Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
http://nemesis.marxists.org

„Es kommt auf unsere Kollegen von links an."

Melmster und der Hobler standen vor einem Neubau an der Peripherie der Stadt. „Nummer hundertvierundsechzig! Hier muss es sein!"
Das Haus stand am äußersten Ende des Neubaublocks. Der Wind heulte aus der unbebauten Finsternis heran. Dort mussten Schrebergärten sein, denn in der Dunkelheit waren die Umrisse von Lauben und Holzbaracken zu erkennen.
„Wir verhalten uns, wie besprochen. Ihnen auf den Zahn fühlen und uns auf keinen Fall binden oder verpflichten!"
Der „Scharfe" kam selbst an die Tür und öffnete. An der Begrüßung erkannten die beiden, dass denen, die diesen Plan ausgedacht hatten, sehr viel an ihrem Kommen lag.
In einer kleinen, gut geheizten Stube, in der etwas zuviel Möbel standen, saßen unter einem grünen Lampenschirm bereits der „Gottsucher" und der junge Platzarbeiter Franke. Sie hatten offensichtlich eine lebhafte Diskussion gehabt, denn schon im Flur hörte man ihre lauten Stimmen. Als Melmster und der Hobler eintraten, verstummte das Gespräch, und die beiden rückten zusammen, um den Eintretenden Platz zu machen. „Nun warten wir nur noch auf den Franz und den Aly!"
Der „Gottsucher" hatte ordentlich glänzende Augen.
Im Zimmer stand wie ein Schmuckstück ein fast neuer Bücherschrank, in dem eine ganz stattliche Anzahl Leinen- und Lederbände sorgsam geordnet hinter den Glastüren standen.
Melmster setzte sich an den Tisch und sah vor sich einen großen Kunstdruck in einem schmalen schwarzen Rahmen. Eine Heidelandschaft mit Wacholder.
Der Hobler, der auf der Chaiselongue Platz genommen hatte, konnte auf dem Bücherschrank die bekannte Dante-Büste sehen.
Auf dem Tisch lagen einige Bücher. Melmster erkannte auf den ersten Blick Emil Ludwigs „Bismarck" und den „Johann-Christof" von Romain Rolland. „Wir sprachen soeben von Emil Ludwig", wandte sich der
„Gottsucher" an die Hinzugekommenen. „Das ist doch ein ungemein spannender und lehrreicher Historiker."
„Er ist fraglos ein sehr interessanter Literat", erwiderte Melmster, „aber ein gefährlicher Historiker!"
„Siehst du, Willy, was ich sagte. Er nimmt es mit der geschichtlichen Wahrheit nicht so genau!" rief der „Scharfe".
„Die Gefahren der Ludwigschen Geschichtsmalerei liegen nicht einmal so sehr in seiner Geschichtsfälschung, sondern in seiner ausgesprochen antimarxistischen Geschichtsdarstellung. Große Männer machen die Geschichte. Von den Zusammenhängen ihrer Politik mit den wirtschaftlichen Kräften ihrer Zeit hörst du nichts. Er ist gerade darum ein so gefährlicher Gegner für uns Marxisten, weil seine Bücher liberal gehalten und ungemein spannend geschrieben sind!"
„Du lehnst offenbar alles von deinem orthodoxen Parteistandpunkt ab!"
„Wer eine Weltanschauung hat, kann nur von der aus diese Dinge betrachten!"
Es klingelte, und der „Scharfe" lief mit dem Ruf: „Das ist Aly!" zur Tür.
Ein untersetzter, breitschultriger Arbeiter trat ins Zimmer. Melmster kannte ihn nicht, aber der Hobler raunte ihm zu: „Der sympathisiert mit uns, es wundert mich, dass der hier ist!"
Um den großen Tisch gruppierten sich die Anwesenden. Länger wollte man nicht warten, und der „Gottsucher" er­öffnete die Zusammenkunft der Jungen von N. & K. und erteilte sich dann selbst das Wort.
Er schilderte die materielle und geistige Not der heutigen Arbeiterschaft und speziell der Jugend, zeigte noch einmal ganz allgemein den Gegensatz zwischen den Alten und den Jungen auf und begründete seinen Vorschlag der heutigen Zusammenkunft mit der besonderen Mission, die vor der Jugend stehe und von der so ungeheuer viel abhänge. Die heutige Fühlungsnahme solle ein erstes Tasten untereinander sein, um einmal zu sehen, wie weit die Verständigungsmöglichkeit unter den Jungen trotz aller weltanschaulichen oder parteilichen Differenzen bereits gediehen sei.
