IX.
Gegen elf Uhr wurde aufgebrochen. Die einzelnen Gruppen zerstreuten sich wenigstens. Zuerst ging der Heilige hinaus. Er hatte den ganzen Abend an einem Eckfenster gestanden und in die Nacht gesehen. Sein Gesicht war noch immer verschlossen, die Augen kaum geöffnet.
„He!" sagte der Deutsche, der sich den anderen wieder genähert hatte und neben dein Schatten stand, „ich habe ihn beobachtet. Ich habe auch versucht, ihn anzusprechen, aber er ist zugeknöpft, als wäre er oben und unten abgebunden. Nur manchmal macht er selber das Maul auf. Weißt du, was er dann sagt?" Er stemmte seine kleine Gestalt bis zu dem Ohr des Schotten, „Holland" flüstert er. Nichts weiter als das Wort „Holland".
Der Schotte horchte aber gar nicht auf den Deutschen. Er sah nach der Tür, vor der ein Gedränge entstand. Der Korrekte, der Dicke und der Krumme balgten sich um die Französin.
Der Krumme war ihr am nächsten. Er hatte sich länger mit der Frau in allen Ecken herumgetrieben, war noch einige Male mit ihr vor dem Kantinenschalter gewesen und wollte nun mit ihr schlafen gehen.
Er war betrunken. Sein Kopf war röter als eine Tomate, und die Augen glänzten hinter den Tränensäcken wie kleine, blitzende Feuer. „Es ist mein, das Puttchen!" kreischte er und drehte seine Arme wie Windmühlenflügel.
Der Korrekte, der sich den beiden mit steifen Schritten genähert hatte, schien ebenso betrunken zu sein. Er machte kleine Verbeugungen vor der Frau, so tief, bis er an die fuchtelnden Arme des Krummen stieß und sagte mit gespitzten Lippen: „Ich liebe Sie!"
Der Dicke trieb es noch toller. Er hatte in einer Ecke gesessen und getreulich auf die Betschwester gewartet; als sie aber nicht erscheinen wollte, stieg ihm seine Liebe zu Kopf, und er rannte nun, mit Bewegungen, die selbst den Krummen erschreckten, gegen die Französin. Er machte das sonderbar. Er ließ seinen Hals und seine Schultern etwas hängen, und dann fiel er einfach nach vorn.
Die Französin stand wie eine Gefangene unter den Verliebten. Sie war so rot wie der Krumme, nur fröhlicher. Die Männer belustigten sie. Sie sah sie abwechselnd an, einmal den Korrekten, einmal den Krummen, drehte sich dabei und wand sich und versuchte, aus den Umschlingungen wieder herauszukommen.
Der Krumme fasste sie darum fest. Er krallte sich mit seiner rechten Hand in ihre Bluse und ließ nur noch die linke Hand kreisen. Das regte die Nebenbuhler auf. Der Korrekte rückte näher und berührte die Frau schon, wenn er seine Verbeugungen machte. Der Dicke belferte Worte, wenn er sich vorn überstürzte, sprudelten sie dem Krummen ins Gesicht, und fasste auch nach der Frau.
Diese hatte sich unter dem Griff des Krummen erst etwas zusammengeduckt. Nun lachte sie lauter und kichernder, blitzte die anderen aufmunternd an und ließ ihre gespitzte Zunge sehen.
Als die Männer handgreiflicher wurden, öffnete sich auf einmal die Tür. Der Krumme, der davorlehnte, stürzte schreiend hinaus. Er ließ die Frau nicht los, und so torkelte sie schwankend hinter seinen fallenden Körper her.
Auch der Dicke fiel. Da die Frau und der Krumme nicht mehr vorhanden waren, schlug er hart, ja, beinahe dröhnend, gegen den Türpfosten. Er schien von diesem Schlag aus seiner Liebestollheit zu erwachen, wenigstens sah er sich plötzlich schreckhaft um, griff sich erst nach einer Weile an den schmerzenden, anschwellenden Kopf und schüttelt« ihn leicht und erstaunt hin und her.
