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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Der Jubilar.

Rot vor Eifer hantierten eines Morgens die Dreher Bleckmann und Schmachel mit Grünzeug und Girlanden an der Karusselldrehbank des alten John herum. An der Planscheibe war eine große „50" befestigt und mit Tannenzweigen umwunden. Bunte Papierstreifen hingen vom Vorgelege herunter, und auf dem Werkzeugtisch stand eine Vase mit frischen Blumen.
Als Melmster kam, dachte er zuerst an goldenes Hochzeitsjubiläum und musste lächeln, doch dann hörte er, dass mit
dem heutigen Tag der alte John fünfzig Jahre bei der Firma gearbeitet hatte.
„Du lieber Himmel!" Melmster war ganz entsetzt. Und an seiner Drehbank, dachte er, darf man heute so etwas feiern -fünfzig Jahre? Doch dann dachte er an den Greis, an dessen Falten in der ledernen Haut, dachte an die tapprigen Hände, an dieses armselige Häufchen Mensch, das sich selbst kaum helfen konnte und mit sechsundsiebzig Jahren noch in dieser Hölle schuften musste.
Dem alten John kamen die Tränen, er war gerührt und vor Aufregung unfähig zum Arbeiten. Immer wieder betrachtete er die große Fünfzig und beschnupperte den Blumenstrauß. Dann setzte er sich auf seinen Block und brütete gedankenvoll vor sich hin.
Bleckmann war nicht wenig stolz auf sein Werk. Er sah jeden seiner Kollegen an, und seine Blicke sagten: Seht, so bin ich. Da. sah er Melmsters verschmitztes Lächeln. „Du nennst es Humbug, nicht wahr?" „Wieso?" wich Melmster aus.
„Aber er soll doch heute in den Ruhestand gesetzt werden!"
„Der John?"
„Natürlich!"
„Wie geht denn das hier vor sich?"
„Er bekommt heute einige hundert Mark und dann von der Firma eine Leibrente!" „Na, na - weißt du das sicher?"
„Es ist zwar eine ganze Zeit her, dass einer diese Leibrente erhielt, denn die meisten werden ja nicht so alt, aber bekommen wird er sie bestimmt - wo er im Kriege doch Meister in der Dreherei war", setzte er noch hinzu.
„Der alte Holt hat den Gründer dieser Firma noch gekannt und sich sogar mit ihm geduzt", mischte sich Olbracht ins Gespräch. Das war früher noch ein innigeres Verhältnis zwischen Chef und Arbeiter!" Olbracht schüttelte bedauernd den Kopf.
„Dabei war der Alte zeitlebens indifferent", fuhr er fort, „nie Sozialdemokrat, nur um Streit zu vermeiden im Ver-
Reichspräsidenten gewählt hat, weil er glaubte, dieser alte Soldat würde geordnete Verhältnisse schaffen. Aber es ist doch ein famoser Mensch", schloss er.
Melmster musste sich über das alles wundern. Aber es gab ja noch einige Betriebe, wo aus Stiftungen und Fonds der Gründer der Firma, aus früheren patriarchalischen Arbeitsverhältnissen, derartige Renten gezahlt wurden.
„Selbstverständlich bekommt er das", kam Bleckmann noch einmal auf die Angelegenheit zurück, „denn unser Betriebsrat hat einen großen moralischen Einfluss auf die Direktion." Melmster lachte.
Bleckmann wurde krebsrot vor Zorn, aber er musste an seinem Arbeitsplatz bleiben, denn Meister Westmann kam. Von allen Seiten strömten Kollegen herbei, um dem alten John die Hand zu drücken und einige freundliche Worte zu sagen. Alte gebrechliche Arbeiter, Schmiede und Schlosser waren es meistens, die ein Menschenleben mit ihm gemeinsam gearbeitet hatten und nun für einen Augenblick ihren Kollegen, den alten Jubilar, begrüßten.
Dieser saß vor seiner Drehbank, die heute unbenutzt dastand, hörte wortlos alle guten Reden an und schlug in jede dargebotene Hand ein. Heute war sein Ehrentag. -
Melmster hörte: „Der Alte ist bei John!" und sah einen elegant gekleideten Mann an der Drehbank bei dem alten Dreher stehen. Diesem war es anscheinend unangenehm, dass er sitzen bleiben sollte, aber er wurde immer wieder, wenn er sich erheben wollte, durch einen sanften Druck auf die Schultern genötigt sitzen zu bleiben.
