenn wir wieder einmal, ganz plötzlich, merken, wie viel, wie unendlich viel schon zwischen dem Jahr siebzehn und heute liegt." Er schweigt eine Weile. Dann sagt er: „Man schreibt im Ausland immer wieder, wir berauschen uns an der Technik- aber das ist falsch. Seht ihr, was mich berauscht, wenn ich an die neuen Traktoren und Combines und Autos und Elektrizitätswerke denke, das ist etwas ganz anderes. Ich sehe dann immer die Bauern vor mir, die sich nicht mehr mit dem Nagelpflug schinden müssen, die nicht mehr diese unendlich langen, toten Stunden im Dunkeln durchdösen müssen, die nicht nur lesen und schreiben, sondern auch die Welt erkennen lernen, aufwachen, aus einem stumpfen Dasein in ein Leben, das sich zu leben lohnt!"
Er wird unterbrochen. Laut heulend gibt die Hupe unseres Autos Antwort auf den gellenden Sirenengruß, den uns die kleine Elektrostation des Sossnowsker Sowchos entgegenschickt.
„Ja, ein Getreidesowchos ist eben kein Bauernhof!" sagt, über unsere Erschöpfung lächelnd, der Chefagronom, der uns fast drei Stunden lang mit Zahlen und immer wieder neuen Zahlen bombardiert hat. „Und dabei gibt es jetzt gar nicht mehr die Übersowchose wie zur Zeit der Gigantomanie, als wir Staatsgüter von 300000 und mehr Hektar gründeten, wie zum Beispiel das Kijalinsker, auf dem dann die Geschichte mit den verlorenen fünfzig Traktoren ..."
Was das für eine Geschichte sei? Ein Stück Historie schon, aus dem Jahr neunundzwanzig. Wenn wir sie hören wollten... Wir würden dann sehen, dass es in den ersten Jahren der Sowchoseentwicklung nicht minder abenteuerliche Episoden gegeben hat als einstmals in den „Pionier-Tagen" des amerikanischen Fernen Westens.
Also: Das Kijalinsker Sowchos im Petropawlowsker Gebiet hatte 300000 Hektar jungfräulichen Bodens zugeteilt bekommen. Davon sollte im ersten Jahr ein Viertel bebaut werden. Man suchte sich die besten Landstücke aus, steckte hier zehn-, dort wieder acht-, dort wieder zwanzigtausend Hektar künftiges Ackerland ab und ließ dazwischen breite Streifen Steppe unabgesteckt liegen. Von der Sowchosbasis aus, wo vorläufig alle Traktoren und Maschinen konzentriert waren, weil es noch keine Vorwerke gab, waren bis zu den entfernten Feldstücken mehrere hundert Kilometer zurückzulegen. Die Sowchoslandkarte wurde erst gezeichnet, Wege waren noch unbekannt. Die Pflügerkolonnen fuhren einfach den Spuren der Agronomenautos nach, bis sie auf die roten und weißen Pflöcke, die Grenzen der künftigen Felder stießen. Es klappte im großen und ganzen alles sehr gut, und so dachte niemand daran, den fünfzig Traktoren, die man einige Tage später, mit Lebensmitteln und Brennstoff auf etwa eine Woche versehen, zur Saat ausschickte, einen Kompass mitzugeben. Die Traktorführer bekamen die ungefähre Richtung gezeigt; man sagte ihnen, dass sie zuerst an zwei Seen, dann an einem Birkenwald, dann wieder an einem See vorbeikommen und dann schon das gepflügte Feld Nr. 18 sehen würden, auf dem die Aussaat beginnen sollte. Im Übrigen seien die Spuren der Pflügerkolonnen noch deutlich sichtbar. Sie fuhren also los. Am nächsten Tag traf jedoch der Chefagronom auf Feld 18 niemand an. Die alarmierte Verwaltung schickte zuerst ein Auto, dann einige Motorradfahrer, zuletzt alle verfügbaren Autos und Reiter aus, um die Traktoren zu suchen. Man fand aber nicht einmal eine Spur, weil ein heftiger Regen alle Fährten verwischt hatte. Nach sieben Tagen voller Spannung und Aufregung traf endlich, gerade als man Flugzeuge zur Suche einsetzen wollte, aus einer tausend Kilometer weit entfernten Eisenbahnstation die Meldung ein, dass die Traktoren dort angekommen seien. Was war geschehen? Die Kolonne hatte sich im Sturm verirrt und war am nächsten Tag einer vermeintlichen Spur gefolgt, die plötzlich aufhörte. Man versuchte sich nach den Seen und Wäldern zu orientieren, aber alle Steppenseen gleichen einander, und ein Birkenwald sieht aus wie der andere.
Am Morgen des dritten Tages beschloss man in einer Richtung weiterzufahren, in der, nach der Meinung einiger Traktorführer, größere Kasachensiedlungen liegen mussten. Man traf auch im Laufe des Tages auf zahlreiche Jurten, sie waren aber alle verlassen: offenbar hatten ihre Bewohner vor der Kolonne, die mit großem Getöse einherfuhr und riesige Staubwolken aufwirbelte, die Flucht ergriffen. Das bestätigte auch ein am Abend „eingefangener" Kasache, der die Kolonne am nächsten Morgen endlich in eine bewohnte Siedlung führte. Es stellte sich heraus, dass man bereits viel weiter vom Sowchos als von der Turksibbahn entfernt war. Da außerdem die Brennstoffvorräte zur Neige gingen, entschied man sich für den kürzeren Weg. Man rastete einen Tag lang und gelangte nach zwei weiteren Tagen ohne weitere Abenteuer an die Bahn. Auf dem Sowchos traf man allerdings erst zehn Tage nach dem Ende der Saatkampagne ein, die unter großen Schwierigkeiten mit Hilfe eilig zusammengetrommelter fremder Traktoren durchgeführt worden war. „Ob etwas Ähnliches noch heute vorkommen kann? Nein. Bei uns hier wenigstens nicht. Erstens haben wir überallhin Wege und Straßen gebaut, und dann ist unser Sowchos auch nicht so riesig. Allerdings, mit europäischen Maßen gemessen, ist es immer noch so groß wie eine kleine Provinz!... Aber wenn es Ihnen recht ist, so gehen wir jetzt los!"

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