Alle, die es sahen, mussten lachen. Auch über den Korrekten lachten sie. Er hatte nicht bemerkt, dass die Französin verschwunden war, er machte seine Verbeugung weiter, und da der kreisende Arm des Krummen seinen Kopf nicht mehr zurückstieß, neigte er sich sogar tiefer und drohte wie der Dicke gegen die Tür zu schlagen.
Dem Geduckten, der erst am lautesten über seinen korrekten Bruder gelacht hatte, beunruhigte das. Er fing ihn auf und riss ihn hoch, „Ich liebe Sie wirklich!" sagte der Betrunkene feierlich und umklammerte ihn. Dann hob er seine Hände höher und strich sie dem Geduckten zärtlich über die Backen.
Die Tür war vom Steward geöffnet worden. Der hatte erst die Augen aufgerissen, als er die Frau und den Mann auf das Deck fallen sah. Da sich die beiden aber kichernd wieder aufrichteten, drohte er nur und lächelte ihnen zu.
„Feierabend!" rief er und ging mit schnellen Schritten weiter. Er schloss überall die Heizungen und riegelte Läden vor die Fenster,
Der Belgier, den das Rufen des Stewards aufregte, stellte sich ihm entgegen. „Du bist wohl unser Hahn“, knurrte er grimmig, „dass du hier so laut Feierabend krähst!"
Der Steward wich ihm aus. Er hob Papier auf, das auf dem Boden lag, rückte eilig verstellte Tische an ihren Platz und schob die Stühle zusammen,
„Die Arbeiter sind wie die Kinder", sagte er, als er mit seiner Arbeit fertig war und wieder auf das grimmige Gesicht des Belgiers stieß. „Sie sehen in jedem Menschen ihren Antreiber. Befehle ich dir etwas?" fuhr er fort. „Ich sage dir das, was ich dir sagen muss. Ich bin sonst noch weniger als du."
Der Belgier wurde nicht ruhiger. „Hei" schrie er auf, „willst du vielleicht ein Genosse von uns sein?"
Der Steward, der schon weitergegangen war, drehte sich noch einmal um. „Ich weiß nicht“, antwortete er, „wen du deinen Genossen nennst. Jedenfalls bin ich auch Arbeiter. Ich stehe morgens um 5 Uhr auf und komme abends nicht vor 11 Uhr in meine Kabine. Außerdem bin ich fester an diesen Kahn gebunden als du oder deinesgleichen an ihre Werkstatt. Genügt dir das?"
Der Belgier zog eine Schnute und wetterte weiter, „Der Genosse fängt bei der Kameradschaft an!" knurrte er.
„Kamerad!" sagte der Steward wärmer und trat einen Schritt näher, „was tust du, wenn dir dein Meister sagt: Gehe hin und sage der andern Blase, sie soll das Maul halten, wenn sie arbeitet. Du gehst hin und sagst: Genossen, entschuldigt, aber ich soll euch sagen, ihr sollt euer Maul halten. Was willst du dagegen tun? Wir sind alle in der großen Tretmühle. Wir werden getreten und treten wieder!
Sieh!" sagte er schneller, „und das Schlimmste dabei ist, dass wir uns selber nie erkennen. Wir wittern überall nur Gegner. Wir sitzen nebeneinander und schneiden uns doch Gesichter, als wären wir Todfeinde. Wir tun, als hätten wir uns nie gesehen und warteten darauf, dass einer über den anderen herfallen konnte.
