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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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„Es rettet uns kein höh'res Wesen".

Nach fünf Tagen wurden der Hobler und seine beiden Kollegen von der ersten Streikleitung aus der Haft entlassen.
Die ehemaligen Arbeiter von N. & K., die täglich mit der Entlassung der drei rechneten, hatten sich wie jeden Morgen, bevor sie in die Stadt zum Arbeitsnachweis gingen, bei Horning versammelt.
Unter größtem Hallo und Jubel wurden die drei empfangen. Jeder wollte seine letzten Groschen opfern, um ihnen ein Glas Bier zu spendieren. Der Hobler sah wohl etwas blass und mitgenommen aus, aber er lachte über das ganze Gesicht und schüttelte die vielen Hände, die sich ihm entgegenstreckten.
„Hier, Hans, lies mal das SPD-Blatt von gestern!" trat der hagere Schmied an den Hobler heran.
Der Hobler las das Geschreibsel, blieb aber ganz ruhig.
„Wat sagste nu?" fragte ihn der Schmied, der ihn aufmerksam beobachtet hatte.
„Kein Wort über den Polizeiterror, kein Wort über die Verhaftung der Streikleitung, kein Wort über die Massenentlassungen nach der Streikniederschlagung - an solchen Siegen werden sie zugrunde gehen."
„Aber das sind Demagogen, was?" Der Wirt Karl Horning, der immer mit den oppositionellen Arbeitern sympathisiert hatte, servierte den drei Entlassenen eine tüchtige Portion Bratkartoffeln mit Rührei.
Mitten in der Gastwirtschaft saßen nun die drei und futterten.
Rund um sie herum standen wie eine dichte Mauer die Arbeiter, die sich an dem gesunden Appetit der drei freuten.
„Man los!" rief der Hobler. „Hier können noch einige hungrige Mäuler anmustern!"
„Nee! - Nee! - Um Gottes willen! - Man bloß nicht!" riefen alle durcheinander und hoben abwehrend die Hände.
„Haut man ordentlich rein!" rief lachend der Schmied, und alle lachten mit, und allen knurrte ganz gottserbärmlich der Magen.
Nachdem die drei sich satt gegessen und die anderen sich hungrig gesehen hatten, zogen sie alle in die Stadt zum Stempeln. Der Hobler, der Dreher Harms und der dritte, der junge Schlosser Boldt, mussten sich nun auch auf dem Arbeitsamt anmelden.
„Unterstützung gibt's aber erst nach drei Wochen Karenzzeit!" erklärte ein Dreher den dreien. „Warum?" fragte Harms.
„Weil wir unsere Entlassung selbst verschuldet hätten, sagte mir so ein Dickwanst hinterm Schalter!"
„Genossen, jetzt heißt es aber unter den Erwerbslosen arbeiten. Im Erwerbslosen-Ausschuss sitzen auch nicht die Besten. Die politische Arbeit tut dort bitter Not!"
„Wie der redet!" lachte der Schmied. „Ist eben eine Stunde aus dem Gefängnis!"
Geschlossen verließen die Arbeiter das Lokal. Auf dem Bürgersteig musste alles vor ihnen Platz machen. Mit beinahe achtzig Mann zogen sie los.
„Platz dem Arbeiter!" rief der Schmied aufgebracht, als zwei wohlgenährte Bourgeois über den Fahrdamm ihnen ausbiegen mussten und sich empört von den ruppigen Arbeitern abwandten.
„Hans, wie war's denn im Kittchen?" rief einer laut über die Straße. Alles lachte. „Wo ist Hennings?" fragte der Hobler Melmster. „Der taucht für eine Weile nicht wieder auf!" „Das ist auch besser."
Um ins Innere der Stadt zu kommen, wo das Arbeitsamt war, mussten sie durch ein Villenviertel.
„Jetzt kommen wir ins Schlaraffenviertel!" rief einer der Arbeiter.
„Zu den Nichtstuern!"
„Zu den Ausbeutern!" rief ein anderer.
