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Kurt Kläber – Passagiere der III. Klasse (1927)
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XIX.

Das Essen war wieder schlecht. Die Männer schlangen es diesmal herein. Zu fasten lag ihnen nicht, und ein gefüllter Magen war besser als ein knurrender. Sie machten aber bösartige Gesichter, kauten bloß und löffelten sich die Teller schweigend wieder voll. Der einzige, der etwas mobiler war, war der Dicke.
Der saß auf seinem Platz wie ein aufgeplusterter Truthahn. Die gemeinsame Flucht mit der Betschwester hatte ihn mutig und fröhlich gemacht. Die Frau hatte ihn zwar, als sie beide hinter dem Schwarzrock die Treppe nach unten polterten und er sie, nur um sie zu stützen, umfassen wollte, in die Seite gekniffen. Sie war danach auch eilig in ihre Kabine gelaufen, sie hatte sich aber in der Tür noch einmal umgedreht und ihm mit ihrem dünnen, spitzen Gesicht anerkennend zugelächelt.
Jetzt erwartete er mehr. Er rückte wie ein Hochzeiter auf seinem Stuhle hin und her. Er versuchte, sich ihr dabei auf alle möglichen Arten zu nähern. Er flüsterte ihr prustend Worte zu. Er schob seift Gesicht an das ihre, Er tat es allerdings nicht so plump und ungestüm wie sonst. Der Geduckte, dessen Augen während des Löffelns von einem zum andern glitten, sah es aber doch.
Er kicherte erst nur darüber. Als die Betschwester und mit ihr der eilig aufspringende Dicke hinausgingen, wurde er neugieriger. Er folgte ihnen leise.
Der Dicke war zwischen den Gängen noch zudringlicher. Er streckte einen Finger seiner kleinen, behaarten Hand aus und versuchte, die vor ihm gehende Frau in die Hüften zu stechen. Er tat das ungeschickt und meckerte dazu.
Die Betschwester, die sich im Saal gegen die Liebkosungen des Mannes mit kleinen Handbewegungen und ihrem kalten, abweisenden Gesicht gewehrt hatte, wurde jetzt aber spitzer und böser. Sie zog einige Male ihren Mund zusammen und zischte den Dicken pfeifend an, und als das nicht helfen wollte, blieb sie stehen und sagte mit einer piepsenden, hohen Stimme: „Fort! Geh fort!"
Dem Dicken, der seinen Finger schon wieder gezückt hatte, traf diese Abweisung ziemlich hart. Erst öffnete sich nur der Mund, und die runden Backen fielen zusammen und hingen gelb auf das Kinn. Als die Frau wilder keifte, fiel der ganze Kopf nach. Er hing schräg aus dem fetten Hals, und die kleinen Augen schielten furchtsam auf den Boden.
Der Geduckte, der die beiden in diesem Augenblick einholte, wollte sich an ihnen vorüberdrängen. Die kleine, zusammengesunkene Gestalt des Holländers erbarmte ihn aber. Er stieß ihn kräftig in den Rücken und richtete ihn wieder auf.
„Dicker!" sagte er dazu und schüttelte den Mann nach allen Seiten, einer Henne steigt man nie nach, ein richtiger Hahn nimmt sie einfach. Siehst du", er wandte sich zu der Betschwester, umfasste sie in den Hüften, hob sie hoch und schwenkte sie hin und her, dass ihre Röcke und die stieligen Beine wie ein paar bunte Lappen flatterten, „so!"
„Hilfe!" schrie die Frau, die im ersten Schreck ihre Augen geschlossen hatte, und die nun mit zappelnden Händen und Füßen in der Luft hing. Aber der Geduckte ließ sie eine Weile schweben. Er löste dann plötzlich die Hände, dass die Frau stürzend sein ledernes Gesicht streifte, und er drückte sogar noch seine Bartstoppeln in ihre Dürre. Er tat das allerdings mit einem sauren Gesicht, und er spie aus, als er sie nun wie ein Bündel dem Dicken in die Arme schob.
Dieser, der dem Schwenken des Geduckten wie einem Wunder zugesehen hatte, packte die fast Leblose genau so fest.
Er presste sie erst gegen seinen vorstehenden Bauch. Er fasste sie dann unter die Hinterbacken und versuchte, sie bis zu seinem Gesicht zu heben. Das war sehr anstrengend. Seine Halsmuskeln quollen auf wie Stricke. Auf seine Stirn kam perlender Schweiß.
Als er sie gerade auf seinen schon gespitzten Mund drücken wollte, erwachte die Frau wieder. Ihre Augen verdunkelten sich giftig, und zwischen ihren Lippen bläkten kleine, schwarze Zähne,
„Hunde!" schrie sie und fuhr dem Dicken mit ihnen unter die empfindliche Nase. „Schweine!" schrie sie lauter, und auch ihre Hände fuhren auf den Dicken los. „Viehzeug!" Der Zurückweichende spürte noch ihre trampelnden kleinen Füße.
Die Frau drehte sich nach dieser Abwehr flink, und bevor sie der überraschte Dicke wieder fassen konnte, nach der anderen Seite. Sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt und wollte sich damit auf den Zweiten stürzen, der sie abgeschleckt hatte. Soweit sie aber ihre funkelnden Augen auch aufriss, die Gestalt des Geduckten war in dem langen Gang nicht mehr zu sehen.
Zorniger werdend, hatte sie erst große Lust, noch einmal dem Dicken in die Haare zu fahren. Auf ihn zuhüpfend, besann sie sich eines Besseren und bückte sich nur nach dem aufgeblätterten, ihr sicher bei dem Schwenken des Geduckten entfallenen Buch.
Sie hob es mit einem fauchenden Knurren in die Höhe und flog dann mit schaukelnden, schnellen Schritten und mit einem lustig hinter ihr herflatternden offenen Haarschopf davon.
Der Dicke raffte sich aber trotz seines schmerzenden Gesichts und einer leichten Beule auf und trampelte ihr ein zweitesmal nach. Er kam auch bis zu der Kabine der Frau. Die Hand auf die Klinke schlagend, hörte er nur, wie sich von innen knarrend ein Riegel vorschob.
Nun war er ganz geschlagen. Er trommelte trotzdem an die hölzerne Tür und hörte erst auf, als er sich die Finger blutig getrommelt hatte.
„Willst du zu der Dünnen?" fragte der Steward freundlich, der das Trommeln gehört hatte und herangekommen war.
Zu der Buntrockigen!" sagte der Dicke keuchend.
Der Steward lachte. „Lass das!" sagte er. Er fasste den Dicken an der Schulter und zog ihn fort.
Als sich der Dicke gegen ihn wehrte und seine Schulter wieder frei machen wollte, lachte er lauter. Die bekommst du nie!" sagte er, und seine Augenwimpern zogen sich nach oben.
„Warum nicht?" fragte der Dicke.
„Die ist für die Mannschaft!" antwortete der Steward
Der Dicke schrumpfte ein wie ein angestochener Ballon, als er das hörte. Er wurde immer kleiner und unscheinbarer, fiel vornüber und brach fast zusammen.
„Für die Mannschaft!" sagte er leise nach. Seine Augen wurden groß und glasig. Sie schlossen sich langsam.

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