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Kurt Kläber – Passagiere der III. Klasse (1927)
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XX.

Die Männer waren, trotzdem sie heute alles heruntergeschlungen hatten, was auf den Tisch gekommen war, nicht satt geworden. Sie saßen jetzt oben im Tagesraum, zu zweit und zu dritt in den Ecken, und kauten
weiter.
Der Belgier hatte sich in der Kantine verkrüppelte Apfelsinen gekauft und kaute an ihnen. Der Franzose, der ein großes Stück Schokolade in der Hand hatte, lehnte neben ihm und kaute mit.
„Seht ihr!" zischte der Däne den beiden Kauenden zu, „ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr seid die Ausgebeuteten, das Proletariat! In der heutigen Gesellschaftsordnung werdet ihr auch immer die Benachteiligten bleiben!"
„Und weißt du eine bessere Ordnung?" fragte der mopsige Deutsche, der zwischen den Stühlen hin- und herstolzierte, und er sah den Dänen bissig an.
„Die Kommune!" rief der Däne. Er schlug mit der Hand auf den Tisch. „Bevor die Arbeitenden die Verwaltung der Städte und Staaten, der Länder und Erdteile nicht selber in die Hände genommen haben, sitzen wir immer am unteren Ende des Tisches und bekommen die Abfälle."
„Denk dir das nicht so einfach mit deiner Kommune", sagte der Belgier und schob sich eine zweite Apfelsine zwischen die Zähne.
„Einfach!" rief der Däne zurück. „Nichts ist so einfach wie das. Die Arbeiter müssten bloß einmal den Mut haben, eine Kommune anzufangen. Wenn dann jeder sieht und spürt, wie gut sie ist, gibt es bald hunderte, tausende!"
Der Belgier lachte. Er war ungläubig und kaute weiter.
Der Schotte, der zugehört hatte, lachte nicht mit. „Eine Kommune ist wirklich gut!" sagte er. „Wir haben es einmal probiert!"
„Sicher!" sagte er, „es war eine kleine Kommune. Man drehte ihr auch bald die Luft ab. Aber sie hat doch bestanden und gelebt. Elf Jahre liegt es zurück, „sprach er weiter, als er spürte, wie ihn die Männer fragend ansahen, „und wenn ihr wollt, so will ich euch die Geschichte erzählen."
Er ließ sich dröhnend auf einen Stuhl fallen und begann: „Es war im Staate Washington“, sagte er, „ganz nahe an der kanadischen Grenze. Wir waren ziemlich 300 Männer, und wir arbeiteten an einer Eisenbahnlinie. Wir kamen dabei hoch ins Gebirge, 900, 1000 Meter, Der letzte Ort war weit unter uns.
Die Verpflegung, die Versorgung von allem, was wir brauchten, hatte während der ganzen ersten Arbeitszeit die Bahnverwaltung unter sich. Das heißt, sie hatte sie an eine Art von fliegenden Händler abgegeben. Unten im Tal, in der Nähe von Ansiedlungen, waren wir auch anständig verpflegt worden. Es gab viel Bohnen und Rauchfleisch, allerlei Fett und was man sonst noch braucht, damit ein schwer arbeitender und schwitzender Körper unter Dampf bleibt. Als aber die letzten Rauchfahnen der Farmer unter uns verschwanden, und der kleine Probierzug die letzte Möglichkeit war, nach den Städten und hinunter zu den Häfen und an das Meer zu kommen, hörten die guten Tage auf, und das Essen wurde schlechter als in der ärmsten 5-Cent-Bar in Pittsburgh und in Chikago.
Zuerst schlugen wir Krach und wollten diesen Händlern, die zugleich Köche waren, an den Kragen. Wir spukten auch um ihre Gebäude herum und schwangen unsere Hacken. Der Boss ließ uns aber wieder zurücktreiben, und am andern Morgen brüllten er und seine Spießgesellen durch das Lager, dass sie jeden von uns totprügeln und ins Jenseits jagen wollten, der es noch einmal wagte, gegen das Essen das Maul aufzureißen.
