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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Drohn lässt „husten".

Am Sonnabendnachmittag wurde am „Schwarzen Brett" folgende Bekanntmachung angeschlagen:
Ab Montag arbeitet die Dreherei bis auf weiteres bis sechs Uhr. Jacobi, Betriebsleiter.
Kühne, Betriebsratsobmann.
„Wirst du bleiben, Kurt?" fragte Melmster den Rotkopf, der neben ihm stand und diesen Anschlag las. „Ich bin doch kein Heidelberger!" war die Antwort.
„Nun haben wir uns gerupft, dass die Haare flogen", grinste Olbracht, „und erreicht haben wir nischt!" „Wieso?"
„Na, nun heißt es doch Überstunden schieben!"
„Für dich gilt der Branchenbeschluss wie für jeden andern!"
„Für mich ist der Arbeiterrat maßgebend!"
Die Dreher hatten sich in zwei Lager gespalten. Die Minorität, die Betriebsratsanhänger, wollten die Überstunden hinnehmen, aber von den sechzehn Indifferenten rückten jetzt einige offen ab. Die Mehrheit der Dreher aber wollte Montag wie jeden Tag um vier den Betrieb verlassen.
In aller Eile wurde noch Sonnabend Nachmittag in der Latrine vom Zellenkopf der Opposition beschlossen, was am Montag zu tun sei. Es war klar, dass ohne Unterstützung der Gesamtbelegschaft die Schmachel-Leute sich durchsetzen würden, denn hinter ihnen stand die Betriebsleitung. Es gab nur einen Weg. Dieser musste beschritten werden.
Am Montag wurde von der Opposition vom frühen Morgen an fieberhaft gearbeitet. Nicht nur in der Dreherei wurde die Front gegen die Diktatur des reformistischen Arbeiterrats aufgerichtet, auch in der Montage und in der Tischlerei nahmen alle Kollegen zum Verhalten des Arbeiterrats Stellung. „Nicht sofort nach Hause gehen, im Umkleideraum bleiben", war die Parole. Sie fiel auf günstigen Boden, denn noch war das Ende des alten John nicht vergessen. In der Dreherei war es dagegen unheimlich ruhig. Keiner sprach zum andern, jeder war in seine Arbeit vertieft und in seine Gedanken verbissen.
Bleckmann drehte Gusstrommeln von riesigem Umfang. Sie drehten sich langsam und bedächtig, und bei jeder Umdrehung fraß sich der Stahl ächzend weiter, dass die ganze Umgebung erzitterte. Sein Nebenmann Wiesenbach hatte wieder alle zehn Finger Dreck im Gesicht und zappelte an der Drehbank hin und her, er musste höllisch aufpassen, dass ihm die großen, aber leichten, dünnwandigen Gehäuse nicht aus der Planscheibe fielen.
Der Rotkopf trällerte den allerneuesten Schlager von
Liebe, Park und Bank und den neun Monaten. Er schien sich die geringsten Sorgen zu machen.
Hundert lange, einfache Spindeln zu drehen war eine famose Arbeit.
Melmster selbst schien nur an seine Arbeit zu denken. Er drehte an handgroße Kegelräder konische Dichtungsflächen an. Mit seinen Gedanken war er jedoch nur bei den Dingen, die heute Nachmittag bevorstanden. Die Luft war verteufelt dick, und wie würde es verlaufen?
In der Montage wartete alles auf vier Uhr. Nachdem sich sogar der „Scharfe" bereit erklärt hatte, dem Belegschafts­- und Branchenbeschluss Geltung verschaffen zu helfen, war Einmütigkeit unter den Schlossern. Die Einzelgänger in der Dreherei sollten einen Nasenstüber erhalten.
Die Tischler waren eigenbrötlerischer. „Wat hewt wi mit de Dreiher to don?" meinten einige. -
„Was habt ihr vor?" fragte der Riese mit der Kastratenstimme den Hobler Hans.
„Was meinst du?"
„Verstell dich man nicht so! Aber ich warne euch, ihr werdet euch die Köppe einrennen!" -
Wiesenbach hatte auf der Latrine so allerlei munkeln hören, und nun erinnerte er sich plötzlich, dass er ja heute eine wichtige Besorgung zu machen hätte und um vier Uhr fortmüsse. Er verständigte Meister Westmann und seine Kollegen Bleckmann und Olbracht. „Sehr merkwürdig!" brummte Bleckmann.
Wiesenbach verdrehte die Augen und beteuerte, dass es ihm unter diesen Umständen sehr peinlich sei.
Je mehr die Uhr auf vier ging, desto aufgeregter und erwartungsvoller wurden alle. Etwas würde kommen, das fühlte jeder, aber keiner wusste recht, was.