Dann sprach der „Scharfe" ein offenes Wort, wie er seine Ausführungen nannte, und schilderte klagend den konservativen Geist der Sozialdemokratie. „Immer mehr verbürgerlicht meine Partei, ein Tor, wer das leugnen wollte", sagte er wörtlich. Die einzige Hoffnung seien die jüngere Generation und die revolutionäre Opposition dieser Jungen gegen den Ministerialismus und die Koalitionspolitik. „Es kommt auf unsere Kollegen von links an, ob wir einheitlich im Betrieb gegen die Auswüchse in allen Parteien vorstoßen können!" schloss er seine Ausführungen.
Alle erwarteten, dass hinterher Melmster oder der Hobler sprechen würden. Aber die schwiegen.
Der Platzarbeiter Franke sprach etwas von der Achtung vor den Anschauungen der andern.
Der „Gottsucher" blickte erwartungsvoll auf Melmster. „Nun, Kollege Melmster, was ist deine Meinung?" „Wenn ich das sagen soll, muss ich erst eins wissen!" „Na, und?"
„Was glaubt ihr zu erreichen, und was ist der Zweck des Ganzen?"
„Ich denke mir das eventuell so", erklärte der „Gottsucher", „wir bleiben eine lose Gemeinschaft, unterhalten uns über alle Missstände im Betrieb und suchen sie zu beseitigen und besprechen alle sonstigen Vorkommnisse und wirken revolutionierend und reinigend - jeder in seiner Partei. Wir sind so gewissermaßen in den kleinsten Anfängen das Verbindungs- und Einigungsglied zwischen den beiden sozialistischen Parteien!"
Alles blickte auf Melmster.
„Nun, dann will ich darauf auch einmal ein offenes Wort sagen", begann er dann lächelnd. „Ich brauche keine lange Einleitung zu machen. Mein Leben hat nur durch meine politische Tätigkeit in den Organisationen des Proletariats und im revolutionären Kampf um seine Befreiung Sinn und Inhalt. Dass eine starke, millionenstarke, im Ziel klare und im
Wollen einige Partei die Voraussetzung des Sieges der Arbeiterklasse sein muss, weiß ich. All das brauche ich wohl nicht zu betonen. Aber nun eins. Eure ganze Einstellung, eure ganze Absicht, ich will gern zugute halten, unbewusst, unbeabsichtigt, steht auf antisozialistischer Grundlage. Die entscheidende Frage für euch ist doch, die Sozialdemokratie zu reformieren. Ich vermeide bewusst das Wort revolutionieren. Und da seid ihr in einem Generalirrtum befangen. Die SPD-Führung betreibt keine revolutionäre, keine marxistische, sozialistische Politik mehr. Sie war in den Jahren der Revolution der Retter der kapitalistischen Wirtschaft auf bürgerlich-demokratischer Grundlage, sie ist im Laufe der Jahre ein Bestandteil dieser Wirtschaft und dieses Staates geworden. Ihre ganze Politik richtet sich vornehmlich gegen alle revolutionären Strömungen in der Arbeiterklasse. Sie hat nicht nur die proletarische Revolution blutig unterdrückt, sie hat sich von damals bis heute zum ausgesprochenen Schützer des kapitalistischen Staates entwickelt, der mit allen Mitteln der bewaffneten Klassenmacht der Bourgeoisie jeden revolutionären Willen der Arbeiterklasse blutig unterdrückt. Die Rolle des Faschismus im Todesalter des Kapitalismus ist bekanntlich, dem Kapitalismus durch barbarischste Unterdrückung aller revolutionären Kräfte des Proletariats eine Galgenfrist zu verschaffen. Die heutige SPD-Führung arbeitet unter einer dünnen Maske sozialer Phrasen dem Faschismus in die Hand.