Und im übrigen', fügten sie höhnisch hinzu, ,könne ja jeder von uns tun, was er wolle, und wem das Essen aus der Küche nicht genug sei, der könne sich Dinner und Luncheon selber kochen!'
Das letztere war ein sehr bissiger Rat, und weder die Verwaltung noch wir dachten, dass sich jemals einer von uns an ihn halten würde. Als die Köche aber nun erst recht alles in unsere Töpfe gossen, für was sich sogar die Tramps in diesem Lande bedankt hätten, kam er uns wieder ins Hirn, und wir beschlossen, ihn auszuführen. Das war eine sonderbare, beinahe eine feierliche Angelegenheit. Wir kamen nächtens in einem alten Steinbruch zusammen, und unter dem Vorsitz eines alten, weißhaarigen Schweden gründeten wir die Railway Worker Commune of Washington'.
Ihr lacht!" unterbrach sich der Schotte, als er die blinzelnden Augen des Belgiers sah, „uns war das damals eine todernste Angelegenheit, und sie ist es uns auch bis zum Zusammenbruch der Kommune geblieben. Ich will euch das aber der Reihe nach erzählen.
Das erste, was getan wurde, war, dass wir alles»Geld, was wir bei uns hatten, in den Hut des Schweden schütteten, und am nächsten Morgen fuhr der Schwede mit noch zwei anderen nach Bellingham und sie kauften ein. Das war ein großer Kauf. Sie brachten Kessel und Töpfe, Büchsenfleisch und Brote und sonst alles, was notwendig ist, um in einer halbwegs guten Art amerikanischen Arbeitern den Bauch voll zu schlagen.
An demselben Tage, nach Feierabend, wurden noch unter großem Hallo Kochlocher ausgegraben, die neuen Kessel darüber gesetzt und ausprobiert. Wir pfiffen und tobten wie die Kinder, als der erste Dampf unter den Deckeln hervorquirlte, und den Kaffe, der gekocht worden war, zogen wir in unsere schwarzen Mäuler, als wäre er der erste, der unsere Schlünde passierte. Schwieriger war dann das Aussuchen der Köche. Das war gewiss, Kochen war eine Arbeit, die man nicht noch neben dem Sehwellenlegen oder Steine sprengen tun konnte. Da wir kolonnenweise arbeiteten, und als Kolonne Akkordarbeit taten, einigten wir uns so, dass von jeder Kolonne einer ausgewählt wurde, dessen Arbeit mitgetan werden musste, der aber dafür den Kochlöffel schwang. Das ging auch ganz gut. Da oft gewechselt wurde, gab es niemals Streit, Überhaupt Streit hat es unter uns während der Kommune fast nie gegeben.
Das war nicht etwa ein Wunder. Schon nach 14 Tagen merkten wir, wie gut das Kommunisieren tat. Das Essen wurde immer besser, denn die Köche arbeiteten sich ein. Auch die Einkäufer bekamen langsam Routine, und alles, was wir uns kommen ließen, fiel im Preise, anstatt in die Höhe zu gehen. Ho, wir gaben nach vier Wochen kaum noch anderthalb Dollar täglich in die Kommunekasse und setzten doch Speck an und bekamen runde Bäuche,
Das freute uns so, dass wir das Kommunisieren und gemeinsame Einkaufen bald auch auf andere Dinge übertrugen. Erst waren es nur Schuhe und Arbeitsanzüge, die wir in großen Posten kommen ließen. Dann wurden es Hemden, Stoffe, Seiden, Seife, kurz alles, was uns sonst die Kompanie geliefert hatte. Und wir spürten täglich mehr, wie wir früher belogen und betrogen, bestohlen und übervorteilt worden waren. An allem, was sie uns geliefert, hatten die Kompanie und ihre Helfershelfer verdient, und auf jede Ware hatten sie ein paar Cents oder einen Dollar aufgeschlagen. Unsere Begeisterung ging zuletzt soweit, dass wir eine kleine Sparkasse gründen wollten, und wir hätten noch mehr getan, wenn man nur in dieser Einöde noch mehr hätte tun können.
