IV.
Der Steward musste dreimal mit seiner großen Glocke in den Gängen läuten, bis sich die Männer rührten. Er rief zum Kaffee. Der Deutsche kam zuerst aus seiner Kabine. Er schüttelte sich in der Kälte wie ein Hund, kraxelte mühsam nach oben und schüttelte sich oben weiter. Langsam kamen die anderen.
Der Kaffee war schon lauwarm, als er auf den Tisch kam. Es gab harten, eingetrockneten Zwieback, dazu eine rote, angesäuerte Marmelade. Der dicke Holländer stülpte die Lippen, als er die Marmelade gekostet hatte, stemmte sich hoch, drehte um und ging wieder nach unten.
Der große Schotte knabberte an den harten Zwiebäcken wie ein unzufriedener Kater, er schlürfte seinen Kaffee dazu und machte ein finsteres und starres Gesicht.
Nur der Krumme war fidel. Er verdrehte die Augen, sah die Französin an, die in ihrer getüpfelten Jacke wie ein Fliegenpilz neben dem Langen saß und öffnete den Mund, um ihr etwas zu sagen. Er wusste aber nicht recht was.
Die Französin lächelte ihn an, gluckste wie eine Henne, um ihm zu helfen, dem Krummen kamen aber die Worte nicht aus den Zähnen, und so schloss er den Mund immer wieder, dachte angestrengt nach, bis er auf die Idee kam,
mitzulachen.
Die Betschwester erschien. Sie hatte einen grauen Schal umgebunden, so dass man von ihrem Gesicht nur die großen Augen sah. Sie knixte wieder, bevor sie sich auf den großen Stuhl setzte, und schlug heimlich ein Kreuz. Sie war besonders heilig.
Die Jüdin schlang wie zum Mittagessen. Zwischen ihren malmenden Backen zerknackte das harte Gebäck, als wäre es in eine Mühle geraten. Der Lange sah ihr heimlich zu, schielte auf ihre sich wölbenden Brüste und machte seine kleinsten Augen.
In der Mitte des Tisches war es lauter. Der Geduckte knurrte über den Zwieback. „Pfui!" sagte er und spie ein Stück wieder auf seinen Teller, „solche harte Knochen gibt man keinem Hund!"
Der Korrekte stieß ihn in die Seite. „Bernd!" rief er und sah ihn strafend an.
Der Geduckte wurde aber nur wütender. Er knallte sein Messer, das er mit Marmelade zum Munde geführt hatte, auf den Tisch und sprang auf. „Gentlemen!" schrie er, „ich bin zwölf Jahre zwischen San Franzisko und Neuyork hin- und hergelaufen, ich bin aber nie so schlecht bedient worden wie hier!"
Der Amerikaner sah den Schreienden erstaunt an. Auch der Däne und der Belgier drehten sich zu ihm hin. Als aber niemand auf seine Rede antwortete, zog der Geduckte seinen aufgeschnellten Körper zurück, kniff verächtlich die Lippen zusammen und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Er holte sich sogar die Marmeladenschüssel erneut heran, tunkte mit dem Löffel hinein und sah nach dem Deutschen.
Der hatte sich die rote Masse auf den Teller gelöffelt, streute Zucker darauf und schob sie auf seine Zunge. Langsam ließ er sie dort warm werden und in seine Kehle hineinlaufen.
An dem oberen Ende des Tisches aßen sie noch gar nicht. Der Amerikaner, der den Kopf gesenkt hatte, blickte zu dem Belgier. „Du fährst wohl nach Antwerpen zurück, Kamerad?" rief er über den Tisch,
„Ja“, antwortete der Belgier, „Amerika ist mir zu kalt."
Der Amerikaner lächelte. „Es ist nicht nur Amerika zu kalt. Der Mensch ist zu kalt!"
„O!" sagte der Belgier lauter, „aber nicht der europäische Mensch. Europa ist ein überheizter Dampfkessel, und die Menschen sind das Feuer darunter!"
Der Däne stimmte ihm zu. „Warte nur“, zischte er zu dem Amerikaner hinüber, „in sechs oder acht Tagen»wenn du die Beine auf dieses Europa setzt, spürst du das Feuer selber!"
Der Amerikaner lächelte. „Es ist gleich“, antwortete er langsam und hob seine Hände etwas in die Höhe, „Kälte oder Feuer, die einen verbrennen und die andern erfrieren. Wir sind am Ende."
Der Däne riss die Augen auf und sah den Amerikaner groß an. Der Belgier war nicht so überrascht von der sonderbaren Predigt, Er knuffte den erstaunten Dänen leicht in die Seite und blinzelte ihn an.
Der dicke Holländer stampfte zurück in den Eßraum. Er hatte ein Paket unter dem Arm, setzte sich umständlich in seinen Drehstuhl und packte aus. Es war Butter darin. Sorgfältig schmierte er sie auf seinen Zwieback, hüllte den runden Klecks schnell wieder ein und steckte alles in einen seiner lang herabfallenden Rockschöße.