Sie hat den Marxismus endgültig über Bord geworfen und steht in krassem Gegensatz zu den Lebensinteressen der Arbeiterklasse. Die klügeren und prominenteren Gegner der offiziellen Parteipolitik opponieren auch nur gegen die plumpe Taktik eines verlumpten Nosketums, gegen die grundlegende antisozialistische, staatserhaltende Politik opponieren sie nicht. Aber darin liegt das Entscheidende. Eure Versuche werden, wie man so sagt, am untauglichen Objekt scheitern, oder ihr werdet euch anpassen und in die Front der Klassengegner schwenken. Ich kann euch in meinem und meiner Genossen Namen nur sagen: Solange ihr einer solchen
Führung folgt, solange ihr die politischen Grundfragen dieser Partei bejaht und die KPD bekämpft, solange ihr nicht beweist, durch Wort und Tat, dass ihr proletarische Revolutionäre seid, so lange gibt es zwischen uns keine Annäherung. Die Tatsache, dass wir eine Generation und sämtlich aus der Jugendbewegung sind, hat gar nichts auf sich und ist als eine Grundlage irgendeiner Gemeinschaft völlig ungenügend. Einmal sind aus der proletarischen Jugendbewegung genügend Korruptionisten hervorgegangen, so dass die ehemalige Mitgliedschaft einfach kein absoluter Beweis politischer Anständigkeit mehr ist. Und zweitens ist, wie gesagt, die entscheidende Frage die des politischen Bekenntnisses. Wer wirklich bereit ist, für die proletarische Revolution, für den Sozialismus zu leben und zu kämpfen, der kann nur einen Weg, nur einen einzigen Weg gehen: mit allen revolutionären Arbeitern in der geschlossenen proletarischen Klassenfront, unter Führung der Partei Lenins und Liebknechts. - Das ist, was ich hier zu sagen hätte!" Alles schwieg.
„Ich verstehe diesen Parteifanatismus nicht!" begann endlich der „Gottsucher", „und wahrhaftig, die KPD hat doch genug Dreck am Stecken!"
„Nach Melmster sind wir und alle Sozialdemokraten im Betrieb ausgesprochene Lumpen, Klassenfeinde und Faschisten. Das ist wirklich eine traurige Perspektive!" meinte der „Scharfe".
„Das ist Unsinn, Erich", begann nun der Hobler, „ich glaube, ihr übertreibt und missversteht schon aus Absicht. Wir Kommunisten ringen um jeden Betriebsarbeiter, ja, jeder sozialdemokratische Arbeiter, der im Kampf gegen das Unternehmertum an unserer Seite kämpft, ist unser Klassengenosse. Aber das sage ich ausdrücklich, mit manchem einfachen sozialdemokratischen Betriebsarbeiter werdet ihr noch euer blaues Wunder erleben!"
„Lumpen gibt es in allen Lagern!"
„Durchaus richtig, aber in dem einen Lager machen sie Karriere und in dem anderen werden sie ausgerottet. Und
die heutige Massenkorruption kann nur auf dem politischen Boden des Klassenverrats gedeihen!"
„Dann sind wir Nichtkommunisten also alle Verräter?"
„Jeder, der sich gegen die in der Klassenfront des Proletariats für die politische Herrschaft der Arbeiterklasse und den Sozialismus kämpfenden Arbeiter stellt, hilft dem Klassenfeind!"
„So kommen wir natürlich nicht weiter!" fiel der „Gottsucher" ein. „Die kommunistischen Kollegen wollen nicht. Ihr Verhalten mag man beurteilen, wie man will, ich bedaure es. Wir werden nun ohne sie arbeiten müssen!"
„Aber was wollt ihr denn eigentlich praktisch erreichen?" fragte ungeduldig Melmster und erhob sich.
„Beispielsweise unseren Einfluss bei den Arbeiterratswahlen geltend machen!"
„Und wie denkst du dir das?"
„Einen von uns an aussichtsreiche Stelle bringen!"
„Nun, wir werden ja sehen! Auf der Oppositionsliste wird einer von uns vertreten sein!"
Melmster und der Hobler hatten sich inzwischen zum Aufbruch fertiggemacht. Von den Anwesenden sprach nun keiner mehr. Sie sahen den beiden schweigend zu.
„Darum keine Feindschaft!" meinte der „Gottsucher", als er Melmster die Hand zum Abschied gab.
„Nicht mehr als sonst!" lachte dieser. -Als sie aus der windigen Neubaustraße zurück ins Stadtinnere schritten, lachte der Hobler aus vollem Halse: „Die wittern Gewitter und wollten uns als Blitzableiter benutzen!"
„Trotzdem müssen wir sie gegen die Kühne und Schmachel ausspielen!"


Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur