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Kurt Kläber – Passagiere der III. Klasse (1927)
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XV.

Als der Geduckte auf das Deck kam, setzte er sich auf ein zusammengerolltes Tau und spielte auf einer Mundharmonika. Der Schotte und der Krumme, der Holländer und der Belgier tanzten dazu. Sie wackelten mit den Hinterteilen und stießen sich gegen die Bäuche. Der Amerikaner und der lange Engländer, die ihnen zusahen, lächelten.
Auch der Deutsche und der Däne schielten den Tanzenden zu. Der Deutsche hob seine klumpigen Beine und schaukelte leicht mit.
In Alberta, zur Erntezeit, „sagte der Däne zu ihm, „tanzten die jungen und alten Burschen und die Mägde oft die ganze Nacht. Sie schwenkten die Beine gleich auf der festgetrampelten Erde. Am Morgen, wenn sie mähen sollten, fielen sie in die Felder wie Tote. Der Boss musste sie mit Wasser begießen, wenn er sie zwischen den Garben fand."
Der Deutsche kicherte. Er zog den Mund breit. „In Baltimore tanzen sie auch viel", meckerte er. „Ich gehe manchmal in die ,Graue Ratte'. Dort haben sie schwarze Mädchen. Sie haben nichts weiter als weiße Hosen an und stampfen und grunzen, als wären sie in ihrem Urwald!"
Der Schotte tanzte den zweiten Tanz mit der Jüdin. Die dicke Frau schrie auf, als sie von seinen groben Fäusten umfasst wurde. Er drehte sie aber trotzdem um ihre schwabbernde Fülle.
Der Tanz wurde leider nach kurzer Zeit unterbrochen. Hinter dem Sitz des Geduckten schloss man eine Tür auf, und ein Matrose wurde sichtbar.
„Es kommt Besuch!" sagte das kleine Männchen wichtig und grinste die Passagiere freundlich an.
„Besuch?" fragte der Geduckte, der aufgesprungen war.
„Ja!" erzählte der Kleine leiser, „aus der ersten Klasse. Sie haben sieben Zimmer auf dem Oberdeck. Sie sollen sehr reich sein."
Es schob sich auch schon ein zweiter Mann durch die niedrige Türöffnung. Er war größer als der Lange, und seine Höhe wurde noch überthront von einer großen, karierten Reisemütze.
Das Gesicht darunter war kantig und bissig. Die Backenlappen gestrafft und sauber rasiert. Die Augen gelblich und von einer erschreckenden Kälte. Prüfend und feindlich fuhren sie hin und her.
Der Mann drehte sich nach dieser eiligen Musterung wieder um. Er half jetzt einer jüngeren Lady aus der Türfüllung, die schlank und dürr wie eine Weidenrute war und ein Lorgnon in ihren beringten Fingern hielt.
Hinter ihr kam noch eine dickere Dame durch die kleine Öffnung. Sie schnaufte und hustete wie ein Nilpferd, und der lange Herr und der Matrose mussten ihr behilflich unter die Arme greifen.
„Das ist also die dritte Klasse?" fragte die junge Lady, die wie ein aus dem Nest gefallener Star auf den ungehobelten Brettern auf- und abhüpfte. Sie sah sich Geländer und Stricke, Steuerhaus und Rettungsboote erstaunt und mit einer kindlichen Gebärde an.
„Ja", sagte der kleine Matrose eifrig, der sein blau-verquollenes Gesicht neben sie gestellt hatte.
„Und das sind die Passagiere?" Sie näherte sich den Männern und hob ihr Lorgnon an die Augen.
„Ja", sagte der kleine Matrose wieder. „Es sind fast immer Arbeiter oder kleine Bauern."
„O!" Die Lady trat einen Schritt zurück. Sie sagte das erste Wort etwas furchtsam nach: „Arbeiter!" Als sie die Männer einzeln betrachtete und auf das zusammengedrückte Gesicht des Krummen stieß, tat sie sogar einen leisen Schrei.