Melmster hatte seine achtzig Kegelräder fertig. Sie lagen übereinander auf dem Arbeitstisch. Die neue Arbeit, schwere Eisenköpfe mit grobem Innengewinde, war auch schon herangekarrt. Er fegte die Bank sauber und stellte sie auf die neue Arbeit um.
Kurz vor vier ging der Arbeiterrat Schmachel von Drehbank zu Drehbank und rief jedem Dreher zu: „Heute bis sechs!"
Melmster tat wie die meisten, er hörte und sah ihn nicht. Hinterher konferierte Schmachel an der Anreißplatte mit Kühne. Sie schienen sehr zuversichtlich. Den Jungens wollten sie mal eine Lektion erteilen.
Zehn Minuten vor vier sah sich Melmster um. Jeder arbeitete, keiner wusch sich wie sonst die Hände und bereitete sich zum Weggehen vor. Ihm wurde unangenehm zumute. Wenn nun die meisten umfielen? Wenn nun keiner ging?
„Machen wir uns fertig, Kurt?" rief er seinem Vordermann zu.
Sie wuschen sich die Hände in Öl und Seifenwasser. Bleckmann schielte verstohlen zu ihnen hin, und als Melmster sich mit Twist abtrocknete, sah er Olbrachts Grinsen. Auch Wiesenbach machte sich fertig.
„Das hätte ich nicht gedacht!" sagte der Rotkopf und zeigte auf Wiesenbach.
Nun waren schon mehrere Dreher dabei, die Arbeit für heute zu beenden, Olbracht und Bleckmann aber schienen von alledem nichts zu sehen, sie waren kolossal in ihre Arbeit vertieft. Dann heulte es Feierabend.
Als Melmster sich anschließen wollte, um seine Tageskarte zu stempeln, trat Meister Westmann ihm in den Weg. „Sie sollen doch Überstunden machen?" „Die Branchenversammlung hat die Überstunden mit Stimmenmehrheit abgelehnt!" erwiderte Melmster. „Aber der Arbeiterrat hat doch mit unterzeichnet!" Melmster zuckte die Schultern.
Die übergroße Mehrzahl der Dreher war fortgegangen, nur vereinzelt standen noch einige hinter ihren Bänken.
Vor dem Ausgang des Umkleideraums standen Drohn, Hennings und Hackbarth und sagten zu jedem, der hinausgehen wollte: „Alles hier bleiben!" „Warum?" fragte einer.
„Wir müssen uns noch ein paar Arbeitswütige ansehen!" erwiderte der Schmied, über sein ganzes verrußtes Gesicht lachend.
„Kollegen!" rief dann der Schlosser Drohn. „Trotzdem die Belegschaftsversammlung und die Branchenversammlung der Dreher mit Mehrheit Überstunden abgelehnt hat, haben sich heute einige charakterlose Elemente gefunden, die Überstunden schieben. Wir können uns das nicht gefallen lassen, und ich schlage euch vor, wir sehen uns die Burschen einmal an, damit wir in Zukunft wissen, mit wem wir es zu tun haben!"
„Sehr richtig!" riefen einige. - „Schlagt diese Lumpen mit Eisenstangen aus dem Betrieb!" schrie einer.
Es mochten achtzig bis hundert Arbeiter sein, die den Umkleideraum verließen und zur Maschinenhalle zogen. Drohn, Hennings und der Hobler Hans marschierten voran. Als sie durch das breite Tor strömten, schrie Hennings in die Halle: „So, jetzt wollen wir mal sehen, wer hier noch arbeitet!"
Sie bewegten sich auf die ersten Drehbänke zu, an denen Olbracht und Bleckmann, totenbleich geworden, arbeiteten. Keiner von den Hereinströmenden wusste, was eigentlich geschehen sollte. Fünfzig Arbeiter standen um die beiden Bänke herum, andere zogen zwischen den Bänken zu solchen, wo ebenfalls noch gearbeitet wurde.
Olbracht war gewiss kein Held; als er hundert drohende Augen auf sich gerichtet fühlte, zitterten seine Hände an der Kurbel. Er wagte nicht aufzusehen. Bleckmann hatte die Situation sofort erfasst, stellte seine Bank ab und packte ein. Olbracht stand wie angewurzelt. Da hustete der Schlosser Drohn auffällig stark, und wie auf Kommando husteten fünfzig Menschen. Das dröhnte abscheulich durch die stille Maschinenhalle.
Olbracht zuckte zusammen und stellte seine Bank ab und ging sofort hinaus. Hinterher schob sich der ganze Schwarm.
Kein einziges Wort war gefallen, aber kein Dreher stand mehr an der Drehbank. Es war eine stumme, aber eindrucksvolle Demonstration gewesen.
Nun standen alle vorm Umkleideraum und warteten, bis der letzte die Fabrik verlassen hatte. Dann gingen auch sie.


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