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Kurt Kläber – Passagiere der III. Klasse (1927)
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XXX.

Der kleine Kutter schwebberte wie eine Nussschale in den hohen Wellen. Er spuckte tiefschwarzen Rauch, und seine Schraube fauchte und knurrte wie ein großer Kater.
Die Männer sahen ihm nach. Sie winkten hinter ihm her, bis er in der inneren Hafenöffnung verschwand.
„Heute Nacht lande ich auch!" sagte der Franzose zu dem Dänen.
„In Boulogne?" fragte der
„Ja, in Boulogne!"
Sie gingen langsam hin und her und sahen nach der Insel Wight hinüber.
„Meine Frau ist mit den Kindern schon dort!" sagte der Franzose nach einer langen Pause, Er lächelte leicht und hob dabei seine dünnen Hände.
„Hast du ihnen geschrieben?" fragte der Däne,
„Ja, ich habe gedacht, es ist besser!"
„Warum?" Der Däne sah dem Franzosen ins Gesicht.
Der Franzose blieb stehen, „Sie sind doch hinter mir her!" Er stemmte sich auf die Reling und schloss die Augen,
„Weil du desertiert bist?"
Der Franzose nickte, „Wenn sie erfahren haben, dass ich heute komme, so holen sie mich gleich vom Schiff!"
„Weiß das deine Frau auch?"
„Nein!" antwortete der Franzose. „Aber so kann ich sie und die Kinder noch einmal sehen, bevor sie mich einsperren!" Er schüttelte sich und stemmte sich fester.
Der Belgier ging vorbei.
„Wir fahren wieder!" rief er dem Dänen zu. „Dort!" er zeigte nach der Küste, „das Häusermeer ist schon Portsmouth!"
Der Däne lief zu ihm hinüber. Die Festung hob sich aus dem Wasser wie ein gewaltiger, steinerner Berg, Vor dem Hafen kreuzten einige Torpedoboote. Sie fuhren Spiralen und tänzelten auf den Wellen wie große Fische.
„Kanonen!" sagte der Däne und wies auf die dunklen Rohre, die über die schwarzen Schiffsleiber standen.
Der Belgier lachte. „Das ist das Gesicht John Bulls!" sagte er, „und das Ganze sind ein paar seiner kleinen bluthungrigen Wasserwanzen!"
Auch eine Fischerflotte war zu sehen. Sie brauste heran wie ein Schwarm ausgewachsener Möwen, und ihre Segel lagen so tief, dass sie beinahe das Wasser berührten.
Der Dicke und der Russe näherten sich.
„Das ist ein fruchtbares Land!" sagte der Dicke. Er kniff die Augen zusammen und tastete das Land ab.
Der Belgier tat dasselbe. „Deswegen sitzen auch keine Bauern darauf", sagte er.
Der Dicke drehte sich um und sah ihm in die Augen.
„Da sind doch aber Häuser!" sagte er. „Stehen sie leer?"
„Das sind Schlösser!" antwortete der Belgier. „Darin wohnen die englischen Grafen und die englischen Lords!"
„Grafen?" Der Dicke dachte eine Weile nach. „Und denen gehört die ganze Küste? Die fette Weide? Der hohe Wald?"
„Alles!" Der Belgier nickte mit dem Kopfe.
„Wo sitzen denn dann die Bauern in diesem England?" Der Dicke kam näher und schob sich an den Belgier heran.
„Dahinter!" sagte der, Dahinter! Der Bauer kommt überall erst nach dem Grafen!"
„Ja," sagte der Russe, „in Russland war es früher ebenso, Ach," er lächelte leicht, „noch viel schlechter! Alles gehörte dem Herrn. Dem Bauer gehörten nur die Steine. Die Steppe. Ein mageres, dürres Äckerchen, Ein winziges Äckerchen." Er breitete seine Arme aus, „So groß! Es langte kaum für eine Kuh!"
Der Dicke tat erstaunt, „Ihr habt aber leben müssen!" sagte er.
„O!" der Russe hob seinen Kopf, „wir waren doch Knechte! Jeder arbeitete, bevor er auf sein Äckerchen ging, auf dem Herrenacker, Es gab nicht viel dafür.
Etwas Weizen. Ein paar Kartoffeln. Die Meisten von uns hungerten auch immer!"
Der Dicke machte große Augen und schüttelte sich. Das habt ihr euch gefallen lassen?" sagte er.
Der Russe nickte. „Was sollten wir tun?" antwortete er leise. „Mit den Herren war das Recht. Auch der Richter. Wer den Mund auftat, wurde geprügelt!"
Der Dicke stemmte sich in die Höhe. Er sah den Russen verächtlich von oben bis unten an. „Ich hätte diese Hunde wieder geprügelt!" krähte er.
„Du!" zischte der Belgier laut. Er lachte auf und stieß den Dicken in die Seite.
Der Däne lachte genau so. „Du bist ja ein recht tapferes Bäuerlein!" sagte er. „Wo kommst du eigentlich
her?"
„Aus Kanada!" rief der Dicke stolz. „Dort ist jeder
Bauer ein tapferer Kerl!"
„Du bist aber doch ein Holländer!" sagte der Däne.
„Ja! Aus der Gegend von Harlem! Ich bin vor sieben Jahren ausgewandert!"
