XXII.
Die Hinausgeworfenen pilgerten über die Gänge und über die Treppen wieder zum Essraum. Sie durchliefen aber auch den und sammelten sich erst vor der Kantine.
„Kameraden!" schlug der Amerikaner vor, nachdem sich die meisten den gelben, brennenden Fusel in den Hals geschüttet hatten, „wir wollen in eine Kabine gehen!"
Ja, „sagte der Dane, „der Russe soll uns sagen, was ihm die Frau erzählt hat!"
Die Männer waren einverstanden.
„Kommt zu mir!" rief der Franzose, Er ließ sich noch gelben Fusel in eine kleine Flasche füllen und stiefelte dann an der Kabine des Dänen und des Belgiers vorbei in die seinige.
„Setzt euch!" sagte er laut, als sich die Männer alle in den kleinen Raum geschoben hatten.
„Setzt euch!" wiederholte er dringender und ließ sich dröhnend auf eines der kleinen Betten plumpsen.
Die Männer blieben aber trotz der doppelten Aufforderung stehen. Mit ihnen war die Französin in den Raum gekommen, und sie warteten mit etwas eingekniffenen und unbeholfenen Gesichtern, bis diese sich gleichfalls auf eines der Betten fallen ließ.
Der Krumme, der neben ihr gestanden hatte, plumpste an ihre Seite. Der Amerikaner setzte sich rechts von ihr»und der Vierte auf dieser Bettstatt wurde der Korrekte.
Es waren außerdem der Däne, der lange Engländer, der Schotte und der Geduckte in dem Raum. Der Geduckte war in eines der oberen Betten geklettert, und der Schotte, der unten keinen Platz mehr fand, schwang sich gleichfalls hinauf,
„Fang an!" rief der Däne, der sich ungeduldig auf seiner Bettkante hin- und herschob, und stieß den kleinen Russen, der neben ihm saß, in seine schlottrige Magerkeit.
Der Russe begann, Er sagte in kleinen, kurzen Sätzen, was ihm die Polin erzählt hatte, und seine Augen, die halb geschlossen waren, schielten dabei von einem zum andern.
„Zwei Dollar hat sie also noch!" sagte er, seine Worte abschließend. „Zwei Dollar und den kleinen Wurm, und damit will sie wieder zurück nach Ilza!"
Die Männer und die Französin hatten mit hängenden Gesichtern zugehört. Jetzt sahen sie auf und starrten sich alle mit großen Augen und schüttelnden Köpfen an.
Der Franzose öffnete den Mund zuerst. „Und das lassen sich Menschen gefallen!" murrte er.
Der Amerikaner hatte einen roten Kopf bekommen. „Geprügelt und geschlagen wird also immer noch?" sagte er.
„Ja!" krähte der Schotte von seiner Höhe herunter, „und das mitten in der gepriesenen europäischen Zivilisation!"
„O!" sagte der Russe und hob sein stoppliches Gesicht zu dem Schotten hinauf, „in unserm Dorf und in den Nachbardörfern war es, als wir nach Amerika wanderten, genau so.
Höre!" sprach er weiter, nachdem sein Kopf wieder nach unten gefallen war, ich hatte eine Schwester. Dina! Ein Geschöpf wie die Sonne und erst 13 Jahre. Als sie unser Herr das erste Mal sah, sie jätete gerade mit der Mutter im Garten, da schnalzte er nur mit der Zunge, ,Ach Gott!' jammerte die Mutter, die es gesehen hatte, ,deine guten Tage sind vorbei,' Es dauerte auch nicht bis zum Abend, da kam schon ein Knecht und sagte zu dem Väterchen: ,Iljaß! Der Herr möchte einen Korb von deinen Äpfeln, Rufe die Blonde! Die Kleine! Sie soll sie ihm bringen.' Die Mutter jammerte lauter und wollte selber gehen, ,Nein,' sagte der Knecht, ,der Herr will, dass das Mädchen kommt.' Die Mutter ging aber doch. ,Sie ist noch so jung!' bat sie. ,Erst 13!' und sie fiel dem Herrn vor die Füße. Der Herr hörte sie aber gar nicht an. ,Fort!' schrie er und pfiff nach den Hunden. Am Abend holte er sich die Dina.
