I.
Der Wind pfiff von Norden. Das Schiff war noch mit starken Seilen an dem Pier festgebunden. Es pendelte durch den Druck des anströmenden Wassers langsam hin und her. Manchmal hob es sich steif empor. Es sank aber wieder zurück. Die Seile waren zu fest.
Die Männer, eine bunt zusammengewürfelte Schar von Arbeitern, standen vorn auf ihrem Deck. Sie froren wie junge, unbehaarte Hunde. Sie gingen aber trotzdem nicht von der Stelle.
Endlich kam der Offizier mit der roten Fahne. In dicke Fetzen gehüllte Matrosen stürzten sich auf die Seile, lösten sie von den klobigen Pfosten, warfen sie in das Wasser, und das Schiff fraß sie in sich hinein.
Die rote Fahne wurde geschwenkt. Unter den Männern begann die Schraube zu rumoren. Sie knurrte erst seltsam auf, lief aber später glatt und schütterte nur noch leise.
Ruckweise löste sich nun das Schiff. Es drückte sich schräg gegen die Fluten, heulte auf wie ein kriegerischer Elefant, drehte sich und dampfte in den Strom hinaus.
Auf dem Strom war es noch kälter. Der Wind schlug den Männern so hart um die Körper, dass ihre Nasen und Ohren steif und blau wurden. Sie blieben aber stehen. Sie stemmten ihre Beine fester auf die grob gehobelten Planken und sahen hinüber nach den rufenden, winkenden Menschen und über sie hinaus auf die große, steinerne Stadt.
Neuyork! Gigantisch erhob sich dieser Häuserkoloss aus Wasser und Nebel. Die Spitzen berührten die Wolken, und die rot umränderte Sonne hing über der gewaltigen Höhe wie eine kleine düstere Lampe.
Die Männer wussten nicht recht, warum sie hinüber nach der Stadt sahen. Es hing keiner an ihr. Vor Jahren ihre Sehnsucht, war alles, was sie in ihre Ummauerung gezogen hatte, verschüttet und untergegangen. Aber sie ließen die Augen nicht von ihr. Sie blinzelten sie an, die Stirnen dick gefurcht, jeder mit einem besonderen Gesicht.
Sie waren auch sonst nicht gleich. Sie standen nebeneinander wie ein kurzes Kettenglied mit verschiedenen Ausmaßen. Ein Ring war etwas gröber und verschobener als der andere.
Als der letzte Turm ins Wasser sank, plötzlich, das Wasser konnte ihn auch verschlungen haben, stoben die Männer auseinander. Sie stolperten über das Deck. Schief und ungelenk liefen sie zu den kleinen Treppen, tauchten an ihnen nach unten, und der eiserne Schiffsbauch nahm sie in sich auf, als wäre er schon ewig ihre Behausung.
Als der Gong zum Essen tönte, sahen sie sich alle wieder, Sie sammelten sich in dem großen Speiseraum um eine lange Tafel Langsam setzten sie sich. Ihre Gesichter waren noch blau und rot, und sie hingen über dem grüngewürfelten Tischtuch wie baumelnde, glänzende Glasballone.
Sie waren lange eine schweigende Gesellschaft, Keiner beachtete den andern, und jeder verzog seinen Mund, als hätte er etwas Bitteres gegessen. Mit der dampfenden Suppe veränderte sich das aber. Ihr Duft stieg wärmend in alle Nasen und wärmte die Menschen mit. Die ersten sahen sich an. Sie hoben ihre Augen und tasteten einander ab. Es war ein vorsichtiges und grobes Einanderabtasten. Es ging bis auf die Knochen, aber es schien zur Zufriedenheit auszufallen.
Die beiden Engländer fanden die Gesellschaft zuerst allright. Sie saßen sich gegenüber. Der eine war lang und bleich. Er hatte das Gesicht, das die bessere englische Gesellschaft schon seit Jahrhunderten durch die Welt schleppt, auf einem schlanken Körper einen durch-
sichtigen gelben Kopf mit bläulich schimmernden Augenhöhlen, Die Hände, die unter diesem Kopf saßen, waren schmal und die Finger daran ungewöhnlich dünn und lang. Die abgearbeiteten, verbeulten Fingernägel, die sie abschlossen, sahen aus wie schwarze, kugelige Warzen.
Der andere war kleiner und dicker. Rund hing alles an dem untersetzten, krummen Körper, nur das Gesicht saß schräg, spitz und zusammengedrückt auf dem fetten Halse. Es passte auch sonst nicht zu dem kugeligen Körper. Eine schiefe Nase saß Unmittelbar und so platt, als wäre sie zusammengeschlagen worden, über einem breiten, nach unten gebogenen Mund, und die blinzelnden Augen mit den roten Tränensäcken hingen an dieser Nase wie zwei dicke, laufende Lichter.
