| Die Reichsbannerkolonne. Die Betriebsleitung der Maschinenfabrik von N. & K. hatte  wiederholt mit dem Vorstand des freigewerkschaftlichen  Metallarbeiterverbandes Fühlung aufgenommen, um gemeinsam Mittel und  Wege zu finden, den Streik der Belegschaft beziehungsweise die  Aussperrung der Firma zu liquidieren. Riesenhafte Konventionalstrafen  drohten, und der Unternehmerverband machte die Gewerkschaft als  Vertragskontrahenten beim Tarifabschluss der beiden Verbände für den  Streik moralisch verantwortlich. Die Gewerkschaften wieder schreckten  vor keinem Mittel zurück, um den Streik so schnell wie möglich  abzuwürgen. Sie veranlassten die polizeiliche Besetzung des Betriebes,  sie organisierten den - allerdings bislang vereitelten - Streikbruch,  sie forderten und erreichten die Verhaftung der Streikleitung, sie  waren unermüdlich am Werk, den Streik, auf dessen Führung sie keinen  Einfluss hatten, zu zerschlagen.Heimlich warben die  Vertrauensleute der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie auf dem  Arbeitsnachweis der Metallarbeiter unter den erwerbslosen  Reichsbannermitgliedern Streikbrecher. Jeder Erwerbslose mit dem  Firmenschild der Republik an der Mütze wurde, wenn er Dreher,  Schlosser, Schmied oder Schweißer war, angehalten und bearbeitet. Es  gab manchen, der trotz allen Zuredens derartige Schurkereien glatt  ablehnte, es gab aber auch viele, denen jede Gelegenheit recht war,  wieder zu Arbeit zu kommen, und in deren Augen jeder Streik, wenn er  nicht vom Verband organisiert und geführt wurde, ein Verbrechen war,  das man bekämpfen musste.
 So hatten die Gewerkschaftsinstanzen für den entscheidenden Schlag, den  sie gemeinsam mit der Firma gegen die streikende Belegschaft planten,  alles im geheimen vorbereitet.
 Am Tag nach der Verhaftung der Streikleitung führten die Gewerkschaften  ihren planmäßig organisierten Streikbruch durch. In aller Stille wurde  die Polizeibesetzung der Fabrik verstärkt und rund um das Werk eine  Postenkette gezogen, die strikte Anweisung hatten, rücksichtslos gegen  Ansammlungen streikender Arbeiter vorzugehen.
 Am nächsten Morgen waren sämtliche Zugangsstraßen zur
 Fabrik polizeilich besetzt. Unmittelbar vor dem Fabriktor standen zwei  Ketten Sipo, die ihre Gewehre schussbereit im Arm trugen.
 Kurz vor sieben Uhr kamen dann einzeln die angeworbenen Streikbrecher  und betrachteten erstaunt den kriegerischen Schutz vor der Fabrik.
 „Sollen wir etwa unter polizeilichem Schutz arbeiten?" rief plötzlich  einer im Umkleideraum. „Wer ist hier der Betriebsratsobmann?"
 Alle horchten gespannt auf.
 „Hier!" rief Kühne und reckte sich auf, denn er  wechselte gerade sein Schuhzeug.
 „Das hat man uns nicht gesagt, dass die Fabrik von Polizei besetzt  ist!" wandte sich der Arbeiter an ihn. „Was hat das zu bedeuten?"
 „Kollege, hast du denn keine Zeitung gelesen?"
 „Nein."
 „Gestern haben doch einige Kommunisten auf uns geschossen und einen  Jungarbeiter getötet!" Kühne suchte in seiner Rocktasche nach der  Zeitung.
 „Wir müssen uns doch gegen diesen Terror schützen!"  rief einer aus der Ecke.
 „Das mit der Polizei ist schließlich nur heute!" meinte  ein anderer.
 „Davon weiß ich gar nichts", erwiderte nun der Arbeiter, der die Frage  gestellt hatte, etwas verlegen. „Immerhin - eine verflucht dreckige  Geschichte. Ich arbeite nicht gern unter Polizeiaufsicht."
 „Sieht ja auch dumm aus", meinte nun auch Kühne, „aber muss  sein!"
 Ein Gemurmel war die Antwort, und das dumpfe Schweigen, das sich dann  über die Streikbrecher legte, wurde nur durch die schrille Stimme des  alten Platzarbeiters unterbrochen, der den neueingestellten Arbeitern  Plätze und Kleiderhaken anwies, wo sie sich umziehen und ihre Kleider  lassen konnten.
 Noch hing die Mehrzahl der „Blutplakate" an den Mauern der Fabrik, noch  war der ermordete Tischler nicht bestattet, noch stand die übergroße  Mehrzahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter von N. & K. im  Streik, als etwa siebzig Arbeiter der Belegschaft, meistens Tischler -  die noch immer sich selber einredeten, mit dem Streik nichts zu tun zu  haben -, und zirka hundert auf dem Arbeitsnachweis angeworbene  erwerbslose Reichsbannerarbeiter unter dem Schutz der Polizei die  Arbeit im Betrieb wieder aufnahmen.
 Als am Morgen um sieben Uhr die Fabriksirene heulte, ratterten seit  langem wieder die Transmissionen durch die Maschinenhalle, kreischten  die Sägen und pfiffen die elektrischen Blasebälge.
 
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