Trotz alledem: Rote Liste.
Nach einigen Tagen wurde ein neuer Termin für die Wahl eines Arbeiterrats angesetzt. Kühne schmunzelte. Schmachel machte höhnische Bemerkungen über die RGO und erzählte den neueingestellten Reichsbannerarbeitern skrupellos von dem unerträglich gewesenen Terror der Handvoll Kommunisten, die ja nun glücklich hinausgeworfen worden seien.
„Nun herrscht wieder Ruhe in der Bude!" frohlockte er. „Wir jahrzehntelang organisierten Arbeiter wurden von diesen Rotzjungen wie Denunzianten und Unternehmeragenten behandelt!"
„Und Olbracht?" fragte skeptisch der Dreher mit dem Reichsbannerabzeichen an seiner ölschmierigen Mütze.
„Was weißt du von Olbracht?" fuhr ihn Schmachel an.
„Das, was du auch weißt!" kam keck die Antwort. Schmachel wurde puterrot im Gesicht. „Alles Lügen und Verleumdungen, die über ihn verbreitet wurden!" zischte er und ging wieder an seine Drehbank.
„Was ist denn mit Olbracht?" fragte einer der Dreher.
„Der hat kommunistische Kollegen der Betriebsleitung denunziert!"
„So 'n Schwein!" platzte der andere heraus. „Das war wohl ein Gelber?"
„Nein, er ist heute noch Sozialdemokrat!" antwortete ruhig der Dreher und kurbelte plan und horizontal zugleich eine Konusfläche an einen großen Gusseisernen Kegelbolzen.
Der Ex-Betriebsratsobmann fühlte sich wieder restlos als Herr der Lage. Eine Versammlung der freigewerkschaftlich organisierten Arbeiter hatte eine neue Arbeiterratsliste aufgestellt. Kühne, Schmachel und Fahs waren wieder auf ihr vertreten. Von einer Opposition war nichts mehr zu sehen. Die war allem Anschein nach gründlich ausgeräuchert.
Einiges Erstaunen erregte aber der Rücktritt Bleckmanns von der Liste.
Als der Vorschlag an das „Schwarze Brett" geheftet wurde, um dann nach Ablauf der gesetzlichen Frist als gewählt erklärt zu werden, huschte über das Gesicht des piepsenden Riesen ein zufriedenes Lächeln. Er fühlte sich als Sieger.
Um so größer war das Entsetzen, als später, knapp vor Ablauf der Frist, eine Gegenliste der RGO eingereicht wurde. Die reformistischen Betriebsfunktionäre liefen unruhig im Betrieb umher und bestürmten Kühne an der Anreißplatte mit Fragen. Mit geheuchelter Sicherheit gab er allen Auskunft und überschüttete die unsichtbare RGO mit Hohn und Spott.
Der Dreher Schmachel aber war wieder mal außer sich vor Wut. Fortan war er gegen jeden im Betrieb misstrauisch und schielte auch den Dreher, der ihm zur Seite stand, zweifelnd an, trotzdem er den Reichsadler an der Mütze trug.
„Das war also der Grund, warum du die Kandidatur auf unserer Liste abgelehnt hast?" Kühne stand mit forschenden Blicken vor Bleckmann.
„Natürlich!" erwiderte der und machte sich an der Planscheibe zu schaffen.
„Mensch, Bleckmann...!" drang Kühne auf ihn ein. „Was ist eigentlich der Anlass zu deiner plötzlichen...!"
„Der da gestanden hat!" schrie ihn plötzlich der Dreher an und zeigte zur großen Karusselldrehbank, an der der alte John gestanden hatte. „Und der dort!" zeigte er auf Olbracht, der ganz in seine Arbeit vertieft schien. „Und du und deinesgleichen, damit ihr es wisst! Und jetzt hau ab! Verschwinde!"
„Dein Name auf der RGO-Liste, du weißt hoffentlich, was das bedeutet!"
„Ja, ich weiß!" lächelte Bleckmann verächtlich. „Ich erspare dir oder deinem Genossen Olbracht das Denunzieren!"
Kühne stierte ihn mit seinen Kuhaugen wütend an. „Bilde dir bloß nicht ein, dass du gewählt wirst", murmelte er und ging.
