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Kurt Kläber – Passagiere der III. Klasse (1927)
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XVII.

Es war Mitternacht, Der Steward versuchte schon das dritte Mal, die Männer aus dem Tagesraum zu treiben. Endlich gingen sie. Die meisten schwankten.
Der Krumme und der Geduckte, die sich untergefasst hatten, lallten ein Lied. Der Deutsche und der Holländer sahen aus wie zwei zu volle, aufgetriebene Kühe. Der Däne und der Belgier gingen noch aufrecht. Auch der Engländer und der Franzose, Und der Amerikaner war noch so nüchtern, wie ihn seine Mutter geboren hatte.
Der Schotte, der etwas hinterher trottete, hatte die Französin im Arm. Er verschwand mit ihr. Der Korrekte, der ihnen bis zu den Kabinen nachtrottete, blieb mit großen, glasigen Augen stehen.
Es wurde trotz der vorgeschrittenen Zeit noch nicht ruhig im Schiff, Der Geduckte und der Deutsche torkelten in ihre Kammern. Der Krumme lief hinter dem Belgier und dem Dänen her. Der Lange, der noch mit dem Amerikaner sprach, landete an derselben Stelle. Auch der Franzose und der Russe fanden sich ein,
„Es ist eine Schande, „sagte der rothaarige Däne mit einer weinerlichen Stimme, als sie sich alle auf die Betten gehockt hatten, „das Leben fängt bei uns erst mit dem Schnaps an."
„Ja, mit dem Schnaps!" grölte ihm der Krumme mit seiner betrunkenen Stimme nach.
Der Belgier knarrte ihn aber bissig an. „Querkopf!" belferte er los, Du bist auch mit nichts zufrieden. Du bellst gegen die Weiber, und du keifst gegen die Ordnung. Du willst die Welt umblasen, und jetzt bläkst du deine Zunge noch gegen den Schnaps!" Er wollte weiter schimpfen, er wurde aber unterbrochen.
„Genossen!" sagte der hüstelnde Franzose, der seinen Kopf in die Hände gestützt hatte, „der Schnaps ist unser Bruder. Er ist allerdings ein guter und ein schlechter Bruder, In Marseille war ein Maurer, der atmete erst richtig, wenn er die Flasche am Munde hatte, ,Was haben wir, sagte er, ,ein Leben, das ein Hund nicht ertragen würde. Du schuftest 12 Stunden und bekommst dafür soviel, dass du beinahe die nächsten 12 Stunden leben kannst. Und was beginnt dann?'" Den Franzosen schüttelte ein Hustenanfall, ,„dasselbe wieder von vorn. Das einzige, was dir da heraushelfen kann, ist die Flasche. Du trinkst, und auf einmal bist du dort, wo du gern hinwillst. Da ist ein Baum. Eine Wiese, Ein Haus. Du siehst sie an. Du greifst danach. Du spürst es. Alles ist gut. Was ist dagegen das Wieder-nüchtern-Werden? Du fällst zurück in den Dreck. Du bist der alte, arme, geplagte Hund, Das einzige, was dir bleibt, ist die Hoffnung, dass du dir die Flasche wieder füllen lassen kannst!"'
Der Franzose hustete sich erst aus, bevor er weiter sprach. „Eines Tages zerschlug er sie aber doch. Es war in den Wochen, wo wir durch die Straßen der Vororte zogen und die ersten sieben Centimes zu unseren Stundenlöhnen eroberten, ,Brüder,' sagte er, ,der Schnaps ist gut, aber er macht träg und feige. Ich bin durch ihn, und sicher mit mir noch viele andere, 60 Jahre um jeden Kampf und um jeden Streik herumgegangen. Wir haben unsere Sehnsucht in ihm ersoffen, weil uns das bessere Leben unerreichbar erschien. Auf einmal hebt man nur die Hände und es kommt näher.'"
Der Däne machte große Augen und strich sich seine Haare in die Höhe: „Die Alten haben alle so gedacht", sagte er. Wären sie früher so klug geworden, so ginge es uns schon besser."
„Mein Vater", begann er nach einer Pause wieder, in der die anderen alle geschwiegen hatten, „war genau so ein Säufer, Wenn ich mich bis zu meinen frühesten Jahren zurückerinnere, so hatten wir noch ein Haus in Aarhus. Es war nicht groß, aber es war ein Garten daran, und nicht weit davon war das Meer, Der Alte war damals Gerber, Ich glaube, es gab sogar einen Gesellen, Auf einmal ging es nur abwärts.