Und das Großartige an unserer Kommune war, dass wir durch unser gemeinsameres Zusammenleben auch kameradschaftlicher und brüderlicher wurden. Wir wuchsen ineinander. Wir, die wir nur wie Vieh zusammen gearbeitet oder besser — geschuftet hatten, lernten uns jetzt erst richtig sehen und erkennen. Einer zeigte sich dem andern mehr von seinen inneren als von seinen äußeren Seiten, und die Prügeleien, die sonst immer zwischen den Polen und Italienern stattgefunden hatten, hörten fast ganz auf. Sogar das: Wir sind Russen! Wir sind Deutsche! Wir sind Engländer! Wir sind Schweden! verwischte sich. Wir hatten durch unser selbständiges und gemeinschaftliches Leben gespürt, dass es nicht mehr als zweierlei Arten von Menschen gibt. Da sind die einen, sie beuten uns nicht nur aus, sie haben uns auch seit Jahren betrogen, und sie würden es heute noch tun, wenn wir uns nicht dagegen gewehrt hätten. Da sind wir, die Ausgebeuteten, die Arbeitenden, die Arbeiter, die Tag und Nacht für diese anderen schuften, und die daher zusammengehören wie die Gesellschaften und Kompanien der Ausbeuter, die sich zusammenschließen müssen zu Verbänden, zu Hilfsgemeinschaften, zu Kommunen.
Es war also von uns aus nichts vorhanden, was gegen die Kommune gewesen wäre, und was ihre Eintracht hätte zerstören können. Ihr könnt euch auch nichts Fröhlicheres vorstellen als unser damaliges Leben. Und es wäre sicher so fröhlich geblieben, wenn nicht Tod und Teufel und alle Gemeinheiten der Welt gegen diese unsere Kommune mobilisiert worden wären.
Natürlich", erzählte der Schotte nach einer kleinen Pause weiter, „ging alles von unserer Kompanie aus, Als wir mit unserer Kocherei anfingen, hatten sie mit einem Blinzeln weggesehen. ,Die Arbeiter werden selbständig', prustete unser oberster Boss los, als wir die Kochlöcher wühlten. Sie hatten nicht erwartet, dass wir aushielten. ,Morgen werfen sie sich die Kessel sicher schon an den Kopf, prophezeiten einige. Als das aber nicht geschah, und ihre Kessel langsam einrosteten, wurden sie skeptischer. Es war ja nicht nur unsere Selbständigkeit, die ihnen in die Nasen fuhr, es entging ihnen ein großer Teil ihres besonderen Verdienstes, und als wir gar einen eigenen .Shop' aufmachten, krochen sie alle Abende zusammen und überlegten sich, wie sie uns wieder zur Räson bringen könnten.
Das war nicht leicht, denn sie hatten uns ja die Selbständigkeit geraten. Außerdem gab es kein Gesetz, mit dem man uns offen zu Leibe gehen konnte. Der Krieg gegen unsere Kommune musste deswegen heimlich und mit unterirdischen Mitteln geführt werden. Die erste Großtat war, dass man uns zum Transport unserer Lebensmittel die Benutzung des kleinen Probierzugs verweigerte. Das war hart, da wir aber schon Großeinkäufer waren und den Verkäufern in Bellingham an unserer Belieferung lag, kamen wir doch zu unseren. Waren. Nun versuchte man schlechtere Mittel. Man kommandierte die Leute ab, die gerade am Kochen waren. Man verlangte zu einigen Arbeiten alle Kolonnenmitglieder, so dass keiner für die Kocherei übrig blieb. Man verweigerte uns den Holzschlag und die Benutzung von Kohle, Da wir aber hinter jeder Maßnahme nur die Wut der Gesellschaft spürten und wussten, dass sie nichts weiter wollte, als uns in ihren Schröpfkreis zurücktreiben, suchten wir ebenso verbittert Auswege, und in unseren Kesseln kochte und briet es weiter.
