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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Streikbrecher gesucht.

„Das macht ein hübsches Sümmchen!" nickte Dresen. „Einundzwanzig Jahre, über tausend Wochen, habe ich mir den Beitrag für den Verband vom Lohn abgezwackt, und wofür? Wofür? Wir haben eine Bonzokratie gezüchtet und uns im riesenhaftesten Ausmaß selbst die Fesseln um die Gelenke gelegt!"
„Hat er dir denn nicht irgend etwas Grundsätzliches mitgeteilt?" fragte Melmster den Alten.
„Grundsätzliches?" überlegte Dresen. „Natürlich! - Dass sie grundsätzlich nicht kämpfen können, dass sie das Abkommen mit den Unternehmern respektieren müssen!"
„Ich meinte...!"
„Ja! Ja!" fiel ihm der Alte ins Wort, „und dann hat er mir den Rat gegeben, auf meine alten Tage doch das Maul zu halten!"
„Auf deine alten Tage? Wie soll man das verstehen?" warf Drohn ein.
„Invalidität!" bemerkte bissig der Alte.
„Ja, das ist wirklich kein Rätsel!" lachte Melmster. „Das ist das korrumpierende Argument, mit dem die reformistische Bonzokratie raffiniert zu arbeiten weiß. Wer soundso viele Jahre Mitglied des Verbandes ist, bekommt in einem bestimmten Alter eine monatliche Invalidenrente ausgezahlt. Wer sich aber auf der anderen Seite im Verband oppositionell betätigt und reformistischen Bonzokratien lästig wird, fliegt aus der Gewerkschaft raus und wird damit seiner Rente verlustig, selbst wenn er wie Dresen einundzwanzig Jahre Mitglied war!"
„Darum sind die Jubiläumsmitglieder des Verbandes so bürokratietreu!" ergänzte der Hobler.
„So machen sie aus den Gewerkschaften, die Kampforganisationen für höhere Löhne und eine endgültige Befreiung der Arbeiterklasse sein sollen, eine Invalidenversicherung!"
„Die nur Mamelucken Rente zahlt!"
„Mir tut jede Mark leid, die ich diesen Halunken in den Rachen geworfen habe!" brummte der Alte. „Dresen, die Gewerkschaften sind keine Angelegenheit von einer Handvoll Schurken, die Gewerkschaften sind wir, trotzdem reformistische Schurken mit allen Mitteln und durch ausgeklügelte Statuten jede Arbeiterdemokrade in den Gewerkschaften unterbinden und sich durch Verrat an den Interessen der Arbeiterklasse die schwerbezahlten Positionen erhalten", sagte Drohn.
„Ich ziehe heute einen Schlussstrich!" erklärte entschlossen der Alte.
„Du darfst die Mitgliedschaft nicht einfach von dir werfen!" fiel ihm Melmster wieder ins Wort.
„Brich aufs entschiedenste mit der Sozialdemokratie, mit der konterrevolutionären Ideologie des wirtschaftsfriedlichen Reformismus, aber bleib, bleib auf alle Fälle als gärender Sauerteig in der Organisation, wo du vor dem Forum der Gesamtarbeiterschaft in der Opposition aufklärend und revolutionär wirken kannst. Wir dürfen den Reformisten nicht die Arbeit erleichtern und Tausenden Arbeitern den Rücken kehren und sie diesen Schurken überlassen!"
„Sie werden uns aus dem Verband werfen, wenn wir ihnen gefährlich werden und wenn wir drei Viertel der Belegschaft hinter uns haben!"
„Wenn wir drei Viertel der Mitglieder fest hinter uns haben, sind wir der Verband, nicht das übrige Viertel!"
„Also Spaltung der Gewerkschaften?"
„Nein, keine Spaltung, aber Eroberung der Mehrheit der Mitgliedschaft!"
„Sie werden uns alle ausschließen!"
„Wir werden uns dagegen wehren und die Mitgliedschaft fest unter der Führung der RGO zusammenhalten."
Wie an jedem Tag saß in dem kleinen Klubzimmer bei Horning die Streikleitung oder der Viermännerausschuss, wie die Kollegen sagten, beisammen. Melmster, der der Streikleitung nicht angehörte, wartete auf einen Schlosser, mit dem er zusammen in einigen Minuten die Streikposten für drei Stunden ablösen sollte.
