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Franz Carl Weiskopf - Umsteigen ins 21. Jahrhundert (1927)
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Beg Kushejew

Er war Hirt im Kolchos „Parlikschyl", das in der Steppe des Bajaner Bezirks liegt, im nördlichen Kasachstan. Sein Vater konnte nur ganz leichte Arbeit tun, er war lahm; die Beys hatten ihn wenige Jahre nach der Revolution - sie glaubten damals noch, sie könnten mit den Sowjets und der Kollektivierung fertig werden, und überfielen alle Aktivisten und Agitatoren - halb totgeschlagen. Es fehlte an Saatkorn im Kolchos; der Vater und er wurden ausgeschickt, um welches zu beschaffen. Der Vater sollte auswählen und einkaufen; Beg sollte es heimschaffen. Sie nahmen zwei Wagen, drei Pferde und ein Kamel und fuhren nach Pawlodar. Beg Kushejew hatte noch nie eine so große Stadt mit so vielen Menschen gesehen. Sie suchten Saatkorn, aber sie fanden kaum eine Fuhre voll. Der Vater kaufte, was zu kaufen war und fuhr ins Kolchos zurück. Beg sollte sich noch in der nächsten Stadt umsehen und weiteres Saatgut besorgen. Die nächste Stadt war Slawgorod. Beg Kushejew brauchte eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht, um hinzukommen. Die Nächte waren sehr dunkel, aber Beg fürchtete sich nicht, er kannte die Steppe gut. Er dachte nur immer daran, ob in Slawgorod Saatkorn zu haben sein werde und dass die Leute vom Kolchos Parlikschyl auf ihn warteten. Slawgorod erschien ihm noch größer als Pawlodar. Es waren noch mehr Menschen auf den Straßen, man fühlte sich noch unbehaglicher, aber es gab Saatgut in Menge. Er kaufte eine Wagenladung Weizenkorn, ruhte nicht einmal aus, und fuhr gleich zurück. Er war müde, aber er sang. In der zweiten Nacht hielten ihn sechs Reiter an, Kasachen in abgerissenen Chalaten (Kaftanen) und alten Fuchsfellmützen, aber auf sehr schönen Pferden. Sie hatten einen leeren Wagen mit. „Wohin?" „Nach Hause." „Wo ist das?" „Parlikschyl!" „Das Kolchos?" „Ja."
Sie warfen sich auf ihn. Zwei hielten ihn fest, die andern luden seine Säcke auf ihren Wagen und fuhren davon. Die zwei hielten ihn noch eine ganze Weile, dann schnitten sie die Zugleinen an seinem Karren durch, jagten die Pferde in die Steppe hinaus und ritten den andern nach. „Wenn du nach Slawgorod zurückfährst und dort was sagst, zünden wir Parlikschyl an und schlagen dir den Schädel ein!"
Beg fing die Pferde ein, flickte die Zugleinen, fuhr nach Slawgorod zurück und erstattete Anzeige. Man borgte ihm ein paar Rubel, er machte Karren und Pferde zu Geld, kaufte nochmals Saatgut und schickte es bis Pawlodar. Den Leuten vom Kolchos schrieb er, sie sollten es sich dort abholen; er selbst werde erst zurückkommen, wenn er soviel verdient habe, wie Karren und Pferde wert seien. Er suchte Arbeit, fand aber keine passende; hörte von der Werbestelle des Kusnezker Kombinats, ging hin und ließ sich als Erdarbeiter anwerben. Er sollte mit drei anderen abreisen, aber die drei kamen nicht, - offenbar hatten sie es nur auf das Handgeld abgesehen gehabt; er selbst stieg in einen falschen Zug und landete nach langen Irrfahrten statt in Kusnezk in Magnitogorsk. Dort steckte man ihn zuerst in die Quarantänestation, dann, nach einer Woche, schickte man ihn in die mechanische Werkstätte. Zwei Tage lang suchte er die Abteilung, der er zugeteilt war; er traute sich nicht, zu fragen, es waren zu viele Menschen und Maschinen da, es gab zu viel Lärm und Bewegung. Endlich fand er die Werkstätte. Der Brigadeführer, zu dem er kam, sprach nur wenig kasachisch, aber er kannte alle kasachischen Schimpfworte. Außerdem war er ein Säufer. Er wurde „Chansha" genannt, weil ihm der gewöhnliche Schnaps nicht genügte und er sich seinen eigenen, sechzigprozentigen, aus Sprit oder Politur selbst mischte. Beg arbeitete als Handlanger. Die Arbeit gefiel ihm nicht, und „Chansha" gefiel ihm nicht; er war traurig und hatte Heimweh. Manchmal sah er den Leuten an den Drehbänken zu und wünschte sich, so geschickt zu sein wie sie, und so frech antworten zu dürfen, wenn „Chansha" zu krakeelen anfing. Als zwei Monate später „Chansha" auf Verlangen der Komsomolzelle entfernt wurde und die Brigade einen neuen Führer bekam, der nicht schimpfte und kein Säufer war, ging Beg zu ihm und fragte, ob ein