Wir wurden aber langsam nicht nur für die Verdienstmöglichkeiten unserer Kompanie, sondern auch für die Verdienstmöglichkeiten anderer kapitalistischer Kompanien eine Gefahr. Dass es oben in den Bergen unter den Bahnarbeitern eine Kommune gab, sprach sich herum. Besonders bei den Arbeitern der nahen Bergwerke. Dass diese Kommune eine große Ersparnis für die Ausgaben der Arbeiter sei, verkündete man natürlich auch. Es war also zu befürchten, dass unsere Kommune bald Nachahmer fände, und in einigen kleinen Bergarbeiterdörfem richtete man sie schon ein. Stärkerer Angriff gegen uns wurde deswegen von der Kompanie beschlossen, und da sich die benachbarten Kompanien mit Geld und Menschen an diesem Angriff beteiligten, setzte er auch sofort und mit aller Schärfe ein.
Es war ein gemeiner Kampf! Vielleicht der viehischste und dreckigste, der jemals von einer Kompanie gegen die eigenen Arbeiter geführt wurde. Er begann mit Sabotagen, Allerhand dunkle Elemente kamen in unser Lager, und mit ihrer Hilfe wurden sie ausgeführt. Am Abend standen unsere Kessel noch, und am andern Morgen waren sie umgeworfen und verunreinigt. Am Abend schleppten wir Waren in unsere Schuppen, und in der Nacht gingen die Schuppen in Flammen auf. Das setzte sich jeden Tag fort, und es kamen jede Nacht noch schlimmere Untaten hinzu. Hatten wir irgendwo eine Quelle eingefasst oder einen Bach abgeleitet, um frisches Wasser zu haben, so war plötzlich Chlor oder ein Salz oder eine andere Schweinerei darin. Gab es Wald oder wenigstens Kurzholz in der Nähe, so brannte es schon in den nächsten Stunden lichterloh, und wir wären manchmal beinahe selber mit in Flammen aufgegangen. Dazu kamen noch Prügeleien mit den dunklen Gesellen, die überall Streit anfingen, und die Folge davon war, dass wir bei den Gerichtsverhandlungen verdonnert wurden. Ja, einige von uns wanderten sogar ins Gefängnis. Auch in unseren Arbeitsbedingungen veränderte sich viel. Der Lohn wurde gekürzt und die Akkorde wurden niedriger angesetzt. Die gelieferten Werkzeuge zerbrachen uns unter den Händen, und das Dynamit wurde so schlecht wie der schlechteste Zunder,
Nun", der Schotte sah alle an, „den Zusammenbruch der ,Railway Worker Commune of Washington muss ich euch wohl nicht erst schildern. Nach zwei Monaten tapferer Abwehr war er aber komplett. Wir lösten sie auf und verteilten die Reste unserer Koch- und Verkaufsgesellschaft, die den Kampf überdauert hatten, wie Sakramente. Wir verstiegen uns sogar zu dem Heroismus, nicht zu kapitulieren und zu Kreuze zu kriechen, sondern uns in alle Winde zu zerstreuen, und die Kompanie mit ihrer Arbeit sitzen zu lassen. Die meisten taten es auch. Da es aber damals im Westen mehr Arbeiter als Bäume gab, werden uns die siegreichen Brüder kaum nachgetrauert haben."
Alle schwiegen, als der Schotte mit hängendem Kopf endete, und erst nach einer langen Pause sagte der Franzose, und sein Gesicht hob sich durchsichtig über die anderen: „Ja, sie bringen uns noch immer zur Strecke!"
Auch der Belgier öffnete den Mund. „Sie halten zusammen!" sagte er. „Deswegen sind sie im Vorteil!"
„Ha! Und besonders gegen Kommunen und Korporationen!" setzte der Amerikaner hinzu.