Sie musste drei Tage und drei Nächte im Herrenhaus bleiben. Als sie wieder herauskam, sah sie aus wie eine Vierzigjährige. Sie war grau und eingefallen, und ihre kleinen Augen flackerten, als seien sie schon am Erlöschen. Langsam trat sie in unsere Stube. Sie sah uns mit den kleinen, traurigen Augen lange an. Der Mutter küsste sie sogar die Hand. Dann ging sie mit vorsichtigen Schritten in ihre Ecke ans Fenster. Wir waren schon froh und dachten, sie würde sich dort wieder hinsetzen, wie sonst. Sie nahm aber nur das kleine heilige Bild von der Wand, zupfte die Blumen ab, die daran hingen, und zerbrach es. Ehe wir sie anhalten konnten, hatte sie mit denselben vorsichtigen Schritten die Stube wieder verlassen."
Der Russe schnäuzte sich, bevor er weiter sprach. ,„Gevatter,' rief am nächsten Morgen, als wir gerade die Grütze löffelten, der alte Justus zu unserem Tor herein, ,an meinem Kahn ist ein Mädchen vorbeigetrieben. Es hatte einen blauen Rock über dem Leib. Das Haar war blond. Ich glaube, es war die eurige!'"
Der Russe schnäuzte sich ein zweitesmal. Er nahm ein großes Taschentuch zu Hilfe und versteckte sich dahinter. He!" schrie in der Zeit der Däne und schnellte sich zu dem Schotten hinauf, „wenn ihr übrigens denkt, dass nur in Polen und vor dem Kriege in Russland die Herren fremde Kühe bespringen oder besprungen haben, so denkt ihr falsch. In Samsö, wo ich sieben Jahre war, tat der Gutsherr dasselbe. Von der Großmagd bis zur Kleinmagd, jede holte er sich ins Bett, und sie kamen erst unter die Haube oder wurden mit einem Knecht zusammengekuppelt, wenn sie im siebenten oder achten Monat schwanger waren. Es war zuletzt so, dass in den ganzen Tagelöhner- und Bauernkaten jeder Erstgeborene ein Herrensohn war, nur der älteste Sohn des zugezogenen Küsters war nicht von einem so vornehmen Vater.
Die Knechte", der Däne lachte, „nahmen es allerdings nicht weiter tragisch, denn jede Tragende bekam mit dem Kind auch ein paar harte Taler und einen Ballen Leinwand, wenn sie in seine Kate kam, und da die Jungmägde nie ausgingen, ließ der Gutsherr die Verheirateten gern in Frieden."
„Und die Mägde selber? Sagten die nichts, wenn sie in das fremde Bett mussten?" fragte der Schotte.
„Was sollten die sagen", antwortete der Däne. „Der Weg in das Bett ihres Gutsherrn gehörte zu ihrem Dienst, wie das Kühe melken, Ihre Vorgängerinnen waren den Weg gegangen, und sie wussten, wenn sie den Mietstaler in den Händen hatten, mussten sie ihn auch gehen." Der Däne lachte grimmiger. „Außerdem", sagte er, „nahmen sie das gar nicht wie etwas Schlimmes. Ein Bett mehr oder weniger, in das sie geworfen wurden, war ja kein Unglück. Und einmal so weich zu liegen, wie in dem Bett des Gutsherrn, war sogar nicht zu verachten.
Ü berhaupt diese Mägde!" Der Däne machte ein ernstes Gesicht. „Die Kühe wurden höchstens zweimal im Jahre läufig, aber sie waren es jeden Tag. In der Futterkrippe oder auf dem Heuboden, auf der Haferkiste oder oben in ihren Kammern. Es musste nur ein Mann kommen, da lagen sie schon.
Mich haben sie mit 14 Jahren das erste Mal in ihre Kammer geschleppt. Es war allerdings eine Alte, die so hässlich war, dass sie keiner mehr wollte, und ich dösiger Stadtbursche kam ihr gerade recht. Aber dann griffen auch gleich die nächsten nach mir, und es dauerte gar nicht lange, so gebrauchten mich auch die jungen,"
„Ist dir das so schlecht bekommen, dass du heute darüber und über die ganzen Weiber knurrst?" fragte der Belgier und blinzelte zu dem Dänen hinauf.
