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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Eine Kriegserklärung.

„Wissen Sie, was der Direktor der Eumo-Werke sagte, als er durch unseren Betrieb ging? - So gemütlich arbeiteten wir in den neunziger Jahren. Das ist hier ja ein richtiges Idyll!"
„Will mir gar nicht so scheinen!" brummte Meister Westmann.
„Das sagte so ähnlich auch Jacobi!" begann der Kalkulator wieder. „Aber das hätten Sie hören sollen! - Was laufen die
Arbeiter hier spazieren? - Wo ist deren Arbeitsplatz? -Warum bedienen nicht die Dreher und Hobler zwei von den großen Maschinen? - Warum müssen die tagsüber stundenlang in die Luft gaffen? - Warum murksen vier oder fünf Arbeiter immer nur einen Kran fertig? - Das ist Spielerei! - Wer kann sich das heute noch erlauben? - Warum wird nicht systematisch Hand in Hand gearbeitet? - Dieser Betrieb muss ja unrentabel sein! - Dreihundert Prozent mehr ließen sich herausholen!"
„Der vergisst unser Menschenmaterial."
„Als Jacobi ihm sagte, dass die Arbeiter nicht wollen und sich gegen weitere Rationalisierungsmaßnahmen wehren würden, lachte der Direktor laut auf. Bestimmen in diesem Betrieb die Arbeiter oder Sie? Sie züchten ja den Bolschewismus durch Ihre unangebrachte Humanität! - Das wird noch heiß bei uns hergehen! Mir wurde hinterher eingeheizt, als sei ich der Schuldige! Bei den Drehern fängt nun der Rummel an!"
„Ausgerechnet!"
„Bei Planarbeiten soll Bleckmann Wiesenbachs Bank mit übernehmen. Diesem müssen Sie dann eine kleine Schnelldrehbank geben. Der Dreher Dresen richtet künftig nur die Automatenbänke ein. Die Dreher in der Reihe bekommen nur noch Spezialarbeiten. Auch die Hobler müssen fortan zwei Maschinen bedienen!"
„Wenn das man alles gut geht!"
„Etliche Entlassungen stehen ebenfalls bevor, besonders in der Montage." „Mehrarbeit und Entlassungen?" „Das ist das Programm!"
In den nächsten Tagen wurde im Betrieb hin und her gehastet. Die Meister liefen wie aufgescheuchtes Wild umher. Drei Kalkulatoren tauchten mit ihren Stoppuhren zwischen den Drehbänken auf. Die Umdrehungen der einzelnen Gänge von den verschiedensten Drehbänken wurden abgelesen und registriert. Sämtliche Stahlarten wurden ausprobiert. Phantastische Apparate mit mehrstähligen Supporten und schnellfließenden Kühlanlagen wurden auf einige Bänke montiert. Alles war in Aufregung und fieberhafter Tätigkeit.
Bleckmann arbeitete im Beisein der Kalkulatoren, dass ihm große Schweißtropfen auf der Stirn standen. Wiesenbach schmierte sich in nervöser Hast noch mehr Dreck ins Gesicht als gewöhnlich, und der Rotkopf knurrte und brummte den ganzen Tag über diesen tollhausartigen Betrieb.
An einem Nachmittag gab dann die Betriebsleitung durch einen Anschlag offiziell die Einführung rationellerer Arbeitsmethoden bekannt. Es wurde in dem Anschlag in einem schwülstigen Pathos von der Konkurrenz auf dem Weltmarkt geredet und von Deutschlands Wettbewerb um die Erhaltung und Verbreiterung der Absatzmärkte. Die Rationalisierung sei die Lebensnotwendigkeit der deutschen Wirtschaft, hieß es weiter, und Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten gemeinsam am Wiederaufbau unserer zerrissenen Wirtschaft arbeiten.
Etwa zwanzig Arbeiter standen vor dem „Schwarzen Brett" und lasen.
„Das sind dieselben Redensarten, wie sie unsere Reformisten gebrauchen!"
„Das ist eine Kriegserklärung!" Der Hobler Hans hatte sich unter die lesenden Arbeiter gedrängt.
„Eines Krieges, der gegen uns gerichtet ist!" ergänzte ein Revolverdreher.
„Und den wir wieder bezahlen müssen!" setzte ein anderer hinzu.