„Henry“, sagte dieser Krumme zu dem Langen und machte eine kleine Pause, in der er auf das Schüttern der Schiffsschraube horchte, „wir fahren also".
Der Lange schielte ihn freundlich an, zog seinen Kopf ein und antwortete: „Ja".
„Freut euch das so?" fragte ein kleiner Holländer, der neben dem Krummen saß, und er drehte den beiden sein aufgeschwemmtes Gesicht zu, ein Gesicht, in dem die Bartstoppeln so dicht saßen wie in einem ungepflügten Acker das halbgeschnittene Stroh.
„Sicher!" krähte der Krumme, er blies sich spitz und ließ die Augen rollen, „denn wir fahren heim!" „Ihr seid Engländer?" fragte der Holländer weiter. „Ja, Engländer!" antwortete der Krumme, und du kannst es uns schon glauben, dass wir uns freuen, einmal wieder nach England zu kommen, denn es war kein Vergnügen, sich in diesem Amerika drei Jahre das Kreuz schief zu schuften, krumm zu werden und den Dicken ihre Geldbeutel zu füllen."
„Sucht euch etwas besseres", sagte der Holländer und kniff die Augen zusammen.
„Etwas besseres?" wiederholte der Krümme laut. „Ich möchte wissen, wo es das gäbe. Wir Proleten sind Kühe, und wir werden in jedem Lande gemolken."
Der Holländer sah den Krummen verdutzt an. „Gemolken?" sagte er, und er ließ seinen Mund offen stehen.
Ja, gemolken!" schrie der Krumme noch lauter, und er stierte den Holländer gefährlich in das dicke Gesicht. „Oder melkt man dich nicht?"
„Nein! Nein!" sagte der Angeredete plötzlich schnell, und sein Gesicht rötete sich und wurde dicker, „ich habe ja eine Farm in Kanada. Ich melke selber!"
Den Krummen traf diese Antwort wie ein leichter Schlag. Er zog erst seinen eingedrückten Kopf noch näher an den Hals und wurde nachdenklich. „So, so," sagte er dann, „eine Erdratte bist du also, strülpst Vieh und baust Weizen und Kohl, und was nicht in deinen eigenen Magen geht, das verkaufst du,"
Der Holländer legte seine Hände über den Bauch, lächelte und nickte. „Ja, ja", sagte er.
Den Krummen ärgerte das; er stieß auf einmal seinen Kopf wieder nach vorn und schlug sich mit den Händen auf die Schenkel. „Gemolken wirst du aber doch!" krähte er. „An wen verkaufst du denn deinen Weizen? Wer holt denn deine Kühe? Die Dicken von Chikago. Aber sieh dir sie einmal an. Denkst du, sie werden von der Luft so dick?"
Der Holländer lächelte noch immer. „Lass ihnen ihren Verdienst, „sagte er, „sie wollen doch auch satt werden."
Ha! Ha!" Der Krumme meckerte auf wie eine Ziege, „als ob die Brüder in Chikago nur satt werden wollten!"
„Das weiß ich selbst, „knurrte der dicke Holländer, den das Meckern des Krummen störte, kleinlauter, „aber wenn sie die Preise auch immer niedriger drücken, gehungert habe ich noch nie."
Der Krumme hörte schon auf zu lachen, er ließ den Dicken aber nicht aus den Augen. „Das ist ja das ganze Unglück, „sagte er bitter, „dass die einen, die gemolken werden, das Melken nicht spüren, und den andern bei der Geschichte oben und unten die Luft fehlt. Wenn man uns gleichmäßiger an den Strulpen ziehen würde, hätte die Melkerei auch schon lange aufgehört."
Der lange Engländer, der dem Krummen mit geschlossenen Augen zugehört hatte, blinzelte etwas, machte den Mund halb auf, so dass die Unterlippe ein wenig nach unten hing, und sagte mit näselnder Stimme: „Was schimpfst du schon wieder, John? Du wirst nur heiser, und besser werden die Reichen von deinem Schimpfen
auch nicht."
„Das weiß ich", kreischte der Krumme. „Gegen diese Blase hilft nur das Totschlagen oder das Hängen. Ja, hängen sollte man sie", wiederholte er und drückte dabei seine Hände zu Fäusten.
Der Lange öffnete das rechte Auge und sah den Krummen schärfer an. „Auch die Mühe solltest du dir sparen, John", sagte er,
Der Krumme machte den Mund breit und zog ein dummes Gesicht. „Warum?" fragte er.
„O“, lachte der Lange und öffnete auch das andere Auge, es gibt heute schon mehr Dicke als Dünne, mehr Melker als Kühe. Die Dicken werden sich also bald gegenseitig totschlagen und aufhängen!"
Der Steward hatte, während der Lange sprach, die Suppe ausgeteilt. Die Männer, die alle nach den Streitenden gesehen hatten, fassten nun nach den Löffeln, bogen ihre Gesichter nach unten, zogen die Körper nach und begannen zu essen. Da auch der Krumme nach seinem Löffel fasste, hörte der Streit auf.