Kasache auch an der Drehbank arbeiten dürfe. Der Brigadeführer lachte und sagte: ja, gerade die Kasachen sollten an der Drehbank arbeiten lernen, und wenn er Lust habe, könne er gleich morgen beginnen. Er wurde neben einen Dreher gestellt und musste ihm zehn Tage lang bei der Arbeit zusehen, dann bekam er selbst ein Stück Stahl in die Hand und sollte versuchen, es anzubohren, aber er fürchtete sich vor den Funken, er dachte „Wenn du zu nahe herankommst, fängst du Feuer", und es verging fast eine Woche, bis er die Drehbank richtig anzufassen wagte. Den ersten Meißel, den er verfertigen sollte, verhaute er völlig, aber schon der zweite gelang, und von da ab bekam er seine eigene Drehbank; sie war schon alt, und man konnte nicht mehr viel an ihr verderben, aber es war eine richtige Drehbank, und Beg Kushejew fühlte sich stolz und glücklich, als man sie ihm zuwies.
„Sie war so etwas wie die Pferde oder Kamele zu Hause. Bisher war ich immer traurig geworden, wenn ich an Parlikschyl dachte. Ich dachte immer: ,Wie kann man hier auf die Dauer leben, so ganz allein, ohne Tiere, ohne Rad und Hof?' Und auf einmal hatte ich kein Heimweh mehr und sah: es lässt sich auch auf andere Weise leben; und eine Weile später wusste ich schon: auf die neue Weise lässt sich sogar besser leben, wenn man es nur versteht; und noch eine Zeit später wollte ich gar nicht mehr zurück. Ich ging zum Komsomol und ließ mich eintragen. Die Burschen dort gefielen mir: sie waren die besten Arbeiter, sie wussten so viel, und sie hielten zusammen; man war nicht verlassen, wenn man zu ihnen gehörte. Ich musste lesen und schreiben lernen, das ging nicht leicht, und ich erlernte es zuerst auch nur halb und halb; dafür ging mir das Rechnen sofort ein, das machte überhaupt Spaß. Weil ich gut rechnete und auch an der Drehbank nicht schlecht arbeitete, schickte man mich in die Werkschule. Vormittags saßen wir im Schulzimmer, nachmittags waren wir in der Werkstatt; abends besuchte ich den politischen Bildungskurs des Komsomol. Ich wollte wissen, wie alle Werkstätten, die man baute, arbeiten würden; man sagte mir, das stehe in den Büchern; ich lernte darum richtig und schnell lesen und las dann alle Bücher und Broschüren über Magnitogorsk, die ich auftreiben konnte. Später kam ich aber dahinter, dass die Bände von „Wissenschaft und Technik" viel besser sind, jetzt lese ich hauptsächlich die. Neulich habe ich erfahren, dass es Fernkurse gibt, die noch besser sind als die Bände von „Wissenschaft und Technik"; ich werde mir die Lektionen schicken lassen, sowie ich etwas mehr von Physik, Chemie und Geometrie verstehe; es ist nicht ganz leicht, die richtigen Bücher zu bekommen, aus denen man das lernen kann, aber ich werde sie schon auftreiben.
Meinen jüngeren Bruder Safa habe ich eingeladen, hierherzukommen; ich könnte ihn gut unterbringen, und er hätte es auch viel leichter mit dem Lernen, als ich es hatte; aber er will nicht von Parlikschyl weg. Ich werde ihn wohl selbst holen müssen. Vorläufig ist an Urlaub aber nicht zu denken, wir müssen doch die Mannschaft für die neuen Batterien anlernen, und im Herbst soll ich aufs Technikum. Sie wollen einen Meister aus mir machen. Später kann ich dann Ingenieur werden. Wenn ich Ingenieur bin, will ich Kohleverwertungsfabriken bauen, weil die Kohle mir so gut gefällt. Vielleicht finde ich auch etwas noch Interessanteres. Es gibt ja jetzt so viel Neues in der Welt, wir sind in der besten und glücklichsten Zeit geboren...

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