Sie wich aber nicht weiter zurück. Sie schob das Lorgnon nur dichter vor die Pupillen und starrte die Zusammengedrücktheit des Krummen mit offenem Munde an. Der Krumme, der seinen Kopf in den Rockkragen zog, betrachtete sie auch. Erst wurde er ärgerlich und wollte sie anbelfern. Er besann sich dann noch, rollte bloß mit den Augen und steckte seine bräunliche Zunge heraus.
„O!" sagte die junge Lady das zweite Mal und wurde blass. Sie sah dem Krummen bis in das schwarze, rundliche Schlundloch.
Es trat eine Stille ein, in der die Männer etwas zusammenrückten. „Gentlemen!" unterbrach sie der Geduckte, und er machte einen tiefen Kratzfuß vor der Gestalt des steifen Besuchers, Sie wollen uns sicher besichtigen!"
„Bitte!" sprach er nach einer kurzen Pause weiter, in der sich die beiden wie zwei bissige Kater gemustert hatten, und er zog noch seinen verbeulten Hut bis auf die Bretter, „ich werde Ihnen jeden von uns gleich vorstellen!"
Der lange Besucher, der seine Mütze gleichfalls gezogen hatte, versuchte abzuwinken, der Geduckte hatte sich aber schon zu den Passagieren gedreht. Er blinzelte sie alle mit kleinen Augen an und zeigte danach auf den Krummen.
„Dieses Individuum", er wandte sich besonders an die junge Lady, „ist in seinem gewöhnlichen Leben ein Kohlenfresser. Er ist gar nicht gutmütig. Das sehen Sie schon an seiner Visage, Man soll ihn darum nur aus der Entfernung betrachten!"
Er schwieg eine Weile, damit sich alle den Krummen richtig besehen konnten.
„Um noch etwas aus seinem Erdendasein zu erzählen“, er zog seine Augenbrauen in die Höhe und sprach pastoraler weiter, „er stammt aus der beinahe menschlichen Gattung der Arbeitstiere. Er kommt gewöhnlich mit einem Wurf von 12 bis 15 Jungen zur Welt, und mit 14 Jahren steckt man ihn unter die Erde!
Das!" der Geduckte stieß den Krummen zurück und wandte sich diesmal, indem er mit spitzem Finger auf den dicken Holländer wies, zu der keuchenden Dame, „ist ein noch interessanteres Tier. Man nennt ihn den Fluroder Landesel Er findet sich in allen Ländern, und in den Staaten verwendet man ihn hauptsächlich auf den Farmen. Er ist leider etwas beschränkt. Er hat einen großen Kopf, mit dem er eigentlich denken sollte; er tut es aber nicht. Dafür ist er lammfromm, arbeitsam und immer fröhlich!
Sehen Sie!" der Geduckte fasste den dicken Holländer, nachdem er sein Zublinzeln verstärkt hatte, unter das Kinn und zog ihn näher an die Dame, „man kann ihn ruhig anfassen!"
Der Geduckte wollte als Dritten den Schotten vorstellen. Er winkte ihn schon heran. Die beleibte Dame wich aber bereits zurück. Sie hob leicht ihre kurzen Finger und schnaufte auf.
„Es sind wirklich Tiere!" rief sie mit einer leise quäkenden Stimme, und ihre schwarzummalten Augen fieberten die Männer ängstlich und erschrocken an.
Auch die junge Lady wurde ängstlich. Als die Männer langsam näher kamen und sie in einem kleinen Bogen umkreisten, fiel ihr rundliches Puppengesicht in eine kalkige Blässe. Sie stopfte eilig ihr Lorgnon in den flachen Busen und rettete sich mit hüpfenden Schritten zu dem langen
Begleiter.
„Komm, George! Komm!" quäkte sie eine Oktave höher als die ältere Lady. „Wir wollen lieber gehen. Sie werden uns sonst etwas tun!"
Dieser George, dessen ganze Länge sich unter dem Spott des Geduckten immer tiefer gekrümmt hatte, ging auch.
Bevor sein Gesicht vollständig in der Tür verschwand, drehte er es aber noch einmal um. Es war verzerrt. Die Lippen waren schmal und blutig zusammengepresst. Auf der hohen Stirn saßen ein paar senkrechte, aufgequollene Falten.

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