Beinahe alle löffelten nun. Sie sogen die gelbe Brühe in ihre rundlich geöffneten Mäuler, schlürften sie nach unten, und außer dem monotonen Tropfen der Überbleibsel hörte man nur dieses gleichmäßige Saugen und Schlürfen. Am unteren Ende des Tisches saß aber noch einer der Männer aufrecht. Er war ungefähr 40 Jahre. Auf einem hageren Körper saß ein kleines Kindergesicht mit großen beschatteten Augen, Er sah still vor sich hin, hielt seinen Suppenlöffel steif in den geballten Händen und bewegte leicht seine Lippen.
„Sieh dir das hagere Männchen an“, sagte der mopsige Deutsche, der noch runder als der Holländer war und nach allen Seiten schielte, zu dem sommersprossigen Schottländer, der neben ihm saß, „er macht ein paar Augen wie ein Heiliger."
Der Schotte, der breit und wuchtig über dem Tisch lag und mit beiden Backen seine Suppe schlürfte, sah kurz hinauf. „Lass den in Ruhe, „knurrte er den Deutschen an, „er kommt aus Pennsylvanien, war Bergmann in unserem Loch, und ich habe noch nie einen besseren Burschen getroffen als ihn!"
„So", gluckste der Deutsche, der gern gelacht hätte, den die Fäuste des Schottländers aber ängstlich machten.
„Ja, „sagte der Schotte noch knurrender, „und damit du es weißt, er ist auch ein Heiliger, und dem, der ihn anrührt, dem schlage ich die Knochen entzwei."
Der Deutsche zuckte kurz zusammen und sah eilig nach der anderen Seite. Da wurde gerade eine der vielen Türen geöffnet, und langsam schob sich die breite Gestalt des Hofmeisters in den Essraum. Er war nicht allein. Hinter ihm zeigte sich das Gesicht einer Frau; es war die Französin. Sie steuerten beide auf den Tisch zu.
Den Hofmeister strengte dieses Gehen an. Er schnaufte dabei. Mit seinen rötlichen, hängenden Backenlappen sah er aus wie ein zu fetter Truthahn. Die Frau tänzelte wie eine junge Henne hinterher.
Alle sahen jetzt auf. Keiner hatte die Frau vorher gesehen. Sie prüften sie wie eine Ware und schnalzten mit den Zungen. Der Schottländer wischte sich sogar über seinen triefenden Mund.
Sie war nicht mehr jung. Sie hatte ein eingefallenes, gelbes Gesicht, aber ein paar glänzende, helle Augen. Unter den Augen, die Nase war etwas zu spitz, der Mund dafür klein und rundlich und leicht geschwungen. Ein ovales, doppeltes Kinn mit breiten Falten schloss das Gesicht gut ab.
Als sie die Augen der Männer sah, die ihr alle bis auf das Fleisch brannten, neigte sie erst den Kopf nach vorn und versuchte sich mit ihm zu verdecken, dann hob sie
Um aber wieder, lächelte, steckte leicht ihre Zungenspitze zwischen die sich wölbenden Lippen und tänzelte weiter. Der Hofmeister führte sie bis an das obere Ende des Tisches zu dem langen Engländer. „Hier!" schnaufte er, wies auf einen Stuhl, schielte danach mit einem wütenden Blick über die gaffenden Männer, wandte sich und stampfte schwerfällig zurück.
Die Frau schnitt ein Gesicht hinter ihm, sagte laut und mit einer hohen, melodischen Stimme: „Guten Tag, Gentlemen", und setzte sich neben dem Langen nieder. Sie strich, schon sitzend, eilig ihre Blusenärmel hoch, so dass man ihre gutgerundeten, fleischigen Arme sah, tunkte dann den Löffel in die Suppe und aß mit.
Die Männer hatte das „Gentlemen" wie ein warmer Wind getroffen. Sie fanden nur keine Antwort, aber sie brummten wohlgefällig vor sich hin. Sie aßen auch nicht gleich weiter. Die Frau freute und ängstigte sie zugleich. Langsamer schoben die ersten die Löffel in die Suppe, schlürften die gelbe Brühe vorsichtiger ein, und das Schmatzen ihrer Lippen wurde leiser.
Der Krumme fand die Sprache zuerst wieder. Er stieß den dicken Holländer in die Seite und sagte mit verkniffenen Augen: „Eine Frau!"
Der Holländer schmunzelte und nickte. Leise wiederholte er die Worte des Krummen. „Ja — eine Frau."
Alle flüsterten sich das zu, kicherten, lachten und grunzten dabei, steckten die Köpfe zusammen und spitzten heimlich die Lippen. Nur der Heilige sah weiter geradeaus. Sein Gesicht war noch starrer und verzückter. Der Löffel stand noch immer zwischen den geballten Händen. |
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