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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Schlachtpläne.

„Ich soll die Polizei herbeirufen, wenn Sie wieder diese Zeitung verteilen!" erklärte der Pförtner den beiden erwerbslosen Arbeitern, die einen neuen „Roten Greifer" verteilten. „Dat lot man sin!" entgegnete trocken der eine. Der Pförtner humpelte unentschlossen hinter das Fabriktor zurück.
Die Zeitung wurde den beiden aus den Händen gerissen, nur der Betriebsratsobmann Kühne ging mit verächtlichen Blicken für die Verteiler weiter und verweigerte die Annahme der ihm hingereichten Betriebszeitung. Die umstehenden Arbeiter uzten und verspotteten ihn.
Als die Fabriksirene lang anhaltend heulte, waren wieder dreihundert Exemplare verteilt.
Beim Dreher Schmachel an der großen Koppbank in der äußersten Ecke der Maschinenhalle war Konferenz des Fünfmännerkollegiums. Kühne, Olbracht, Bleckmann und der Bohrer Kaufmann waren beisammen. Seit drei Tagen war die entscheidende freigewerkschaftliche Belegschaftsversammlung angesetzt. Heute fand sie statt. Den Arbeiterratsmitgliedern grauste. Und dann am letzten Tag der „Greifer", der in einem letzten Appell an die Belegschaft zur Wahl der Kandidaten der Opposition aufforderte und die Streikhetze, die bei den Drehern Erfolg hatte, über die ganze Belegschaft ausdehnte, steigerte ihre Sorgen.
„Wenn man wüsste, was für eine Liste sie einreichen werden?" flüsterte Kühne.
„Ich werde dem Dreher Kulb sagen, dass er den Harms aushorchen soll. Der quasselt mehr, als er verantworten kann!"
„Wer ist das?" fragte Kühne.
„Der Boxer mit der gespaltenen Nase, der hier am Ende steht." „Ach der!"
„Der hat mir, ohne es zu ahnen, über Kulb schon manches verraten!" grinste Olbracht. „Werden wir durchkommen?" „Ich glaube nicht!" antwortete Schmachel.
Kühne schwieg. „Und dann?" „Abwarten!"
Auch der Zellenkopf der Opposition tagte. Der aber durfte nicht wagen, sich offen im Betrieb zu zeigen. Die Sitzung war wieder auf Latrine fünf. Bis ins einzelne wurden der Vorstoßplan und alle möglichen Eventualitäten besprochen, und alle, aber besonders der Hobler, waren zuversichtlich.
„Ich hab's in der Tasche!" sagte er und lachte. „Hast du alles überlegt?" fragte Melmster. „Wir werden die Karten aufdecken. Heut oder nie!" „Wie sich wohl der ,Gottsucher' und der ,Scharfe' verhalten werden?"
„Scharff verteidigt Fahs und arbeitet für die SPD.-Liste", erklärte Drohn, „der entpuppt sich vor der Wahl wieder einmal richtig!"
„Er wird wohl wissen, warum!" Melmster lachte verächtlich.
„Der soll sich heute nur nicht aufblasen!" drohte der Hobler.
Am Nachmittag wurde es im Betrieb immer lebhafter. Die Arbeiterratsmitglieder gingen zu ihren vermeintlichen Freunden und lächelten süß wie im ganzen Jahre zuvor nicht.
Unter den Kollegen aber wurde heftig diskutiert, Wetten auf das Wahlergebnis wurden abgeschlossen, und die fiebernde Spannung unter den Arbeitern wuchs, je mehr die Uhr auf vier zuging.


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