„Und den Nutznießern!" betonte der Schmied.
„Melmster, sieh mal den Palast da mit dem prächtigen Park.
Was werden wir damit anfangen, wenn wir die Macht erobert haben?"
Melmster überlegte lächelnd. „Ich würde es als Heim für Arbeiterveteranen vorschlagen. Dann soll sich keiner mehr erhängen müssen wie der alte John!"
„Nicht übel!" meinte der Schmied dazu und sann angestrengt über die Zweckmäßigkeit des Vorschlages nach, als läge es in seiner Macht, ihn sofort zu verwirklichen.
„Das dort wär ein ideales Klubhaus, groß, geräumig und vorzüglich gelegen!" begann ein anderer.
„Was muss denn nach deiner Meinung alles in solchem Klubhaus sein?" fragte einer.
„Eine Bibliothek, ein Leseraum, ein Baderaum, ein Radiozimmer und ein größerer Raum für Kino und Theater, auch ein Schachzimmer..."
„Und ein Rauchzimmer?"
„Natürlich auch ein Rauchzimmer!" ergänzte er.
„Sag mal, wie groß ist jetzt deine Wohnung?" fragte der Schmied und zwinkerte dem andern zu.
„Ich habe keine Wohnung, wir haben ein Zimmer in Untermiete!"
Alles lachte, doch der Schmied brüllte vor Vergnügen, dass ihm die Tränen aus den Augen purzelten.
„Was habt ihr nur? Das soll doch nicht für mich, sondern für uns alle sein!" erwiderte ganz verlegen der Erwerbslose.
„Schon gut! Schon gut! Ich meine nur so!" prustete noch immer der Schmied.
Melmster und der Hobler hatten das Gespräch schweigend mit angehört.
„Lacht nicht, all das und noch viel mehr wird uns einmal gehören. Alles, was die Werktätigen geschaffen haben, wird ihnen auch gehören, wie es heute schon unseren russischen Arbeitsbrüdern gehört. Dann werden wir das gesellschaftliche Leben in unserem Sinne, im sozialistischen Sinne regeln, dann werden wir die Wirtschaft auf kollektiver Grundlage organisieren, und nur wer arbeitet, erhält Anteil an der Arbeit aller. - Aber, Genossen, noch gehört uns nicht soviel, um uns satt essen zu können. Doch jeder muss sich sagen, an mir liegt es mit, wie lange es dauert, bis wir, die Arbeiterklasse, die Macht im Staate haben. Das Verhalten eines jeden einzelnen von uns ist mitentscheidend, ob es bald oder erst später sein wird. Nur wenn wir restlos alles dransetzen, werden wir alles gewinnen!"
„Zur Herrschaft der Arbeiterklasse und zum Aufbau des Sozialismus gibt es nicht mehrere, nicht einmal zwei Wege", ergänzte Melmster den Hobler, „sondern nur einen, einen einzigen, den Weg der proletarischen Revolution und der Diktatur der Arbeiterklasse!" -
Schweigend schritten die achtzig Arbeiter mit schweren, dröhnenden Schritten durch die Straßen. Das Villenviertel lag längst hinter ihnen, sie marschierten wieder durch eintönige, schmucklose Proletarierstraßen.
Erstaunt betrachteten die Leute auf der Straße den Trupp. Plötzlich begann einer eine revolutionäre Melodie zu summen:
„Es rettet uns kein höh'res Wesen -" Bald summten einige leise mit: „Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun -" Schließlich sangen alle, dass es in den Straßen widerhallte: „Uns aus dem Elend zu erlösen,
Können wir nur selber tun!" Der Gesang stürmte die Straße entlang, kletterte an den Häusern hoch und drang in die Türen und Fenster.
Melmster und der Hobler, der alte Dresen und der hagere Schmied, achtzig Proleten, im Bewusstsein der unüberwindbaren Kraft ihrer Klasse, marschierten im Gleichschritt die Straßen hinunter, dass es von den Steinen dröhnte.


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