Als er zu essen begann, sah er erst nach allen Seiten, ob ihm auch keiner zusah. Die Männer, die nicht sprachen, stierten auf ihre Teller, Nur die Betschwester schielte zu ihm. Sie verzog den Mund, als spüre sie die goldgelbe Butter auf der Zunge. Als sie den Augen des Dicken begegnete, bog sie aber ihren Kopf schnell wieder zur Seite, schlug eines ihrer Kreuze und starrte mit frommem Blick auf ihren schwarzen Buchdeckel.
Neben ihr wand sich noch immer der liebende Krumme. Er schien endlich die richtigen Worte gefunden zu haben. Er spitzte sie schon auf den Lippen, murmelte sie vor sich hin und schnitt dabei die seltsamsten Grimassen.
„Ich komme aus Pittsburgh!" sagte er stotternd, aber mit strahlenden Augen.
„So", antwortet die Französin und nickte ihm zu.
Das schien dem Krummen wie ein Erfolg. Er drückte sich fester in seinen Stuhl, schob seine Fäuste auf die Tischplatte und riss sein Mundwerk größer auf. „Das heißt, „stotterte er schneller, „ich habe auf einem kleinen Nest in der Nähe gewohnt. Wir haben dort Kohle gehackt!"
„So", antwortete die Französin wieder. Ihr Nicken war schon freundlicher.
„Das war ein Spaß!" schrie der Krumme, dem diese Freundlichkeit zu Kopf stieg. „Wir sahen jeden Tag aus wie die Schweine, und wir haben sogar Blut geschwitzt, so haben wir geschuftet!"
Die Französin antwortete das dritte Mal „So", stützte ihren Kopf in die Hände und kam ihm dadurch näher. „Aber“, brummte ihr der Krumme vertraulich zu, kicherte auf und schob ihr auch seinen Kopf entgegen, „die schwarzen Girls mussten uns jeden Abend wieder sauber scheuern. Das war das Beste. Wir sprangen herum wie abgeschleckte Kälber."
„So", nickte die Französin das vierte Mal. Sie bog sich aber zurück, denn der Krumme hatte sich soweit über den Tisch vorgeschoben, dass er sie beinahe berühren konnte.
Auch der Krumme zog seinen Kopf ein. Er war mit seinem Latein zu Ende, lehnte sich nach hinten, drückte ein Auge zu und blinzelte die Frau an. Es sah aus, als erwarte er etwas.
Die Frau spürte das. Sie schnob leicht mit der Nase, näherte sich erneut dem Tisch und sagte, indem sie den Krummen groß anblickte: „Ich komme aus Boston."
Der Krumme machte den Mund spitz, schmunzelte, als wolle er etwas sagen, er wiederholte aber nur: „Boston!" und verdrehte dabei die Augen, als wäre dieser Name der seltsamste, den er je gehört hatte. Die Französin überlegte, was sie dem Schmunzelnden noch sagen könne. Es entstand so eine kleine Pause. „O“, sagte sie plötzlich und reckte sich, „ich fahre jetzt nach Boulogne und später nach Paris."
Der Krumme tat wieder erstaunt. „Paris!" zischte er ihr nach. „Es ist eine große Stadt. Ich habe davon gehört."
Sie schwiegen nun eine Weile. Die Französin hatte die Augen geschlossen und neigte den Kopf. Sie schien an Paris zu denken. Der Krumme beobachtete sie. Als sie die Augenlider wieder hochzog und ihn anlächelte, sagte er schnell: „Und ich fahre nach Carlisle. Es ist schön. Es liegt beinahe am Meere. Ich habe es drei Jahre nicht gesehen!"
„Am Meere", wiederholte die Französin.
Der Krumme nickte. „Ich habe ein kleines Haus. Man sieht das Wasser. Man sieht die Wellen."
„Ja, „sagte der Lange, der ihre wachsende Vertrautheit mit herunterhängenden Mundwinkeln beobachtet hatte, „seine Frau wohnt darin und die Kinder."
Der Krumme zog unter den Worten des Langen Mund, Nase und Augen zusammen, als wäre ihm mitten darauf geschlagen worden. Er wollte etwas erwidern, brachte aber nur einen knurrenden Ton aus den Zähnen. Er schob deswegen seine Hände nebeneinander, und diese Hände wurden zu Fäusten, ballten sich klumpiger und hoben sich, als wolle er zuschlagen. Da sah er, dass die Französin immer noch lächelte.
Die geballten Fäuste fielen wieder auseinander, und er
lächelte mit.
„Sind wir schon in Carlisle?" sagte er frech und blickte den Langen an. „Nein, wir sind auf einem Schiff!"
„Nein, wir sind auf einem Schiff!"
„Auf einem Schiff!" wiederholte die Französin, blinzelte ihm in die Augen und ließ ihre Zungenspitze sehen.
Neben den beiden begann jetzt ein anderes Gespräch. Der dicke Holländer versuchte, sich der Betschwester zu nähern. Er besah sich erst ihr aschgraues Gesicht, blieb besonders an ihrer zu spitzen Nase hängen, dachte aber dann an die Augen, die an seinen Butterflecken gehangen hatten, und fand, dass sie ziemlich feurig gewesen waren.
Die Mägde in Alberta sind draller und haben mehr zwischen dem Rücken, überlegte er. Ist aber hier Auswahl? Nein! Er schob sein rundliches Gesicht näher an die Frau.
„Madam!" meckerte er mit seiner fetten Stimme und stieß ihr ein Stück bestrichenen Zwiebacks hin, „es schmeckt besser."
Die Betschwester rührte sich nicht. Nur ihre Augen blinzelten verstohlen, und sie wackelte leicht mit ihrem spitzen Hinterteil.
Den Dicken enttäuschte das. Er schob sein Gesicht bis vor ihre Augen, blähte seine stoppeligen Backen auf und sagte überzeugend: „Es ist eine sehr gute Butter. Sie ist von meiner Farm!"
Die Betschwester wurde aufmerksamer. Jedenfalls drehte sie ihm ihre Augen zu. Als er aber in diese glasigen, großen Lichter blickte, zuckte er zurück wie ein bei einem Diebstahl ertappter Junge, wandte sich eilig um und verfiel in eine ängstliche Steifheit,
Die Augen der Betschwester veränderten sich nun. Sie wurden hell und glänzend, und ihre spitzen Finger, die sie einfältig vor die Brust gehalten hatte, schoben sich nach dem Butterzwieback, fassten ihn und steckten ihn in den Mund.
Als sich der dicke Holländer wieder zu ihr umdrehte, war der Zwieback schon in diesem Mund verschwunden, Sie zerdrückte wenigstens die letzten Reste zwischen den Zähnen, und sie tat es so geschickt, dass es aussah, als murmele sie ihre Gebete.
Dem Dicken war der Mut vergangen, sie anzusprechen. Er sah aber erstaunt und mit halboffenem Munde, dass sein Butterzwieback verschwunden war. Hatte ihn der Teufel geholt oder einer der Männer, die ihm gegenübersaßen? Schreckhaft fasste er nach seinem Rockzipfel, ob wenigstens der Klumpen bei ihm geblieben war. Da hing er noch. Er umtastete ihn zärtlich. Er stand aber doch auf, um ihn in Sicherheit zu bringen.
Das Gespräch zwischen dem Amerikaner und dem Belgier war wieder in Gang gekommen und lebhafter geworden. Der Belgier hatte seinen Kopf in die Hände gestützt und flammte wie eine überscbraubte Lampe. „Yankee!" brüllte er, „du bist ein Eiszapfen!"
„Danke", sagte der Bebrillte, dessen Gesicht sich nicht verzog. „Aber was ändert das. Wir entwickeln uns doch rückwärts."
„Und Russland?" fragte der Däne und sah dem Bebrillten auf den Mund, „ist das kein Fortschritt?"
„Sicher“, antwortete der Amerikaner, „Revolution des Menschen ist immer Fortschritt. Einige Millionen werden auch für Jahrzehnte glücklicher sein. Was soll das aber sonst? Die Erde revolutioniert nicht mit, und aller menschlicher Fortschritt kann den Zerfall von Welt und Erde nicht aufhalten!"
Der Däne riss seine Augen das zweite Mal auf, der Belgier wurde nun zornig. „Das will ein Revolutionär sein!" brüllte er laut, „Soll der Mensch nicht etwa revoltieren?"
Der Amerikaner sah auf die Seite. „Ich bin Anarchist!" sagte er leise. „Ich habe euch das schon gesagt. Ich kämpfe also mit allen Mitteln für die Freiheit. Auch mit Waffen. Wir sind aber an die Erde gebunden, und unsere Macht reicht nicht über die menschliche Kraft hinaus!"
Der Däne fand plötzlich seine Sprache wieder und auch eine Antwort. „Sie haben dir das Hirn verkalkt, mein Junge!" lachte er laut. „Was geht uns die Erde an und ihre Kälte. Wir kämpfen um unser bisschen Leben, um nichts weiter."
„Ja!" brüllte da der Geduckte auf, der schon lange auf der Lauer lag, um sich mit in den Streit zu mischen, „wir kämpfen um unser bisschen Leben. Ich war bei den letzten Kohlenstreiks mit dabei. Wir haben es ihnen gegeben, bis sie uns auseinanderkartätscht haben. Und," fügte er noch dazu, „lasst den Milchbart reden, was er will, die Revolution ist das Größte!"
Der Amerikaner, der dem Dänen noch antworten wollte, verstummte. Auch die andern schwiegen. Unterdessen stand man bei den Frauen auf.
Erst trippelte die dicke Jüdin aus dem Raum. Der lange Engländer folgte ihr und sah ihr scharf in den Hals. Über die Betschwester, die hinter ihm herschwänzelte, lachten wieder die meisten. Dann kam die Französin. Sie hatte den Kopf etwas gesenkt und schielte zu dem Belgier und zu dem Dänen. Die Männer mussten ihr gefallen. Hinter ihr schob sich der Krumme hinaus.
Alle erhoben sich auf einmal. Die meisten drängten nach oben. Nur der Deutsche saß noch auf seinem Platz. Er löffelte weiter Marmelade und ließ sie auf der hängenden Zunge zergehen. |
Hinweis: Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen. Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist nicht gestattet.
| |