Es war noch nicht der Schnaps, es war eine große Gerberei, die uns alle in den Hunger trieb. Sie nahm erst den Verdienst. Dann kaufte sie auch die Felle auf. Eines Tages verloren wir noch das Haus. Der Alte hätte auch nun nicht saufen müssen. Er wäre auch sicher wieder zu Arbeit und Lohn gekommen, Die große Gerberei schickte die Woche oft dreimal zu ihm Aber er wollte lieber verhungern als dort arbeiten, wo man ihm seine Arbeit gestohlen hatte.
Das Leben war ein lange Zeit noch nicht schlimm. Wir krochen in einer kleinen Bodenwohnung unter, der Alte, die Frau, die beiden Schwestern und ich, und versuchten, den Hunger zu überdauern. Der Alte, der mit jedem Tag mürrischer wurde, tat nun überhaupt nichts mehr. Er lungerte herum, schaffte alles, war er tragen konnte, zu einem alten Trödler und ersäufte dann seine Wut und seinen Kummer in Schnaps. Die Frau, die vom Lande war, war tapferer. Sie nähte und wusch, sie schickte uns zum Holz- und Kohlensammeln, sie vermietete sich auch oft wochenweise als Köchin, das ging aber nie länger als sieben Monate."
Dem Dänen trieben der Schnaps und die Erinnerung das Wasser in die Augen, und er machte eine Pause. „Der Alte", begann er wieder, „hatte durch den Schnaps jeden Halt verloren, und wenn er heimkam, besoffen wie ein Schwein, fiel er über sie her wie ein toller Hahn. Die Frau wehrte sich zwar immer, besonders weil die Schwestern und ich in demselben Zimmer lagen, aber er ließ erst von ihr, wenn er sich ausgetobt hatte.
Mir ist es natürlich erst später aufgegangen, warum die Frau plötzlich immer langsamer lief, dicker wurde und eines Tages von der Nachbarin in ihre Kammer geschleift wurde, Es müssen aber stets Fehlgeburten gewesen sein, denn wir sahen keinen Nachwuchs, und zu Abtreibungen war die Frau zu ängstlich und zu christlich. Außerdem dachte damals niemand an solche Dinge.
Die Frau", der Däne wischte sich die Augen, „wurde durch die Blutverluste langsam schmäler und blässer, Sie ai3 auch zu wenig, und wir wussten ja nur, dass wir selber Hunger hatten. Man holte sie auch schon seltener zu irgendeiner Verrichtung. Sie brach zu oft zusammen. Schwere Sachen konnte sie nicht mehr heben. Außerdem hatte sie kaum etwas anzuziehen. Der Alte benahm sich aber trotzdem sieht besser. Er wurde noch rabiater. Er fing an, sie zu schimpfen, zu schlagen. Er warf sie, wenn sie sich niederlegen wollte»aus den Betten. Er prügelte sie auf die Straße, und er ließ erst von ihr, als sie eines. Tages wie ein überarbeitetes Pferd zu Boden stürzte. Das heißt, er hieb auch jetzt noch auf sie ein und merkte erst, dass sie tot war, als er sich über sie wälzte
An demselben Tag bekam er dann für einen Augenblick ein anderes Gesicht. Er wurde gelb und käsig und heulte dick und salzig wie ein Verzweifelter, Er schimpfte und verfluchte sich sogar und versuchte, sich an einem Bilderhaken zu erhängen, Er plumpste leider nach unten und blieb dort mit seinem gedunsenen Gesicht liegen.
Am nächsten Morgen war sein erster Gang aber wieder zu seinem Schnaps, und als ihm am Mittag der Hunger und seine Brunst in das Haus zurücktrieb, warf er mich aus der Tür, ich sollte ihm etwas für seinen knurrenden Magen zusammenbetteln, und eines der Mädchen fiel er an, dass sie aufschrie und sich in seine Haare krallte. Die Nachbarin, die hereinstürzte, konnte ihn kaum wieder herunterwälzen. Sie machte aber noch an demselben Tage eine Anzeige, und der Alte wurde eingesperrt.
Wir", der Däne ließ seinen Kopf nach vorn fallen, „kamen nun in ein Findelhaus. Mit 12 Jahren lief ich fort. Das lange Beten und die dünnen Suppen schienen mir nicht gerade eine Verbesserung, Ich suchte zuerst unsere Bodenkammer wieder auf, aber da wohnten andere Leute. Ich sah auch den Alten einige Male, er war betrunken wie sonst, und ich ging ihm in einem großen Bogen aus dem Wege, Ein Bauer, drüben von Somso, der mit der Frau verwandt gewesen sein sollte, las mich dann auf und nahm mich mit auf seinen Hof.
