XXIII.
Während die Männer über die Polin sprachen, erschien der Dicke einige Male in der Kabine. Er trat nie ganz herein, er blieb einen Augenblick in der Tür stehen, steckte seinen Kopf zwischen die Redendem, und seine Augen blitzten dabei nach allen Seiten.
Sein Aussehen hatte sich seit dem gewaltsamen Zusammenstoß mit der Betschwester wenig verändert. Sein Gesicht war noch blass und käsig. Die Arme hingen steif nach unten, und auf dem aufgequollenen Kopf saß schräg und eingedrückt ein kleiner Hut.
Nur die Augen waren nicht mehr starr und glasig. Die Tränensäcke saßen straffer unter den buschigen Wimpern, und wenn die großen Pupillen durch die Kabine fuhren, leuchteten sie gefährlich auf.
„Schotte!" sagte der Geduckte verstohlen, als der Dicke das dritte Mal in den Raum äugte, „der sucht sein
Liebchen!"
Der Dicke, der gleich wieder in den Gang untertauchte, war tatsächlich noch hinter der Frau her. Er suchte das ganze Schiff nach ihr ab. Nachdem ihm der Steward das wirkliche Gesicht dieser heiligen Beterin angedeutet hatte, war er erst in einer dumpfen Resignation vor der verschlossenen Türe stehen geblieben. Als es zum Abendbrot läutete, hatte ihn der Hunger aber in den Essraum getrieben. Er war sogar mit einer gewissen Eile hingelaufen, denn die Frau, die noch nie am Tisch gefehlt hatte, würde wohl, wenn sie ihn nicht mehr vor ihrer Tür wusste, schnell nachkommen.
Ihr Stuhl blieb aber leer. Er blieb während des ganzen Essens leer. Und als er, der kaum von der Suppe genippt hatte, aufsprang und auf seinen Platz vor der verschlossenen Kabine zurückkehrte, sah er, dass die Betschwester sein Fortgehen benutzt hatte, um auszubrechen. Die Kammer stand wenigstens weit auf, und die Frau war nicht mehr darin.
Er zischte Schaum, als er das erkannte, und Wut schoss plötzlich in ihm hoch. Wut gegen diesen Besenstiel, der ihn mit seiner Heiligkeit drei Tage lang genarrt hatte, und der ihm nun entschlüpfen wollte.
Das lange Suchen tötete außerdem langsam seine letzte Verliebtheit und machte seine Wut größer. Nein, er war kein mautzender, äugelnder Kater mehr. Er spie Gift und Galle während seiner eiligen Läufe durch die Gänge, und seine Augen wurden immer gelber und zorniger.
Er kam später auch von dem Verlangen ab, diese wandelnde Dürre in seine Arme zu schließen. Nur sehen wollte er sie noch einmal. Sehen und ihr seine Wut und ihre Scheinheiligkeit in das aufgeblasene, spitze Gesicht schleudern.
Das vergebliche Suchen nach ihr, dieses Lauschen an allen Türen, dieses Trippeln auf das Deck und dieses immer wieder Zurückkehren in ihre leere Kabine machte seine Wut gefährlicher.
„Teufel! Verdammtes Weibsbild! Hure!" keuchte er, wenn er seinen dicken Leib durch die schmalen Gänge schlängelte. „Einen ehrlichen Farmer so zu betrügen, sich so über ihn lustig zu machen!" belferte er weiter. „An die Kehle sollte ich dir fahren, wenn ich dich finde! Dich aufhängen! Dir die Luft abdrehen!" Er war ganz außer Atem und in Schweiß geraten.
Es war auch eine Schande, wenn er sich das richtig überlegte. Eine Schiffsdirne machte sich über seine besten Gefühle lustig. Sie wies ihn außerdem ab. Sie verkratzte ihm das Gesicht. Sie versteckte sich hinter einem Gebetbuch. Und in der Zwischenzeit wälzte sie sich sicher mit den Matrosen herum.