Freilich!" sagte er härter, „es ist ein System! Wir sollen uns nicht erkennen. Deswegen geben sie dem einen auch ein paar Pfennige mehr als dem andern und sagen noch zu ihm: Du, der andere ist Pack! Mit dem darfst du dich nicht abgeben. Oder sie hängen ihm gar eine Uniform um und trichtern ihm ein, dass er jetzt das Höchste sei:
Beamter)
Und" — der Steward lachte bitter, „jeder, der es hört, glaubt es auch. Die Hilfsarbeiter schmeißen nach den gelernten Arbeitern mit Steinen und brüllen: Ihr seid halbe Bürger! Die gelernten Arbeiter aber spucken aus und sagen: Das Gesindel! Sie können uns ja kaum das Wasser reichen. Die höheren Beamten sind noch schlimmer. Die, die es angezettelt haben, lachen sich darüber ins Fäustchen und füllen sich ihre Bäuche weiter. Warum sollen sie sich auch Sorge machen! Wir kommandieren und schurigeln uns ja selber und liefern alles getreulich ab, was wir aus unserer und der Arbeit der andern gewinnen! Kamerad!" wiederholte er noch einmal und sah dem Belgier bis in das Schwarze seiner Augen, „wenn einmal alle Arbeiter wirklich wissen, dass sie Arbeiter sind, wenn jeder den Strick spürt, an dem er zappelt und aufgehängt ist, und den Willen hat, sich loszulösen, dann wird es auch anders. Dann fällt das ganze Kartenhaus ein, in dem jetzt getafelt und geschwelgt wird, und du bekommst weder faulen Fisch noch spuckt dir einer über die Schulter oder sagt, dass du dich um 11 Uhr in deine Klappe legen sollst. Dann fängt auch deine Kameradschaft an und deine Genossenschaft! Bis dahin ist es nur noch weit. Besonders, wenn wir selber, du und ich, noch hier herumlaufen, uns anknurren, als wären wir Hunde und einer dem andern kaum über den Weg traut!"
„So einer bist du also", sagte der Belgier, der seinen Kopf eingezogen hatte und den Steward auf die Schulter schlagen wollte. Der hatte sich aber schon wieder nach der Tür gewandt.
Vor dieser Tür stand noch der Geduckte mit dem Korrekten. Der Geduckte hatte den Korrekten wie einen Sack emporgehoben. Er versuchte mit vieler Mühe, den Betrunkenen aufzuwecken und die Trunkenheit aus dem Taumelnden herauszuschütteln. Endlich sah er ein, dass es nutzlos war, packte ihn sich auf die Schulter und schleppte ihn hinaus.
Der Däne und der Amerikaner sahen zu. Der Däne mit hochgezogenen Augenbrauen und einem verbissenen Gesicht. Der Amerikaner lächelte.
„Ist es nicht eine Schande!" sagte der Rothaarige zu dem Bebrillten, „dass das Weib den Mann so lächerlich machen kann? Man sollte die Männer kastrieren, die sich nicht beherrschen können!"
Der Amerikaner verzog den Mund: „Hast du Pech gehabt, mein Junge!" fragte er zurück und sah den Rothaarigen erstaunt an.
„Pech!" lachte der auf. Ich ekle mich, wenn ich einen Rock sehe. Zu was sind sie da? Um den Menschen in den Dreck zu ziehen!"
Der Amerikaner fand nicht gleich eine Antwort. „Roter!" witzelte für ihn der Schotte, der in der Nähe stand und den Dänen mit kleinen Augen anblinzelte, „du sprichst wie der Fuchs von den Trauben. Hängen dir die Weiber zu hoch?"
„Zu hoch?" gab der Däne zurück, „Sie liegen doch alle auf dem Rücken!"
„Aha!" meckerte der Schotte und schüttelte sich. „Du bist also über eine hinweggefallen!"
„Wenn es nur das wäre", sagte der Däne grimmig. „Fallen wir aber nicht alle über sie? Ich hatte zuletzt keinen Kameraden mehr in Stockholm, der nicht an ihnen zugrunde gegangen war."
„Sprich deutlicher!" sagte der Amerikaner. „Ist das noch ein Arbeiter?" sprach der Däne schneller. „Irgendwo eine Mansarde und drei Kinder. Heute Hunger. Morgen Hunger. Übermorgen Hunger. Das Ganze ein schlottriger Kerl, der kaum noch in den Hosen hängt. Verteufelt, das Weib hat mehr Schuld an unserem Leben als wir ahnen!"
