„Der Rote Greifer".
Während Hans Wend einen Greifer zeichnete, der ein ganzes Bündel strampelnder und angstschreiender Kapitalisten mit fetten Bäuchen gepackt hatte, schrieb Melmster über die kommende Belegschaftsversammlung und redigierte eine Arbeiterkorrespondenz über den piepsenden Goliath. Der Tischlerlehrling Fritz, der an der Fensterbank saß, entwarf einige kleine Artikel und Schlagzeilen für die bevorstehende Arbeiterratswahl.
Das kleine dreieckige Zimmer des Hoblers war die Redaktion, die Druckerei und die Expedition der neuen Betriebszeitung „Der Rote Greifer" der Maschinenfabrik von N. & K. geworden. Eine alte Schreibmaschine und ein Vervielfältigungsapparat waren die einzigen Betriebsutensilien, die sich die Zelle von den gesammelten Groschen der Arbeiter hatte anschaffen können. Am Tage der Belegschaftsversammlung sollte der erste „Greifer" erscheinen. Und nun saß jeder der engeren Redaktionsmitglieder hier und tat sein Teil zur Fertigstellung.
„Alfred, Dora Timm wollte auch kommen, wir können ihr dann alles gleich in die Maschine diktieren!" „Wer?"
„Na, unsere Freundin von N. & K."
„Ach so!" Nach einer Weile fragte Melmster: „Hast du eigentlich mit der ein Verhältnis?" „Nee!" meckerte Hans.
„Aber wieso hält die zu uns?"
„Das ist eine kuriose Geschichte - ich denke mir, dazu haben uns unsere Feinde verholfen! - Sieh mal, hat der nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem alten Kopp?"
Hans wies auf einen fetten Bourgeois, den der Greifer sich gekrallt hatte.
„Aber was ist mit der Dora Timm?" blieb Melmster hartnäckig.
„Nun, sie sagt, sie sympathisiere mit uns und fühle sich daher verpflichtet, auch für uns zu arbeiten!" „Warum ist sie kein Parteimitglied?"
„Sie will sich nicht binden, sagt sie. Aber - ich habe meine eigenen Gedanken. Kennst du den Walter Denvolt? Früher in der SAJ?"
„Dies Protektionskind der SPD? Natürlich!"
„Und der spielt, glaube ich, dabei eine Rolle!"
„Nanu?"
„Das ist ein vollendeter Lump geworden. Früher in der Jugendbewegung radikal bis zur Schwärmerei, die Haare konnten nicht lang genug, die Hosen nicht kurz genug sein. Du kennst vielleicht seine Gedichte in der ,Arbeiterjugend': ,Wir Jungen!' und ,Wir Jungen wollen in der ersten Reihe stehn!' Er boxte auch zeitweilig gegen die Senatorenclique innerhalb der SPD, bis diese es für an der Zeit hielt, an seine niedrigen Instinkte zu appellieren. Sie brachten ihn zum Schweigen, indem sie ihn kauften!"
„Und er ließ sich kaufen?" fragte Fritz entsetzt.
„Er ließ sich kaufen, das heißt, wie das heute vor sich geht. Man kauft durch Vergebung von gutbezahlten Funktionen. Er war in der GEG angestellt, wurde dort herausgenommen und in den ZdA gesteckt. Gleichzeitig stellte man ihn bei der nächsten Bürgerschaftswahl auf die Liste und flüsterte ihm ins Ohr, dass er noch zu großen Dingen berufen sei. Jetzt ist er schon im Vorstand der SPD, sein Vorbild ist der Maxe Brauer und sein Ziel, Senator von Hamburg zu werden!"
„Was hat nun aber die Dora Timm damit zu tun?"
„Die war in der SAJ sein Mädel, seine Braut oder so. Jetzt sagt ihm die einfache Kontoristin nicht mehr zu, und er löste dieses nicht zu seiner Karriere passende Verhältnis!"
„Also ein Racheliebchen!" spottete Melmster.
„Nenn es, wie du willst. Sie sagt, sie mache sich keine Illusionen mehr über die Führer dieser Partei. Sie aber sei Sozialistin!"