Als ich 19 Jahre alt war, ich hatte den Alten schon ganz vergessen, war auch gerade des Viehtreibens überdrüssig geworden und wollte nach Kopenhagen, da kam auf einmal eine Botschaft von ihm. Mir fiel aber gleich wieder alles ein, und ich kam in einen Zorn über den Kerl, der meine Mutter erschlagen hatte, dessentwegen meine Schwestern noch immer im Findelhause lagen, und dessentwegen ich selber sieben Jahre wie ein herrenloser Hund auf den Gütern herumgeknufft und gestoßen worden war, dass ich nur den Wunsch hatte, diesen Süffel anzuspeien und meine Fäuste in sein Gesicht zu schlagen.
Die Botschaft war aus dem Aarhuser Spital gekommen, und ich reiste sofort hin. Bevor ich aber zu ihm gelassen wurde und meine Schmähungen ausstoßen konnte, hielt mich eine Schwester auf und teilte mir mit, dass mein Vater zwar ein unverbesserlicher Säufer gewesen sei, dass er sich aber jetzt, und besonders seitdem er vor dem Tode stände, gebessert habe und sein ganzes Leben bereue. Alles, was er getan hat, sagte sie weiter, lässt ihn Tag und Nacht nicht schlafen, und er kann deswegen auch nicht sterben. Wir haben darum deine Schwestern schon kommen lassen, und die haben dem Unglücklichen gesagt, dass sie ihm nichts nachtragen und ihm verzeihen. Jetzt will er nun noch dich sehen.
„Das", der Däne hob seinen Kopf wieder, „und die Helle und Feierlichkeit der Anstalt machten meine Wut kleiner. Als ich den Sünder dann sah, verschwand sie ganz. Er war klein und verhutzelt. Das einzig richtig Sichtbare an dem Mann waren nur noch die großen, flackernden Augen. ,Jan, sagte er mit einer heiseren, fistelnden Stimme zu mir, ,endlich kommst du auch.' Als ich wieder von ihm fortging, drückte er mir sieben kupferne Heller in die Hand. ,Das ist das einzige,' sagte er leise zu mir, ,was ich seit 15 Jahren nicht vertrunken habe. Es ist für dich und die Schwestern. Tue damit, was du willst, kaufe aber für keinen davon Schnaps! Schnaps', flüsterte er mir noch zu, ,ist das Schlimmste, was es gibt. Ein Mensch kann dich ins Unglück stürzen, er kann dir alles nehmen, was du hast, das ist aber nicht das Unglück selber. Wirklich unglücklich wirst du erst durch den Schnaps!'"
Sauertopf!" rief der Belgier quäkend in die Stille hinein, die nach den Worten des Dänen entstanden war, „als ob das ganze Unglück deines Alten nur an dem Schnaps gelegen hätte. Die meinigen", er rülpste erst einige Male auf und strich sich beruhigend über den gärenden Magen, „sind genau nicht glücklicher gewesen, und bei ihnen lag sogar dort, wo bei anderen Leuten die Schnapsflasche steht, das Gebetbuch,
Mein Vater", er kniff einige Male die Augen zusammen, bevor er weitersprach, „nahm sein Unglück allerdings nicht tragisch. Er war das Elend und die Not schon 30 Jahre gewohnt. Er stöhnte und wand sich auch kaum, als ihm dieses Elend beinahe den Hals zuschnürte und ihm die Frau, anstatt ihm zu helfen, sieben lebendige Kinder in das Kellerloch schüttete, sieben Brotfresser, von denen noch sechs Mädchen waren.
Als die Älteste, weil sie nicht satt wurde, sich daran gewöhnte, auswärts zu schlafen, hob er allerdings einen Augenblick seine Fäuste. Er wusste aber wohl nicht recht gegen wen oder gegen was. Ja, es ging ihm bald so schlecht, dass er auch die anderen gehen lassen musste. Was sollten sie noch bei ihm? Ihren Hunger stillen, das konnten sie nur auf der Straße.
Er kam dann ganz unter den Schlitten, und eines der Mädchen nahm ihn mit in ihre Kammer. Bevor ich das erste Mal nach Amerika fuhr, suchte ich ihn dort auf. Er wusste einen anderen Spruch als dein Alter!" rief er dem Dänen zu. ,„Du willst hochkommen’, sagte er, als er erfuhr, wo ich hinwollte, ,das ist ein Unsinn! Du bist im Elend geboren und wirst im Elend sterben. Das Schicksal ist gegen uns!"