Ho! Dem Dicken ballten sich seine wulstigen, sonst schlaffen Hände zu groben Fäusten, sie hatte ihn nicht nur betrogen und sich über ihn lustig gemacht, sie hatte ihn, den Gutsbesitzer aus Kanada, mit ihrer Abweisung sogar beschmutzt, erniedrigt, ihn noch unter ihre Schweinereien gestoßen. Und das sollte er sich gefallen lassen? Damit sollte er herumlaufen. Er musste sie bestimmt schlagen. Er musste sie wirklich zwischen seine Fäuste bekommen. Als er das vierte Mal zu den redenden Männern hineinsah, war sein Gesicht bereits bläulich, und aus seinen wulstigen Lippen hoben sich drohend und gefährlich die schwarzen Zahmstumpen.
Da er die Frau auch diesmal nicht unter den Männern erblickte, versuchte er das, was er sich als das schwerste und letzte aufgehoben hatte, er warf sich mit seiner ganzen Fülle gegen eine dünne eiserne Kette, die einen kleinen Gang von den anderen Gängen absperrte, um die Ausgerissene auch dort zu suchen.
Dieser Gang war für die Passagiere verboten, weil die Kabinen in ihm alle leer standen. Der Dicke war auch etwas ängstlich, als die aufspringende Kette den Weg frei gab. Um so mutiger wurde er, als er, die Kabinen leise aufdrückend, sah, dass sie tatsächlich leer waren.
Schon wollte er, in der Mitte des Ganges angekommen, das Türenaufdrücken einstellen und wieder umkehren, da hörte er plötzlich aus einer der letzten Kabinen einen leisen, unterdrückten, aber quiekenden und hohen Schrei. Er blieb stehen und lauschte. Seine Ohren wurden so steif wie die Löffel eines Hasen, Seine geballten Fäuste zitterten. Das war sie.
Er stellte sich auf die Zehen und schlich behutsam näher. Rechts in dem dunklen Loch war niemand. Es stand ja auch auf. Sie konnte also nur links sein.
Sein Körper hob und senkte sich, als er sich nach dieser Seite wandte. Sicher, hinter dieser Bretterwand musste sie sein. Er hörte die kleinen, schrillen Schreie lauter, und dazwischen knurrten und brummten die tiefen Töne eines Mannes.
Er versuchte zuerst, die geschlossene Tür leise zu öffnen. Da sie aber quietschte und sofort ein Lichtschein über sein Gesicht fiel, riss er sie einfach auf. Wie eine zähnefletschende Bulldogge sprang er in den hellen Raum. Breit und dick und mit malmenden Zähnen blieb er in der lichtüberschütteten Öffnung stehen.
Als der erschreckte Aufschrei des oder der Überraschten, den er eigentlich erwartet hatte, ausblieb, stutzte er. Es machte ihn sogar verdutzt, dass er, der nun wütend vorstürzen wollte, innehielt und erst seine gelben Augen kreisen ließ.
Er sah nicht gleich alles. Er entdeckte nur das lange, blau umhoste Bein eines Mannes, das aus einem der oberen
Betten hing, und darunter, wie einen Hemdzipfel, den rot und grün gestreiften Unterrock.
Seinen Kopf vorstoßend, erblickte er das zweite Matrosenbein, den lang aufgestreckten Körper des Matrosen und unter dessen hagerem Gesicht die gelben Backenknochen und die spitze Nase der gesuchten Frau.
Der Anblick der Aufeinanderliegenden, besonders der bunte Unterrock und die aufgestülpten, küssenden Lippen der Betschwester, brachten die Wut des Dicken zur Explosion. Wie ein Frosch blähte er seine Kleinheit auf, wuchs ins Riesige, und mit einem wilden Aufschrei warf er sich den beiden Liegenden entgegen.
Er war zu kurz gesprungen, um sich über sie oder auf sie zu stürzen, und um sie mit seinem bis zum Rachen aufgerissenen Mund zu verschlingen, da er aber trotzdem etwas Hartes zwischen seinem Gesicht und den zu Krallen gekrümmten Händen spürte, packte er das fester und krallte und biss sich hinein.
„Au!" queilte der Matrose auf, den bis jetzt der in die Kabine getretene Dicke kaum gestört hatte. „Au!" schrie er noch einmal, schüttelte sich und versuchte, sich aufzurichten, denn das, was der Dicke zwischen Mund und Händen hatte, war sein Bein.
