Der „Greifer" trifft.
„Zu wem zählst du dich eigentlich, zu den Sozialdemokraten oder zu den Kommunisten?" fragte Olbracht eines Tages. Das kam Melmster schneller, als er es gewünscht hatte. Als er dann aber seelenruhig sagte, zu den Kommunisten, polterte Olbracht los: „Zu den Krakeelern, den Maulhelden mit ihrem Kaschemmenanhang und ihrer gewissenlosen Putschtaktik?"
Darauf hatte Melmster nur lächelnd erwidert: „Das habe ich alles schon im ,Echo' gelesen."
Melmster glaubte nun, Olbracht würde sich fortan etwas reservierter verhalten, doch dieser blieb scheinbar der alte, väterlich-hilfsbereite Kollege. Nur Bleckmann schielte ihn einige Male erstaunt an.
Am Dienstagnachmittag befestigte endlich der Betriebsratsobmann Kühne am „Schwarzen Brett" eine Bekanntmachung.
Melmster las, dass am folgenden Tage Belegschaftsversammlung sei, und meinte so nebenbei zu den Umstehenden: „Das wird reichlich spät bekannt gemacht!"
„Ja", sagte Bleckmann betont gleichmütig, „das hätte der Arbeiterrat ruhig einige Tage eher bekannt machen können!"
Die Kollegen stimmten ihnen zu.
Am folgenden Morgen platzte die Sensation. An der Anreißplatte war ein Kommen und Gehen. Karl Kühne bemühte sich, jedem beruhigend zuzulächeln, aber man sah doch zwischen dem Lächeln, dass er außer sich war vor Zorn.
Reibungslos waren dreihundert „Rote Greifer" am Fabriktor verteilt worden. Schon im Umkleideraum wurden auf den Arbeiterrat Witze gerissen, da der „Rote Greifer" anscheinend besser orientiert war als mancher Anhänger der SPD.
Der Dreher Schmachel schnaubte vor Wut. Dieser „Rote
Greifer", der vor ihm lag, war für ihn ein Teufelswerk, etwas Unfassbares. Er rannte wie ein gereizter Tiger umher.
„Hast du auch solchen Wisch bekommen?" fragte Olbracht.
„Ja!" lachte Melmster, „ganz interessant. Ich wusste gar nicht, dass es hier auch so was gibt."
„Das ist der erste!" zischte Olbracht. „Ich gäb was drum, wenn ich wüsste, wer dahintersteckt!"
„Redaktion: Hummel! Hummel I"
„Die Kerle sind zu feige, ihren Namen darunterzuschreiben!"
„Dann würden sie auch nur ihre Entlassung unterschreiben!"
„Du verteidigst dieses anonyme Machwerk wohl noch?" bellte Olbracht.
„Lass mich doch erst einmal lesen, was überhaupt drinsteht!"-
Melmster hatte sich gedacht, dass die erste Betriebszeitung eine Sensation sein würde, aber alle Hoffnungen wurden übertroffen. Als ob eine Bombe im Betrieb eingeschlagen hätte. Überall lasen und diskutierten die Arbeiter. Hier wurde gelacht und zugestimmt, dort wurde auch gepöbelt und verächtlich geredet, aber überall war der „Rote Greifer" und sein Inhalt Gesprächsthema. Sogar Meister Westmann lieh sich, wie Melmster beobachten konnte, von dem Dreher Wiesenbach ein Exemplar, und dann lagen sie in der Meisterbude mit vier Meistern darüber.
Der „Rote Greifer" war ein Volltreffer. Melmster strahlte, Hans strahlte, Fritz strahlte, alle revolutionären Arbeiter strahlten vor Freude.
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