Meister Westmann, der diesen Auftritt beobachtet hatte, trat an Bleckmann heran.
„Bleckmann, Sie machen sich unmöglich!"
„Nach allem, was vorgefallen ist, kann ich nicht anders, ich kann kein Freund von Denunzianten und Halunken sein!"
„Trotzdem wäre es klüger, wenn Sie schweigen würden!" Meister Westmann rückte näher.
„Wissen Sie was von Melmster und Dresen und dem Hobler?" flüsterte er.
„Nichts!" wehrte Bleckmann ab.
„Sie kommen nicht mit ihnen zusammen?"
„Nein! Die drei sind ja längst aus der Haft entlassen!" Meister Westmann nickte.
„Die lassen nicht locker... Die lassen sich durch nichts schrecken!... Diese Begeisterung! Diese Uneigennützigkeit! Diese Entschlossenheit...!"
Meister Westmann nickte immer noch und sann vor sich hin. „Die werden es schaffen! Das ist sicher!"
An diesem Tag fand abends in einer kleinen Gastwirtschaft die erste Zellenversammlung der neugegründeten kommunistischen Jugendbetriebszelle der Firma Negel & Kopp statt. Es war dem Jungkommunisten Fritz Baldow gelungen, drei weitere junge Arbeiter zu gewinnen, mit denen zusammen bildete er nun die neue Betriebszelle.
„Die wichtigste Arbeit, die vor uns steht, ist die Herstellung und Verteilung der Betriebszeitung", flüsterte Fritz, denn auch der Wirt sollte nicht wissen, um was es ging.
„Wir müssen aber außerordentlich vorsichtig arbeiten. Erwischt werden darf keiner! Wir sind jetzt die Basis für die weitere Arbeit im Betrieb! Wir haben nicht nur die Jungarbeiter im Betrieb zu bearbeiten, sondern müssen auch noch die ganze Parteiarbeit übernehmen und dahin arbeiten, dass bald wieder eine neue Betriebszelle geschaffen wird!"
„Wir werden's schon machen!" meinte ein kleiner Blondkopf, der an der Metallsäge arbeitete. Die andern nickten ihm zu.
Am Tage nach der Arbeiterratswahl stand in der sozialdemokratischen Tageszeitung folgende Notiz: Arbeiterratswahl in der Maschinenfabrik N. &• K.
Die gestrige Arbeiterratswahl bei Negel & Kopp wurde zu einem großen Erfolg der sozialdemokratischen Liste. Trotz monatelanger Wühlereien der Kommunisten, trotz Streikhetze und planmäßiger Überfälle auf langjährige Gewerkschaftsfunktionäre erhielt die sozialdemokratische Arbeiterratsliste 164 Stimmen. Die Liste der Kommunisten, die so genannte RGO, erhielt nur 53 Stimmen. Die Sozialdemokraten haben hiernach drei, die Kommunisten nur einen Vertreter im Arbeiterrat. Das Resultat zeigt wieder einmal, was für eine hoffnungslose Minderheit die Kommunisten in den Betrieben sind.
Bei N. & K. wirbelte diese Notiz ungeheuren Staub auf. Jeder einzelne wusste von den Kämpfen im Betrieb, wusste, dass alle oppositionellen und der Opposition verdächtigen Arbeiter entlassen worden waren, dass durch Denunziation, Polizei und organisierten Streikbruch der Reformisten der Betrieb kommunistenrein gemacht worden war.
Kühne wimmelte kaltschnäuzig die ihn bestürmenden Arbeiter ab. Er fühlte sich wieder ganz als Betriebsratsobmann. Schmachel aber, der hitzige, fauchte den Dreher mit der Reichsbannerkokarde unüberlegt an. „Du musst doch die politische Notwendigkeit solcher Dinge verstehen! Es steht doch nur drin, um andere Arbeiter zu warnen!"
„Aber es stimmt doch nicht!" erwiderte hartnäckig der Dreher.
„Das ist ja auch nicht für uns kleines Häuflein im Betrieb geschrieben, sondern für die vielen Tausende Arbeiter, die von den Kämpfen hier nichts wissen!"
„Sosoo!" quittierte der Dreher ironisch das unfreiwillige Geständnis.
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