Der Schotte bog den Kopf ein und machte ein dummes Gesicht, „Was hast du aber weiter als das Weib", fragte er. „Verdammt, es ist nicht leicht, Arbeiter zu sein und ein ganzes Leben zu schuften. Das Weib und das Bett sind für den armen Mann das Paradies!"
„Und was für ein Paradies!" krähte der Däne auf. „Ein Sumpfloch, in dem wir vielleicht noch ersticken!"
Der Schotte meckerte wieder auf. „Es ist aber warm!" grinste er.
„Ja!" schrie der Däne und bekam ein gelbes Gesicht, „und wegen des bisschen Wärme verraten und verkaufen wir unsere ganze Freiheit. Wegen des Loches vier Treppen hoch und des weichen Hintern heiraten wir und machen Kinder und stapeln unsere ganzen Ideen in eine alte Kiste. Und dann sitzen wir da. Sehen nicht mehr über unser Elend hinaus und kratzen nur noch Geld zusammen, um uns und die Würmer zu ernähren!
Ha!" er schnappte mit der Stimme nach oben vor Eifer, „und wenn uns gar einmal das Wasser bis an den Hals geht, wenn ein richtiger Kerl aufsteht, sich eine Latte losbricht, um sich einmal wieder Luft zu machen, dann heult der weiche Hintern und barmt, dass der Ernährer verloren gehen könnte, die Würmer heulen mit, und schließlich sitzt der Kerl selber da, schreit und lamentiert wie ein Gerber, dem die Felle davongeschwommen sind, und das Weib hebt ihn dann wieder unter ihre Decken, packt ihn gut ein, wie einen Vogel, der zu früh aus dem Nest gefallen ist, und das Elend geht weiter!"
„Mann!" rief der Amerikaner dazwischen und lachte, „die Frauen werden dir die Augen auskratzen, wenn sie dich hören."
Auch der Schotte schniebte mit der Nase und zog den Mund spitz. „Nein, aufhängen werden sie dich!" lachte er,
„Ihr lacht!" belferte der Däne, der die Einwände der beiden kaum gehört hatte. „Stimmt es etwa nicht, was ich gesagt habe?" Er hob seine Hände. „Wirklich“, stieß er heraus, „sie haben uns das Weib angehängt wie eine Last. Und jedes Mal, wenn wir denken, das Leben wird erträglicher, dann hängen sie uns noch ein Kind an. Oder glaubt ihr, sie wissen nicht, warum sie uns oben und unten die Freiheit abdrehen und nur den Weg zum Weibe offen lassen. Glaubt ihr, sie wissen nicht, warum sie uns in Kammern sperren, wo der Bettduft Jahr und Tag nicht hinausgeht und die Kinder wie die Pilze hochschießen? Glaubt ihr, sie koppeln uns umsonst so fest zusammen, dass wir vom Anfang bis zum Ende unseres Elends mit den Bäuchen nebeneinander liegen müssen!
Ja!" rief er beschwörend, „das letzte hat das obere Pack gegen uns mobil gemacht. Sie schicken die Hinter-und Vorderseiten unserer Frauen genau so gegen uns ins Feld, wie sie uns ihre Soldaten, ihre Pastoren und ihre Polizisten auf den Pelz schicken!"
Bevor der Schotte, der nachdenklich geworden war, antworten konnte, wurden die Drei von dem Steward auseinander geschoben. „Es ist spät“, sagte er ruhig. „Ihr müsst schlafen gehen."
Der Amerikaner ging auch gleich hinaus. Der Deutsche, der heimlich dem Gespräch zugehört hatte, watschelte hinter ihm her. Bis zu der kleinen Treppe, die nach unten führte, mussten sie an einem gezogenen Strick balancieren, denn der Wind wehte so stark, dass sie beinahe abgedrückt worden wären.
