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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Dora kennt den Spitzel.

„Natürlich - sie wollte bestimmt um acht Uhr kommen. Wenn man es sich richtig überlegt, geht das Mädel ein ziemliches Risiko ein. Nicht wegen der Entlassung, ich meine wegen Verletzung oder Weitertragen von Geschäftsgeheimnissen oder so. Kann man eigentlich so etwas konstruieren? Wir müssen höllisch vorsichtig sein!"
Melmster und der Hobler Hans warteten schon eine ganze Weile am „Grünen Jäger". Jetzt sah man erst so richtig, was für große, ansehnliche Kerle sie waren. Statt in verdreckten, öligen blauen Kitteln steckten sie in braunen und blauen Anzügen, und statt der eisenstaubdreckigen Haut leuchteten saubere, rasierte Gesichter. Die hellen Sportkragen und die dunklen Binder gaben ihnen sogar ein flottes Aussehen.
„Trotz alldem sag ich dir, Hans, die hat ein Auge auf dich geworfen, sonst ist das einfach nicht zu begreifen."
„Bei dir Panne, hier oben!" lachte der Hobler.
„Na ja, das musst du mit dir selbst abmachen - aber ich verdrücke mich bald!"
„Du bist ein ausgemachter Feigling!"
„Das weiß ich!" - Sie schwiegen.
„Mensch, das geht nicht!" erinnerte sich dann der Hobler plötzlich, „was soll ich denn allein mit ihr anfangen?"
„Soll ich dir das sagen?" Melmster dachte nach. „Überlass ihr das", war alles, was er vorschlagen konnte.
„Jetzt ist es doch mindestens zwanzig nach acht, ich glaub wirklich, die lässt uns sitzen."
„Nee, da kommt sie!" Sie ging wie ein Mann, fest und kräftig. Einen helleuchtenden Regenmantel hatte sie an, und unter dem glockenförmigen Hut lachte ein volles Gesicht und blitzten ein Paar große helle Augen.
Melmster und Hans lüfteten artig ihren Hut.
„Meine Herren!" lachte sie, „entschuldigen Sie meine kleine Verspätung", und dann schüttelten sie sich die Hände und schlenderten ins Borsteler Moor.
„Das ist sehr nett, Hans, dass Sie Ihren Freund mitgebracht haben!"
Melmster war überzeugt, dass sie log.
„Ich kann Ihnen Dinge erzählen, die direkt ungeheuerlich sind. Natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Davon darf auch nichts in den ,Greifer'. - Sehen Sie nur, wie es schon grün wird. Diese zarten Knospen, man kann bald Kätzchen pflücken!"
„Sie müssen natürlich auch sehr vorsichtig sein", lenkte Melmster wieder ein.
„Na, und ob!" Sie wandte sich an Melmster. „Ich persönlich habe ja gar nichts damit zu tun, ich höre es ja alles nur durch meine Kollegin Anita oder lese es heimlich in ihren Sachen. Sie wissen doch, ich habe nur die Kalkulationsschreiberei und die Protokolle. Das andere bekomme ich gar nicht zu Gesicht. - Und gerade Sie betrifft es!"
„Mich?" fragte Melmster ungläubig.
„Jawohl - und eine Stimmung ist augenblicklich bei uns! Der Fritsche gebärdet sich wie ein Irrsinniger, und der Jacobi brüllt jeden ohne Grund an. Es ist kaum auszuhalten!"
„Aber was ist das mit Melmster?" fragte Hans.
„Über Sie liegt ein Bericht vor. Und den Betriebsspitzel kenne ich nun auch! Wie heißt doch Ihr Hintermann?"
„Menzel!"
„Nein - der andere?" „Olbracht!"
„Ja, richtig, Olbracht! Dass Sie gegen die Überstunden gesprochen haben und sonst im Betrieb kommunistische Propaganda treiben, steht darin."
Melmster bekam ein Kribbeln im Körper. Eben war er heiß, jetzt eiskalt. Olbracht! An den hatte er nicht gedacht, ist das möglich?
„Sagen Sie, bekommen diese Lumpen von der Firma dafür Geld?"
„Die bekommen nichts!"
„Wissen Sie das genau? Vielleicht keine baren Korruptionsgelder, aber doch irgendwelche Begünstigungen?"
„Was ich nicht wüsste!" Dora Timm schien nie darüber nachgedacht zu haben. „Er soll wohl mal Meister werden, wenn der Westmann ausscheidet, aber sonst bekommt er außer seinem Höchstlohn, soviel ich weiß, nichts."
„Was ist das für ein Höchstlohn?"
„Zwanzig Prozent auf den höchsten Akkordlohn!"
„Zwanzig Prozent auf den höchsten Akkordlohn?" fragte Melmster. „Wer bekommt denn das?"
„Der Arbeiterrat und die Alten!"
„Alle Arbeiterratsmitglieder?"
„Ja."
„Und alle Alten?"
„Nicht alle, vielleicht vier oder fünf! Aber Olbracht ist dabei."
„War der alte John auch dabei?" „Nein, gewiss nicht!" Dora Timm lachte. „Warum lachen Sie?"
„Na, den Höchstlohn bekommen doch nur die Günstlinge der Firma."
„Was sagste nun?" fragte Melmster Hans.
„Warum sagen Sie uns das heute erst?" wandte sich dieser an Dora.
„Ich dachte, das wär Ihnen längst bekannt."
„Wissen Sie, ich habe noch eine Verabredung. Nehmen Sie es mir nicht übel, ich möchte mich verabschieden!" sagte jetzt Melmster, dem die Situation unangenehm wurde.
„Wir gehen doch auch da runter!" meinte Hans.
„Ich möchte aber gleich in die Bahn steigen!" Bevor er ging, rief ihm das Mädchen noch zu: „Sie dürfen aber von dem, was ich Ihnen erzählt habe, keinen Gebrauch machen!"
Melmster nickte. -
„Ihr Freund war doch auf einmal so sonderbar?"
„Ja!" war alles, was Hans erwiderte. Melmster stieg nicht in die Straßenbahn. Ziellos rannte er die Chaussee hinunter. Was könnte man mit diesem Olbracht machen? Wie sollte man mit so einem Lumpen abrechnen?
„Guten Morgen, Kollege Olbracht!" könnte man sagen, „du bist doch im Verband, bist doch Gewerkschaftler?" - „Ja!" -„Du bist doch Sozialdemokrat?" - „Ja!" - „Du weißt doch auch, was Kollegialität heißt? Hm! Weißt du auch, was ein Denunziant ist? Hm? - Hierbleiben! Hallo!" Und dann eins in die Fresse, noch eins, noch und noch. Und wenn er fällt, aufreißen und noch eins und noch. Pfui Teufel, solch Schwein. Ja, das müsste man tun. Oder ihn im „Greifer" vor allen Kollegen entlarven. „Die korrupten Gesellen von N. & K." oder „Der Betriebsspitzel von N. & K.". Oder eine Arbeiterkorrespondenz in die Tagespresse bringen. Ach, man müsste ihm einen zölligen Schlüssel an den Schädel schmeißen. Solche Lumpen!
Melmster stöhnte vor Wut.
Und dann hörte er wieder: „Aber Sie dürfen davon keinen Gebrauch machen!"


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