Die Dreher.
Im „Roten Greifer" stand eine Notiz zu den von der Betriebsleitung geforderten Überstunden. Sie schloss mit der Aufforderung: Lehnt diese Überstunden ab!
Der Arbeiterrat war in einer verzwickten Lage. Der Betriebsleitung hatte er sie bereits bewilligt, die Belegschaft hatte sie abgelehnt. Nun berief er eine Branchenversammlung der Dreher ein. Das Arbeiterratsmitglied Schmachel wusste, dass die Dreher ziemlich revolutionär eingestellt waren, aber er wusste auch, dass unter den Drehern kein Sprecher der Opposition war.
Die tumultuarische Belegschaftsversammlung zitterte noch im Betrieb nach. Es war die erste offene Niederlage des sozialdemokratischen Arbeiterrats und für die alteingesessenen Arbeiter wie Olbracht und Bleckmann unbegreiflich.
Olbracht stand bei Melmsters Vordermann und redete auf ihn ein. Dieser versuchte ihn mehrmals abzuschieben, doch Olbracht blieb, redete, flüsterte, drohte. Melmster erfuhr später, dass der Rotkopf in der Belegschaftsversammlung für die
Opposition gestimmt hatte, und er rief ihm zu: „Lass dich nur nicht einschüchtern!" und dachte: Den kannst du diesen Reformisten entreißen.
Mit einem lauten Krach brach Melmsters Bohrstahl und flog ihm haarscharf am Kopf vorbei. Der Deckel einer Schneidemaschine, den er bearbeitete, hatte sich in der Planscheibe gelockert, war auf den Bohrstahl geschlagen und hatte ihn durch die Wucht der Umdrehungen gebrochen, dann war der Deckel auf den Stahlstumpf geschlagen, und dieser hatte ihn unbrauchbar gemacht. Alles war eine Angelegenheit von Sekunden, und es hätte für Melmster äußerst gefährlich auslaufen können. Olbracht grinste. Bleckmann hatte die nackte Schadenfreude im Gesicht. Schmachel, der mit anderen Arbeitern wegen des Krachs hinzukam, machte einige ironische Bemerkungen und zog hämisch grinsend wieder ab.
Melmster überlief es eiskalt. Nicht wegen des Missgeschicks oder der glücklich überstandenen Gefahr, sondern wegen der Feindseligkeit dieser Kollegen.
Meister Westmann kam angerannt, besah sich die Bescherung und sagte kurz: „Malheur!"
Dann trat er aber an Melmster heran: „Sehen Sie die Schadenfreude Ihrer Kollegen?" „Natürlich!"
„Kann man da nicht zum Menschenverächter werden?" „Nein!" sagte Melmster, „höchstens zum Verächter aller verachtungswürdigen Menschen!"
- Meister Westmann schüttelte den Kopf: „Lassen Sie sich in der Materialverwaltung einen neuen Deckel geben!"
In der Mittagszeit war die Zusammenkunft der Dreher in der so genannten Frühstückshalle. Es war ein großer, aber kahler und verschmierter Raum mit langen rohen Holztischen und Bänken. Drei alte Arbeiter, die hier saßen, mussten sich woanders einen Mittagsplatz suchen.
„Kollegen", begann Schmachel, als die etwa fünfzig Dreher beisammen waren, „durch die Sprengung der Belegschaftsversammlung konnte nicht über den Punkt entschieden werden, der besonders uns Dreher angeht, nämlich über die von der Firma geforderten Überstunden. Ich denke, dass wir hier kurz beschließen, dass wir bereit sind, bis auf weiteres täglich zwei Überstunden zu leisten. Oder ist ein Kollege anderer Auffassung?"
Keiner rührte sich, aber als Schmachel Miene machte, weiterzureden, sagte Melmster: „Allerdings! - Ich denke nämlich, dass die Belegschaftsversammlung auch die Überstunden der Dreher abgelehnt hat, denn die gehörten doch zum Rationalisierungsprogramm der Firma."
„Was wollen wir uns hier streiten", erwiderte Schmachel unwillig. „Es soll sich doch keiner einbilden, dass sich die Firma durch den letzten Belegschaftsbeschluss von ihren Plänen abhalten lässt, das können doch nur Kinder oder - Kommunisten glauben!"
„Dann dürfen wir aber unsern Kollegen nicht in den Rücken fallen und müssen den Belegschaftsbeschluss akzeptieren und die Überstunden ablehnen", erklärte Melmster mit größter Ruhe. Schmachel starrte ihn böse an.
„Unser neuer Kollege will uns Alten Lehren und Verhaltungsmaßregeln geben!" fiel ironisch Bleckmann ein. „Ich denke, wir wissen selbst, wie wir uns zu verhalten haben!"
„Aber er hat doch ganz recht!" rief der Dreher mit dem gespaltenen Nasenbein. „Wir können doch den Belegschaftsbeschluss nicht umstoßen!"
„Quatsch", rief jetzt Schmachel, der sich schon wieder aufregte. „Der Arbeiterrat muss und wird seine Zustimmung zu den Überstunden geben, und die Kollegen müssen einsehen, dass er gar nicht anders kann!"
„Dann müssen eben die Kollegen der Dreherei trotz Zustimmung des Arbeiterrates die Überstunden verweigern!"
Schmacheis Schläfen waren blutunterlaufen, er schrie Melmster an: „Organisierte Kollegen kennen Disziplin!"
„Ich bin organisiert und weiß, dass ich meinen Kollegen nicht in den Rücken fallen darf!"
„Lausejunge!" zischte Schmachel. Einige riefen „Hallo! -Hohoo!"
Melmster lachte. „Kollegen! Ihr wisst, um was es sich handelt", ergriff der Betriebsratsobmann Kühne, der der Branchenversammlung beiwohnte, das Wort. „So kommen wir nicht zum Ziel, und keiner ist hoffentlich interessiert an einer zweiten Auflage der Belegschaftsversammlung. Als organisierte Kollegen müssen wir jetzt wissen, was wir zu tun haben, und ich bitte diejenigen, die die Haltung des Arbeiterrats betreffs Überstunden billigen, um das Handzeichen!"
Eine Anzahl Arme erhoben sich. Der Kollege Endrusch zählte: „... vierzehn, fünfzehn, sechzehn!" „Und wer ist dagegen?"
Gut ebenso viele Arme standen, dann kamen noch einige
dazu. Endrusch zählte:... ..vierzehn, fünfzehn, sechzehn,
siebzehn, achtzehn, neunzehn!" Man sah, wie dem Riesen das Blut aus dem Gesicht wich. Er erhob sich jedoch lässig und lispelte: „Ihr werdet das Weitere erfahren - die Sitzung ist beendet!"
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