„Das verstoßene Bräutchen als unsere Spionin, das ist ja der reinste Film!" „Lass sie das um Gottes willen nicht hören!" Mit einem lächelnden „Guten Tag" trat Dora Timm nach einer Weile ein.
Ungezwungen reichte sie jedem die Hand. „Schon so fleißig?"
„Das ist unser neueingetretener Genosse, Alfred Melmster." „Kenn ich bereits, guten Tag."
„Mir aber gar nicht bewusst!" erwiderte etwas verwirrt Melmster.
„Wissen Sie, ich habe Sie bereits in meiner Kartothek mit Alter, Beruf und Fähigkeiten!"
Alle lachten, und Melmster wollte wissen, welche Fähigkeiten denn bereits registriert seien.
Während sie ihren Mantel abnahm, vorsichtig den Hut über den Kopf zog, damit die dichten rotblonden Haare, die hervorquollen, nicht in Unordnung gerieten, sagte sie neckend: „Sie scheinen ein schlechter Kommunist zu sein, denn Sie gelten als guter Arbeiter!"
„Aber erlauben Sie mal, jeder Kommunist sollte sich bemühen, ein guter Arbeiter zu sein!"
„Heißt das, dass man für die Kapitalisten tüchtig schuften soll?" fragte Fritz erstaunt.
„Fritz, wir sprachen kürzlich mit Hans von unserer bolschewistischen Taktik in der Armee. Wie wir dort, wenn's drauf ankommt, gute, wissbegierige, umsichtige Soldaten sein müssen, denn wir sollen zum Teil die künftigen Offiziere sein, so müssen wir auch in den Betrieben gute, wissbegierige Arbeiter sein, die nicht nur ihr Handwerk, sondern auch noch die
Kalkulation beherrschen und möglichst noch vom Vertrieb und Umsatz eine Ahnung haben, denn wir wollen doch später mal die Betriebe sozialisieren; und wer sollte sie dann leiten, wenn nicht wir?"
„Ach, soweit ist es noch lange nicht!" seufzte Dora Timm.
„Sie sind ja ein Schwärmer!"
„Nein, das sind Fragen, die von uns Kommunisten leider viel zuwenig berücksichtigt und oft gar nicht verstanden werden!" erwiderte Melmster.
„Danach wäre es also für mich als Kommunisten Pflicht, dass ich mich bemühe, ein tüchtiger Tischler zu werden?" meinte noch immer zweifelnd Fritz.
„Selbstverständlich ist das eine deiner Pflichten, die du als Kommunist hast!"
„Ich halte es für richtiger, Marx und Lenin gründlich zu studieren."
„Sonst wärst du ja kein Kommunist, aber dann musst du auch ein tüchtiger Facharbeiter sein, denn nach der siegreichen Revolution und dem Aufbau des Sozialismus musst du als roter Direktor Kommunist und Fachmann sein."
„Na, wissen Sie, dem weinenden Herkules haben Sie es aber gegeben!" Dora las den Artikel von Melmster. „Das ist auch eine ebenso unglückliche wie jämmerliche Figur!"
„Was sagen Sie zu meinem Zeichentalent?" Hans Wend zeigte den fertigen Kopf der Betriebszeitung.
„Gut! Gut! Und dieser Dickbauch - direkt wie der brummige Kopp!"
„Na, was sagte ich?" rief Hans triumphierend.
„Wann ist nun eigentlich die Versammlung?"
„Mittwoch."
„Dann dürfen wir nicht vergessen, für Mittwoch zwei erwerbslose Genossen zu bestellen, die den ,Greifer' um sieben Uhr an der Fabrik verteilen."
Dora Timm begann vorsichtig, die erste Seite der Betriebszeitung auf den Wachsbogen zu tippen. Es war ein Artikel zur Belegschaftsversammlung, den der Betriebsrat immer noch verheimlichte.
„Da wird der Herkules aber seine Pferdeaugen aufreißen!" lachte Dora.
Alle schmunzelten still vor sich hin.
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