Unten im Gang blieben sie eine Weile stehen und schüttelten sich. Der Deutsche schnellte dabei an dem Amerikaner vorüber und stellte sich vor ihn.
„Mann!" redete er ihn an, und er holte die Luft dazu aus den hintersten Lungenspitzen, „wir scheinen die einzigen Gentlemen unter den Passagieren zu sein. Ist es nicht beschämend, wie sich die andern benehmen?"
Der Amerikaner bog sich nach unten und sah den dicken Deutschen groß an. „Gentlemen!" wiederholte er seine Betitelung, „kein Mensch benimmt sich besser oder schlechter, als es ihm möglich ist. Auch wir!"
Der Deutsche schien das nicht ganz zu verstehen, aber ehe er antworten konnte, wurde er zur Seite gedrängt. Der Russe und der Franzose stürzten sich in den Gang.
Hinter ihnen kam der lange Engländer. Etwas vor ihm trippelte die Jüdin, die mit ihren dicken Schenkeln den ganzen Gang ausfüllte. Sie tuschelten miteinander.
„Wo schläfst du?" fragte der Lange und legte seinen Kopf an ihren fetten Hals.
Die Jüdin trippelte ruhig weiter. „Sag es!" flüsterte der Lange und fasste sie um den Leib.
Sie musste sich durch den Druck seiner Arme zurückbiegen. Groß und prall sprangen dadurch ihre Brüste aus dem Kleid.
„O!" stammelte der Lange, der es sah, und wollte nach ihnen fassen. Er zog seine Hände aber eilig wieder zurück. Vor ihnen standen dicht und geballt die anderen Männer.
Der ganze Gang war angefüllt mit ihnen. Sie stauten sich, schimpften und lachten. Kurz vor dem Speisesaal war ein Hindernis. Das Hindernis waren der Krumme und der Dicke. Sie hatten den Kampf um die Französin, der durch den Sturz des Krummen unterbrochen worden war, hier fortgesetzt und lagen sich giftig und knurrend in den Haaren.
Der Krumme war noch immer im Vorteil. Er hielt die Frau an der Hand. „Sie bleibt mein!" schrie er dem Dicken zu, der wie eine fletschende Dogge vor ihm stand.
Der Dicke hörte nicht darauf, Getrieben von dem Schmerz, der von der eiförmigen Beule kam, war er den beiden nachgejagt und glaubte, größere Besitzrechte als der kleine Engländer zu haben.
Wie ein Sturmbock hatte er sich ihm genähert, folgte dem kleinen Krummen, der sich kaum des stoßenden Fleischklumpens erwehren konnte und schon bis zu den Kabinengängen zurückgewichen war, und rammte ihn noch stärker.
Er wäre auch sicher zu seinem Ziel gelangt, wenn nicht plötzlich der Geduckte mit dem Korrekten erschienen wären. Der Korrekte, den der Geduckte von der Schulter her unter den Arm genommen hatte, musste die von der Balgerei müde an einer Holzverschalung lehnende Frau gerochen haben. Er richtete sich mühsam auf, wand sich von dem Geduckten los und taumelte ihr entgegen.
Er fiel nicht gleich auf sie zu. Er schnellte wie im Tagesraum in die Tiefe und sagte: „Ich liebe Sie!" Diesmal aber stürzte er, da ihm niemand helfend unter die Arme griff, wirklich, schlug krachend mit seinem Körper gegen die Wand einer Kabine und blieb dort liegen.
Dieser Krach hallte wie ein Hammerschlag durch die Gänge. Zuerst öffnete sich die Kabine der Stewardess. Ihr rundes, von weißem Haar umrahmtes Gesicht tauchte auf, und sie sah den Balgenden mit leicht gespitzten Lippen zu.