„Weil sie sich davor fürchten!" schrie der Däne laut. „Weil sie vor ihnen Angst haben wie vor Feuer. Was gäbe das auch, wenn sich auf der kapitalistischen Erde, in der jeder Mensch und jedes Tier schon in die allgemeine Ausnutzung einkalkuliert ist, auf einmal diese oder jene Gruppe selbständig werden wollte. Das wäre ja nicht nur ein Fortfall von Verdienst, das wäre Antastung aller überlieferten Spitzbuben- und Straßenräuberrechte. Das wäre außerdem Anschlag auf die gesamte heutige Ausbeutung. Denn welcher Mensch und welcher Arbeiter würde sich nicht selbständig machen, wenn er da oder dort sähe, dass er durch Errichtung von Kommunen nicht nur um Hunderte von Dollars weniger betrogen würde, sondern auch Hunderte von Dollars mehr verdiente."
„Kameraden!" unterbrach da der Belgier den Dänen, da fällt mir auch eine Geschichte ein. Sie handelt von einer beinahen Kommunalisierung, die aber kurz vor ihrem Zustandekommen tragisch endete und elend wieder zusammenbrach. Passiert", sprach er nach schnellem Atemholen weiter, „ist sie in Chikago, und sie Hegt nicht einmal weit zurück."
„Habt ihr euch über das Verteilen nicht einigen können?" fragte der Deutsche boshaft, der noch immer zwischen den Stühlen hin- und herturnte und dabei mit gespitzten Ohren auf die Reden der Männer hörte.
„Nein!" antwortete der Belgier ärgerlich und zog seinen Mund schief. „Bis zum Verteilen ist es gar nicht gekommen.
Pellhelm oder Pellhilm hieß der Mann, der die Sache mit uns beginnen wollte. Es war ein junges Kerlchen, der uns Arbeiter mit einer großen Schuhfabrik geerbt hatte. Aus irgendeinem Grunde hatte er aber einen Stich ins Heilige. Das hinderte ihn, uns wie sein Onkel auszubeuten und uns über die Ohren zu hauen.
Er setzte sich also hin und brütete aus dicken Büchern von Lassalle und Engels, von Marx und Bakunin so etwas Ähnliches wie eine Sozialisierung aus. Sie war nicht schlecht. Er setzte für sich einen Minimallohn, der ungefähr doppelt so groß war wie der unsrige, aus, und dann liefen die Löhne je nach Alter und Arbeit gestaffelt nach unten. Der übrige Verdienst des Unternehmens sollte in eine gemeinsame Kasse fließen und zu einem Viertel alle halben Jahre verteilt und zu drei Vierteln zur Vergrößerung und zu allerlei technischen Neuerungen, aber auch zum Bau von Koloniehäusern und zu Wohlfahrtszwecken, verwandt werden,
Nur eines passte dem wackeren Streiter Gottes nicht, diesen Verdienst, überhaupt den ganzen Betrieb unter unsere Kontrolle zu stellen. Jeder Sozialist, auch jeder nur etwas linke Wirtschafter, den er durchstudiert hatte, schrieb es zwar vor, aber als wir es in einer gemeinsamen Beratung forderten und alle Zitate, bei denen darauf hingewiesen wurde, anführten, blieb er hartnäckig. Diese Menschen sind alle gute Sozialisten gewesen, sagte er als Begründung seiner Weigerung, aber sie waren keine Christen. Der Sozialist kann Kontrolle verlangen, aber für den Christen gilt der Glaube. Und warum verlangen sie Kontrolle der Arbeitgeber, sagte er schon erregter, doch nur, weil sie jeden Kapitalisten für einen schlechten Menschen halten und ihm misstrauen. Ich hoffe aber, dass ihr mir nie misstraut und dass ihr an meine Ehrlichkeit auch ohne Kontrolle glaubt. Und was wäre mit dieser Kontrolle unser gemeinsames Arbeiten: Nichts weiter als ein armer Versuch, durch Zusammenarbeiten den Verdienst zu heben. Größer und verdienstlicher ist es aber, in einer fröhlichen Gläubigkeit brüderliches Christentum zu leben!