Der Däne schielte ihn pfiffig an. „War dir Holland nicht groß genug, dass du fortgelaufen bist?" fragte er. „Oder war dir die Erde in Harlem zu mager?"
Der Dicke verstand den Dänen nicht. „Wir waren vier Brüder!" sagte er. „Die Wirtschaft war für alle zu klein. Drei von uns mussten also auswandern. Ich bin nach Kanada gegangen!"
Der Däne fragte weiter. „Nach Kanada?" wiederholte er erst. „Die Äcker und Wiesen hingen dir also in Holland zu hoch!"
„Ja!" antwortete der Dicke, „Sie sind zu teuer. Außerdem fressen uns die reichen Städter das beste Land weg. Sie machen sich Parks, Gärten, große Anlagen, Für uns bleibt nur die Heide und das Land am Wasser, das immer überschwemmt wird!"
Der Däne und Belgier lachten lauter. Auch der Russe lachte eine Weile mit.
„Du bist wirklich tapfer!" spottete der Däne danach. „Da spuckt dieses dicke Fässchen nach einem armen russischen Bruder, der sich von seinen Herren verprügeln lässt, und er selber springt von seinen reichen Mynheers, die ihn in die Heide und in das Wasser setzen wollen bis nach Kanada!"
„Das ist immer so!" sagte der Belgier. „Den Stock, mit dem der andere gedroschen wird, den sehen wir, und den, der uns selber auf dem Buckel herumtanzt, den leugnen wir so lange ab, bis wir darunter zusammenbrechen!"
Der Dicke hatte einen roten Kopf bekommen. „In Kanada geht es uns aber besser!" sagte er schnell. „Ich habe ein großes Anwesen. Viel Land. Weide. Mais! Weizen! Sieben Kühe! Ich habe auch jedes Jahr eine gute Ernte!"
„Unsinn!" polterte der Däne. „Dem Bauer geht es überall schlecht. Genau so schlecht wie dem Arbeiter. Du sitzt dein ganzes Leben auf dem Mageren und schuftest wie ein Tier, und wenn das Magere fett ist oder Gewinn abwirft, dann wird es dir einfach weggenommen!"
„O!" stöhnte der Dicke, „in Kanada ist niemand, der mir das Land wieder abnimmt!"
Der Däne polterte weiter. „Heute noch nicht!" sagte er spöttisch. „Der es dir aber einmal abnehmen wird, der kommt schon! Kanada liegt nicht aus der Welt, und deine Mynheers haben Hände, die reichen um die ganze Erde!"
„He!" sagte der Belgier, und er stieß den Dicken das zweite Mal in die Seite, „so lange musst du gar nicht warten. Die großen Yankees über der Grenze haben schon lange ein Auge auf dich geworfen, und wenn sie ihren armen Farmern den letzten Ochsen gepfändet haben, kommen sie über die Seen und spannen dir auch die deinigen aus!"
„Tun sie das?" fragte der Dicke ängstlich.
„Und wie gern!" antwortete der Belgier. „In den Staaten pfänden sie bereits jedes Jahr einige Hunderttausend! Sie setzen sie auf die Straße oder machen sie ihren Pächtern und Knechten, und die armen Kerle laufen herum wie Kühe, die ihren Stall verloren haben!" Der Russe bestätigte es. „Ich habe einige gesprochen!" flüsterte er. „Sie hatten früher viel Land. ,Wir waren reich!' sagten sie. ,Die verdammten Kapitalisten haben uns aber alles wieder abgenommen!"'
Uns wollte das nicht in den Kopf!" sagte er nach einer Pause, „und wir fragten sie, wie das zugegangen wäre. Sie verzogen ihre Mäuler und sagten: ,Sehr einfach! Unser Verdienst ist der Weizen, und wir schickten ihn jedes Jahr zu einem reichen Aufkäufer nach Chikago, der ihn dann mit Profit weiterverkaufte. Den stach aber unser kleiner Verdienst in die Nase, und er wollte ihn auch einstecken. Was macht er? Er kauft fünf Jahre lang keinen Weizen mehr oder nur wenig, und wir mussten, um zu leben, bei ihm borgen. Eines Tages war alles bis auf das kleinste Huhn und die kleinste Schindel verschuldet. Was konnten wir tun? Wir mussten unsere Koffer packen und gehen!"
„Sie sahen aber nicht aus wie Kühe!" sagte der Russe lauter. „Sie waren wilde, feurige Stiere, auch die Ältesten. Und sie kamen zu uns und wollten etwas über das neue Russland wissen. Manche wollten auch hinüber. Die meisten wollten allerdings im Lande bleiben. Sie sagten: ,Wir warten, bis dieses Pack noch mehr Männer von ihren Farmen getrieben hat, dann knallen wir mit den Flinten dazwischen und nehmen uns alles wieder!"'
„Als ob das einfach wäre!" sagte der Belgier.
„Ist es aber nicht das Richtigste?" sagte der kleine Russe feurig. „Wer hat denn ein Recht auf Land? Nur der, der es mit seinen Händen bebaut. Niemand sonst!"
„Ja!" rief der Dicke, der wieder mutiger geworden war, und lehnte sich vertraulich an den Russen, „nur der Bauer! Niemand sonst!"

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