Das war sein Evangelium, und es ist sicher sein Evangelium geblieben, damit ist er geboren worden, und damit wird er auch zu Grabe gehen. Wo willst du da aber helfen? Und wo sitzt da der Schnaps?" Der Belgier sah erst den Dänen an und dann die anderen. ,Und sie glauben an dieses Schicksal wie an ihren Gott!" sagte er lauter. Und es glauben noch Tausende daran! Hunderttausende! Die halbe Menschheit!"
Der kleine Russe stimmte ihm zu, „In unserem Dorf, sagte er leise, und er ließ einen Augenblick sein struppiges Gesicht sehen, „dachten alle Alten vor dem Krieg dasselbe.
Einmal", sein Gesicht war jetzt wieder hinter dem Amerikaner verborgen, „kam eine Frau in den Ort und behauptete das Gegenteil. Sie war dürr und schwächlich, und ihre Kleider waren so zerrissen wie die Kleider einer Bettlerin. Sie war aber doch von Moskau bis zu uns herunter gelaufen, um uns das zu verkünden. Sie sagte: ,Alles Schicksal liegt im Menschen. Ihr seid nicht arm, weil ihr arm sein sollt, sondern weil euer Herr zu reich ist. Ihr seid nicht Getretene und Herabgewürdigte, weil es Gott so will, sondern weil euch eure Herren dazu gemacht haben. Erhebt euch also gegen sie, Demut und Langmut sind gute Tugenden, aber Kampf und Freiheit sind größer. Seid ihr denn Tiere? Ihr seid Menschen!’
Es ging ihr schlecht!" sagte der Russe weiter. „Der Pope nannte sie eine Närrin und Ketzerin und schlug das Kreuz gegen sie. Der Herr hetzte die Hunde gegen ihre Fetzen und drohte ihr mit der Peitsche. Der Gendarm band ihr sogar die Hände, als er sie wieder aus dem Dorf hinausführte, und unsere Väter, zu denen sie gekommen war, deretwegen sie Tag und Nacht Steppe und Wald durchlaufen hatte, bewarfen sie mit Dreck und Steinen. Was ist das, was sie gesprochen hat,' sagte der ehrwürdige Georgewitsch, ein alter Schäfer, auf den wir sonst alle hörten, und der die Werfenden anfeuerte, ,da3 sind Teufelsworte gegen die ewigen Gesetze, das ist Unflat, den ein aussätziger Mund gegen Gott speit. Sind wir keine Menschen, weil wir demütig und gehorsam sind und unsere Armut und unser Leben ertragen? Entzweischlagen sollte man einen Mund, der solche Worte gesprochen hat!'
Sie wurde auch beinahe erschlagen. Die Väter jagten sie bis hinunter an den Fluss und trieben sie in die Sümpfe. Wir Jungen hatten sie aber auch gehört, und uns waren ihre Worte keine Versündigung, sondern eine Verkündung. Tscherkoff, ein großer Köhlerbursche, und Sherill, der Sohn eines Kleinbauern, wurden darum bestimmt, am Abend in die Sümpfe zu gehen und sie wieder herauszuholen. Sie blutete noch, als wir uns nachts an dem Weiler um sie sammelten, und das Wasser und der Schreck hatten sie so klein und steif gemacht, dass sie mir mit keuchendem Fisteln zu uns sprechen konnte. ,Freunde!' sagte sie zu uns, als wir sie alle traurig und wehleidig ansahen, sorgt euch nicht um mich und meinen Leib, wer die Wahrheit sagt, wird immer verfolgt, und sie haben mich schon stärker geschlagen, die Brüder in den Dörfern. Sind sie deswegen zu verdammen? Sie werden noch lange ungläubig sein. Vierhundert Jahre sind sie Knechte gewesen! Nicht einmal Gott kann sie in einer Nacht zu Herren machen!'"
Es war eine lange Zeit still nach den Worten des Russen. Man hörte nur das Schnarchen des Krummen und das kurze Rülpsen des Belgiers.
„Dja, „sagte der Franzose, der nachdenklich geradeaus gesehen hatte, „der Arme ist selber der größte Feind seiner Freiheit!"
Der Belgier, der seinen Mund stülpte, war noch resignierter. „Er ist nicht nur ihr Feind!" sagte er. „Er ist ihr Totengräber!"
Es wurde ganz still. So still, dass das Knurren und Dröhnen der Schraube zu hören war.
Der Däne, dessen Gesicht sich steif zusammengezogen hatte und in dessen Augen ein bösartiges Glimmen kam, unterbrach die Stille plötzlich.