Auch der „Gottsucher" war anwesend. Er arbeitete mit einer Aufopferung, als wollte er nachholen, was er in früheren Jahren versäumt hatte.
Ein großer, schlanker Arbeiter trat ins Zimmer. Melmster erinnerte sich an das Gesicht, aber er wusste im Augenblick nicht, wer es war. „Na, Helmut?" begrüßte ihn der Hobler. „Hier! Das habe ich heute geschickt bekommen!" Er trat an den Tisch heran und überreichte dem Hobler ein Schreiben.
Der hatte kaum einen Blick hineingeworfen, als er ausrief: „Hallo! Die Firma will morgen arbeiten!"
„Was?" Alle sprangen von ihren Stühlen und drängten sich zum Hobler, der Wort für Wort aus einem Einschreibebrief der Betriebsleitung an den Bohrer Helmut Rohde las: „Wir haben uns entschlossen, die Tätigkeit in unserer Fabrik wieder aufzunehmen. Wenn Sie am Donnerstag um sieben Uhr sich zur Arbeit melden, gelten Sie mit den alten Rechten als eingestellt.
Betriebsleitung von Negel & Kopp" Alle blickten den Hobler an, als warteten sie, dass er etwas darauf sagen würde. „So beginnt es!" brach der Schlosser Drohn das Schweigen. „Was beginnt?" fragte ein anderer, und dann schnatterte alles durcheinander: „Diese Schufte!" - „Was nun?" - „Was tun wir?" - „Dahinter stecken die Gewerkschaften!" - „Und Kühne und Schmachel." „Hört einmal, Genossen!" rief der Hobler. „Wir müssen uns sofort klar werden, was wir unternehmen wollen. Bleiben wir bei unseren jetzigen Streikschutzmethoden, arbeiten morgen mindestens einige Dutzend Streikbrecher in der Fabrik!"
„Die Kühne, Schmachel und Fahs warten schon jeden Tag darauf!" rief der „Gottsucher", der vor Erregung fieberte.
„Ja, eben", fuhr der Hobler fort, „darum schlage ich vor, sämtliche Kollegen sind morgen früh am Fabrikeingang und sehen sich an, was da vorgehen soll!"
Von allen Seiten wurde ihm zugestimmt. „Wir werden einen Streikschutz organisieren", warf Melmster ein, „wie er in Amerika üblich ist. Die ganze Belegschaft wird dabeisein. Die ganze Belegschaft wird Streikposten stehen! Außerdem werden wir die Erwerbslosen zu Solidaritätsaktionen alarmieren, damit es den Reformisten und Unternehmern nicht gelingt, sie gegen uns auszuspielen. Die Erwerbslosen gehören mit in die Streikfront!"
Der Bohrer Helmut Rohde, der immer noch am Tisch stand, war völlig vergessen. Sofort wurden jetzt von den Mitgliedern der Streikleitung die Adressen der streikenden Kollegen aufgeteilt. Jeder sollte benachrichtigt werden, dass er morgen früh um sechseinhalb Uhr vor der Fabrik zu erscheinen habe.
Im Laufe des Tages kamen noch einige Kollegen, die ebenfalls das Schreiben der Betriebsleitung erhalten hatten. Jeder Arbeiter, der kam, wurde in die Arbeit zur Organisierung der Abwehr des geplanten Streikbruchs eingespannt.
„Was wird morgen früh?"
„Wer wird arbeiten wollen?"
„Wird es uns gelingen, den Streikbruch zu verhindern?" Das waren die Fragen, die jeden streikenden Arbeiter bewegten.
Vorerst wurden die Streikposten verdoppelt. Einige Arbeiter mit Fahrrädern wurden als Kuriere mit Adressenmaterial losgeschickt. Die Arbeit unter den Kollegen hatte einen neuen Anstoß erhalten.
Melmster war von der Streikleitung vom Streikpostenstehen befreit worden. Er saß in einem Winkel der Gaststube und schrieb an einer längeren Arbeiterkorrespondenz für die kommunistische Tageszeitung über die Ursachen und den bisherigen Verlauf des Streiks.


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