Der „Alte" sprach mit John. Alles sah hin. In den entferntesten Ecken reckten die Arbeiter die Hälse. Dann reichte er ihm etwas Weißes, drückte ihm noch einmal die Hand und ging mit kurzen, aber schnellen Schritten ins Büro zurück.
„Siehst du!" rief triumphierend Bleckmann. Melmster hatte seine eigenen Gedanken und polierte an seinen Kegelringen, bis die Dichtungsflächen spiegelblank waren. Er hatte immer nur die Zahl 50 im Kopf. Ihm schien es eine furchtbare Zahl.
Neugierig waren Bleckmann und Olbracht und andere Arbeiter zum alten John gelaufen und hatten gefragt, was „er" gesagt und was „er" gegeben hatte. Sie blieben nicht lange.
„Na, was hat er bekommen?" fragte Melmster. „Weiß nicht!" rief Bleckmann. Olbracht schwieg.
In der Latrine traf Melmster später den Hobler Hans. „Schönes Theater bei euch!" „Was meinst du?"
„Weißt du, was der alte John erhalten hat?" Und ohne die Antwort abzuwarten, gab er sie selbst: „Fünfzig Mark!" „Fünfzig Mark?"
„Ja - und darum diesen Hokuspokus, diese Arschleckerei, diese hündische Kriecherei!"
Melmster sagte kein Wort, aber er merkte, wie er rot im Gesicht wurde. Schämte er sich? Aber warum denn, für wen denn?
„Als vor einigen Jahren die Firma fünfundsiebzigjähriges Bestehen feierte, wurde trotz unseres Protestes gesammelt, und es kamen hundertzwanzig Mark für ein Geschenk zusammen. Und diese Schweine drücken einem Arbeiter, den sie fünfzig Jahre ausgebeutet haben, nun, wo er alt und klapprig geworden ist, fünfzig Mark in die Hand."
„Wie viel Rente zahlt ihm denn die Firma?"
„Keinen Pfennig, der Betrieb kann derartige ,unrentable Belastungen' nicht tragen!"
„Stimmt das?"
„Aber der Betriebsrat ist doch schon drinnen und weint dem Alten was vor!"
Melmster wandte sich an Bleckmann: „Fünfzig Mark hat der alte John bekommen, du!" „Ja - Schweinerei!" brummte dieser. „Und Leibrente keinen Pfennig."
Bleckmann schwieg. „Aber der Betriebsrat ist ja drinnen, der wird's schon schaffen", spottete Melmster, „der hat ja so'n großen moralischen Einfluss auf die Firma...!"
Bleckmann schwieg noch immer, und Olbracht grinste.
Durch den ganzen Betrieb ging es wie ein Lauffeuer: „Fünfzig Mark - Keine Rente! - Davongejagt!" Überall standen Gruppen und diskutierten. Überall Wut, aber auch Spott auf alle Speichellecker und Kriecher und über den Kanossagang des Arbeiterrats.
Inzwischen war der alte John, ohne dass es in der allgemeinen Aufregung einer gemerkt hätte, verschwunden.
Stundenlang wurde verhandelt. Kurz vor Feierabend zogen die fünf Arbeiterräte, Kühne, der Riese, voran, im Gänsemarsch aus dem Büro durch den Maschinensaal. An der Anreißplatte war noch eine kurze Besprechung, wurden noch einige Instruktionen erteilt, und dann gingen sie auseinander.
Bleckmann stürzte sofort zu Schmachel.
Als sie sich die Hände im Öl wuschen, fragte Melmster: „Na?"
„Die Firma zahlt nicht mehr", war die kurze Antwort.
„Beim Geld hört die Wirtschaftsdemokratie auf!" lachte Melmster, „und auch der moralische Einfluss!"
Bleckmann wurde wütend. „Schließlich ist es ja heute auch etwas ganz anderes als früher", rief er.
„So-oo!"
„Ja, natürlich! Heute sorgen für die Arbeitsinvaliden die Institutionen des Staates, heute hilft die Republik den Alten!"
Melmster war sprachlos über diese Wandlung, aber er musste laut lachen.
„Und übrigens, dass heute das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so schlecht ist, ist Schuld der Kommunisten, der Radauhelden, der Schreihälse!" rief Bleckmann.
Melmster fühlte, wie er bis an den Hals rot wurde. „So ist es richtig! Verteidige um Gottes willen die Firma und die Direktion", rief Melmster zurück, „ohrfeige dich selbst, aber verteidige das Unternehmertum!"
„Ist das nicht grotesk, dass jetzt die Kommunisten die Schuld kriegen, dass der alte John von der Firma so schofel behandelt wurde?" wandte sich Melmster an Olbracht. Der zuckte die Schultern.


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