So entstand wieder eine Unruhe im Betrieb. Jeder Arbeiter spürte, das war ein Angriff des Unternehmertums, und das Ziel dieses Angriffes war: Mehrleistung bei gleichem Lohn mit weniger Arbeitern.
In allen Abteilungen wurde diskutiert. Die unsinnigsten Vorschläge wurden gemacht, um diesen Vorstoß der Unternehmer abzuwehren. Von Sabotage, von passiver Resistenz, von systematischem Versacken aller und dergleichen mehr wurde schwadroniert. Der Schlosser Drohn war überall. Er bewies den Arbeitern, dass die Ursachen dieser Rationalisierung in den Bemühungen der deutschen Kapitalisten zu suchen waren, die Konkurrenz auf den Weltmärkten zu schlagen. Er widerlegte alle die unsinnigen Vorschläge, die im Grunde durchaus passiver Natur waren, und zeigte, wie nur im revolutionären Kampf des Proletariats, und zwar auf breitester Grundlage, Klasse gegen Klasse, die wirtschaftlichen Positionen der Arbeiter verbessert und der Kapitalismus niedergerungen werden könnten. Unermüdlich ging er auf jede Unterredung, auf jede gegenseitige Bemerkung ein. Die Kollegen seiner Kolonne arbeiteten widerspruchslos für ihn mit, dadurch bewiesen sie ihre Sympathie für ihn.
Auch Hans Wend wirkte in diesem Sinne unter den Hoblern und Bohrern. Die Mitglieder des Arbeiterrats aber verhielten sich völlig desinteressiert, sie und die feste Clique der Jubiläumsarbeiter nahmen alles hin, als ginge es sie gar nichts an. Einige Schlosser standen an der Anreißplatte bei Kühne und redeten auf ihn ein. Man konnte sehen, wie sie der Riese abwehrte und sie zu beschwichtigen versuchte. Heftig gestikulierend verließen sie die Maschinenhalle.
Der Hobler rief dem Betriebsratsobmann zu: „Deine Genossen rebellieren wohl? Wie steht es denn mit dem Belegschaftsbeschluss?"
Der Riese machte lediglich eine wegwerfende Handbewegung.
„Ja, ja!" lachte und höhnte der Hobler. „Undankbarer Posten. Deine Genossen sagen auch, es ist ein Opfer, Minister zu sein, und drängeln sich danach, dieses Opfer zu bringen!"
Bei den Drehern wurde wie wild gearbeitet. Meister und Kalkulatoren rannten hin und her. „Nun beginnen deine Raben zu arbeiten!"
Olbracht verspürte offenbar keine Lust, auf diese Spitzfindigkeit einzugehen, aber Bleckmann hatte es gehört, und er pöbelte und drohte: „Diese Parasiten in Lack und Frack sollen sich nicht einbilden, dass ich mich teilen kann, ich habe mich mit meiner einen Bank genug zu quälen. Die sollen nicht glauben, dass ich zugleich an zwei Bänken arbeiten kann. Zwei Hände habe ich man nur!" „Mit Schimpfen ist da nichts getan!"
„Verquickst wohl diese Angelegenheit auch mit der Weltrevolution wie der Hobler und versuchst, daran dein Parteisüppchen zu kochen!"
„Die kapitalistische Rationalisierung ist eine verdammt wichtige Angelegenheit der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Sie ist ein Generalangriff auf deine, meine und unser aller Lebenshaltung und unsere noch vorhandenen geringen Rechte!"
„Siehe Rationalisierung in Russland! Dort wird selbst nach euren eigenen Angaben amerikanisches Tempo überboten!" warf jetzt Olbracht bissig ein.
„In Russland beherrschen die Arbeiter und Bauern Staat und Wirtschaft!" erwiderte Melmster. „Alle Errungenschaften kommen dort den Werktätigen zugute. Weitestgehende Sozialfürsorge, auskömmliche Löhne, Siebenstundentag und Fünftagewoche. Der russische Rationalisierungsprozess ist das Tempo des sozialistischen Aufbaus. Hier schuften wir für den Profit anderer. Die kapitalistische Rationalisierung bei uns bringt den Unternehmern erhöhte Profite und uns Elend und Massenerwerbslosigkeit. Die sozialistische Rationalisierung in der Sowjetunion bringt höhere Löhne für die Arbeiter und verkürzte Arbeitszeit. Das ist der Unterschied."
„Schluss!" winkte Olbracht ab und grinste.


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