Dieser Sermon fiel bei uns nicht gerade auf fruchtbaren Boden. Erstens, weil uns das Misstrauen gegen diesen Heiligen trotz seiner Handlungen nicht verlassen wollte, und dann wussten wir ja gar nicht, wie ein Mensch mit einem religiösen Stich eine Fabrik verwalten und den Verdienst verteilen würde. Schließlich stimmten wir aber doch zu, denn wir dachten, wenn der Mensch so bleibt, wie er augenblicklich war, so ließe sich später über all diese Dinge klarer und besser sprechen. Die Hauptsache war uns auch, dass dieses neue Leben recht bald begänne, damit wir an seinen Vorteilen und seinen Nachteilen unsere eigene Stellung dazu klären konnten.
Jetzt kamen aber die Ecksteine! Dieser junge Mann hatte Brüder und Eltern. Er hatte Onkel und hatte Verwandte, und da sich die christlichen Handlungen unseres Heiligen herumsprachen, schüttelten sie erstaunt und erschüttert ihre Glatzen und ihre Geldbeutel. Zuerst machten sie ihn nur auf das Entwürdigende und Lächerliche einer solchen Preisgabe seines Kapitals aufmerksam. Dann sandten sie einen Pfarrer in sein Kontor, und der sollte ihm im Namen Gottes diese Flausen austreiben. Als aber auch das nichts half, beriefen sie einen Familienrat, und danach schritten sie ernsthaft ein."
Der Belgier lächelte grimmig. Es war ein sehr einfaches Verfahren, Eines Morgens fuhr ein Automobil vor, und unser Heiliger wurde von zwei Männern in eine Zwangsjacke gesteckt und von einem dritten hinunter in den wartenden Wagen geleitet. Die Eltern und Verwandten hatten ihn mit Hilfe von noch anderen kapitalistischen Freunden für verrückt erklären lassen, und die Karre brachte ihn, bevor er etwas gegen diese Vergewaltigung tun konnte, in ein Irrenhaus."
„Und ihr habt nichts unternehmen können, dass er wieder herausgelassen wurde?" fragte der Däne erregt und sah den Belgier mit großen Augen an.
Als ob das in Chikago einen Zweck hätte", antwortete der Belgier. „Wer dort einmal von der Polizei oder ihren Helfershelfern gepackt wird, der ist für immer begraben.
Außerdem", der Belgier ließ seinen Kopf hängen, „die meisten von uns glaubten, dass die Fortschaffung des Mannes in ein Idiotenheim zu Recht geschehen wäre. Das Kerlchen, das mit seinen Arbeitern den Verdienst teilen wollte, war ihnen schon vom ersten Tage an ein Spinner und ein Verdächtiger."
„Ja," knurrte der Däne, „diese eingesessenen amerikanischen Arbeiter fürchten sich vor nichts so sehr als vor der Stunde, in dem sich in ihrem beschränkten und gewöhnlichen Leben etwas ändern könnte, und jeder, der das versucht, ob er nun selber ein Arbeiter ist oder ein Gelehrter oder so ein christlicher Idiot, wird von ihnen lächerlich gemacht und gesteinigt."
„Ist das ein Wunder?" sagte der Schotte. „Dass der Sozialismus und die Sozialisierung gleich nach der Sintflut kommen werden, war den Kindern meiner Wirtsleute in Denver schon im 9. Jahre beigebracht worden. Ein Sozialist ist ein Abgesandter des Teufels, sagten sie, und wer in den Staaten das Wort Sozialismus nur in den Mund nimmt, ist ein Feind des Vaterlandes. Und das wurde ihnen in den Schulen gelehrt, das wurde ihnen tagtäglich in ihre kleinen Hirne gestopft, und das werden sie in 25 Jahren ihren Kindern genau so in die Hirne stopfen lassen."