Der Däne hatte das Blinzeln gar nicht gesehen und blieb weiter ernst. „Schlecht bekommen?" fragte er erstaunt. „Ich habe mir damals nichts gedacht. Ich war in der Zeit ein Knecht wie alle anderen, und diese Späße gehörten zu unserem Leben wie die Arbeit. Als ich dann aber nach Kopenhagen kam und Sozialist wurde, sah ich das plötzlich alles besser und deutlicher. Sicher, diese Vergnügungen auf dem Boden und im Stall waren etwas Angenehmes. Sie waren nach der schweren Arbeit sogar nötig. Aber das Schlimme war, wenn die Knechte und Mägde dann in ihren eigenen Katen saßen, setzten sie diese Vergnügungen fort. Jetzt waren sie aber immer fruchtbar, und ihre kleinen Stuben waren bald so voll wie Mausenester.
Ist das gut für den Tagelöhner, wenn er sich fortpflanzt wie Unkraut? Hat das einen Sinn oder einen Zweck, wenn sie mehr Kinder in die Welt setzen, als sie mit ihren zwei Äckern ernähren können? Was tun sie denn? Sie schütten ihren Überfluss in die Städte, und der Hunger und die Armut, die da schon groß sind, werden noch größer. Und ist das nicht sogar gefährlich? Sie fallen den Arbeitern in den Städten überall in den Rücken. Ob die Ziegeleiarbeiter streiken oder die Maurer, ob die Hafenarbeiter oder die Schlosser wegen einiger Pfennige ihre Arbeit verlassen, immer schicken die Unternehmer nur ein paar fliegende Redner oder Werber auf die Dörfer und auf die Inseln, und die Streikbrecher stürzen an wie die Geier,"
„Was können aber die armen Mägde dafür?" lachte der Belgier auf, „Was sie dafür können?" Der Däne wurde bissig. „Sie sollen mehr mit dem Hirn arbeiten als mit dem Hintern. Wenn sie nur einen Sohn hätten, müssten auch nicht vier bei den Herren Knecht spielen, und wenn die Herren keine Knechte haben, bekämen sie außerdem noch ihre Äcker, Sie sollen also mehr an ihre Zukunft denken als an ihr Vergnügen."
„Als ob die Kinder bloß von der Frau kämen!" zischte die Französin zu dem Dänen hinauf. Sie machte kleine, runde Augen und stützte ihre Hände in die Hüften, „und als ob es bloß den Frauen in dem Hintern schwebberte. Sieh dir doch einmal die Männer an! Sie brauchen nur ein Weibsbild zu sehen, und der Verstand rutscht ihnen aus den Hosen wie ein Blitz."
Der Belgier und der Franzose meckerten Beifall. Der Krumme und der Russe klatschten sich knallend die Schenkel.
„Ja," bestätigte der lange Engländer, „der Mann ist bei der ganzen Geschichte genau so schuldig und unschuldig wie die Frau. Was können wir für unsere Brunst? Sie ist einfach da."
Der Schotte schlug sich in die Hände und wieherte. „Und besonders auf dem Lande", setzte er mit zusammengekniffenen Augen hinzu.
O!" Die Französin verzog ihren Mund zu einem leichten Lächeln und sah den Schotten an, „mich haben sie ja auch auf dem Lande verdorben. Ist das aber ein Wunder?" sie züngelte leicht mit ihrer Zungenspitze, „da lernt man doch die Schlechtigkeit zu jeder Tageszeit.
Ich war neun Jahre," sprach sie schneller weiter, als sie merkte, dass die Männer sie alle erwartend anblickten, „und ein alter Ohm hatte mich, weil ich Waise geworden war, auf sein Gut kommen lassen. Es war nicht groß. So", sie deutete mit den Händen einen Kreis an und bog dazu ihren Kopf hin und her. „Zwei Kühe, vier Ziegen, ein Pferd, Hühner. Eines Tages sagte er nur: ,Nimm die Ziegen! Binde sie aber fest. Geh hinauf zum Maire. Sie müssen zum Bock!'
Was lacht ihr!" unterbrach sie sich, als sie sah, dass der Krumme den Belgier in die Seite knuffte. „Jeden Tag ging ein Junge oder ein Mädchen hinauf zu dem Maire. Warum sollten sie mich nicht schicken? Dass der Hahn auf die Hühner sprang, hatte ich schon vorher gesehen, und dem Ohm fiel es nicht ein, zu sagen: ,Schau weg!' Dass man die Kuh zum Bullen führte, damit sie Kälber bekommen konnte, wusste ich auch schon, und selbst der Maire schimpfte nicht oder schickte mich fort, als der stinkende Bock auf meine Ziegen sprang und ich mit ängstlichen, großen Augen daneben stehen blieb.
