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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Das erste Opfer.

„Dem Tischler Elmers sind zwei Finger von der linken Hand abgesägt!"
Der Rotkopf brachte diese Nachricht. Sie wurde mit erstaunlichem Gleichmut aufgenommen. Kurt Menzel aber war ganz erregt. Er hatte den aschfahlen Tischler mit der zerstückelten, blutenden Hand gesehen.
„Nummer eins!" registrierte Melmster.
„Was meinst du damit?"
„Das erste Opfer der Rationalisierung!"
„Die soll ja erst kommen!" meinte Olbracht lachend. „Ich habe grässlichere Unfälle erlebt, und übrigens geschehen in jeder Minute Unfälle und meistens schwerere!"
Melmster erwiderte nichts, aber er dachte: Zwei Finger weg sind heute eine Bagatelle, und ein erzählter Unfall erschüttert nicht. Anders ist es, wenn man Blut und die angst- und schmerzaufgerissenen Augen des Verunglückten sieht.
Unvergesslich blieb ihm ein Unfall während seiner Lehrzeit. Er lernte in einer Armaturenfabrik. Ein Dreher in einer Nebenabteilung hatte seinen Treibriemen ausgebessert und war dabei, ihn wieder über das Schwungrad der Transmission zu werfen. Die Dreher hatten darin eine erstaunliche Fertigkeit und kamen damit zustande, ohne den Betrieb zum Halten zu bringen. Doch tausendmal geht es gut, einmal passiert's. Melmster hörte damals nur einen Schrei, einen kurzen, durchdringenden, gellenden Schrei. Er sah nicht, was vorgefallen war, und auch nicht einmal den Verunglückten, aber diesen Schrei konnte er nicht vergessen. Das Schwungrad packte den Dreher und riss ihm den rechten Arm glatt ab. -Dann erinnerte sich Melmster noch eines besonders schaurigen Unfalls. Vor Jahren, in einer Werkzeugfabrik, kam sein Vordermann mit der Hand zwischen Arbeitsstück und Bohrstahl, dabei wurde ihm der Daumen abgewürgt, und unter dem entsetzlichen Gebrüll des Arbeiters wickelte sich eine Sehne aus der blutenden Hand um das rotierende Arbeitsstück.
Melmster hatte außer vielen leichteren Verletzungen, die jeder schon als Selbstverständlichkeit hinnahm, einen schweren Unfall gehabt, und eine breite Narbe an der inneren Handfläche war ein bleibendes Erinnern daran. Beim Bohren musste er sich einmal ohne Bohrfutter behelfen und mit einem Mitnehmer, den er um den Bohrer spannte, diesen halten. Während des Bohrens glitt die führende Reitstockspitze ab, der Bohrer fraß sich schief, und der Mitnehmer schlug ihm auf die Hand. Die ganze ausgespannte Handfläche platzte, und der kleine Finger hing wie losgelöst dabei. Er hatte noch Glück gehabt und seine Finger behalten.
So floss in der Fabrik täglich Blut. Die verschärfte kapitalistische Rationalisierung würde noch mehr blutige Opfer fordern, und wie im imperialistischen Kriege fielen auch auf diesem Schlachtfeld der Arbeit nur die Geknechteten, die Ausgebeuteten. Die kapitalistischen Nutznießer, die Dividendenschlucker und Profitjäger saßen auch hier weitab von der mordenden Front.
Auf dem Fabrikhof traf Melmster den „Gottsucher". Der eilte gleich auf ihn zu.
„Entsetzlich! Denk dir, völlig ab - die Finger lagen an der Erde. Und jetzt ist immer noch kein Krankenauto da!"
„Er ist bewusstlos!"
„Ach wo! Er stiert vor sich hin, als könne er das alles nicht begreifen!" „Dann hat er aber Nerven!"
„Ich will noch einmal das Hafenkrankenhaus anrufen!" Damit lief er weiter zum Pförtner.
In der Latrine wurde natürlich auch von dem Unfall gesprochen.
„Lächerlich!" sagte ein untersetzter, aber stämmiger Schlosser. „Hier die Fingerkuppe weg, abgemeißelt. - Hier den ganzen Handrücken geröstet, heißes Eisen draufgefallen. -Und hier die Narbe unter den Haaren, ich bin da von einer Stellage heruntergesaust und beinahe skalpiert worden!" Das zeigte er und lachte breit.
Zwei jüngere Lehrlinge staunten ihn entsetzt und ehrfurchtsvoll an.
„Na, Emil, mach die Jungens nicht ängstlich, die trauen sich keinen Hammer und Meißel mehr anzufassen!" Ein alter, durch die ewige Schmiedefeuerglut ausgedörrter Schmied hatte vom Lokus aus zugehört. Mit brüllendem Gelächter schlug der so vielfach von der Arbeit Gezeichnete die Latrinentür zu.


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