„O!" sagte der Amerikaner, „und diese angelernte Abneigung gegen alles Soziale oder Sozialistische geht sogar soweit, dass der Amerikaner auch allen Versuchen einer Verstaatlichung der großen Industrien und der Eisenbahnen scheel entgegensieht. Aber nicht bloß der Kapitalist, der ja einen guten Grund dazu hätte, sich gegen das Fortschwimmen seiner Verdienstmöglichkeiten zu wehren. Nein, noch stärker unser gegen jede antikapitalistische Wirtschaftsform geimpfte Arbeiter und Genosse.
17 und 18 zum Beispiel," der Amerikaner lächelte, „als die Eisenbahnen unter staatliche Kontrolle und Oberaufsicht kamen und sich im Senat einige Männer für die gänzliche Verstaatlichung der Eisenbahn aussprachen, waren es nicht nur die für ihre Einnahmen zitternden Eisenbahnkompanien, die alles taten, um diese Verstaatlichung zu verhindern, der Eisenbahnarbeiter protestierte genau so laut gegen die Verstaatlichung. Und als das nichts half, und den kontrollierenden Staatsbeamten deswegen das Unrentable einer Eisenbahn gezeigt und bewiesen werden sollte, mussten die Kompanien ihre Arbeiter gar nicht erst zu einer geheimen Sabotage auffordern. Sie sabotierten selber in der ganzen Zeit, wo sie unter staatlicher Kontrolle standen und Staatsarbeiter waren, und es war erstaunlich, was sie in diesen Jahren kaputtfuhren und heimlich demolierten.
Die Kompanien haben natürlich ihren Zweck erreicht. Der ganze Staat weiß heute, dass eine Verstaatlichung der Eisenbahn nicht nur die Eisenbahnunglücke erhöhen würde, sondern auch im höchsten Grade unrentabel ist. Warum?" der Amerikaner lachte lauter, „das ist allerdings dem Senat und auch dem gewöhnlichen Bürger nicht ganz klar geworden; da es aber durch den Versuch und die nachfolgende Statistik bewiesen wurde, kann wohl die Tatsache nicht bezweifelt werden."
Der Belgier und der Franzose stimmten mit in das Lachen des Amerikaners ein. Auch der Russe lächelte. Nur dem Deutschen musste die Geschichte des Amerikaners nicht gefallen haben oder in das Hirn gefahren sein; er blähte sich auf und krähte die Lachenden giftig an:
„Ich möchte wissen, wo der Arbeitseifer bleibt, „sagte er, „wenn ihr Narren alles verstaatlichen und sozialisieren wollt. Und weswegen ehrliche Kerle, die sich nicht ihr ganzes Leben im Dreck und in den Vorstädten herumsielen wollen, sich mühen sollen, wenn sie nicht erst Boss und später Geschäftsführer werden können.
Und meint ihr gar," der Deutsche wurde hitziger, „ein amerikanischer Bürger, der sich 40 Jahre geschunden hat und nun in einem gut gehenden Shop oder in einer kleinen Fabrik sitzt, würde sich morgen oder übermorgen von euch sozialisieren lassen? Und glaubt ihr vielleicht, Ford und Morgan haben ihre Dollars nur gemacht und gesammelt, damit sie einmal verteilt oder verstaatlicht werden? Dummköpfe sind das, die so etwas predigen oder darauf hoffen."
Er reckte seine Arme. „Verdienst und Gewinn müssen sein“, sagte er pathetisch, „wenn Amerika weiter das beste und tüchtigste Land der Welt sein soll. Und", er zog seine Arme wieder nach unten und schlug sie klatschend auf den schweppernden Bauch, „solange unter der Brust der Bürger der Vereinigten Staaten noch ein amerikanisches Herz schlägt, werden sie auch die Grundpfeiler unserer Nation bleiben.
Euch Sozialisten und Anarchisten, euch Tramps und Bolschewiki, euch Vaterlandsverräter und unpatriotisches Gesindel", er sah den Amerikaner und den Schotten, den Dänen und den Franzosen mit kugeligen, sonderbar nach außen quellenden Augen an, „sollten aber sobald wie möglich der Teufel und die Polizei holen."

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