„Euch ist es wohl besser ergangen?" sagte er grob und bissig, und er sah den Langen und den Amerikaner, die ihm beide mit spitzen, horchenden Gesichtern gegenübergesessen hatten, mit einem drohenden Blick an.
Der Lange, der zusammengezuckt war, machte sein Marabugesicht. Der Amerikaner, der etwas umständlich seine Brille auf die Stirne schob, antwortete aber:
„Ich bin aus dem Süden! Aus Atlanta!" sagte er. „Mein Vater war dort Rechtsanwalt!"
„Hat er dich nicht auf die Universität geschickt?" fragte ihn der Däne weiter, und sein Gesicht blieb bissig.
„Sogar nach Columbia!" antwortete der Amerikaner.
„Und warum bist du nicht dort geblieben?" Der Däne ließ seine Augen kreisen.
Der Amerikaner schwieg einen Augenblick. „Ich bin in Columbia Anarchist geworden!" sagte er dann.
„Warst du zu dumm zum Studieren?' Das Gesicht des Dänen hellte sich ein wenig auf. Er meckerte.
„Nein!" antwortete der Amerikaner und erhob sich. „Es erschien mir nur plötzlich verdienstlicher, für die Freiheit und für die Gerechtigkeit zu kämpfen als Glaubenslehren und Philosophie zu studieren!"
Auch der Lange stand auf. Er musterte den Amerikaner mit einem schiefen, erstaunten Blick und gab ihm dann die Hand. Als er sie auch den anderen gegeben hatte und hinausgehen wollte, fiel sein Blick auf den schnarchenden Krummen.
„John!" sagte er und stieß dem Schlafenden in die Seite. Der rührte sich aber kaum, und er musste sich über ihn beugen. Mühsam stemmte er ihn empor.
Der Russe, der aufgesprungen war, fasste den Taumelnden an der anderen Seite. Sie stellten ihn auf und schleppten ihn hinaus.
Als der Russe, der den Krummen bis in die Kammer und in das Bett getragen hatte, mit kleinen, leisen Schritten wieder zurückging, zog sich der Lange zuerst aus. Er hockte sich nieder und zerrte an seinen langen, geflickten Stiefeln. Auf einmal wurde sein Gesicht, das bis jetzt leblos in den Raum gestarrt hatte, aber scharf und kantig. Er schob die schon entschuhten Füße zurück in die Stiefel, knüpfte sie fest und stemmte sich langsam wieder auf.
Er ließ nun seine Zähne sehen, und in seine Augen kam ein gelbes Flackern. Das sprang in sein Gesicht und brannte sich durch seinen Körper. Die Lippen und die Halsmuskeln zitterten leicht, seine Schultern bäumten sich gegen die Wand, und seine Hände krallten sich in die Bretter.
Er blieb in dieser Haltung stehen, bis er hörte, dass es auf den Gängen ruhiger war. Dann zwang er seine fingernden Hände zu Fäusten, presste die Lippen zusammen und schlich sich hinaus.
Bis zur Tür der Jüdin kam er ungesehen. Er drückte die Klinke und schlug sie auf. Plötzlich öffnete sich aber die gegenüberliegende Tür, und der Schotte trat heraus. Der Engländer schrak zurück. Die beiden Männer standen sich mit eingezogenen Köpfen gegenüber.
Der Schotte fasste sich zuerst. Er schnellte seinen Kopf nach vorn, und in seine Augen kam ein lustiges, zwinkerndes Grinsen. Der Engländer blieb erschrockener. Sein Gesicht war lang und gelb geworden. Er schlotterte leicht.
Als der Lange das Grinsen des Schotten sah, wurde dieses Schlottern stärker. Er zog seinen eingezogenen Kopf bis auf die Schultern, und seine Hände fielen gekrümmt und mit einem heftigen Zucken von der Klinke nach unten. Langsam bewegte er seine Beine rückwärts. Die Tür, die zu der Jüdin führte, öffnete sich aber in diesem Augenblick ganz. Die Frau, die das Kommen des Mannes gehört hatte, war aufgestanden und stieß sie nach außen.
Der Engländer färbte sich, als sie sichtbar wurde, bis zu einem kalkigen Weiß. Er wollte schneller flüchten. Bevor er sich drehen konnte, stand die Frau, über deren fleischerne Hülle nichts weiter als ein kurzes Hemd hing, bereits neben ihm,
Sie fasste ihn wie ein Kind an der Hand, drückte ihn an sich und zog ihn mit kleinen, plumpen Bewegungen immer tiefer in die Kabine.

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