Der Dicke biss sich aber immer fester, und so schlug ihn der Matrose, der sich mühsam und unter immer lauteren Schreien etwas hochgestemmt hatte, mit der rechten Faust auf die Hirnschale.
Der Schlag traf den Dicken mit aller Wucht. Er spürte ihn auf dem Kopf und zu gleicher Zeit auch auf allen übrigen Körperteilen. Besonders seine Knie wankten unter ihm. Sie knickten ein, und der Festgebissene brach zusammen.
„Au!" schrie der Matrose, den das an ihm hängende Gewicht des Zusammengebrochenen fast aus der Bettstatt zog, zum dritten Mal. „Hund!" kreischte er schmerzlicher und ließ sich zu dem Zusammengebrochenen hinabfallen. „Aas!" brüllte er dann. Er riss den Mund des Dicken von seinem Bein los und trommelte mit allen Kräften auf dem sich unter ihm Krümmenden herum.
Der Dicke, der durch den ersten Schlag des Matrosen beinahe ohnmächtig geworden war, und sich wie ein Sack unter der Bettstatt und dem Schrank der Kabine ausgebreitet hatte, wurde durch dieses mildere, unaufhörliche Trommeln wieder lebendiger.
Er hatte auch einige Sekunden das bestimmte Gefühl, dass er sich gegen diesen seine Brust und seinen Bauch beklopfenden Menschen wehren müsste.
Als aber ein langsames Heben seines Armes ein schnelleres Klopfen des Zuschlagenden hervorrief und ihn außerdem der sich über ihn Beugende noch mit einer ganzen Flut fremder Schimpfwörter beschüttete, beschloss er, das weitere Wehren zu unterlassen und seine Rettung und Befreiung von diesem Ungeheuer durch Schreien zu versuchen.
Er setzte damit, nachdem er erst fürsorglich seine Augen geschlossen hatte, auch in allen Tönen ein, und er brüllte so laut, dass ihn sogar die noch immer redenden Männer hörten.
„Hallo!" rief der Geduckte, der am schärfsten lauschte, in die eintretende Stille hinein, „das ist der Dicke!"
„Ja!" bestätigte der Schotte. „Er hat seine Liebste sicher in einem fremden Bett gefunden, und", er lachte, „anstatt davon zu schleichen, lässt er sich noch von ihnen verprügeln!"
Da das Geschrei des Dicken aber mit jeder Minute lauter und verzweifelter wurde, sprangen einige auf, um nach dem Schreienden zu sehen. Zuerst der Krumme, dann der Franzose und der Belgier.
Der lange Engländer, der schon länger gelangweilt und mit eingekniffenem Gesicht auf die Erzählungen der Männer gehört hatte, benutzte diese Gelegenheit, um sich gleichfalls mit hinauszuschieben. Er ging aber nur zum Schein dem Geschrei nach und stahl sich später nach der anderen Seite.
Die Jüdin, zu der er sich mit eingezogenem Kopf schlich, zog sich gerade aus, als er in ihre Kabine trat Er drückte trotzdem die Klinke von innen zu, riegelte noch fürsorglich ab und blieb dann mit hängenden Armen und weitgeöffneten Augen neben ihr stehen.
Die Jüdin, die sich ruhig und unbekümmert weiter auszog, beachtete den Starrenden kaum. Sie öffnete so langsam und umständlich wie sonst ihre Röcke und ließ sie nach unten fallen. Sie streifte genau so langsam die Hosen nach und trat auch aus denen heraus. Nun hob sie noch dehnend und keuchend und unter lautem Gähnen ihre dicken, fleischigen Arme.
Die Augen des Langen waren in der Zeit immer größer und brennender geworden. Selbst sein Kopf wurde rot und begann zu brennen, und seine hängenden Arme zuckten auf und ab wie Dampfkolben.
Die Jüdin sah sich aber auch jetzt nicht nach ihm um. Sie lief mit kleinen Schritten zu ihrem Bett und deckte es auf. Etwas mühsam und mit leichten Schwingen ihrer fetten Schenkel stieg sie hinein.
Der Engländer, der darauf gewartet hatte, fasste mit seinen langen und gepflegten, augenblicklich zitternden und bebenden Fingern nach dem Lichtschalter. |
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