Ist es also ein Wunder," sagte die Französin langsamer und sah dabei wieder zu dem Dänen hinauf, „dass sie es auf dem Lande toller und schlimmer treiben als in den Städten? Ich legte mich wenigstens bald danach mit den andern zusammen, und wir versuchten dasselbe. Eine Magd, die eines Tages dazu kam, tat dann das übrige. ,Schafsköpfe!' rief sie uns nach, als wir eilig entwischen wollten. Die Menschen legen sich doch nicht übereinander wie die Schweine. Sie legen sich mit den Bäuchen zusammen!
„Ja," meckerte der Schotte von seiner Höhe und nickte der Französin vertraulich zu, „das Dorf ist ein großer Schweinestall, und die Menschen treiben es in jedem Hause schlimmer als das Vieh.
Ich!" rief er lauter, und er zog sein sommersprossiges Gesicht zusammen, als hätte er auf etwas Saures gebissen, „war sogar schon mit fünf Jahren verdorben. Ich machte allerdings noch keine Dummheiten, dazu waren wir zu jung. Aber wir waren sieben Nachbarskinder und wir legten uns übereinander und spielten Zusammenstecken. Ich weiß nicht genau, wer es von uns zuerst begann. Wir hatten es die Knechte und Mägde tun sehen, und wir ahmten es treu und mit vieler Mühe nach. Wir klopften uns dabei auch über die Hinterbacken, tätschelten uns ab und küssten uns, und wir taten das alles sehr ernst und
feierlich.
Eines Tages wurden wir nur von einer der Nachbarinnen erwischt, und es gab fürchterliche Prügel. Es setzte danach eine strenge Kontrolle ein. Die Mütter sahen abends den Mädchen unter die Röcke. Waren sie da dreckig und rot, so gab es neue Prügel. Das machte uns nachdenklich und feig. Wir suchten uns andere
Spiele.
Mit 11 Jahren erinnerten wir uns plötzlich wieder des Spieles, und wir setzten es fort. Wir hatten jetzt schon eine gewisse Freude daran. Wir taten es auch heimlicher als früher. Gewöhnlich in einer finsteren Bodenecke oder im nahen Schilf. Als die Mädchen aber in das Vierzehnte kamen, spielten sie auf einmal nicht mehr mit. Sie hielten sich die Röcke zu. Sie wurden spitz gegen uns und spielten die Tugendsamen."
„Ho!" lachte der Geduckte auf und verschob sein gelbes Gesicht zu einem schrecklichen Grinsen, „die spielen sie immer, wenn sie ihre Unschuld verloren haben. Sie sind dann wie die Katzen nach der ersten Geburt. Sie wollen umjammert und umkratzt werden, bis sie das zweite Mal stillehalten."
„Grobsack! Elender Landstreicher!" belferte die Französin auf und wollte sich erheben. Der Amerikaner, der aber schon länger mit leichten Kopfschütteln auf die Reden der anderen gehört hatte« legte ihr seine Hände auf die Schultern und drückte sie wieder nach unten.
„Männer!" rief er dann laut, und seine bebrillten Augen wanderten von einem zum andern, „wir haben uns zusammengesetzt, um die Geschichte der Polin zu hören. Jetzt fahren wir uns wegen unseren verlorenen Tugenden in die Haare. Wir sollten uns überlegen, was wir für die Frau tun können,"
Der Belgier erhob sich. „Was soll man da überlegen?" sagte er in die eingetretene Stille. „Man muss ihr helfen. Das ist das einzige!"
„Ja," sagte der Franzose, und er zog eine bestickte Geldtasche aus seinem Rock, „wir wollen für sie sammeln!" Auch der Lange und Krumme zogen ihre Geldsäcke, und der Schotte, der von seinem luftigen Sitz heruntergesprungen war, nahm seine Mütze von dem borstigen Haar und sammelte das Geld ein.
„Teufel!" brummte der Geduckte, als ihm die Mütze unter die Nase gestoßen wurde, „bettelt man bei mir Landstreicher auch!" Er zwinkerte aber zu seinen Worten mit den Augen und gab den größten Schein. |
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