Drohn, der „Scharfe" und der „Gottsucher".
Der Schlosser Drohn arbeitete in einer Kolonne in der Montagehalle. Er war bereits drei Jahre bei der Firma tätig und war gewissermaßen in seiner Kolonne der Angeber; Kolonnenführer war er jedoch nicht. Seit die Betriebsleitung wusste, dass er Kommunist war, kam er für diesen Posten nicht mehr in Frage.
Kolonnenführer sind eine Art Vorarbeiter; sie erhalten einige Pfennige die Stunde mehr, und diese Pfennige genügen oft, um die so bevorzugten Arbeiter von den übrigen zu isolieren. Das gehörte zur Lohnpolitik des Unternehmertums.
Drohn hatte aber den Kolonnenführer völlig in seiner Hand. Es war ein älterer Arbeiter, Mathews mit Namen, der heidenfroh war, wenn Drohn ihm alle heiklen Aufgaben, die er als Kolonnenführer zu erledigen hatte, wie Arbeitsverteilung, Akkordverrechnung und dergleichen, stillschweigend erledigte. So kam es, dass die Kollegen mehr auf Drohn hörten als auf Mathews und dieser nur für die Betriebsleitung, nicht aber für die Arbeiter der Kolonnenführer war.
Der alte Mathews war seit dem Kriege politisch uninteressiert, indifferent. Die Enttäuschungen, die ihm als alten Sozialdemokraten aus den achtziger Jahren die Scheidemänner bereiteten, konnte er nicht überwinden. Er schimpfte bei jeder Gelegenheit auf den Ministersozialismus und nannte die Kommunisten eine neue Auflage der alten Verräter. Er war ein politisch Gescheiterter, er nahm keine Partei, er wählte nicht, baute nach Feierabend seinen Kohl und seine Kartoffeln in seinem Schrebergarten und spielte sonntags seinen Skat.
Es war überhaupt interessant, zu beobachten, wie sich besonders hier in der Montagehalle die Generationen schieden. Der alte Kriegs- und Vorkriegsstamm der Arbeiter, die teilweise ihr 25jähriges Jubiläum bei der Firma schon gefeiert hatten oder dicht davorstanden, war durchweg verspießert oder verbürgert. Entweder waren sie politisch fatalistisch eingestellt und hatten ihren Schrebergarten oder Gesangverein, oder sie waren mehr oder weniger fanatische Parteigänger des sozialdemokratischen Wahlvereins, wie sich ja heute immer noch die einzelnen Ortsgruppen der SPD nennen. Sie liefen sich für einige Pfennige Kassiererprozente nach Feierabend die Füße wund und verteilten treppauf, treppab Flugblätter, in denen Zörgiebel und Severing als die größten Sozialisten unserer Zeit verherrlicht wurden. Dabei schimpften sie über die heutige Jugend, die politisch unaufgeklärt sei und sich vor der nötigen Kleinarbeit drücke.
Es gab tatsächlich nur wenige Jungarbeiter, die aktive Parteigänger der SPD waren. Die 25- und 30jährigen im Betrieb waren entweder Fanatiker des Fußballs, des Boxringes oder des Tanzbodens, und was politisch aufgeklärt und interessiert war, schloss sich durchweg der kommunistischen Opposition im Betrieb an. Die SPD-Führung beurteilten sie instinktiv durchaus richtig als reaktionär. Natürlich waren nicht nur die Jungarbeiter revolutionär. Es gab gute Revolutionäre aus der Bebel-Generation, die sich noch heute unermüdlich und selbstlos für die Forderungen der Arbeiterklasse einsetzten, wie sie es als aktive Funktionäre innerhalb der Sozialdemokratie während ihrer heroischen und revolutionären Vergangenheit getan hatten. Aber der Nachwuchs, die Jungen, waren doch die stärksten Gruppen in der Front der proletarischen Revolution.
Das war nirgends so auffällig wie in der Montage. Meister und Kolonnenführer durchweg Sozialdemokraten, viele Arbeiter passiv. Aber ein großer Teil der Jüngeren gehörte der Opposition an.
Die revolutionäre Arbeiterschaft hatte ihre Vertrauensleute unter den Zuschlägern in der Schmiede, den Brennern in der Schweißerei und den Montageschlossern. Die Vertrauensleute der Firma waren die Privilegierten, die Meister, Vorarbeiter und Kolonnenführer der einzelnen Branchen mit dem höheren Lohn und der höheren Akkordverrechnung. Hier schieden sich die Geister.
Nun arbeitete in der Blechschmiede der Montage ein junger Schlosser, der Erich Scharff hieß und bei den Kollegen kurz der „Scharfe" genannt wurde. Er hatte lange, fliegende Haare, ein sympathisches, etwas mädchenhaftes Gesicht, einen geschmeidigen Gang und eine gepflegte Aussprache. Man merkte ihm auf hundert Schritt an, dass er einer Sportoder Kulturorganisation angehörte. Er war ein Gern- und Schönredner und infolgedessen im ganzen Betrieb bekannt. Er war Mitglied der Jungsozialisten und das einzige jüngere
Mitglied der Sozialdemokratie, ein heftiger Opponent gegen den Ministerialismus in seiner Partei, griff auch seine Parteigenossen im Arbeiterrat heftig an und hatte im Betrieb fast den Nimbus eines ungestümen Rebellen, trotzdem er ein erbitterter Antikommunist war. Er war in der Montagehalle erklärlicherweise das Sprachrohr der sich zur Sozialdemokratie zählenden Arbeiter geworden, und die Meister und Vorarbeiter verwahrten sich wohl hin und wieder gegen einige ausgeteilte Hiebe, ließen ihn aber im übrigen gewähren. Das kommt daher, sagte einmal Drohn, weil sie wissen, dass er die erregte Stimmung der Arbeiter abreagiert. Der Dreher Schmachel nannte ihn einmal den vorgeschobensten Posten der Sozialdemokratie, der sich oft bis in die Gefilde der Kommunisten wage, und hatte damit die politische Rolle des „Scharfen" trefflich charakterisiert.
Ein originelles Gegenstück zum „Scharfen" war ein jüngerer Tischler, ein blasses, schmales Kerlchen mit großen, hellen Augen und einer süßlichen Menschenfreundlichkeit. Er war Guttempler, dünkte sich etwas Besseres und bekämpfte seine Feinde mit Liebe und Güte. Da er in jedem Menschen, nach seinen eigenen Worten, den Gott suchte, nannten ihn die Proleten lächelnd den „Gottsucher". Er sprach nie über den Siebenstundentag, nie über die Rationalisierung oder die kapitalistische Profitwirtschaft, desto eifriger aber vom Alkohol, dem ärgsten Feind der Arbeiterschaft, und vom Sozialismus, der Religion werden müsse.
„Du siehst, bei uns sind allerlei Typen vertreten", sagte der Schlosser Drohn belustigt zu Melmster. „Wir Bolschewiki befinden uns in einer bunten Gesellschaft!"
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