Die Betschwester, deren scharfkantige Nase hinter ihr hervorkam, machte ein ernsteres Gesicht. Als sie sah, dass der sich so wütend gegen den Krummen stemmende Mann der Dicke war, trat sie sogar ein Stück vor, damit sie der Dicke sehen sollte.
Der schien ihre Nähe und die funkelnden Augen bereits zu spüren. Er ließ wenigstens gleich in seinen Angriffen nach, duckte zwar den Kopf noch einmal nach unten, aber er blieb in dieser Bewegung stehen, als wäre er plötzlich angerührt und versteinert.
Da zu gleicher Zeit der mühsam von dem Geduckten wieder aufgestellte Korrekte in die gemeinsame Kabine geschleift wurde, wurde der Krumme Sieger in dem großen Kampf. Es kam ihm etwas unverhofft. Besonders die Passivität des Dicken war ihm unheimlich. Er erwartete neue Angriffe. Als sie ausblieben, stöhnte er erleichtert auf, rieb sich wie nach einem schweren Kampf die Hände und sagte „Uff!"
Danach schnaufte er erst noch einige Male Luft, drehte sich nun nach seiner Beute um und sah sie, die Augen fest zusammenkneifend und leise in sich hineinkichernd, an.
Die Frau, die müder geworden war und deren Arme und Kopf schräg und leblos von ihr abstanden, hob und senkte die Brust wie eine Schlafende. Den kichernden Krummen störte das nicht. Er knuffte sie mit einigen Stößen in die Seite wieder munter und versuchte sie fortzuführen.
Die Frau ließ auch alles mit sich geschehen. Der Krumme, der gravitätisch mit ihr nach hinten stolzieren wollte, hatte aber zu früh triumphiert. Der Lange, der sich durch die vor ihm stehenden, witzelnden Männer gedrängt hatte und den sonderbaren Kampf und jetzigen Abzug seines Schwagers schon länger beobachtete, kam ihm nach.
Gerade als der Krumme an seiner Kabine vorbeischieben wollte, packte er ihn. Er löste vorsichtig seine Hände von dem Leib der Frau, fasste ihn dann mit seinen langen Fingern am Rockkragen und am Schenkel, drehte ihn seitwärts und sagte: „Du gehst mit mir!"
Der Krumme, der in dem festen Griff wie in einem Schraubstock saß, versuchte sich zu wehren. Hauptsächlich weil er die Stimme nicht erkannt hatte und in dem heimtückischen Angreifer einen seiner alten Gegner vermutete. Bevor er sich aber von dem Griff freimachen konnte, hatte der Lange schon die Tür zur Kabine geöffnet, ihn hineingeschoben, sie wieder zugeschlagen, und nun lehnte er keuchend davor.
Er versuchte, sein Marabugesicht zu machen, als die Zuschauer an ihm vorbeigingen. Sie lachten trotzdem über den langen Wachtposten.
„Sieht er nicht aus wie ein Erzengel?" spöttelte der Belgier.
„Nein", sagte der Russe. „Wie ein himmlischer Apostel, den die Sünden der Welt melancholisch und mager gemacht haben."
„Vielleicht auch die seinigen!" lachte der Franzose.
Der Amerikaner war freundlicher. Er schob seine Brille hoch und blieb vor dem Langen stehen. „Respekt!" sagte er. Du bist ein tapferer Kerl. Hoffentlich schlägt er dich dafür nicht tot."
Da der Engländer nicht antwortete, schob er die Brille zurück und ging weiter. Der Lange wandte sich, lächelte etwas und sah nachdenklich hinter dem Amerikaner her.
Als er den Kopf langsam zurückbog, merkte er erst, dass die Jüdin neben ihn getreten war. Sie hob sich gerade auf die Zehen, um ihm näher zu sein.
„Nummer 11", sagte sie leise und strahlte den Langen an. „Aber erst später."
Der Lange blickte an ihr vorbei und schloss abwesend die Augen. Hatte er die Jüdin vergessen? Als er die Augen wieder öffnete, war sie verschwunden. |
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